Fr 15-12-23 Das fünfzehnte Türchen …

Witz vergeht, Humor besteht …

Neulich ist Bolle ein kommerzieller Weihnachtsgruß auf den Schreibtisch geflattert. Als bildungsbürgerlichen Einstieg hatte man eines der berühmteren Bonmots von Werner Heisenberg gewählt:

Bildung ist das, was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt hat.

Das klingt natürlich geradezu zen-mäßig. Zumindest aber wirft es die Frage auf, wozu dann überhaupt jemand jemals irgend etwas lernen sollte, wenn doch nach Abzug des Gelernten – gleichviel, wieviel es war – ohnehin Bildung übrigbleibt? So allerdings wird Heisenberg das sicherlich nicht gemeint haben. Schließlich stammt der Spruch aus einer Rede zu einer 100-Jahrfeier eines Gymnasiums.

Im Kleingedruckten des Weihnachtsgrußes heißt es dann: „Die Herausforderungen unseres Alltags werden komplexer und wandeln sich immer schneller.“ Was ist davon zu halten? Nun, übersetzen wir ›Herausforderungen‹ nach alter Väter Sitte (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) durch ›Probleme‹ und definieren wir ›Problem‹ mit Dietrich Dörner als ›Soll/Ist-Diskrepanz mit momentaner Transformationsbarriere‹ (vgl. dazu etwa Mo 22-03-21 Plan, Prognose, Plausibilität). Etwas ist nicht so, wie es sein soll, und wir haben keine Ahnung, wie wir das auf die Schnelle ändern könnten. So hat das ganze gleich mehr Witz. Umschreiben wir schließlich ›komplex‹ noch mit ›Ich blicke nicht mehr durch‹, dann macht das alles auch noch richtig Sinn.

Auch sind Wendungen wie „unser Alltag“ (als womöglich lieb gemeinter Pluralis communitatis bzw. Gemeinschaftsplural) rein stilistisch natürlich immer etwas bedenklich. Bei Bolle jedenfalls regt sich da sofort ein gewisser Reaktanz-Reflex. Das äußert sich so, daß er ganz humorlos meint: Mich wollt ihr damit ja wohl nicht meinen. Laßt mich doch mit Eurem Alltag in Frieden. Macht das bitteschön mit Euch selber aus. Von manchen Konzepten nämlich hält sich Bolle tunlichst fern. Und Alltag ist eines davon.

Weiter heißt es im Text: Bildung hört nie auf. Das paßt jetzt aber wirklich rein gar nicht mehr zu Heisenbergs Umschreibung. Versteht man unter ›Lernen‹ einen Prozeß (im Sinne von ›Veränderung in der Zeit‹), dann kann hier nur „Lernen hört nie auf“ gemeint sein. Alles andere wär‘ wirklich witzlos.

Was will Bolle damit sagen? Wenn man dermaßen liederlich mit Wörtern umgeht, dann muß man sich nicht wundern, wenn die Welt, in der man sich befindet, in der Tat immer „komplexer“ wird und man immer mehr das Gefühl entwickelt, überhaupt nicht mehr durchzublicken. ›Überhaupt nicht mehr‹ heißt dann gemeinhin „hochkomplex“. Das aber liegt womöglich nicht vornehmlich an der Welt, sondern eher am Zustand des eigenen Hirns. Womit wir bei den Glühwürmchen (Homines candentes vulgares) wären. Aus der Sicht des Homo cogitans ein äußerst betrüblicher Zustand. Völlig witzlos, das – und wohl wirklich nur noch mit Humor zu nehmen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 14-12-23 Das vierzehnte Türchen …

Schöner scheißen.

Gestern war Bolle bummeln. Und wie es manchmal so gehen mag, entdeckt man Dinge, die kannte man bislang noch nicht. Zum Beispiel einen Basketball-Korb fürs Häusl (wie man das in Österreich zu nennen pflegt).

