So 26-05-24 Das bessere Argument

Die Welt in nuce

Man hat es wirklich nicht leicht. Aber umgekehrt kann es furchtbar leicht passieren, daß es, tout au contraire, einen hat. Wie nicht zuletzt in unserer kleinen Veranschaulichung der ganz grundsätzlichen Gegebenheiten einer Welt in nuce (im Nußschälchen, sozusagen) zu sehen ist.

Bei Welt I handelt es sich, in Wittgensteins Worten, um „alles, was der Fall ist“ – also wirklich einfach alles. Damit ist Welt I ebenso vollständig wie undurchsichtig. Eine black box also im besten Sinne des Wortes. Man kann handelnd auf sie einwirken und man kann, in Welt II, ihre Reaktionen wahrnehmen. Man kann aber nicht reingucken – und damit niemals wirklich wissen, wie es um sie steht. Im übrigen würde einem, wenn man es doch könnte, vermutlich unversehens der Schädel platzen.

Bei Welt III handelt es sich um das Weltbild, das einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) mit sich durchs Leben trägt und das sein Handeln, also seinen Umgang mit der Welt, bestimmt. Das Ziel ist dabei regelmäßig eine Zustandsverbesserung bzw. zumindest die Vermeidung einer Verschlechterung. Ökonomen nennen derlei Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung, Max Weber nennt es Gesinnungs- bzw. Verantwortungsethik, wieder andere nennen es neuerdings Self-Optimization, und so weiter, und so fort.

Wie kommt die Welt III zustande? Nun, im Grunde ist sie das Destillat aller jemals wahrgenommenen und in erwünscht (W+) bzw. unerwünscht (W) eingeteilten und bewerteten Sinneseindrücke in Welt II. Welt III ist also das Ergebnis einer Modellierung und verläuft obendrein überwiegend unbewußt. Gleichwohl neigen die meisten Leute dazu zu meinen, die Welt sei nun mal so – nur weil sie sie sich so ausgedacht haben.

Nehmen wir – weil es dieser Tage naheliegt – die Wahlen zum EU-Parlament. Die einen halten die EU für einen dysfunktionalen Hirnfurz, der von Anfang an nie hat funktionieren können, tatsächlich noch nie funktioniert hat und auch zukünftig niemals funktionieren wird. Andere wiederum halten, tout au contraire, die EU für eine hochwohllöbliche Angelegenheit, die es nach Kräften zu stärken gelte.

Da beide Positionen nur schwerlich in Einklang zu bringen sind, befehden sich die Vertreter beider Lager bis aufs sprichwörtliche Messer und sprechen einander wechselweise den nötigen Verstand ab beziehungsweise zumindest die Fähigkeit, derlei überhaupt beurteilen zu können.

Und? Wer hat Recht? Die Antwort ist ebenso schlicht wie ergreifend: Wir wissen es nicht. Bei Geschichte im Allgemeinen und der EU im Besonderen handelt es sich um einen Such- und Finde-Prozeß mit völlig offenem Ausgang. Was funktioniert, hat Recht. Was nicht funktioniert, mendelt sich aus – und sei es noch so moralisch hochstehend. Letzteres wiederum würden manche als „Sozialdarwinismus“ weit von sich weisen wollen. Auch hier also wieder: Welt III in voller Aktion.

Was die Leute allerdings nicht davon abhält, sich auf die Suche nach dem „besseren Argument“ zu begeben – als ob man jemanden, der nun mal in einer alternativen Welt III lebt, ausgerechnet mit Argumenten eines Besseren belehren oder gar bekehren könnte.

