Sa 14-12-24 Das 14. Türchen: Schneemann, Teppich, Meilenstein

Voll auffem Teppich – mit Meilenstein.

Zu unserem Türchen gestern gab es eine Rückmeldung: „Wieso? Das sieht man doch, ob sich der Schneemann bewegt hat oder der Teppich.“ Da wir hier, wie gestern erläutert, eine wohlverstandene relativistische Perspektive einnehmen wollen, scheint uns ein kleiner Nachtrag angebracht.

Natürlich sieht man das. Aber warum sieht man es? Weil wir – ohne uns dessen bewußt zu sein – das Blatt Papier beziehungsweise den Bildschirmausschnitt als Bezugspunkt verwenden. Einen solchen Bezugspunkt haben wir aber nicht – nicht in der Physik und erst recht nicht im wirklichen bzw. sozialen bzw. politischen Leben. Dieses völlige Fehlen eines Bezugspunktes hat übrigens die Physiker ziemlich lange Zeit ziemlich rappelig gemacht und zu so mancher Idee inspiriert, die sich letztlich als nicht soo brauchbar erwiesen hat. So etwas ist aber auch jeglicher Alltagserfahrung allzu ferne. Wir sind nun mal seit sechs Millionen Jahren – also seit der Menschwerdung im weiteren Sinne – daran gewöhnt, daß es feste Bezugspunkte gibt. Entsprechend schwer fällt es uns, sich die einfach wegzudenken – auch wenn sie wirklich mal nicht da sein sollten.

Um uns das alles besser vorstellen zu können, hilft ein kleiner Trick: Nehmen wir an, das Blatt Papier oder der Bildschirmausschnitt, auf dem sich Schneemann und Teppich befinden, sei unendlich groß – zumindest aber unüberschaubar groß. Dann gibt es wirklich keine Möglichkeit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Oder aber wir fügen, tout au contraire, einen Meilenstein in die Graphik ein – eine Wegmarke, an der wir uns orientieren können. Unter der Annahme, daß sich Schneemann und Teppich im Freien befinden – wer stellt sich schon einen Schneemann ins Wohnzimmer? – könnte das irgendein markanter Punkt in der Landschaft sein, zum Beispiel ein Baum oder Busch oder ähnliches (siehe Bildchen). Relativ zu dieser Wegmarke können wir nun eindeutig entscheiden, wer oder was sich bewegt hat – Schneemann oder Teppich?

Jetzt – aber erst jetzt – denken wir uns die Wegmarke wieder weg. Im Grunde wenden wir also die Vorgehensweise von Professor Bömmel aus der Feuerzangenbowle an: „Also, wat is en Dampfmaschin? Da stelle mehr uns janz dumm.“

In der sozialen beziehungsweise politischen Sphäre kommt allerdings erschwerend hinzu, daß es bereits an der Definition hapert: kein Mensch kann zufriedenstellend erklären, was genau das eigentlich sein soll: lechts oder rinks? (Ernst Jandl 1966). Bolle, stets bemüht, auch das Unfaßbare wenigstens anekdotisch faßbar zu machen, hält sich immer an die folgende Faustregel …

Motto „rechts“: Bevor Du dich daran machst, die Welt zu verbessern, kehre drei mal vor Deiner eigenen Tür (chinesisches Sprichwort).
Motto „links“: Wieso? Alles und jeder braucht unsere Solidarität. Immer!

… und muß dabei stante pede an Churchill denken, of course, der angeblich mal gesagt haben soll:

Wie herrlich Deine Strategie auch sein mag:
Gelegentlich solltest Du gucken, was dabei rauskommt.
(However beautiful the strategy,
you should occasionally look at the results.)

Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 13-12-24 Das 13. Türchen: Alles ist relativ

Voll auffem Teppich – oder doch daneben?

Neulich war Bolle mit zwei durchaus aufgeschlossenen Mitmenschen beim Gänse-Essen. Irgendwann gegen Ende des Treffens ging es dann allgemein um die Schlechtigkeit der Welt und im Speziellen, wie sehr sich manche Leute in letzter Zeit doch „radikalisieren“ würden.