Als erstes kam Bolle natürlich Sokrates in den Sinn: „Ich finde es immer wieder erstaunlich, was die Athener alles brauchen.“ (vgl. dazu auch Sa 10-04-21 Wir müssen leider draußen bleiben). Dann, gewissermaßen on second thought, mußte Bolle an Moshé Feldenkrais denken. Der meinte seinerzeit in seinem ›Bewußtheit durch Bewegung – Der aufrechte Gang‹ (1967), daß sich so ziemlich alle menschlichen Betätigungen in drei Stufen unterteilen lassen: die natürliche Art und Weise, wie einer etwas macht, die individuelle Herangehensweise und schließlich die systematische, professionalisierte Methode. Dabei, so Feldenkrais weiter, sei es so, daß je fundamentaler eine Tätigkeit sei, desto später gelange sie in das systematische Stadium. Als Beispiel nennt er dabei „Gehen, Stehen und andere fundamentale Tätigkeiten“. Wenn Bolle das richtig verstanden hat, wäre hier ›scheißen‹ unbedingt noch anzufügen.

Unter kontemplativen Gesichtspunkten will es Bolle mehr als fraglich erscheinen, das stille Örtchen in eine Mini-Basketball-Arena zu verwandeln. Auf daß man ja nie jemals zu sich kommen möge.

Entschiedener noch sind da, einmal mehr, die Zen-Leute. Hier die einschlägige Szene aus Janwillem van de Weterings ›Der leere Spiegel – Erfahrungen in einem japanischen Zen-Kloster‹ (1972). Dort meinte der Vorsteher (also so eine Art Obermönch):

„Was du auch tust, tu es, so gut du kannst. Und sei dir bewußt, was du tust. Tu nicht zwei Dinge auf einmal, zum Beispiel pissen und dir die Zähne putzen.“

Nun, Zen-Geist ist Anfänger-Geist. Und so ließe sich das Tun auf dem Häusl wohl ohne weiteres als Vorstufe zu den 12chen auffassen. (vgl. dazu den Eintrag von gestern, Mi 13-12-23 Das dreizehnte Türchen …). Rein zeitlich – und möglicherweise auch vom Kontemplationspotential her – kommt es ja so ziemlich hin. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 13-12-23 Das dreizehnte Türchen …

Total so …

Und schon kommen wir in die zweite Halbzeit unseres agnostisch-kontemplativen Adventskalenders für dieses Jahr. Kinder, wie die Zeit vergeht. Ein wenig hat unser heutiges Schildchen mit dem von gestern zu tun. Allerdings setzt es vielleicht noch eins drauf. Es handelt sich dabei um einen Dialogfetzen zwischen einem mexikanischen Indianer unbekannter Herkunft – einem Wilden, sozusagen – und einem Mann der Wissenschaft westlicher Prägung.

Der Mann der Wissenschaft reagierte nach eigenem Bekunden verärgert: Natürlich werden wir alle sterben. Das ist mir klar. Folglich macht es keinen Sinn, sich deswegen’n Kopp zu machen. Die Replik des Wilden kam stante pede – und hart, aber trefflich: Wenn dies deine letzte Schlacht auf Erden wäre, dann würde ich sagen, daß du ein Narr bist. Du verschwendest deine letzte Tat auf Erden auf eine törichte Laune.

Das klingt natürlich alles wie aus dem ›Leitfaden für Erlöser – Hinweise für die fortgeschrittene Seele‹, wie es Richard Bach in seinen ›Illusionen‹ so trefflich gefaßt hat, und ist sicherlich eher harter Tobak. Aber warum nicht jetzt, inmitten der besinnlichen Weihnachtszeit, ein wenig kontemplieren oder zumindest darüber nachdenken? Wie meint doch Bolle gleich so gerne? Nachdenken nützt. Und wenn es nicht beim Nachdenken bleibt: um so besser. Genau aus diesem Grunde pflegt Bolle ja seine 12chen – eine regelmäßige 5-minütige Abkehr von den Wirren der Welt, möglichst zu jeder vollen Stunde. Das geht natürlich nur, soweit Zeit und Umstände es zulassen, of course. Gleichwohl ist es ein probates Gegengift gegen törichte Launen im weitesten Sinne. Auch – und das ist tröstlich – reagiert das Universum in aller Regel recht wohlwollend, falls der Yogi (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) die nötige Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit an den Tag legt. Und tut auch gar nicht weh. Also: Nur Mut – und gutes Gelingen!