Neulich etwa hat eines dieser Faktenchecker-Portale – das sind Leute, die meinen, daß man die Wahrheit ausrechnen und erkennen kann, wenn einem nur genügend Fakten vorliegen – eine KI gefragt, ob ein gegebenes Land eine „Diktatur“ sei. Die Antwort der KI: das hänge von der Definition ab. Da war natürlich die Empörung groß. Man gibt sich alle Mühe und zimmert sich in seiner Welt III die Vorstellung zurecht, daß besagtes Land selbstverständlich eine Diktatur sei und bittet dann eine KI – wohl eher teils der Form, teils der Bestätigung halber – um entsprechende Rückmeldung. Und dann sowas. Das hänge von der Definition ab. Da muß man sich ja verärgert fühlen. Alternativ könnte man allerdings noch auf die Idee kommen, daß man selbst sich möglicherweise eine allzu schlicht gestrickte Welt III zusammengezimmert hat. Das aber wäre dann doch wohl viel zu schmerzlich. Also besser auf der KI rumhacken. Das fühlt sich zumindest besser an.

Bolle fühlt sich hier übrigens entfernt an Alan Turing erinnert, der seinerzeit meinte: Eine wirklich intelligente Maschine ist eine Maschine, die zu dem Schluß kommt, daß Menschen nicht denken können (vgl. dazu Fr 22-01-21 Vom Wollen und Verwirklichen). Furchtbar lange wird das kaum noch dauern können, bis es soweit ist. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 19-05-24 Stuck state oder abflußfrei …?

Lang ist der Weg und kurz das Streben …

Abflußfrei ist ein herrliches Wort. Zum einen – und meistens ist wohl das gemeint – kann es bedeuten, daß der Abfluß frei ist – daß also Sachen oder Dinge, die nicht länger gebraucht werden, sich flüssig flugs entfernen können.

Andererseits kann es aber, tout au contraire, auch bedeuten, daß ein System frei von Abflüssen jeglicher Art ist. Die Folge ist, schau, schau, ein Stau. Was tun, sprach Zeus? Nun, wenn es schon nicht gelingen will, den Abfluß frei zu kriegen, dann sollte man wenigstens versuchen, den Zulauf einzudämmen.

Letztlich ist es wohl eine Frage des Gleichgewichts, beziehungsweise es geht, wie eine chinesische Weisheit das auszudrücken pflegt, darum, seine Mitte nicht zu verlieren. Womit wir bei unserem Schildchen wären: Von der Gosse zu den Sternen ist’s kein bequemer Weg – wobei die Gosse gar nicht mal so schlecht zum Abfluß paßt.

Vor Jahren einmal hatte Bolle das Schnäuzchen gestrichen voll: Statt sich den ganzen Tag von wahnsinnig wichtigen Nuhs zudröhnen zu lassen, hatte er sich eine regelrechte Null-Diät auferlegt und gar keinen diesbezüglichen Input mehr zugelassen. Und? Hat er was versäumt? Wohl kaum. Bolle kann sich recht gut erinnern, wie ein Kommilitone beim Mensa-Plausch mit den krassesten Neuigkeiten rüberkam. Bolle konnte alles, wirklich alles, als entweder höchst absehbar oder recht trivial abtun – oft genug beides. Verpaßt hatte er offenbar nichts, rein gar nichts. Na also – geht doch, wird er sich damals gedacht haben.

Wirklich wirken in der Welt kann man demnach wohl nur, wenn man versucht, die Fülle der Erscheinungen auf ihren jeweiligen Nucleus granuli, den Kern vons Körnchen sozusagen, zurückzuführen. Das mag zwar anstrengender sein – Denken tut ja bekanntlich weh –, letztlich aber ist es wohl befriedigender.

Mit Meinungsfreiheit verhält es sich übrigens recht analog. Meinungsfreiheit kann bedeuten, daß einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) seine Meinung frei äußern kann, ohne übermäßige Repressalien fürchten zu müssen. Meinungsfreiheit könnte aber auch bedeuten, daß einer völlig frei von jeglicher Meinung ist – zumindest von einer in irgendeiner Weise abweichenden Meinung. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 12-05-24 Muttertag

Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land!

An diesem Wochenende feiert die Hansestadt den 835. Geburtstag ihres Hafens. Als Geburtsstunde gilt dabei ein Freibrief von Kaiser Barbarossa, der den hanseatischen Kaufleuten so manches Extrawürstchen zu braten erlaubte.