Bolle, nicht faul, fühlte sich sofort veranlaßt, eine wohlverstandene relativistische Perspektive ins Spiel zu bringen. Dazu heißt es in Bertrand Russells ›ABC der Relativitätstheorie‹ (1925) – also vor nunmehr 100 Jahren:

Es gibt eine Sorte ungemein überlegener Menschen, die gern versichern, alles sei relativ. Das ist natürlich Unsinn, denn wenn alles relativ wäre, gäbe es nichts, wozu es relativ sein könnte.

Auch hatte Bolle das Schildchen mit dem Schneemann nicht dabei. Aber ein Bierdeckel für den Teppich und Bolles Feuerzeug für unseren Protagonisten tun es natürlich auch.

Im Ausgangspunkt – so wollen wir annehmen — stehe unser Schneemann (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) voll auf dem Teppich. Nun gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten:  Der Schneemann bewegt sich ein paar Schritte nach links (Pfeil a) – was wir hier rein räumlich und mitnichten politisch verstehen wollen. Und schon steht er nicht mehr auf dem Teppich. Oder aber – die zweite Möglichkeit – jemand zieht den Teppich ein Stück weit nach rechts (Pfeil b) und – Wunder über Wunder – auch in diesem Falle steht unser Schneemann nicht mehr auf dem Teppich – obwohl er sich keinen Millimeter von seiner Ursprungsposition wegbewegt hat. Allein die Lage des Teppichs ist eine andere.

Damit aber ist die Frage, ob sich der Schneemann „radikalisiert“ hat – oder nicht vielleicht eher der Teppich – so offen, wie sie nur sein kann. Wir machen wohl keinen allzu großen Fehler, wenn wir das Beispiel auf die politische Sphäre übertragen. Unser Schneemann stünde dann für einen einzelnen Wähler und der Teppich – wie soll man sagen? – für das, was wir gemeinhin Zeitgeist nennen. Wie meinte doch gleich Faust in der Nacht-Szene zu Wagner?

Was Ihr den Geist der Zeiten heißt,
das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Abgesehen von der Frage, wer hier die „Herren“ sein sollen, ist das alles im Grunde doch furchtbar selbstverständlich. Allein nicht jeder denkt jederzeit daran. Beim Gänse-Essen nämlich hatte sich Bolle zu der Bemerkung hinreißen lassen, im AfD-Parteiprogramm würde im Prinzip nichts stehen, was nicht auch in einem, sagen wir, CDU-Parteiprogramm von vor 20 Jahren hätte stehen können.

Der Effekt war, wie öfters mal bei Bolles Vorlesungen, zumindest verblüffend. Das heißt natürlich nicht, daß stante pede eine entsprechende Einsicht folgen würde. So etwas braucht ein wenig Zeit – das ist Bolle durchaus klar. Im Moment aber sieht es ja allgemein eher so aus, daß einer zunehmenden Zahl von Leuten ganz allmählich dämmert, daß weder Glühwürmchen (großes Herz, nicht ganz so großes Hirn) noch Hülsenfrüchtchen (außen grün, innen hohl) – wie Bolle das gerne mit zwinkerndem Auge umschreibt – angesichts einer prinzipiell übermächtigen Realität, die überdies, beziehungsweise gerade deswegen, fast immer Recht hat, keine allzu gute Figur machen. Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 24-11-24 Denken, wem Denken gebührt

Mathematiker-Schnelltest.

Kinder, wie die Zeit vergeht! Heute ist der 24. November. Zumindest bei den protestantischen Christenmenschen ist das der Totensonntag, an dem man, passend zur Jahreszeit – das Jahr ist nunmehr zu 90 Prozent von hinnen geschieden – versucht, der letzten Dinge zu gedenken. Die letzten Dinge, das sind Tod, Gericht und Himmel oder Hölle – je nachdem.

So weit wollen wir hier und heute nicht gehen. Immerhin kann es nicht schaden, sich klarzumachen, daß am kommenden Sonntag bereits der 1. Advent der Christenmenschen ist. Gleichzeitig – und das hat man wahrlich nicht jedes Jahr – ist das der 1. Dezember, an dem die kleinen und auch manch größere Kinder das erste Türchen an ihrem Adventskalender öffnen. Auch für unseren virtuellen agnostisch-kontemplativen Kalender – den es dieses Jahr das fünfte mal in Folge geben soll – ist es dann wieder soweit.

