Fr 15-01-21 Von Tischen und Stühlen

Von Tischen und Stühlen.

Versuchen wir es zunächst mit höchst trivialen, weil definitorischen Aussagen – bei denen eigentlich nichts schief gehen kann. Ein Stuhl ist ein Stuhl. Ein Tisch ist ein Tisch. Ist das so? Definitiv. Kann man das so sagen? Man kann nicht nur – man muß. Ansonsten stünde es finster um den Fortschritt der Wissenschaften. Darf man das so sagen? Diese Frage hat mit Wissenschaft – also mit Ist-Aussagen – rein gar nüscht zu tun. Was dann? Hierbei handelt es sich um eine Frage der Ethik im weiteren Sinne – also um eine Soll-Aussage. Und Soll-Aussagen sind mit Ist-Aussagen definitiv inkompatibel. Allein, daß man im 21. Jhd. – also 280 Jahre nach David Hume’s Treatise of Human Nature – eigens darauf hinweisen muß, ist bei Lichte betrachtet ein Skandal an und für sich.

Nun wird sich sein Stuhl kaum wegen „Diskriminierung“ beschweren, wenn man ihm die Eigenschaft, ein Tisch zu sein, abspricht. Legen wir also sozialpsychologisch ein wenig nach und postulieren: Ein Schwarzer ist schwarz. Ein Weißer ist weiß. Hierbei handelt es sich immer noch um rein definitorische Aussagen, die wissenschaftlich gesehen überhaupt nicht falsch sein können – es sei denn, man wollte um vermeintlich höherer Ziele willen die Wissenschaften in Bausch und Bogen über Bord werfen. Was nun, wenn sich ein Schwarzer deswegen „rassistisch diskriminiert“ fühlt? Oder ein Weißer? Daß sich da jemand finden wird, kann als sicher gelten. Obwohl: einen kleinen Bias sieht Bolle schon: Wenn ein Weißer sich „rassistisch diskriminiert“ fühlt, macht er sich lächerlich. Wenn ein Schwarzer das gleiche verlautbaren läßt, gilt er als Vorkämpfer für eine bessere Welt. Doch das nur am Rande. Nun – falls sich jemand diskriminiert fühlen sollte, müßten wir uns entscheiden, ob wir der Logik (wahr oder nicht wahr?) oder der Ethik (darf man oder darf man nicht?) den Vorrang einräumen wollen. Der Zeitgeist steht auf Ethik – zu Lasten der Wissenschaft.

Was hat das alles mit uns zu tun? Nun – Martin Sonneborn, einer der beiden einzigen Vertreter der Partei „Die PARTEI“ im EU-Parlament, wurde dieser Tage „Opfer“ der Ethik-Präferenz. Anscheinend hatte er darüber gewitzelt, daß Asiaten kein „R“ aussprechen können. Bolle meint: Na und? Ick selber kann ooch keen „R“ aussprechen – jedenfalls keen spanisches. Falls jemand darauf hinweist – muß ick mir dann rassistisch diskriminiert fühlen? Der einzige weitere Abgeordnete der PARTEI, der Kapuziner-Komiker Nico Semsrott, jedenfalls fühlte sich – wenn auch nur stellvertretend – rassistisch betroffen. So betroffen, daß er meinte, umgehend aus der PARTEI austreten zu müssen – und ihre Repräsentanz im Hohen Hause damit glatt zu halbieren. Maximale Konsequenz bei minimalem Anlaß, also – und eine klare Ethik-Präferenz zu Lasten der Wahrheit. Noch konsequenter indessen hätte Bolle es gefunden, wenn er sein Mandat – und damit super-leicht verdientes Geld –  gleich mit niedergelegt hätte. Aber so weit ging die Empörung dann offenbar doch nicht.

Und? Was macht Sonneborn? Abschwör’n, abschwör’n – ganz wie im späten Mittelalter (Galileo, Luther, jeweils nur fast, und noch viele andere mehr …).