Nun kann es natürlich passieren, daß irgend so ein Glühwürmchen, das zufällig diese Zeilen liest, auf die Idee verfallen könnte zu meinen, daß es unschicklich sei, „Indianer“ zu sagen. Es müsse schließlich ›Mitglied einer indigenen Bevölkerungsgruppe‹ heißen. Allein das wollen wir hier nicht weiter kommentieren. Das nämlich wär‘ dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 12-12-23 Das zwölfte Türchen …

Form und Inhalt.

Vor lauter vorweihnachtlicher Kontemplation wollen wir nicht vergessen, daß es auch noch andere Leute gibt auf der Welt. Leute, die mit dem Erlöser der Christenmenschen jetzt nicht soo viel am Hut haben. Leute etwa, denen das gesamte Erlöser-Konzept an sich eher fremd ist. Zen-Leute, zum Beispiel.

In solchen Sphären kreisend, mußte Bolle gestern, mitten im Weihnachtsrummel, an seinen lieben guten alten Zen-Meister denken. Und so ergab eines das andere. Bolle mußte daran denken, wie er damals – Berlin war seinerzeit noch proper von einer Mauer umrundet – jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe mit seinem alten Strich-Achter (Mercedes-Benz-Baureihe von 1968 bis 1976) von Kreuzberg nach Steglitz gedüst ist – nur um ein Stündchen auf seinem Zafu (Sitzkissen) zu sitzen und stille zu schweigen. Danach gab es Tee – von tüchtigen Novizen in einem Nebenraum gelassen, aber doch zeremoniell angerichtet. Und? Was machte der liebe gute alte Meister? Steckte sich ein Zigarettchen an. Wer wollte, tat es ihm gleich. Für Aschenbecher war gesorgt. Bolle fand das einen höchst charmanten, geradezu kultivierten Unterschied zu seinem Yoga-Umfeld, in dem Rauchen als sowas von pfui-bäh galt. „Wo man raucht, da laß Dich nieder“, ging es Bolle durch den frisch aufgeräumten Sinn.

Und sonst? Die Straßen waren noch bequem befahrbar. Parkraumbewirtschaftung? Noch nicht erfunden. Parkplätze gab es überall und reichlich. Auto abschließen? Nicht unbedingt nötig. CO2? Gab es wohl damals schon. War aber nicht weiter der Rede wert. Glühwürmchen? Liefen unter ferner liefen, wenn überhaupt. Kurzum: Irgend etwas – dieser Schluß scheint unabweisbar – ist da seitdem in die Binsen gegangen. Ach ja: Damals, damals, sagen die Leute …

Dann zurück nach Kreuzberg. Für Bolles WG übrigens hatten seine morgendlichen Exkursionen den nicht geringzuschätzenden Vorzug, daß es – immer noch in aller Herrgottsfrühe – täglich frische Schrippchen gab. Und zwar ehrliche Schrippchen – ohne Körner, ohne Dinkel, und schon gar nicht vegan. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 11-12-23 Das elfte Türchen …

Vorwärts immer. Rückwärts nimmer.

Wir hatten ja bereits erwähnt, daß ein Modell – so es denn Taug hat – weit mehr erhellen kann als es auf den ersten Anschein erscheinen mag. Wohlan denn.