Was haben wir gedacht?
Was davon gemacht, was angebracht?
Mitunter auch: was haben wir gelacht.

Natürlich ist vieles liegengeblieben. Noch viel mehr ist noch am Reifen. Schließlich soll es mitnichten unser Ansinnen sein, dem Zeitgeschehen hinterherzuhecheln. Dem Zeitgeist zu begegnen ist sicherlich Anspruch genug.

So wollen wir das Jahr gemütlich ausklingen lassen und nicht versäumen, Euch einen – wie Bolle das nennt – Mathematiker-Schnelltest vorzustellen. Die Aufgabe, um die es geht, lautet wie folgt: Gegeben sei eine normale Telephon-Tastatur. Was kommt raus, wenn wir alle Ziffern miteinander multiplizieren? Ende vom Test.

Ein wahrlicher Schnelltest, also. Manche unter uns werden sagen: Wie – das war’s schon? Manch andere dagegen werden Unrat wittern und geheime Tücken suchen – und womöglich sogar finden. Kurzum: Der Test hat es in sich – wenn auch nicht unbedingt auf der mathematischen Ebene.

Auch lappt er ein wenig ins pragmatisch-philosophische. So hieß es – auch, aber beileibe nicht nur in diesem Jahr – zuweilen, man müsse für dieses oder jenes Vorhaben nur soundso viele Milliarden „investieren“ – dann werde alles gut. Bolle dagegen meint in Anlehnung an einen gelungenen Werbespruch: Geld ist wie Beton. Es kommt drauf an, was man draus macht. Sagen wir so: Wer sich mit dem Mathematiker-Schnelltest schwertut – oder zumindest nicht ganz leicht –, wird, tout au contraire, nicht die geringste Mühe haben, die eine oder andere Milliarde mal eben schnell im Orkus der Geschichte zu versenken. Die Zeitgeschichte wimmelt nur so von Beispielen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 30-06-24 Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit trägt wirklich ein Forellenkleid

Theorie und Empirie — nicht ohne Interpretation.

Hier zur Abwechslung mal wieder ein Beitrag aus Bolles Bildungsprogramm. Man kann sich ja nicht immer nur um den Unfug kümmern, mit dem die Polit-Apparatschiks dieser Welt meinen, selbige in einen besseren Ort verwandeln zu müssen.

Keine Sorge. Wir müssen das Bildchen nicht völlig verstehen – vor allem nicht die Formel. Sie sagt einfach nur aus, daß die Masse eines Körpers mitnichten konstant ist, sondern daß sie mit der Geschwindigkeit, mit der der Körper sich bewegt, zunimmt. Das allein ist erstaunlich genug. Newton jedenfalls war das noch nicht klar. Demnach wäre jemand (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), wenn er mit einem Affenzahn durch die Gegend düst, schwerer (i.S.v. massereicher) als wenn er nur bräsig im Liegestuhl läge. Allerdings – und da kommen wir schnell wieder auf den Boden der Alltagserfahrung – müßte sich derjenige schon mit 40% der Lichtgeschwindigkeit bewegen, um auch nur 10% schwerer zu werden (siehe das Pünktchen in der Graphik). Die meisten von uns werden ein solches Tempo allerdings kaum jemals erreichen, of course.

Aber von praktischen Erwägungen einmal ganz abgesehen. Hier soll es uns um die drei Hauptzutaten jeglicher Wissenschaft gehen. Da hätten wir als erstes die Empirie. Im Grunde handelt es sich dabei um ein Frage/Antwort-Spiel zwischen Welt I („alles, was der Fall ist“) und Welt II (die Welt der Wahrnehmung und Bewertung) mit der Erkenntnis der „Fakten“. Als nächstes hätten wir in Welt III (dem Weltbild, das einer für zutreffend hält) die Theorie als Destillat aus der Fülle der Fakten: So ist es nun mal! Ob das auch stimmt, wissen wir allerdings nicht. Zum Drei-Welten-Modell vgl. übrigens am besten So 26-05-24 Das bessere Argument.

Nun ist es so, daß der Zusammenhang zwischen Masse und Geschwindigkeit von Einstein schon 1905 in seinem Aufsatz ›Zur Elektrodynamik bewegter Körper‹ im Kern postuliert und seitdem auch tausendmal empirisch bestätigt wurde. Es ist also so!