Und was macht die Presse? Jubelt das ganze zum „Sonneborn-Eklat“ hoch – und wundert sich, daß sie niemand mehr ernst nehmen mag. No sence of science no sense of humor – no sense of political awareness. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 11-11-19 Logik vs Ethik

Gerade in einer Zeit, in der mehr und mehr Fakten ignoriert werden, ist es wichtiger denn je, dass sich die Wissenschaft zu Wort meldet und sich in Debatten einmischt.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage unter „Zitate“. Wer hat’s gesagt? Forschungsministerin Anja Karliczek. Bolle meint: Da hat jemand auf ganz grundsätzliche Weise mißverstanden, was die Aufgabe „der Wissenschaft“ ist – Forschungsministerin hin oder her. Aufgabe der Wissenschaft ist es erstens, Kenntnis von Tatsachen zu erlangen (zum Beispiel „Leute haben eine Leber“ oder „Es gibt Ethanol“) sowie zweitens Wissen um Zusammenhänge (zum Beispiel „Wenn eine Leber mit zu viel Ethanol in Kontakt kommt, dann tut ihr das nicht gut“). Wir hatten das übrigens schon mal (vgl. »Do 17-10-19 Homöopathie«). Ob es dagegen jemand in Anbetracht der wissenschaftlichen Erkenntnisse vorzieht, a) ein nüchternes, im Zweifel sozial ausgegrenztes, dafür aber leberfreundliches Leben zu leben, oder aber b) dem einen oder anderen Gläschen zuzusprechen (oder auch einem ganzen Faß), hat mit Wissenschaft rein gar nichts zu tun. Es handelt sich hierbei um eine Frage der Entscheidung. Der Unterschied könnte nicht grundsätzlicher sein. Wissenschaft, bzw., in klassischer Diktion, Logik fragt: Was ist / was ist nicht? Ethik dagegen fragt: Was soll / was soll nicht? Seins-Aussagen und Sollens-Aussagen miteinander zu vermengen ist dabei ebenso daneben wie verbreitet. Aus Entscheider-Sicht hat es ja auch einen gewissen Charme: (1) Die Wissenschaft hat festgestellt, […]. (2) Also müssen wir […]. Damit ist man der Entscheidung enthoben. Wenn’s schief geht, ist dann eben jemand anderes schuld. Na toll. Dumm nur, daß diese Logik aus Sicht der »Logik« ganz und gar unzulässig ist: Aus einer Seins-Aussage läßt sich unter keinen Umständen („never ever“) eine Sollens-Aussage ableiten.

Graphisch gestaltet sich das ganze wie folgt. Auch das hatten wir übrigens schon mal (vgl. »Fr 04-10-19 Klimabremse«) – aber man kann es offenbar nicht oft genug wiederholen.

Der Managementzirkel.

Die Gesellschaft bzw. deren designierte Entscheider legen fest, wo sie hin wollen: »Ziel-Definition«. Die Wissenschaft versucht dann zu ergründen, wie man (beim gegebenen Stand der Technik) da hin kommen kann bzw. was zu tun ist, um das Ziel zu erreichen: »Plan«. Dabei kann es passieren, daß die Wissenschaft im Rahmen von »Check der Mittel« (ein unverzichtbarer Bestandteil jeglicher Planung) zu dem Schluß kommt, das in der Aufgabenstellung zu viele Zielgrößen vorkommen und zu wenige Aktionsgrößen – daß das Problem also überbestimmt ist. Zum Beispiel: (1) Wir wollen unseren CO2-Ausstoß bis dann und dann halbieren – und zwar so, (2) daß sich niemand auch nur im geringsten einschränken muß. Natürlich würde kein Entscheider das so platt formulieren. Wenn wir uns aber umgucken auf der Welt, läuft es zur Zeit exaktemente darauf hinaus. In diesem Fall bleiben einem aufrechten Wissenschaftler nur zwei Optionen. Er kann sagen: „Überdenkt Euer Ziel und meldet Euch dann noch mal bei mir“, Pfeil a). Oder er kann sagen: „Laßt uns uns anderen Problemen zuwenden. Das hier kriegen wir vorläufig nicht gelöst“, Pfeil b). Auch hier würde kein Wissenschaftler das so platt formulieren. Aber auch hier läuft es exaktemente darauf hinaus. Kurzum: Von der Wissenschaft zu erwarten, daß sie uns „ausrechnet“, was wir wollen, geht nach allem rein gar nicht. Aus Entscheider-Sicht (»Ethik«) ist das natürlich eine ultra-charmante Lösung – weil sie sich dann nicht entscheiden müssen (obwohl sie genau dafür bezahlt werden). Aus Wissenschaftler-Sicht (»Logik«) dagegen ist das aber leider voll „unlogisch“ (siehe oben) und somit im Ansatz und damit auch als Ansatz unbrauchbar. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Fr 20-09-19 Klima-Rente

