Fr 15-12-23 Das fünfzehnte Türchen …

Witz vergeht, Humor besteht …

Neulich ist Bolle ein kommerzieller Weihnachtsgruß auf den Schreibtisch geflattert. Als bildungsbürgerlichen Einstieg hatte man eines der berühmteren Bonmots von Werner Heisenberg gewählt:

Bildung ist das, was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt hat.

Das klingt natürlich geradezu zen-mäßig. Zumindest aber wirft es die Frage auf, wozu dann überhaupt jemand jemals irgend etwas lernen sollte, wenn doch nach Abzug des Gelernten – gleichviel, wieviel es war – ohnehin Bildung übrigbleibt? So allerdings wird Heisenberg das sicherlich nicht gemeint haben. Schließlich stammt der Spruch aus einer Rede zu einer 100-Jahrfeier eines Gymnasiums.

Im Kleingedruckten des Weihnachtsgrußes heißt es dann: „Die Herausforderungen unseres Alltags werden komplexer und wandeln sich immer schneller.“ Was ist davon zu halten? Nun, übersetzen wir ›Herausforderungen‹ nach alter Väter Sitte (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) durch ›Probleme‹ und definieren wir ›Problem‹ mit Dietrich Dörner als ›Soll/Ist-Diskrepanz mit momentaner Transformationsbarriere‹ (vgl. dazu etwa Mo 22-03-21 Plan, Prognose, Plausibilität). Etwas ist nicht so, wie es sein soll, und wir haben keine Ahnung, wie wir das auf die Schnelle ändern könnten. So hat das ganze gleich mehr Witz. Umschreiben wir schließlich ›komplex‹ noch mit ›Ich blicke nicht mehr durch‹, dann macht das alles auch noch richtig Sinn.

Auch sind Wendungen wie „unser Alltag“ (als womöglich lieb gemeinter Pluralis communitatis bzw. Gemeinschaftsplural) rein stilistisch natürlich immer etwas bedenklich. Bei Bolle jedenfalls regt sich da sofort ein gewisser Reaktanz-Reflex. Das äußert sich so, daß er ganz humorlos meint: Mich wollt ihr damit ja wohl nicht meinen. Laßt mich doch mit Eurem Alltag in Frieden. Macht das bitteschön mit Euch selber aus. Von manchen Konzepten nämlich hält sich Bolle tunlichst fern. Und Alltag ist eines davon.

Weiter heißt es im Text: Bildung hört nie auf. Das paßt jetzt aber wirklich rein gar nicht mehr zu Heisenbergs Umschreibung. Versteht man unter ›Lernen‹ einen Prozeß (im Sinne von ›Veränderung in der Zeit‹), dann kann hier nur „Lernen hört nie auf“ gemeint sein. Alles andere wär‘ wirklich witzlos.

Was will Bolle damit sagen? Wenn man dermaßen liederlich mit Wörtern umgeht, dann muß man sich nicht wundern, wenn die Welt, in der man sich befindet, in der Tat immer „komplexer“ wird und man immer mehr das Gefühl entwickelt, überhaupt nicht mehr durchzublicken. ›Überhaupt nicht mehr‹ heißt dann gemeinhin „hochkomplex“. Das aber liegt womöglich nicht vornehmlich an der Welt, sondern eher am Zustand des eigenen Hirns. Womit wir bei den Glühwürmchen (Homines candentes vulgares) wären. Aus der Sicht des Homo cogitans ein äußerst betrüblicher Zustand. Völlig witzlos, das – und wohl wirklich nur noch mit Humor zu nehmen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 06-04-21 Kompaß alle?

Leonardos Bilder.

Ab heute wollen wir ja Ostern hinter uns lassen und uns wieder weltlicheren Themen zuwenden. In allem Ernst. „In allem Ernst“ – diese Wendung hat Bolle allen Ernstes gestern abend in einer Qualitäts-Nachrichtensendung aufschnappen müssen. Machen wir uns nichts vor: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Bastian Sick wußte das schon 2004. Aber was will man machen in einer Welt unterschwelliger Analphabeten, die sich längst angeschickt haben, „barrierefreies“ Lesen und Schreiben zur Kardinaltugend zu erheben?  Und der Genitiv ist nun mal so was von ganz und gar nicht barrierefrei. Doch das nur am Rande.

Wenn Leonardo vom Menschen als Augenwesen spricht, der das Bild brauche, hat er das vermutlich wörtlich gemeint: Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. Daneben gibt es allerdings auch sprachliche Bilder – namentlich Topoi, Metaphern und nicht zuletzt auch Gleichnisse.

In jüngerer Zeit finden sich aber zunehmend auch sprachliche Zerrbilder. Bolle spricht hier gern von »Blubbersprech« und versteht darunter amorphe verbale Gebilde, deren vornehmste Eigenschaft es ist, völlig formbefreit und sinnentleert zu sein. Amorph eben.

Das vielleicht hübscheste Beispiel aus den letzten Tagen ist die Klage, man habe die Chance verpaßt, den Kompaß auf Zukunft zu stellen. Weder ist Bolle klar, was ein Kompaß mit Zeit zu tun haben soll, noch, seit wann Kompasse „gestellt“ werden. Uhren können gestellt werden, gegebenenfalls auch Weichen. Wobei eine Wendung wie „Weichen auf Zukunft stellen“ schon ins Grenzwertige lappen würde. Aber Kompasse? Geht gar nicht.

Allerdings ist nichts so dumm, daß es nicht doch zu etwas gut sein könnte – etwa als Anregung zu Bolles lustigem Blubbersprech-Generator. Eine handvoll Substantive – also etwa Kompaß, Batterie, Uhr, und Weiche –, und eine handvoll Verben – wie zum Beispiel allemachen, stellen, ausrichten – reichen für den Anfang völlig aus. Damit können wir nicht nur Kompasse stellen, sondern auch Uhren ausrichten, oder Weichen, oder all das schlichtweg allemachen – anstatt nur Batterien. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Bei Bedarf müssen wir einfach nur die Listen verlängern – und schon geht’s munter weiter mit dem Blubbersprech. Die Kombinatorik mit ihren schier unerschöpflichen Möglichkeiten ist auf unserer Seite.

Bolle findet übrigens, daß Blubbersprech als verbaler Überbau zu gefühlter Demokratie paßt wie die Faust aufs Auge. Vielleicht ist es daher so erfolgreich und beliebt. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.