So 23-03-25 Konfuzius reloaded

Total klar, das.

Manchmal, meint Bolle, kann es wirklich nicht schaden, auf die alten Meister zurückzugreifen. Etwa auf Kong Fu Tse – den ehrwürdigen Meister Kong. Meister Kong hatte seine Zeitgenossen mit seiner Antwort auf die Frage, was denn das Wichtigste sei, um den Staat in Ordnung zu bringen,  seinerzeit schon – gelinde gesagt – irritiert.

Statt also – wie so manche Weltverbesserer der Gegenwart – zu sagen, wir bräuchten mehr Wachstum (oder mehr Klimaschutz oder mehr Kriegstüchtigkeit oder weniger Spaltung der Gesellschaft – oder mehr oder weniger was auch immer), schien ihm etwas so abstraktes wie klare Begriffe das wichtigste. Und davon auch nicht etwa „mehr“ – sondern überhaupt.

Wie? Das soll’s gewesen sein? Klare Begriffe – und alles wird gut? Natürlich nicht. Allein das hat Kong Fu Tse auch gar nicht gesagt. Ganz im Gegenteil. Gesagt hat er, daß ohne klare Begriffe alles immer schlimmer wird. Schaut man sich um auf der Welt, könnte man glatt geneigt sein, dem zuzustimmen.

Aus Bolles Sicht war der Durchmarsch des Gender-Gaga einer der ersten und dabei „nachhaltigsten“ Verstöße wider den Geist. Und – Bolle lieebt Selbstbezüglichkeiten – da geht es auch schon los. Definiere Nachhaltigkeit: ›Nachhaltig‹ ist etwas, das auf Dauer funktioniert. Komplizierter ist es an dieser Stelle eigentlich nicht. Auch dann nicht, wenn der Begriff mittlerweile dermaßen inflationär verwendet wird, daß einem regelrecht schwummrig werden kann. Übergeblieben ist ein leeres Loch, in das ein jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einfüllen kann, was immer ihm beliebt. Mit Klarheit im weitesten Sinne hat das nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Die Sprache – und damit das Denken und damit das Handeln – wird, falls Kong Fu Tse Recht haben sollte, einfach nur komplizierter. Die Klarheit bleibt dabei glatt auf der Strecke.

Bolle kann sich noch gut an den Moment erinnern, als ihm das heute übliche Wort ›Entwicklungszusammenarbeit‹ das erste mal zu Ohren kam. Was das? Es handelt sich hierbei, im besten konfuzianischen Sinne, um Entwicklungs-Hilfe. Zusammenarbeit gibt es nur unter Gleichen. Auch hat das nichts mit „Augenhöhe“ zu tun – noch so ein modischer Dussel-Denk-Begriff.

Und warum das Ganze? Die übliche Begründung lautet meist, man dürfe nicht auf den Gefühlen der Unterprivilegierten beziehungsweise der Schwächeren beziehungsweise der Minderheiten beziehungsweise der was auch immer herumtrampeln. Ein hehres Ziel – das sieht Bolle ein. Aber hat es auch was mit Klarheit zu tun? Natürlich nicht.

Wir wollen hier und heute nicht allzuweit ausholen. Nur so viel: Als Bolle noch Tertianer war, gab es direkt neben dem Pausenhof einen Kiosk – und an dem Kiosk gab es Mohrenköpfe. In der großen Pause konnte man sich, ohne zu hetzen, zu dem Kiosk begeben, für 50 Pfennige eine Tüte mit fünf Mohrenköpfen erstehen und selbige bei einem Rundgang um das Schulgebäude genüßlich verzehren. Pausenbrot nach Pennälerart. Daß Bolles Pausenbrot irgend etwas – und sei es auch nur im allerweitesten Sinne – mit der Diskriminierung von Mohren zu tun haben könnte, wäre Bolle nie in den Sinn gekommen. Allen anderen ebensowenig. Die hießen einfach so. Klare Sache, klarer Begriff.

Bolle plädiert an dieser Stelle ja für das gewohnheitsrechtlich gut bewährte Rechtsinstitut ›Alte Rechte‹. Wenn etwas seit Jahrhunderten so oder so genannt wurde, dann ist es durchaus und zumindest eine Frage wert, warum ein und dieselbe Sache plötzlich unter neuem Begriff firmieren soll. Um die Gefühle der Mohren nicht zu verletzen? Bolle findet das alles sehr, sehr windig. Könnte man von den Mohren nicht ein gewisses Maß an Eigenleistung erwarten? Namentlich also deutlich mehr Souveränität im Umgang mit Mohrenköpfen? Schließlich hat Bolle ja auch rein gar nichts dagegen, wenn ihn ein Chinese als Langnase bezeichnet, ein Schwarzer als Weißbrot oder etwa ein Türke als Kartoffel. Na und? Volkswitz, eben. Wenn aber das Volk klarer tickt als seine selbstempfundenen Eliten, dann sind der konfuzianischen Konfusion Tor und Tür geöffnet. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 09-02-25 Krieg und Klima

Zū komplex – oder nur zū doof …?