Allein, was soll das bedeuten? Hier kommen wir zur dritten im Bunde, der Interpretation. Die Interpretation führt, wie’s scheint, ein geradezu stiefmütterliches Dasein in der Welt der Wissenschaften.

So geht die G’schicht, man könne leider, leider das Universum wegen der Gegebenheit Lichtgeschwindigkeit nicht so recht bereisen. Wenn nämlich ein Raumschiff sich der Lichtgeschwindigkeit nähere, dann – so die G’schicht – steigere sich dessen Masse ins Unendliche, und damit auch die zum Antrieb benötigte Energie. Unendlich viel Energie aufzubringen aber sei rein technisch nun mal unmöglich. Also auch Reisen in ferne Gefilde.

Soweit klingt das plausibel. Aber ist es auch wahr im weiteren Sinne? Ein Blick auf die Graphik zeigt uns – und hier sind wir bei der Interpretation von Empirie und Theorie –, daß wir ja mitnichten mit Lichtgeschwindigkeit fliegen müssen. Bei zum Beispiel „nur“ 87% Lichtgeschwindigkeit kommen wir gerade einmal auf die doppelte Masse (vgl. dazu wieder das Pünktchen in der Graphik). Das aber dürfte technisch ohne weiteres beherrschbar sein. Demnach würde eine Reise zu beispielsweise Proxima Centauri – dem nächsten Stern im Universum – nicht 4 Jahre und 3 Monate dauern, sondern eben 4 Jahre und 11 Monate. Bolle findet: die 8 Monate machen den Kohl dann auch nicht mehr fett.

Das Problem ist also nicht die Unmöglichkeit, unendliche Energie aufzubringen, um ein bei Lichtgeschwindigkeit unendlich schweres Raumschiff anzutreiben. Das Problem ist vielmehr die Gegebenheit der Lichtgeschwindigkeit an sich. Das aber ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Soweit also zur Interpretation gegebener „Fakten“ bei gegebenem theoretischem Schliff. Die Welt ist voll von derlei, übrigens: Corönchen, Ukraine, Klima … – you name it. Überall führen die nackten Fakten zu nichts als Verwirrung.

Bolle hat sich nach einigem Hin und Her übrigens entschlossen, den schlichten Begriff ›G’schicht‹ zu verwenden, wo andere von ›Erzählung‹ oder gar von ›Narrativ‹ fabulieren. Gemeint ist damit stets das gleiche: Ein Deutungsmuster aus der unübersichtlichen Fülle der Erscheinungen. Thomas S. Kuhn hat in seinem Werk ›Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen‹ dafür übrigens 1962 schon den Begriff ›Paradigma‹ verwendet. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 14-12-21 Das vierzehnte Türchen …

Banal exponential.

Bolle hat jüngst erfahren, daß sich die Ansteckungen mit Corönchen in der Spielart ›Omikron‹ im Vereinigten Königreich (UK) alle zwei bis drei Tage verdoppeln würden – versehen mit dem Zusatz: „So etwas haben wir noch nie beobachtet.“ Natürlich hat Bolle nachgerechnet.

Wenn wir seriösen Schätzungen folgen und von aktuell 1.000 bis 2.000  Corönchen-Positiven ausgehen (auf die genaue Zahl kommt es überhaupt nicht an), dann würde es bei einer Verdopplungszeit von drei Tagen nur etwa 45 Tage dauern, bis auch der letzte Brite corönchen-positiv ist – mithin also schon Ende Januar! So schnell kann kein Politiker folgen – und selbst dem Journalismus 2.0 bliebe da glatt die Spucke weg.

Dabei sind mit ›Corönchen-Positiven‹ nach Bolles jüngster Definition Leute gemeint, bei denen aus medizinischer Sicht irgendwas nachweisbar ist – was aber weder mit Symptomatik noch mit Spreader-Potential auch nur das geringste zu tun haben muß. Bolle findet nämlich, daß an dieser Stelle allmählich etwas mehr Klarheit dringend geboten ist.

