
Oh Zeiten, oh Sitten. Manchmal muß man sich ja wirklich fragen, ob man es nicht genießen soll, in vergleichsweise bewegten Zeiten zu leben, oder ob man das mit der Bewegung nicht auch übertreiben kann. Bolle, von Haus aus eher genügsam, findet ja, frei nach dem ›Vorspiel auf dem Theater‹ in Goethes Faust (1808):
Des Chaos ist genug gewesen,
Laßt mich auch einen Lichtblick sehn!
In den letzten Jahren ist aber auch wirklich alles schiefgelaufen. Wollte man bestimmen, ab wann, müßte man eigentlich schon passen. Wenn’s läuft, dann läuft’s. Wenn’s schiefläuft, dann auch. Dabei ist es schwierig bis unmöglich, bei „exponentiellen“ Entwicklungen – um mal ein Modewort aus der Corönchenzeit zu bemühen – einen Anfangspunkt zu bestimmen. Exponentielle Entwicklungen haben nun mal keinen „Anfangspunkt“. Alles, was sie haben, ist Eigendynamik. Versuchen wir es dennoch, grob und überschlagsweise.
Im Jahre 2015 kam das Migrationsdebakel über das Land. Nun könnte man sagen – und viele tun das auch: Tja, da kannste nüscht machen. Seit 2018, also gut zwei Jahre später, durften wir erleben, wie sich die Klimakrise breitmacht auf der Welt. Damals ging das los mit den Sitzstreiks einer gewissen Greta Thunberg, die sehr schnell und sehr gründlich Popstar-Status erlangen sollte. Wiederum zwei Jahre später, 2020, beglückte uns die Welt dann mit Corönchen, einem hochgehypten Schnupfen – der der ganzen Welt drei Jahre lang die Luft zum Atmen nahm. Und abermals zwei Jahre später, 2022, erfrechte sich ein russischer Imperator, sein Nachbarland zu überfallen, und brachte damit die bräsige Welt des Westens vollends durcheinander.
Kurzum: eine Katastrophe jagt die nächste – so ziemlich im Zwei-Jahrestakt. Wobei die Katastrophen einander nicht etwa ablösen – konsekutive Katastrophen, also. Nein, sie schichten sich übereinander. In Bolles Kreisen spricht man hier auch von kumulativen Katastrophen.
Liegt das nun an einer kosmischen Katastrophen-Konstellation, Hummer in Saturn etwa, oder so – Bolle kennt sich hier wirklich ganz schlecht aus –, gegen die man nun mal nichts machen kann? Oder liegt es einfach an schlichter Überforderung der Polit-Prominenz nebst ihrer Statthalter oder doch zumindest Steigbügelhalter in Presse, Funk und Fernsehen, was den Umgang mit derlei angeht? Bolle tippt definitiv auf letzteres.
Die dominante Problemlösungsstrategie – eine für alle beziehungsweise, neudeutsch, one fits all – scheint Bolle eine fortgeschrittenere Form von Konstruktivismus, gewürzt mit einer tüchtigen Portion Monetarismus zu sein.
Die Grundidee des Monetarismus, im weiteren Sinne, of course, geht ja wie folgt: es gibt kein Problem auf der Welt, das man nicht mit einer gehörigen Portion Penunse oder Pinkepinke zuscheißen könnte – um es mal lutherisch-derb auszudrücken. Die Grundidee des Konstruktivismus dagegen muß wohl lauten: Es gibt kein Problem auf der Welt, das man nicht mit gehöriger semantischer Raffinesse solide wegsäuseln könnte. Beide Grundideen tragen nicht, of course – jedenfalls nicht „nachhaltig“. Eher geht der Krug zum Brunnen, bis er bricht. Dann kommt es, wie immer, zu den üblichen langen Gesichtern und der herzergreifenden Versicherung, das habe man nicht wissen können. Bolle, streng wie selten: Habe man wohl!
Umgekehrt übrigens funktioniert diese Form von forschem Konstruktivismus genauso: Es gibt kein Problem auf der Welt, das sich nicht herbeireden ließe. Das jüngste Elaborat des BfV, das Bolle – semantisch sehr viel sauberer – nur noch ›Bundesamt für Volkserziehung‹ nennen mag, ist hierfür wohl nicht das schlechteste Beispiel. Aus der „Verschiebung der Grenzen des Sagbaren“, die man der AfD so gerne unterstellt, wurde da eine Verschiebung der Grenzen des Unsäglichen. Klingt ganz ähnlich – ist aber nicht das gleiche. Und das Volk schaut staunend zu – und freut sich oder wundert sich. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.