Suchen wir uns zunächst ein Gegenstück zu einem Sozialisten – denn das gibt der Volkswitz nicht her, und wählen wir dabei nicht ›Reaktionär‹ und schon gar nicht ›Nazi‹. Das könnte den Sozialisten so passen. Vielmehr wollen wir uns mit einem ›Konservativen‹ begnügen. Damit lautet der zweite Teil – weniger witzig, aber begrifflich präziser: Wer mit 40 nicht konservativ ist, hat keinen Verstand. Als nächstes greifen wir in die Klamottenkiste der Vorurteile und definieren einen ›Konservativen‹ als einen, der sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmert, beziehungsweise der, auf die Spitze getrieben, darauf aus ist, seinen persönlichen Wohlstand zu mehren und auch zu vererben. Übertriebene Steuerlast stört da nur, übertriebene Einmischung des Staates in private Angelegenheiten ebenso, übertriebene Formen von Solidarität mit den entrechteten und geknechteten dieser Welt nicht minder.

Aus der Perspektive eines Sozialisten mag das alles furchtbar „spießig“ sein – was uns hier aber nicht weiter bekümmern soll. Man mag das finden, wie man will. Eines aber wird man nicht leugnen können: Dieses so skizzierte Zerrbild eines Konservativen hat eine Ausrichtung. Er (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) weiß, was er will, und ist weit davon entfernt, sich im Raum der Möglichkeiten (vornehm: Kontingenzraum) oder gar im Raum der Unmöglichkeiten zu verlaufen.

Ganz anders das Zerrbild eines Sozialisten – zumindest wie Bolle den Volkswitz versteht. Der Sozialist will alles und noch viel mehr – und das möglichst sofort. Ob das wie auch immer zusammenpaßt, interessiert ihn erst mal nicht – falls die Frage überhaupt einer Überlegung für Wert befunden wird.

Nun wird der geneigte Leser unschwer erkennen, daß ein so umschriebener Sozialist umstandslos alle Merkmale eines Glühwürmchens in sich vereint: „Wenn die Herzen heiß entflammen, und das Hirn hinkt hinterher …“.

Das kann man machen – vor allem mit 20, wenn der Sommer des Lebens beginnt. Allein es führt zu nichts – es fehlt am Fokus. Mit 40, zum Beginn des Herbstes des Lebens, sollte man da tunlichst etwas weiter sein. Daß das alles trotz aller Überspitzung nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, mag das Beispiel gewisser Parteien illustrieren, die ihre besten Leute rauswerfen, allein weil sie denken können und das auch tun.

Im übrigen hält Bolle das ganze Lechts/Rinks-Schema ohnehin für nicht mehr „zeitgemäß“ – und damit auch die Unterteilung in Sozialisten und Konservative. Bleiben wir also, wenn wir schon typisieren wollen, beim Homo candens (der glühende Mensch) und beim Homo cogitans (der denkende Mensch). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 10-12-23 Das zehnte Türchen – der 2. Advent …

Au Backe!

Und schon ist der zweite Advent. Es könnte alles so besinnlich sein – wären da nicht die Glühwürmchen dieser Welt mit ihrem schier unerschöpflichen Eifer, die Welt nach Gusto zu verbessern. Sagen wir so: Bolles Geschmack ist es nicht.

Und so hat sich unser Schildchen für heute nach dem Motto „hart, aber herzlich“ gestaltet. Große Dichtkunst ist es nicht – das sieht Bolle ein. Immerhin handelt es sich dabei um ehrliche reine Reime – wenn auch nach dem nicht übermäßig originellen Haufenreim-Schema aaa. Gewisse mundartliche Anklänge wollen wir Bolle nachsehen – schließlich ist bald Weihnachten.

Gestern wollte Bolle – an sich harmlos – eine Tüte Milch für seinen Haferbrei öffnen. Indes die Verpackungskünstler hatten es so eingerichtet, daß Deckel und Milchtüte aufs Unauflöslichste miteinander verbunden waren – ein Phänomen, das Bolle schon von Cola-Flaschen her bekannt ist. Vermutlich steckt dahinter irgendeine der vielen EU-Weltverbesserungsbestrebungen. Wenn Deckel und Korpus – so wohl die Überlegung – über ein dünnes, aber zähes Plaste-Bändchen miteinander fest verbunden sind, wird wohl keine Hausfrau (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf die Idee verfallen können, den Deckel achtlos in die Pampa zu werfen. In die Pampa ihrer eigenen Küche, versteht sich. Nichts anderes kann hier gemeint sein – jedenfalls nichts, was Bolle einleuchten würde. Vielmehr wird sie ihn – weil ja fest verbunden mit dem Korpus – getreulich und ordentlich im heimischen Müll entsorgen.