Was hat das mit dem Muttertag zu tun? Nun, stundenlang auf einer solchen Festivität herumzulungern: dafür reicht die Zeit für mehr als 1 Million quirlige Besucher durchaus aus, wie’s scheint. Mit einem freundlichen Worte dagegen fühlt sich so mancher rein zeitlich schnell überfordert.

Bolle findet ja: Nein danke, und begnügt sich, obschon in unmittelbarer räumlicher Nähe, mit Buch und Bier – wobei das Bier der frühen Stunde geschuldet Tass Kaff hat weichen müssen.

Allein es findet sich eine weitere Parallele: In dem Buche auf dem Bildchen geht es unter anderem um Frustrationstoleranz. Lorenz beschreibt dort, wie in den frühen 1960er Jahren schon namentlich amerikanische Soziologen bzw. Psychologen einen besseren Menschen heranzuziehen gedachten, indem sie dem Nachwuchs „von klein auf jede Enttäuschung (frustration) ersparen und ihnen in allem und jedem nachgeben“ wollten.

Lorenz‘ Fazit: Es entstanden unzählige ganz unerträglich freche Kinder, die alles andere als un-aggressiv waren.

Folglich fügen sich hier „keine Zeit“ und „keine Lust“ aufs Trefflichste zusammen. Damit wollen wir diesen Teil für heute abschließen. Eine stehende Wendung – wie etwa „Fröhlichen Muttertag allerseits“ – hat sich ja bislang nicht wollen herausbilden.

Im Folgenden beschreibt Lorenz übrigens noch die, wie er es nennt, tragische Seite:

Die tragische Seite der tragikomischen Angelegenheit aber folgte, wenn diese Kinder der Familie entwuchsen und nun plötzlich statt ihren unterwürfigen Eltern der mitleidlosen öffentlichen Meinung gegenüberstanden, wie etwa beim Eintreten in ein College.

Nun, mittlerweile sind wir so weit, daß viele der Professores (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) selber so erzogen sind – von wegen öffentliche Meinung. Damit aber neigt die Katze dazu, sich in den sprichwörtlichen Schwanz zu beißen. Jedenfalls sind die Leute kaum glücklicher – und wohl auch noch immer nicht weniger aggressiv. Guckt Euch um auf der Welt – gerade in diesen Tagen.

Im übrigen ist Bolle ja der Ansicht, daß jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) über ein Fleckchen Balkon oder Terrasse zum stetigen Gebrauch verfügen sollte. Einrichten ließe sich derlei ohne weiteres. Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Ostermontag 01-04-24 Frohe Ostern, urbi et orbi!

Ab ovo.

Und schon wieder stellen sie sich ein, die letzten Reste vom Osterfeste. Höchste Zeit also für unsere diesjährigen Last-minute-Grüße an unsere ebenso treue wie geneigte Leserschaft. Überhaupt gibt es Zeiten, wo einem die Soll/Ist-Diskrepanzen mit momentanen Transformationsbarrieren – vulgo ›Probleme‹ – schneller zuwachsen wollen als Lösungen sich einzufinden gewillt sind. Aber will man es sich anders wünschen? Eigentlich doch nicht. Bolle jedenfalls hält es mit dem Motto ›Lose your streams and you will lose your mind‹.

Zur Vorbereitung auf das Osterfest der Christenmenschen hat sich Bolle einmal mehr und extra gründlich in die Bibel vertieft – und zwar gewissermaßen ab ovo. Angefangen mit der Genesis (1. Buch Mose), of course, weiter mit dem Exodus (2. Buch Mose), dem Leviticus (3. Buch Mose), und so weiter und so weiter. Rechtzeitig zum Feste hatte sich Bolle dann plangemäß immerhin bis zu den Evangelisten Matthäus und Markus einschließlich ihrer Ostergeschichten – oder muß es heute „Erzählungen“ heißen? – durchgehört.