Betrachten wir unsere Graphik: Auf der Abszisse (x-Achse) findet sich die Zeit und auf der Ordinate (y-Achse) der Anteil der Positiven in Prozent. Dabei beschreibt die blaue Kurve eine „echte“ Exponentialfunktion, die wir den gegenwärtigen Verhältnissen im UK nachgebildet haben: Nach 45 Tagen sind wir demnach bei 100%. Ja, und dann? Da unmöglich mehr als 100% der Briten corönchen-positiv sein können, kann die Funktion so nicht stimmen. Corönchen vermehrt sich eben nicht exponentiell – jedenfalls nicht lange.

In Bronstein’s Taschenbuch der Mathematik – der Bibel der Mathematiker – heißt es dazu lakonisch:

Prozesse mit konstanter Wachstumsgeschwindigkeit
sprengen im Laufe der Zeit jede Schranke
und führen bereits nach relativ kurzer Zeit
zu einer Katastrophe.

Kurzum: Prozesse mit konstanter Wachstumsgeschwindigkeit (Prozesse, die Exponentialfunktionen folgen), haben in der Natur keinen Bestand. Sie haben eine ausgesprochene Neigung zur Selbstzerstörung – was Bronstein mit „Katastrophe“ umschreibt.

Was dann? Die Corönchen-Positivität folgt vielmehr der grünen Kurve. Dabei handelt es sich um eine von Bolle didaktisch geschmeidig angepaßte Sigmoid- bzw. Schwanenhalsfunktion. Das Ansteckungsgeschehen geht hier laangsam, gaanz langsam los, nimmt dann richtig Fahrt auf, um sich schließlich wieder zu beruhigen und der 100%-Grenze anzunähern. Mehr als 100% ist nämlich nicht zu schaffen – auch nicht für das mieseste und fieseste Corönchen.

Heißt das, wir können uns entspannen? Natürlich nicht. Schließlich erreicht auch die grüne Kurve die 100%-Marke, nur eben auf anderem Wege. So let’s go crazy: Warum steht in der Meldung „Verdoppelung alle zwei bis drei Tage“ – und nicht zum Beispiel: „Ende Januar sind alle Briten tot“ – und dann irgendwo im laufenden Text: „ … oder zumindest infiziert oder ganz zumindest corönchen-positiv“? Vielleicht noch versehen mit dem aufmunternden Spruch aus dem Anhalter durch die Galaxis: „Don’t panic“ – in großen, freundlichen Lettern, of course (vgl. dazu auch Do 03-12-20 Das dritte Türchen …). Das wäre doch viel zeitgemäßer und würde auch aufs feinste zu anderen Überschriften passen wie etwa: „Im Kampf gegen Omikron hoffen die Briten auf das zweite Impfwunder“. „Wunder“ – das klingt doch wirklich wunderbar weihnachtlich. Fehlt nur noch der „Impfzauber zur Heiligen Nacht“. Allerdings ist das dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel …

Sa 04-12-21 Das vierte Türchen …

Very strange.

Immer wieder erweist es sich, daß es ausgerechnet die Künstler sind, die den meisten Weitblick an den Tag legen. Die Wissenschaften sind da weit, weit abgeschlagen. Aber übersetzen wir das erst mal:

Ein seltsames Spiel.
Die einzige Möglichkeit zu gewinnen
ist, nicht zu spielen.

Die Aussage stammt von WOPR. WOPR ist das Akronym für »War Operation Plan Response« – eine künstliche Intelligenz zur automatisierten Kriegsführung – und stammt aus dem Film WarGames (USA 1983 / Regie: John Badham). In dem Film geht es darum, daß sich das amerikanische Verteidigungsministerium entschlossen hatte, einen möglichen atomaren Gegenschlag einer Maschine zu überlassen, da sich Soldaten aus Fleisch und Blut als zu unzuverlässig erwiesen hatten. Nun war es so, daß WOPR zwar irriger-, dafür aber um so zuverlässigerweise auf atomaren Ernstfall erkannt hatte und nun im Interesse der gesamten Menschheit irgendwie gestoppt werden mußte – was bei einem vollautomatischen System ohne Not-Ausschalter nicht eben einfach ist. Gleichwohl gelang das den Helden in letzter Minute, indem sie WOPR in eine Partie Tic-Tac-Toe verstrickt hatten. Tic-Tac-Toe ist ein Brettspiel mit gerade mal 9 Feldern und nur gut 250.000 überhaupt möglichen Spielverläufen – für eine KI also höchst „überschaubar“, um nicht zu sagen: eine regelrechte Lachnummer. Das besondere daran ist, daß es mathematisch unmöglich ist zu gewinnen, solange der Gegner keinen Fehler macht – was WOPR nach wenigen Minuten helle war und zu besagtem Statement nebst Abbruch des atomaren Gegenschlages führte.