Kurzum: Was bei Cola-Dosen bei hinreichender Milde der Betrachtung vielleicht noch einleuchten mag – bei Milchtüten scheint das Bolle dann wohl doch eher ein Fall von gewisser Überambitioniertheit zu sein. Im übrigen geht Bolles Lösung ohnehin ganz anders. Getreu dem Motto „Ein deutscher Junge hat immer sein Taschenmesser dabei“ (mit solchen Sprüchen ist er nun mal aufgewachsen) – ein scharfer Schnitt, und zack, sind sämtliche einschlägigen Bestrebungen überambitionierter EU-Funktionäre auf einen Schlag zunichte gemacht.

Ein ähnliches Phänomen übrigens begegnet Bolle seit Jahren schon mit der Kindersicherung von Feuerzeugen. Doch auch hier wieder: Ein scharfer Schnitt (im weiteren Sinne) – und Schluß damit. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 09-12-23 Das neunte Türchen …

Himmel und Erde …

Falls Bolles Kalender nicht lügt, ist morgen schon der zweite Advent. Kinder, wie die Zeit vergeht … Selbst die Post hat ihre Schuldigkeit getan und die meisten Packerl von ihrer Odyssee erlöst.

Wir hatten unsere kleine Glühwürmchen-Miniserie lyrisch begonnen – und so wollen wir uns heute einen nicht weniger lyrischen kleinen Zwischenstop gönnen. Dabei sollten wir uns nicht daran stören, daß das Glühwürmchen – Form und Versmaß folgend – hier in Gestalt eines Schneeflöckchens erscheint. Zwar ist das nicht ganz das gleiche. Aber immerhin ist es, wie Bolle das zu fassen pflegt, wahr genug.

Natürlich gäbe es hier noch manches nachzutragen, um den Themenkreis gebührlich zu erden. Nicht zuletzt etwa die Frage, wie es wohl sein kann, in höh’ren Sphären schwebend eine solch traurige Figur zu machen. Das aber wär‘ dann doch schon wieder – zumindest für heute – ein ganz anderes Kapitel.

Fr 08-12-23 Das achte Türchen …

Glühwürmchen-Konfusion.

Gestern hatten wir erwähnt, daß Modelle – so sie denn Taug haben – oft furchtbar harmlos anfangen, um sich dann unversehens ins Furiose zu steigern. Für heute haben wir ein Beispiel ausgewählt, das sehr viel härter – und auch sehr viel „politischer“ –  ist als Glühwürmchens private Beziehungskisten.

Statt Freundin Anneliese und Katze Berta soll Gegebenheit A für ›Prima PISA‹ stehen und Gegebenheit B für ›Inklusiven Schulunterricht‹. Dabei wollen wir davon ausgehen, daß unser Glühwürmchen (Homo candens vulgaris) beidem zumindest aufgeschlossen gegenübersteht, also G (A) (+) und G (B) (+). Daß miese PISA-Ergebnisse einer wissensbasierten Industriegesellschaft auf die Dauer nicht sonderlich zuträglich sind, dürfte auch dem naivsten Glühwürmchen klar sein. Gegebenheit B, also Inklusion, wird – soweit Bolle das überblicken kann – regelmäßig gar heißen Herzens befürwortet. Wer wollte schon so hartherzig sein und „unschuldige“ Kinder ihrer Chancen berauben, nur weil sie weder lesen, schreiben noch rechnen können und auch keinerlei Anstalten machen, das in endlicher Zeit zu erlernen?