Dermaßen gründlich alttestamentarisch gestählt konnte es Bolles Aufmerksamkeit kaum entgehen, daß Jesus von Nazareth einfach nur versucht hat, das religiöse Bollwerk ein wenig menschengerechter aufzufrischen. Man mag ja von dem Alten halten, was man will: Ein Motivationspsychologe war er ganz sicher nicht. Das ganze Alte Testament ist durchsetzt mit Vorschriften über Vorschriften, deren Sinn sich dem sprichwörtlichen Juden auf der Straße (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) unmöglich hat erschließen können. Da war das Wort der Würdenträger vor. Ein Beispiel soll genügen: Darf man am Schabbes Gutes tun? Oder soll man strikt rein gar nichts machen? Allgemeiner formuliert: Soll die Religion dem Menschen dienen – oder der Mensch der Religion?

Wenn aber – und wir meinen ausdrücklich wenn – Jesus Gottes lieber Sohn war, dann kann es sich bei der gesamten Oster-Inszenierung eigentlich nur um eine Art von mißglückter Imagekampagne gehandelt haben, um die jahrtausende alten Dauerspannungen zwischen dem Hirten und seinen auserwählten Schäfchen gründlich und nachhaltig zu entschärfen. Zuzutrauen wäre es dem Alten durchaus – siehe Altes Testament. Und hätte auch funktionieren können. Allein es sollte anders kommen. So machen die Christenmenschen heute ein Drittel der Weltbevölkerung aus, die Juden liegen so um die 0,1 oder 0,2 Prozent – womit natürlich keinerlei Aussage über die Qualität der jeweiligen Religion verbunden sein soll. Derlei stünde einem Agnostiker ohnehin ganz schlecht zu Gesichte und sei uns schon von daher furchtbar ferne. Gleichwohl darf das strategische Ziel – falls es denn eines gab – nach allem als durchaus verfehlt gelten.

Übrigens läßt sich die Bibel in der Hörbuchfassung in gerade einmal 87½ Stunden goutieren. Manchem mag das viel erscheinen. Allerdings ist es leicht zu schaffen, wenn man (nur zum Beispiel) einen dreiwöchigen Strandurlaub nutzt und sich dabei täglich 4 Stunden Lektüre gönnt – statt nur die Plauze bräsig nach der Sonne auszurichten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 01-01-24 Ein gutes Neues Jahr Euch allen!

Rutscht ja gar nicht …

Unser Bildchen zeigt die winterlich weiße Weihnacht in den unendlichen Weiten vons Dörfchen am letzten Markttag des Jahres. Bolle findet, das hat was kultiviertes – ähnlich wie ein Zigarettchen nach dem Essen direkt bei Tische statt draußen vor der Tür. Warum nicht auch den Marktleuten (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ein wenig Ruhe gönnen zwischen den Jahren? Die ganzen Zugereisten sind ohnehin vorübergehend wieder abgereist, dazu eine Verkehrslage wie früher: Bolle findet, das hat was.

Deutlich weniger kultiviert – dafür um so mehr alarmistisch – fand Bolle die folgende Zeitungsmeldung, die er justamente tags zuvor gefunden hatte.

Alkohol ist ein Zellgift und verursacht Krebs. Jedes Glas ist eins zu viel.

In der Kellerzeile heißt es dann, wir sollten unsere Trinkkultur hinterfragen. Zwar gehöre Alkohol zu jeder Feier dazu. Allerdings gebe es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge. Total so!

Letztlich haben wir es hier, nicht zuletzt in Anspielung auf Sigmund Freuds (dem alten weisen Mann aus Wien) fast gleichlautenden Titel von 1930, mit Bolles Unbehagen an der Kultur (als Begriff) zu tun. Es soll ja Leute geben, die selbst Cancel-Kacka für „Kultur“ halten. Womit wir übrigens wieder dicht bei Freud wären.

Warum also nicht auch Trinkkultur? In Bolles Kreisen jedenfalls gehört Alkohol ganz sicher nicht zu jeder Feier dazu. Ein Gläschen Sekt? Sehr wohl. Ein Fäßchen Rum? Keine Bedenken. Flasch Bier? Nur zu. Aber Alkohol? Igitt. So was würde Bolle natürlich nie trinken. Keene Schangse dem Zellgift – wie er oft zu sagen pflegt.