Was hat das mit uns zu tun? Nun, es ist eine schöne und darüber hinaus mathematisch unanfechtbare Allegorie auf menschliche Hybris – hier verstanden als den tiefsitzenden Widerwillen anzuerkennen, daß es manchmal Dinge gibt, die man leider nicht ändern kann – egal, wie sehr man sich das wünschen mag.

In der »Fibel zur Schreibwerkstatt«, einem in Entstehung begriffenen kleinen Vademecum für ambitionierte Autoren (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) heißt es dazu:

Alles ist möglich? Denkste!
Laß Dir das bloß nicht einreden.

Zugegeben: Das Thema ist nicht wirklich weihnachtlich – dafür aber um so agnostisch-kontemplativer. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Do 02-12-21 Das zweite Türchen …

Denken schadet der Illusion.

Denken schadet der Illusion. Schöner hätte auch Bolle das nicht ausdrücken können. Fehlt nur noch der amtliche Hinweis: „Der Bundesbefundheitsminister mahnt“. Vielleicht sollten wir doch ernstlich erwägen, davon abzulassen, agnostisch-kontemplative Frühstückchen zu uns zu nehmen. Wer weiß, wer weiß …? Aber wir wollen das Kind nicht mit dem sprichwörtlichen Bade ausschütten. Erst hieß es: Laßt Euch impfen – dann wird alles gut. Wem das nicht gut genug war, dem ham se noch ne Bratwurst hinterhergeworfen. Dann hieß es: Laßt Euch auffrischen. Eins und eins, das macht zwei. Und überhaupt: „auffrischen“. Da waren wohl mal wieder exaltierte Sprachdesigner (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) am Werk. Nach zwei kommt drei. Soweit können die meisten folgen. Auch hier wurde am schicken Wording nicht gespart: „Get your Booster, Baby“. Da die Ergebnisse aber weit hinter den Illusionen zurückgeblieben sind, müssen wir eben doch weiterdenken. Was passiert, wenn wir nicht nur bis drei zählen wollen? Vier …? Fünf …? Im Grunde ist es wie bei einem Adventskalender. Aber offenbar kommt so was in der Virologen-Ausbildung gar nicht vor. Pieks und denk’ nicht dabei. Das aber ist wohl doch schon wieder ein anderes Kapitel …

So 21-03-21 Die Entdeckung der Minderheit

Freiheit, die ich meine.

Solange es Menschen gibt, gibt es auch Entdeckungen. Denken wir nur zum Beispiel an das Feuer oder das Rad. Und schon wird es kompliziert. Das Feuer wurde ja nicht etwa „entdeckt“. Im Gegenteil: Es war schon immer da. Es wurde lediglich „gezähmt“ und in den Dienst menschlicher Bedürfnisse gestellt. Und auch das Rad macht erst dann Sinn, wenn man zusätzlich die Achse erfindet und einigermaßen befestigte Wege.

Ähnlich verworren verhält es sich mit jenen „Entdeckungen“, die bei Lichte betrachtet eigentlich eher Ideen sind, wie zum Beispiel Luthers „Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) oder die grundlegende Idee der Französischen Revolution (1789), die in der Losung „Egalité, Liberté, Fraternité“ ihren knackigen Ausdruck fand. Die Übersetzung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ meint das gleiche, klingt aber weniger musisch. Aber darauf soll es uns hier nicht ankommen.

Auch wollen wir nicht vertiefen, daß es bislang niemandem gelungen ist, auch nur einigermaßen bündig klarzulegen, was genau wir uns denn unter »Freiheit« vorzustellen haben. Thomas Hobbes (1588–1679) etwa hat darunter „das Fehlen jeglicher Bewegungsbehinderung“ verstanden, was Bertrand Russell (1872–1970) spöttisch als „wunderbar präzise Definition“ eingestuft hat. Das Problem: Wenn jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf „ungehinderte Bewegung“ bestehen würde, wäre absehbar Hauen und Stechen angesagt. Auch hauptamtlichen Denkern wie etwa Kant (1724–1804) oder Hegel (1770–1831) ist hierzu nicht allzuviel eingefallen – außer „Was Du nicht willst, das man Dir tu …“ (Kant) bzw. „Einsicht in die Notwendigkeit“ (Hegel) als begrenzendes Prinzip. Kurzum: Freiheit im Hobbes’schen Sinne mag zwar „wunderbar präzise“ definiert sein, ist aber leider praktisch völlig unbrauchbar. Warum?