Wenn die Große Koalition nicht über das Klima streitet, dann über die Grundrente. Nun zeichnet sich offenbar ein Kompromiss ab […]

Gefunden im Handelsblatt Morning Briefing. Wenn das alles so flott geht mit dem „Streit unter aufrechten Demokraten“, dann wird das Klima sich wohl noch ein wenig gedulden müssen. Greta läßt grüßen.

Statt einer Bedürftigkeitsprüfung sollen Bezieher der Grundrente eine Einkommensprüfung durchlaufen. Die Grundrente würde dann nur gezahlt, wenn das Haushaltseinkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liege.

Wer Grenzen zieht, erzeugt notwendigerweise Abgrenzungsprobleme: Wer nur soundso viel verdient, bekommt den Grundrentenzuschlag. Wer einen einzigen Euro mehr verdient, bekommt ihn nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier „Gerechtigkeits“-Debatten losgetreten werden und, in der Folge, das „Nachbessern“ der „handwerklichen Fehler“ versichert wird – die üblichen betröppelten [rheinischer Sprachgebrauch] Mienen inklusive. Bolle fragt sich: Was zum Teufel treiben die denn die ganze Zeit in ihren Kommissionen und ihren ewigen Nachtsitzungen? Immerhin: „Die Regierung tut was.“ Na toll.

Beide Seiten sehen sich als Sieger: Die Union, weil die Grundrente nicht bedingungslos gezahlt wird. Die SPD, weil sie ein zentrales Wahlkampfversprechen durchsetzen kann.

Na, das ist doch das wichtigste, meint Bolle. Gesichtswahrung vor Problemlösung – muß doch alles seine Ordnung haben. Das Klima läßt grüßen.

In der Sache bleibt das Ergebnis vor allem eins: ein fauler und teurer Kompromiss.

Ein fauler Kompromiß? Definitiv. Allerdings liegt es im Wesen eines Kompromisses, „faul“ zu sein – namentlich in einer Demokratie. Ein echter Konsens – verstanden als der aufrechte Bruder des Kompromisses – ist sehr viel anspruchsvoller und nur mit sehr viel mehr Gehirnschmalz (Sitz des Denkens) und überdies mit sehr viel mehr  „Bauchschmalz“ (Sitz des Wollens) zu bewerkstelligen. Bevor man nämlich auch nur anfangen kann zu denken, muß man notwendigerweise wissen, worüber man eigentlich nachdenken will. Kurzum: Man muß wissen, was man will [vgl. dazu auch »Fr 04-10-19 Klimabremse« – dort heißt das Baby, wie üblich, »Zieldefinition«]. Genau hier, da ist sich Bolle sicher, liegt das demokratietheoretische Problem: Wenn einer klipp und klar sagt, was er will, verprellt er umgehend all diejenigen potentiellen Wähler, die genau das eben nicht wollen. Wer traut sich das schon? Außerdem kommt rucki-zucki die (übrigens in keiner Weise demokratisch legitimierte) Sprachpolizei um die Ecke und rügt, daß man das – egal, worum es im Einzelfall gehen mag – so nicht sagen könne oder dürfe. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Warum aber eigentlich „teuer“? Teuer für wen? Für die Bezieher der Grundrente sicher nicht. Ganz im Gegenteil. Des Einen Kosten sind des Anderen Einkommen. Immer! In einer Volkswirtschaft kommt – ähnlich wie in einem Universum – nichts weg. Es gibt schlechterdings kein „weg“. Aber auch das ist ein anderes Kapitel.