Im übrigen haben wir es hier – sehr viel mehr noch als mit Kultur – mit herrlich auf den Punkt gebrachtem Glühwürmchen-Totalitarismus zu tun. Jedes Glas ist eins zu viel. Hört, hört! Aha! Und nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer, wie der zugereiste Siedler seinerzeit meinte – und sich heute würde belehren lassen müssen, daß man so etwas so nicht mehr sagen darf. Es müsse schließlich heißen: Nur eine tote Person der indigenen Bevölkerungsgruppe ist eine gute Person der indigenen Bevölkerungsgruppe. Und Peng! Im übrigen verweist Bolle – nicht zuletzt im Hinblick auf künftige Einträge – gerne auf Senecas ›Hercules furens‹, wo es (nur leicht modifiziert) heißt:

Non est ad astra mollis e cloacis via.
Von der Gosse zu den Sternen
ist’s kein bequemer Weg.

Aber vielleicht bessern wir uns – allen Widrigkeiten zum Trotze – ja doch noch und das Neue Jahr wird spektakulär anders als die andern. Schaden könnte’s jedenfalls nicht. Na denn: Prosit! (wörtlich: es nütze). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 24-12-23 Das vierundzwanzigste – und für dieses Jahr letzte – Türchen …

Es weihnachtet sehr …

Keinmal werden wir noch wach.
Heute schon ist Weihnachtstach.

Bolle mußte hier zugunsten des reinen Reimes gewisse Zugeständnisse an die Orthographie machen. Aber schließlich ist Weihnachten – und da wollen wir Bolle derlei durchgehen lassen.

Nach dem etwas frostigen Schildchen von gestern hier wieder etwas weihnachtlich-erwärmendes. Unser Bild zeigt einen letzten Eindruck vom Weihnachtsmarkt bei Bolle um die Ecke. Am Feuerchen saßen übrigens ganz überwiegend Russen. Russen und Raucher. Oder auch rauchende Russen. Bolle kam dabei der Gedanke in den Sinn, wie das Bild wohl wirken würde, wenn alle klimaschonend um eine Wärmepumpe herum sitzen würden – vielleicht noch mit einem Grashalm im Mäulchen, not unlike Lucky Luke.

Daß da noch kein Glühwürmchen protestiert hat und interveniert. Schließlich hat der Homo candens vulgaris ja eine gewisse Neigung, alles, aber auch wirklich alles kaputt machen zu wollen – außer das eigene Weltbild, of course. Das nämlich hält absehbar durch – und zwar bis die ganze Welt an der Wirklichkeit zerschellt und in sich zusammenfällt. Aber erstens sind das alles ganz und gar unweihnachtliche Gedanken und zweitens ist noch lange nicht aller Tage Abend. Schließlich sind wir hier ja nicht bei der letzten Generation.

Frohe Weihnachten also, Euch allen. Und Friede auf Erden und den Menschen – mögen sie glauben, was immer sie wollen – ein Wohlgefallen (Lukas 2, 14).

Höchst geheimen Gesetzen folgend scheint es ja durchaus zwei verschiedene Geschwindigkeiten für die Zeit zu geben – je nachdem, in welche Richtung man blickt. Die Prospektive kann sich mitunter ziemlich ziehen – betrachten wir nur die schier endlos lange Adventszeit mit Kinderaugen. Retrospektiv dagegen ist alles immer recht rucki-zucki vorbei gewesen. Wilhelm Busch übrigens hat das einmal wie folgt gefaßt:

Frühling, Sommer und dahinter
Gleich der Herbst und bald der Winter –
Ach, verehrteste Mamsell,
Mit dem Leben geht es schnell!

Ein ganz klein wenig seltsam ist das schon. Das aber wär‘ dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 23-12-23 Das dreiundzwanzigste Türchen …

Weihnachtlich windige Warnung …

Es gibt Dinge, die wollen – abhold hin, abhold her – dann doch noch Erwähnung finden, zumindest am Rande. Und der 22. Dezember (siehe Bildchen) ist schließlich so ziemlich am Rande, was unseren agnostisch-kontemplativen Adventskalender angeht. Dabei wirkt das Bildchen recht kühl – gefühlt wie –2°, sozusagen – und gar nicht wirklich weihnachtlich.