Den ultimativen Grund liefert, einmal mehr, die Mathematik – genauer gesagt die formale Logik. Man nennt es dort Polylemma. Egal, was man macht: Man kann es nicht allen rechtmachen. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist vielleicht die »Vater/Esel/Sohn«-Allegorie: Ein Vater ist mit seinem Sohn und einem frisch erworbenen Esel unterwegs. Anfangs gehen alle drei zu Fuß und werden von einem entgegenkommenden Wanderer ausgelacht: „Warum geht Ihr denn beide zu Fuß, so Ihr doch einen Esel habt zum reiten?“ Als dann der Vater aufsitzt, kommt der nächste Wanderer des Weges und bezichtigt den Vater der Kinderschänderei. Also läßt der Vater den Sohn aufsitzen – was von einem weiteren Wanderer dem Sohn als mangelnder Respekt vor dem Alter ausgelegt wird. Also sitzen beide auf – nur um sich den Vorwurf der Tierquälerei einzuhandeln. Schließlich nehmen die beiden ihre ganze Kraft zusammen und tragen den Esel nach Hause …

Kurzum: Wir haben es hier mit fünf Möglichkeiten zu tun, den Weg vom Markt nach Hause zurückzulegen – und keine davon bleibt unbekrittelt. Eine allgemein anerkannte Lösung (i.S.v. ›von allen anerkannt‹) ist nicht in Sicht. Game over.

Wir können das Thema an dieser Stelle nicht ausleuchten. Nur so viel: Die „Entdeckung der Minderheit“ führt mit mathematischer Notwendigkeit dazu, daß sich immer irgendwer in seinem höchstpersönlichen „Für-richtig-halten“ (im weiteren Sinne also in seiner „Freiheit“) eingeschränkt fühlen wird. Immer, immer, immer. Und – das kommt erschwerend hinzu: Je mehr Minderheiten wir als solche anerkennen, desto krasser wird es werden mit der gefühlten Einschränkung der Freiheit. Sind wir nicht letztlich alle „Andersdenkende“?

Schon aus diesem Grunde hält Bolle die Idee für noch nicht ganz zuende gedacht. Was dann? Begnügen wir uns an dieser Stelle mit einem Verweis auf Do 28-01-21 Sozialisation. Wird schon? Oder Hohn? Ansonsten ist das dann wohl doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 03-03-21 Wolle mer se eroilosse?

Wolle mer se eroilosse?

Seinerzeit schon, vor über 50 Jahren, hatte sich Pippi Langstrumpf im Namen der Ideosynkrasie souverän nicht nur über die Mathematik bzw. Arithmetik an sich, sondern sogar über deren Axiomatik hinweggesetzt. Damals war das noch spaßig und erfrischend. Allerdings dürfte kaum ein Schüler (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf die Idee gekommen sein, das bei Pippi Langstrumpf gelernte im Rechenunterricht praktisch anzuwenden. Heute, 50 Jahre später, wird aus Spaß langsam Ernst. Wenn man den aktuellen Meldungen Glauben schenken darf, dann keimt in den USA, dem Land of the Free, allen Ernstes eine Debatte auf, die Pippi Langstrumpf locker in den Schatten stellt. Damit aber hätte der Ideosynkrasie-Virus eine Artengrenze übersprungen – vom Sozialen zum Formalen. Aber der Reihe nach.

Hier zunächst ein Beispiel für das Soziale: Wolfgang Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident und SPD-Urgestein, hat neulich in einem Gastbeitrag in der FAZ beklagt, daß Debatten über Rassismus, Postkolonialismus und auch Gender-Sprech immer aggressiver geführt würden, und sich dabei über Cancel Culture eher kritisch geäußert. Auch sei Blackfacing nicht weiter bedenklich. Prompt zeigte man sich in der SPD-Spitze „beschämt“ über ein solch „rückwärtsgewandtes“ Bild, das so nicht länger zur Partei passen würde. Bolle meint: Woher wissen die eigentlich immer so genau, wo vorwärts und wo rückwärts ist? Und aus welcher Quelle speist sich eigentlich das Schamgefühl?