Neulich hat Bolle endlich mal Tolstois ›Krieg und Frieden‹ (1868/1869) gelesen. Gelesen wäre allerdings übertrieben. Genauer genommen nämlich hat Bolle es gehört – und zwar als Einschlaf-Lektüre. Manch monumentalem Werk – nicht zuletzt übrigens auch der Bibel – nähert man sich wohl am besten so. Zumindest sehr viel besser als derlei – von wegen „keine Zeit“ – gar nicht erst in Angriff zu nehmen. Immerhin haben die Lesefrüchte – oder sollte man besser „Hörfrüchte“ sagen? – zu unserem heutigen Titel geführt.

Das alles ist aber mitnichten unser Thema. Unser Schildchen zeigt die Entwicklung des weltweiten CO2-Ausstoßes in den letzten 60 Jahren. Wie man erkennen kann, hat er sich seit 1960 in etwa vervierfacht. Das ist nicht gut – jedenfalls sehen das viele so.

Was Bolle indessen noch sehr viel weniger gut findet, ist, daß sich im gleichen Zeitraum die Weltbevölkerung ebenfalls vervierfacht hat – vergleiche dazu die von uns eingezeichnete rote Gerade. In erster Näherung könnte man also, ohne allzu falsch zu liegen, davon ausgehen, daß vier mal so viel Leute in etwa auch vier mal so viel CO2 in die Atmosphäre pusten.

So gesehen wäre es vielleicht keine dumme Idee zu überlegen, ob eine ernstliche Begrenzung der überbordenden Weltbevölkerung nicht vielleicht doch ein Schritt in die richtige Richtung wäre? Natürlich wird das „nicht jedem“ – wie es immer so schön heißt – zusagen. Manche werden monieren, das sei zu einfach – und schon von daher (!) populistisch. Andere werden meinen, es sei ja wohl das Recht eines jeden (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), beliebig viele Kinder in die Welt zu werfen. Manche Ökonomen werden pflichtschuldigst daran erinnern, daß, damit die Wirtschaft wachse, selbstredend auch die Bevölkerung wachsen müsse, of course. Wieder andere – gerne ebenfalls Ökonomen – träumen von Entkoppelung. Wer sagt denn, daß vier mal so viel Leute auch vier mal so viel CO2 ausstoßen müssen? Vielleicht kommen sie ja mit, sagen wir, dreieinhalb mal so viel aus …? Ein Punkt, mit dem sich monate- beziehungsweise jahrelang die Schnatterrunden (vulgo: Talkshows) dieser Welt befüllen ließen.

Noch andere meinen, man müsse das pseudo-marktwirtschaftlich angehen und den CO2-Ausstoß politisch einfach nur so teuer machen, daß ihn sich – mal abgesehen von ein paar Hochgespülten, die naturgemäß und schon immer sehr viel gleicher waren als gleich – einfach niemand mehr leisten kann. Das übrigens ist eine Idee, die derzeit die bundesdeutsche Polit-Prominenz beflügelt. Was das für die Leute bedeutet, werden sie dann schon sehen. Nur sollen sie, bitteschön, bloß nicht auf dumme Gedanken kommen und gar noch die Falschen wählen.

Wo das alles hinführen soll, ist Bolle auch nicht klar, of course. Nur so viel: Möglicherweise sind wir als Weltzivilisation noch immer auf einem Niveau, das es zwingend erforderlich macht, daß es in gewissen Abständen immer mal wieder so richtig knallen muß – einfach nur, um die Leute wieder auf den Teppich zu holen. Goethe hat das 1796 in seinen ›Kophtischen Liedern‹ wie folgt gefaßt:

Du mußt steigen oder sinken,
Du mußt herrschen und gewinnen
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.

Bolle meint: Na, denn Prost! – und fühlt sich intensiv an das Bild eines reinigenden Gewitters erinnert: Die Leute genießen die klare Luft – und die nächste Runde des immergleichen Spieles scheint in weiter Ferne, wenn nicht gar undenkbar. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 18-08-24 Was ist da bloß los?

So dumm kann’s laufen …

Manchmal kann man sich wirklich nur wundern, was den höheren Schichten so alles einfällt beziehungsweise was sie so alles anrichten. Was ist da bloß los?