Das bemerkenswerte aber ist die Windwarnung – verziert mit einem Ausrufezeichen auf rotem Grund, auf daß es bloß niemand übersehen möge. Auch ist das Schildchen keineswegs tagesaktuell – das wollten wir ja lassen in diesem Jahr. Im Gegenteil: Derlei flattert Bolle alle paar Tage auf sein Handy. Dabei wollen wir hier gar nicht aufzählen, vor was alles gewarnt wird: Hitze, Kälte, Schnee, Regen, Eis, Trockenheit, überhaupt Wetter allgemein – und dann natürlich eben auch Wind. Wind!

Nun sind Warnungen weit verbreitet – und das zuweilen auch nicht ganz zu Unrecht. Schon im antiken Pompeji etwa waren Cave-Canem-Fußmatten ein beliebter Schmuck an der Eingangstür. Wörtlich also „Meide den Hund“ beziehungsweise, freier übersetzt; „Vorsicht! Bissiger Köter!“ Nun ist Pompeji bereits im Jahre 79 nach der Geburt des Erlösers der Christenmenschen in der Asche des Vesuvs wortwörtlich untergegangen, falls Bolle in Geschichte aufgepaßt hat. Davor indessen hatte niemand gewarnt: Von Cave-Vesuvium-Schildern ist zumindest nichts überliefert. Soweit zu den Prioritäten.

Was will uns das alles sagen? Wenn wir uns die Mühe machen und auf die Warnung klicken, heißt es: Achtung. Bereiten Sie sich gemäß den Anweisungen vor. Aha! Bolles – zugegebenerweise recht freie – Übersetzung würde lauten: Die Welt ist wild und gefährlich. Aber keine Sorge. Die Regierung kümmert sich um Dich. You never blow alone, sozusagen. Du mußt nur immer schön brav sein und stets die Anweisungen befolgen. Alles wird gut …

Auch würde Bolle überhaupt kein Aufhebens wegen solcher Cave-Ventulum-Geschichten machen (wörtlich: Hüte Dich vor dem Lüftchen) – würden ihm da nicht 3 Jahre Corönchen-Hysterie noch mächtig in den Knochen stecken. Hieß das überhaupt so? Irgendwas mit „ieeh“ jedenfalls war’s  – das weiß Bolle noch ganz genau.

Auch erinnert das alles doch sehr an Äsops Gleichnis von dem Hirtenjungen und den Wölfen (6. Jhd. v. Chr). Der Hirtenjunge hatte – wohl um etwas Abwechslung in seinen eintönigen Alltag zu bringen – laut vernehmlich „Hilfe, Hilfe, der Wolf kommt“ gerufen. Das ganze Dorf eilte ihm zu Hilfe. Allein, da war kein Wolf. Einige Zeit später – und da war dann wirklich ein Wolf, und zwar ein ganzes Rudel – verhallte sein Hilferuf ungehört und er endete, samt seiner Schafe, wie Rotkäppchens Großmutter. Allerdings ohne Happy Ending.

Was Bolle aber wirklich Sorgen machen würde, falls er zu derlei neigen würde, ist das Menschenbild, das dahinter vermutet werden darf bzw. gar muß. Einer Gesellschaft voller schutzbedürftiger Schäfchen würde Bolle beim besten Willen keine allzu prickelnde Sozialprognose ausstellen wollen. Wer mag, mag die fünfteilige Trilogie vom letzten Jahr noch einmal als Weihnachtslektüre der etwas anderen Art nachlesen. Sie findet sich unter dem Schlagwort ›Schrat und Staat‹. Im fünften und letzten Teil (Mi 21-12-22 Das einundzwanzigste Türchen …) heißt es dort, daß für einen Souverän, der sein Salz wert ist, eine hinreichende Freiheit von Bangbüchsigkeit (beziehungsweise, derber formuliert, Freiheit von Schissertum) wünschenswert, wenn nicht nachgerade unverzichtbar wäre. Von wegen Cave Ventulum. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 22-12-23 Das zweiundzwanzigste Türchen …