Hier nun das Formale. Anscheinend wird in den USA neuerdings ernstlich darüber debattiert, ob die Idee, daß  2 + 2 = 4 sei, nicht doch eher kulturelle Gründe habe, und nicht letztlich eine Folge von westlichem Imperialismus sei bzw. der Kolonisierung der Welt.

Dabei scheint sich die Virulenz bereits in einem fortgeschrittenem Stadium zu befinden: So heißt es in einem Rundbrief des Kultusministeriums (!) in Oregon, die Forderung an Mathematik-Schüler, in ihren Klausuren nur ein einziges, überdies auch noch möglichst zutreffendes Ergebnis vorzulegen, sei ein Zeichen „weißer Vorherrschaft“. Recht so, meint Bolle. Nieder mit den alten, weißen Männern und ihrer rassistischen Arithmetik – von Mathematik zu reden wäre hier wohl schwer übertrieben.

Bolle fragt sich ernstlich, ob er nicht vielleicht übertrieben stumpf ist bzw. zu wenig aufgeschlossen für neue Wege der Mathematik. Auch ist ihm klar, daß man eine Mathematik auch auf anderen Axiomensystemen aufbauen könnte. Weiterhin ist ihm allerdings auch klar, daß kein einziges dieser Axiomensysteme dazu führen würde, daß für ein und dieselbe Aufgabe mehrere „korrekte“ Lösungen möglich sind. Mehrere Lösungswege wohl – das aber ist hier offenkundig nicht gemeint. Und so kommt er nicht umhin, sich in Anspielung an einen running gag bestimmter Karnevalssessionen zu fragen, wer diese Leute reingelassen haben mag in die Uni oder ins Kultusministerium – und überdies ein Hygienekonzept zu fordern. Das aber ist vielleicht dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 30-01-21 Denken nützt …

Denken nützt.

Heute konnten wir in den bildungsbürgerlichen Medien erfahren, daß Statistiker ermittelt haben, daß die sogenannte „Übersterblichkeit“ in Deutschland zur Zeit bei 5% liegt – daß zur Zeit also 5% mehr Leute sterben als sonst. Kiek ma eener an, meint Bolle und verweist auf unseren Beitrag von neulich, Mo 25-01-21 Live forever? Dort hatten wir locker überschlagen, daß in Deutschland regelmäßig und sowieso Jahr für Jahr 1 Mio Leute sterben – wobei gegenwärtig etwa 50.000 Corönchen zugerechnet werden. Nun ist es so, daß 50.000 geteilt durch 1 Mio zufälligerweise justamente 5% ergibt. Dafür braucht man weiß Gott keine Statistiker – und erst recht keine Mathematiker. Das kann jeder Taschenrechner.

Natürlich möchte Bolle mitnichten „arrogant“ rüberkommen. Aber ein wenig verwundert ist er schon, mit welcher Gründlichkeit – um nicht zu sagen: Scheingenauigkeit – seit Monaten neben den regulären Nachrichten in ungezählten „Extras“ und „Spezials“ über R-Werte, Inzidenzwerte, Verstorbene, „Genesene“ und weiß der Teufel was sonst noch auf die Einerstelle genau (!) berichtet wird. Besonders pikant findet Bolle den regelmäßigen Hinweis, daß es sich hierbei nur um Datenmüll handeln kann (so sagt das natürlich keener – aber genau darauf läuft es hinaus), unter anderem, weil „am Wochenende weniger Daten gemeldet“ würden. Bolle meint: Wie man aus Daten schwankungsbereinigte Trends ermittelt, ist den Statistikern seit mindestens 100 Jahren klar. Warum dann das Volk Tag für Tag sinnlos zumüllen? Weil es „gefühlt“ mehr zu berichten gibt? Weil es die Leute in „gefühlter“ Dauer-Alarmbereitschaft hält? Wenn das mal gutgeht auf die Dauer … Aber das ist dann doch vielleicht schon wieder ein ganz anderes Kapitel.