Kurzum: Wir haben es hier mit zwei Gegebenheiten zu tun, die sich bei nüchterner Betrachtung beißen – ähnlich wie sich Annelieses Katzenhaar-Allergie im Beispiel von gestern mit der Anwesenheit von Berta gebissen hat. Das (–/–) haben wir übrigens durch ein mnemotechnisch geschmeidigeres „Blitz“-Symbol ersetzt. Doch das nur am Rande.

Ist das jetzt alles heillos übertrieben? Mitnichten. Wie das Leben so spielt, ist Bolle gestern eine Initiative „Bildungswende Jetzt“ zugeflogen. Dort heißt es, daß „50.000 junge Menschen jedes Jahr die Schule ohne Abschluß verlassen“, daß „hunderttausende Erzieher“ (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) und nicht minder viele Lehrkräfte fehlten. Daß die Bildungspolitik versage und die Lehrpläne veraltet seien. Und so weiter, und so fort.

Und? Was soll daraus folgen? Gefordert wird ein „Sondervermögen“, eine „Ausbildungsoffensive“ sowie weitere Maßnahmen, um den Schulunterricht „zukunftsfähig und inklusiv“ zu machen. Übersetzen wir ›zukunftsfähig‹ mit „Prima PISA“ und ›inklusiv‹ mit „inklusiv“ – und schon sind wir mitten im Punkt.

Um das Ganze abzurunden, dürfen natürlich Reizwörter wie Klimakrise, Augenhöhe, Nachhaltigkeit, Zivilgesellschaft sowie gesellschaftliche Spaltung bei einer solchen „Bildungsinitiative“ nicht fehlen, of course.

Und so torkeln – man muß wirklich sagen: torkeln – die Glühwürmchen dieser Welt durch eine aversive Welt voller Widrigkeiten und staunen Bauklötze, wenn nichts wirklich funktionieren will – außer „Sondervermögen“ aufzulegen, versteht sich.

Aber vielleicht ist es ja Bolle, der sich irrt– und Inklusion führt in der Tat zu Prima PISA. Allein ihm fehlt durchaus der Glaube. Dafür beobachtet er folgendes: Wer es irgendwie einrichten kann, schickt seine Kinder lieber auf eine Privatschule – und zwar eine von jenen, die (verschämt zwar, weil zeitgeistwidrig, aber immerhin) ebenfalls wenig Zutrauen in die Zielharmonie zwischen den Gegebenheiten A und B zu haben scheinen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 07-12-23 Das siebte Türchen …

Glühwürmchen im Glück.

Gestern hatten wir am Rande erwähnt, daß „die Milch solch frommer Denkungsart notwendigerweise sauer“ sein muß. Werfen wir heute – frisch gestärkt vom Nikolausi-Schmausi – einen kurzen Blick auf die Zusammenhänge. Unser Schildchen zeigt das Modell eines Glühwürmchens G, das mit zwei Gegebenheiten, A und B, konfrontiert ist. Dabei bedeutet G (A) (+), daß unser Glühwürmchen der Gegebenheit A aufgeschlossen gegenübersteht. Entsprechendes gilt für G (B) (+). Nehmen wir an, Glühwürmchen G liebt seine Freundin Anneliese (A). Gleichzeitig liebt G seine Katze Berta (B). Wenn es nun eine glückliche Fügung will, daß auch Anneliese Berta mag (und auch Berta mit Anneliese gut klarkommt), dann ist Glühwürmchens Welt eitel Sonnenschein. Glühwürmchen im Glück, wie es in der Bildbeschriftung heißt. So soll es ja auch sein zum Fest der Liebe.