Knopf im Ohr …

Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt // Weihnacht naht; wir eilen mit. Natürlich nur, soweit sich das mit unseren Kontemplationsbestrebungen in Einklang bringen läßt, of course. Das mit dem Sauseschritt stammt natürlich aus Wilhelm Buschs ›Julchen‹. Wir haben es nur der Jahreszeit entsprechend angepaßt. Zweimal werden wir noch wach …

Ist Euch aufgefallen, daß wir uns dieses Jahr strikte zurückgehalten haben, was die Kommentierung des alltäglichen Unsinns angeht, der natürlich auch vor der Weihnachtszeit nicht Halt macht? Bolle fand, man müsse derlei nicht immer auch noch verstärken. Bolles Biedermeier, sozusagen … Daß dabei trotz allem manches liegengeblieben ist, soll uns hier nicht weiter bekümmern.

Unser Bildchen zeigt Bärchen in zeitgenössischer Fasson, wie Bolle sie neulich in einer weihnachtlichen Auslage in Nürnberg entdeckt hat. Was haben die Bärchen gemeinsam? Den Knopf im Ohr – klar, das. Vor allem aber ihre Schlabber-Labber-Form – falls man hier überhaupt noch von „Form“ sprechen mag.

Bolles Bärchen seinerzeit war noch eine gewisse Festigkeit eigen. Auch hatte er noch den für Bären typischen Höcker am Nacken. Ein Höcker, der wie ein Buckel wirkt, dabei aber aus schierer Muskelmasse besteht und, wie man hört, sehr nützlich sein soll beim Lachse-Fangen.

Moderne Bärchen dagegen wirken eigentümlich weichgespült – geradezu „vegan“. Ist das jetzt schon wieder ein Omen? (vgl. dazu Do 21-12-23 Das einundzwanzigste Türchen …). Möglich wär’s.

Bolles Bärchen seinerzeit war übrigens schon immer einbeinig – not unlike Long John Silver aus Stevensons Schatzinsel (1881). Bolle hält das für geradezu allegorisch: Form mit Fehlern versus heiles Schlabber-Labber. Und so kam Bolle seinerzeit, als es darum ging, ein erstes selbstgekauftes Bärchen zu erstehen, nicht umhin, auf eine Replika aus den 1930er-Jahren zurückzugreifen – als Bären noch Bären waren.

Übrigens soll die Wendung ›ein Knöpfchen dranmachen‹ für „eine Sache ordentlich abschließen“ in der Tat auf den Knopf im Ohr der Steiff-Bärchen zurückgehen. Zwar gibt es das Knöpfchen nach wie vor. Das „ordentlich abschließen“ aber schmeckt eher schal – zumindest nach Bolles Geschmack. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 21-12-23 Das einundzwanzigste Türchen …

Zeichen und Wunder …

Auf der Suche nach Zeichen und Wundern muß Bolle meist nicht lange warten. Sie ergeben sich einfach. Und so soll es ja auch sein. Ansonsten wär‘ das Wunderbare ja wohl schwer geschmälert.

So auch gestern abend. Auf dem Weihnachtsmarkt in Bolles angestammtem Habitat – oder Kiez, wie das bei Zugereisten meist heißt – gab es an einem Stand zwar keinen richtigen roten Glühwein, sondern lediglich „Weiß & Heiß“. Dafür aber gab es Glühwürmchen (!)-Punsch. Nicht, daß Bolle so was trinken würde. Gleichwohl: Ein Begriff setzt sich durch. Gut, daß Bolle alle Rechte hält.

Gestern ist Bolle bei der Durchsicht seiner Weihnachtspost eine Art Liebeserklärung aus dem 18. Jahrhundert an ein „Polygraphum“ unter die Augen gekommen. Gemeint damit war ein Vielschreiber (und nicht etwa ein Lügendetektor).  Dort heißt es: „o nein! du schreibst nur, um zu schreiben.“ Das war durchaus als Kompliment gemeint. Allerdings meint Bolle, man solle auch hier nichts übertreiben. Und so wollen wir uns nach den oft doch sehr ausführlichen Kalendertürchen der letzten Tage heute etwas knapper fassen. Schließlich ist bald Weihnachten.