Eines der jüngsten, eher niedertrabenden Beispiele etwa sind Holzbriketts, denen plötzlich, Knall auf Fall, ein CO2-Wert „zugewiesen“ werden sollte – mit der Konsequenz, daß sie als „klimaschädlich“ deklariert worden wären. Das ist offenbar schon wieder vom Tisch – aber als Beispiel taugt es allemal.

Im Grunde hatte sich Bolle schon im Vorfeld schwer verwundert. Das Anpflanzen von Bäumen, so hieß es und so heißt es, kompensiere den CO2-Ausstoß und sei damit per se klimafreundlich. Ganze Branchen leben von dieser Art von Greenwashing. Ersteres mag ja sein – aber doch wirklich nur vorübergehend. Wenn ein Baum in die ewigen Jagdgründe eingeht – wie Bolles indianische Freunde (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) das nennen würden – Asche zu Asche, Staub zu Staub, dann gibt er exakt die gleiche Menge CO2 wieder frei, die er im Laufe seines Lebens „kompensiert“ hatte. Ja was denn sonst?

Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (1. Mose 8, 22). Kennen wa ja. Und eben auch einatmen und ausatmen – und sei es CO2.

So geht der Kreislauf des Lebens. Ein Baum „entzieht“ der Atmosphäre also kein CO2 – er speichert es nur für eine gewisse, begrenzte Zeit. Eine wirklich „nachhaltige“ Lösung (i.S.v. ›funktioniert auf Dauer‹) ist das sicherlich nicht. Eher Voodoo-Ökologie. Aber macht das mal einem rechten Hülsenfrüchtchen klar. „Da muß sich doch was ‚optimieren‘ lassen“ ist noch mit das Beste, was einem als Antwort zuteilwerden kann.

Andererseits: Wenn man neuerdings Säuglingen bei der Geburt ein Geschlecht „zuweisen“ kann – warum dann nicht auch einem Baum einen CO2-Wert? Ist doch nur fair – und paßt im übrigen herrlich ins Weltbild von manch mehr oder weniger hochgestelltem Hülsenfrüchtchen.

Daß ein Baum auf lange Sicht einfach einen CO2-Wert hat – im Zweifel nämlich exakt Null, da gibt es nichts „zuzuweisen“ – und daß ein Neugeborenes einfach ein Geschlecht hat, nämlich (von seltensten Ausnahmen einmal abgesehen) männlich oder weiblich, ist im allgemeinen Durcheinander offenbar glatt untergegangen. Wenn aber alle – oder hinreichend viele – ganz dolle dran glauben, dann mag das wohl so sein. Überzeugend findet es Bolle trotzdem nicht.

Immerhin handelt es sich hierbei um ein hübsches Beispiel von umsichgreifender Hybris. Dabei ist Hybris Bolles agnostische Variante der guten alten Gotteslästerung. Des Frevels gar, des Nicht-wahrhaben-wollens, daß eben nicht alles möglich ist, was sich einer in den Kopf gesetzt haben mag. Und was wollen die nicht alles retten oder schützen. Klima und Demokratie sind dabei Bolles gegenwärtige „Top-Favoriten“. (Schon wieder so ein Wort wie Donnerhall übrigens – außen laut und innen hohl).

Und so kommt es denn heraus, daß sich Gedankenlos und Planlos einträchtig die Händchen reichen. Das Ergebnis ist fruchtlos, of course, und die übliche Reaktion seitens der Planer meist schamlos: „Das haben wir nicht wissen können“ oder, maximal-ignorant: „Wieso? Ist doch alles prima.“ Ein Eingeständnis der Planlosigkeit wäre aber auch zu peinlich. In Bolles Kreisen spricht man hier gerne von Selbstwertbeschädigung. Das Selbstwertgefühl – Ich bin ein ganz famoses Haus (Wilhelm Busch) – aber ist eines der vier kognitiven Grundbedürfnisse (SOSS) und will seinerseits unbedingt geschützt sein – egal wie albern die Ausflüchte im Einzelfall auch immer sein mögen. Tricky …

Eine schöne alte deutsche Wendung legt einem nahe, zuweilen doch mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Aber bei aller kontemporären, geradezu närrischen Liebe zu den Fakten: In diesem Rahmen werden Tatsachen, wie es scheint, durchaus höchst geringgeschätzt. Was bitteschön sind schon schnöde Tatsachen gegen hochfliegende Ambitionen? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 04-08-24 Fast fashion / Slow fashion

Sherlock Holmes im feinen Frack (Illustration im Strand von Sidney Paget 1901)

In letzter Zeit hat Bolle ja vermehrt auf die Mütze gekriegt: die Texte seien in der Tendenz zu überkandidelt, man müsse sich zu sehr reindenken, überhaupt seien die Modelle und die Graphiken zu schwer verständlich, und dergleichen mehr, of course. Bolle meint: Ihr habt ja Recht, und würde am liebsten mit Lessings ›Abschied an den Leser‹ (1751) parieren:

Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
So sei mir wenigstens für das verbunden,
Was ich zurück behielt.