Was aber, wenn Anneliese Berta scheußlich findet und nicht in ihrer Nähe dulden will? Sie womöglich gar eine Katzenhaar-Allergie hat? In diesem Falle würde auf dem oberen Beziehungspfeil (–/–) stehen statt (+/+). Eine derartige Konstellation aber wäre per se instabil. Stabil ist sie aus konsistenztheoretischen Gründen (wie das in Bolles Kreisen vornehm heißt) nur dann, wenn auf den Beziehungspfeilen entweder ausschließlich (+) steht oder einmal (+) und zweimal (–), wobei, doch das nur am Rande, (–/–) aus Gründen nur als ein Minus zählt. Was tun? Glühwürmchen müßte also seine Freundin verlassen, G (A) (–), oder seine Katze ersäufen oder zumindest im Tierheim abgeben, G (B) (–). Damit wäre alles wieder im Reinen – nach der klassischen Maxime: Probleme, die man nicht lösen kann, muß man loswerden.

Nun könnten wir uns fragen, was gehen uns Glühwürmchens Beziehungskisten an? Aber wie das oft so ist mit Modellen: Sie fangen furchtbar harmlos an – um sich dann unversehens ins Furiose zu steigern. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 06-12-23 Das sechste Türchen – Nikolausi …

Glühwürmchen klassisch.

Und schon ist wieder Nikolausi. Für die Kleinen ein erstes Highlight auf dem Wege zur Bescherung. Für uns Größere vielleicht ein Anlaß, das Glühwürmchen-Phänomen aus einer anderen, frischen Perspektive zu beleuchten.

Die Szene in unserem Schildchen spielt in Faustens Studierzimmer. Faust ist entschlossen, mit Mephistopheles durchzubrennen, um dem öden akademischen Einerlei zu entfliehen. Just in dem Moment steht ein angehendes Erstsemester vor der Tür. Heute würden wir sagen: zwecks Studienberatung. Faust fühlt sich völlig überfordert und tritt ab. Mephistopheles dagegen, frech wie Bolle, leiht sich des Meisters „Rock und Mütze“, um dem angehenden Studenten in der Rolle einer ehrwürdigen Magnifizenz gründlich den Kopf zu waschen. Der Schüler aber ist, was Wunder, von dem Meister völlig angetan und bittet um einen Eintrag in sein „Stammbuch“. Heute würde er wohl um ein Selfie bitten. „Sehr wohl“, sagt Mephistopheles mit ausgesuchter Höflichkeit, schreibt und gibt’s ihm zurück.

Und? Was schreibt er? Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum – Ihr werdet sein wie Gott und gut und böse unterscheiden können. Die Stelle findet sich, dies nur am Rande, in Genesis 3, 5. Mephistopheles ist also, was uns ebenfalls nicht wundern wird, durchaus bibelfest.

Wir hatten bereits festgestellt, daß Bolle der Begriff ›Gutmensch‹ einfach nicht mehr gut genug war und das mit der fehlenden kognitiven Komponente erklärt (vgl. dazu Mo 04-12-23 Das vierte Türchen …). Es gibt aber noch einen weiteren, möglicherweise sehr viel gewichtigeren Grund: Im Lichte von Mephistopheles‘ Stammbuch-Eintrag sollten wir, wenn schon, denn schon, statt von „Gutmenschen“ besser von „Gut- und Bösemenschen“ sprechen. Denn genau das ist es, was den Homo candens vulgaris auszeichnet: Stets und immerdar ist seinem heißen Herzen klar, wo das Gute wohnt und wo das Böse haust. Ganz Hollywood ist voll davon. Vor allem aber ist das alles meilenweit entfernt von Bolles agnostischem Konzept. Warum sonst hätte er in seinen ›Lästerlichen Lemmata‹ notieren sollen: „Das ist meine gute Tat für heute“, sagte der Pfadfinder und gab der Katze den Kanarienvogel (vgl. dazu den fast auf den Tag genau zwei Jahre alten Beitrag von Di 07-12-21 Das siebte Türchen …).

Natürlich muß die Milch solch frommer Denkungsart notwendigerweise sauer sein – und zu Komplikationen führen, mit denen wir uns hier und heute aber mitnichten befassen wollen, denn erstens ist Nikolausi und zweitens wäre das dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.