Übrigens glaubt Bolle nicht wirklich an Omen. Aber in der wunderbaren Weihnachtszeit mag das ausnahmsweise angehen. Und überhaupt: gelegentlich muß ja auch ein Agnostiker mal was glauben dürfen. Die Mischung macht’s. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 20-12-23 Das zwanzigste Türchen …

Weniger mag manchmal mehr sein …

Neulich hatte Bolle ein vorweihnachtliches Telephongespräch mit einem befreundeten älteren Herrn, der langsam, aber sicher auf die 80 zugeht. In Bolles Jugendtagen waren es die Großväter (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), die in einem solchen Alter waren – falls nicht längst von hinnen geschieden.

Nach einem einleitenden Bericht über altersbedingte Zipperlein und auch ernsthaftere Beschwerden fühlte sich Bolle veranlaßt zu fragen: Und? Was planst Du so für die nächsten 80 Jahre? Der ebenso freche wie subtile Humor – so war die Frage zumindest gemeint – blieb indessen vollends unerkannt, of course.

Bolle kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß es bei den meisten Leuten so eine Art eingebaute kognitive Sperre gibt gegen das Offenkundige: Wir werden geboren, wirbeln ein Weilchen mehr oder minder sinnlos durchs Leben – und verteilen uns dann ganz stieke wieder im Rest des Universums. Zum Glück, meint Bolle, kommt da nichts weg. Also kein Grund zur Panik. Das sehen in aller Regel selbst hartgesottene Agnostiker ein.

Technisch ausgedrückt: Manchen fehlt die Abbruchbedingung in der Kalkulation. Die Logik dahinter stellt sich Bolle in etwa wie folgt vor: Bis jetzt habe ich noch immer den jeweils folgenden Tag erlebt. Und weil das bislang immer so war, sehe ich keinen Grund anzunehmen, daß das heute anders sein sollte. Folglich werde ich den morgigen Tag erleben. Und morgen gilt nämliches. Folglich werde ich auch den auf morgen folgenden Tag erleben. Und so weiter, und so fort – ad infinitum. In Bolles Kreisen nennt man so etwas übrigens vollständige Induktion – ein bewährtes mathematisches Beweisverfahren, das allerdings außerhalb der Mathematik nur eingeschränkte Gültigkeit beanspruchen kann.

Bolle dagegen – um sich das alles besser vorstellen zu können – teilt das Leben anschaulich in vier Jahreszeiten ein, also Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und ordnet jeder Jahreszeit pi mal Daumen 20 Jahre zu. Mit 60 wäre somit Winteranfang, sozusagen. Im Grunde Zeit, sich in seine Mupfel zurückzuziehen und ein wenig zu meditieren – statt zu sagen: Da geht doch noch mehr, eye! Mag ja sein. Muß aber nicht. Kurzum: bei solider kaufmännischer Kalkulation könnte man den Winter des Lebens als eine Art Draufgabe betrachten und als solche genießen, soweit der oft zunehmend erschlaffende Leib das zuläßt. Keinesfalls aber als etwas, auf das man einen wie auch immer gearteten Anspruch meint erheben zu können.

Im Grunde geht es also um Abrundung des Lebens als kontemplatives Ziel – statt kindisch zu quäken: Bääh! Will aber nicht! Gib mir mehr davon!

In eine wirklich feine epigrammatische Form gebracht – und dabei noch eins draufgesetzt – hat das übrigens Oscar Blumenthal (vgl. dazu Fr 24-12-21 Das vierundzwanzigste — und für dieses Jahr letzte — Türchen …)

Nun bin ich ledig aller Erdenplag‘ –
Mich kann kein Glück, kein Hoffen mehr betrügen.
Und wenn einst naht der Auferstehungstag –
Ich bleibe liegen.

Total so! Bolle meint: So geht gelungene Kontemplation, wenn nicht gar gelungene Integration in den Schöpfungsplan – für den sich Bolle im übrigen in keinster Weise verantwortlich fühlt. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.