Kurzum: es hätte schlimmer kommen können. Es gibt nun mal Zusammenhänge, die sind vergleichsweise einfach, und es gibt Zusammenhänge, die eher schwierig zu verstehen sind. Daneben gibt es Erklärungen, die verständlich sind, und solche, die ziemlich kauderwelschig sind. Damit kommen wir, wie so oft, auf vier Möglichkeiten. Das dumme daran ist, daß es stets der Leser ist, der entscheidet, was verständlich ist und was nicht. Für heute ginge das also zu weit.

Folglich begnügen wir uns mit einer 4-Felder-Tafel am harmlosen Beispiel von Fashion. Wenn man sich traut, klare, harte Schnitte zu machen, dann können Klamotten minderwertig sein oder hochwertig. Andererseits können sie tiefpreisig sein oder hochpreisig. Tertium non datur – eine dritte Möglichkeit gibt es nun mal nicht in einer dichotomen Welt.

Damit sieht das ganze aus wie folgt:

Fashion dichotomisiert.

Fehlt nur noch, ein paar knackige Begriffe in die weiß unterlegten Felder zu füllen. Nennen wir minderwertig/tiefpreisig also ›Fast Fashion‹ und hochwertig/hochpreisig ›Slow Fashion‹. Natürlich können hochwertige Klamotten ggf. auch günstig zu haben sein – Fein! Umgekehrt können minderwertige Klamotten auch zu einem stolzen Preis vermarktet werden. Das wäre dann also Grrr! Obwohl: das ist nicht das Schlechteste für Leute, die das Bedürfnis haben, sich – wenn schon nicht über den Geschmack, so doch zumindest über den Preis – vom Rest des Volkes abzuheben. In der Werbung heißt es dann, unfreiwillig komisch: Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.

Ursprünglich war Slow Fashion einmal „alternativlos“, wie man das heute nennen würde. So hat Bolle, vor vielen Jahren schon, in einem Benimm-Buch einmal gelesen, daß ein englischer Gentleman (ausdrücklich nicht beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einen neuen Anzug zunächst jahrelang nur bei sich zuhause in den eigenen vier Wänden getragen hat. Sich mit einem nigelnagelneuen Anzug in die Öffentlichkeit zu begeben, hätte man als schockierend ungentlemanlike, nachgerade dandyhaft  empfunden.

Und im 5. Kapitel – dies nur als Beispiel – von Sir Arthur Conan Doyles ›Hund von Baskerville‹ (1901/1902) erfahren wir, daß Sir Henry, obwohl 740.000 Pfund schwer – das entspricht heute einem Vermögen im dreistelligen Millionenbereich – gerade mal drei Paar Schuhe sein eigen nannte: alte schwarze, neue braune, sowie ein Paar Lackschuhe – wenn es einmal darum ging, sich stadtfein zu machen (vgl. dazu etwa das Bildchen oben). Das jedenfalls ist gelebte Slow Fashion.

Daß derlei nicht nur in der Literatur vorkommt, können wir sehr schön am Beispiel Bolle beobachten: Seinen letzten Mantel – seinen einzigen, wohlgemerkt – hat er 20 Jahre lang getragen. Allerdings nur im Winter, of course. Und seinen neuen Mantel trägt er seit nunmehr 12 Jahren. Dabei geht es ihm, wie wir erfahren konnten, mitnichten um ethisch hochwertiges Verhalten – als solches nämlich wird Slow Fashion zur Zeit hochgejubelt bzw. (Branchen-Sprech) vermarktet. Bolle hat einfach Null Neigung, pausenlos was anderes anzuziehen. Wenn man aber umgekehrt bedenkt, daß Fast Fashion angeblich für 8–10 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sein soll, kann einem schon etwas schwindelig zumute werden.

Manchmal wird Bolle wirklich ganz mulmig ums Herz, wenn er an die ganzen Hülsenfrüchtchen mit ihren wundgescheuerten Egos denken muß – an Leute also, die sich nur in neuer Klamotte wohlzufühlen meinen, auch wenn sie durchaus minderwertig ist. Dazu gibt es übrigens reichlich „Studien“. Insbesondere die sog. Generation Z steht in dem Ruf, hier eine ziemliche „Absichtslücke“ (intention-action-gap), wie rührige Soziologen das zuweilen nennen, aufzuweisen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 30-06-24 Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit trägt wirklich ein Forellenkleid

Theorie und Empirie — nicht ohne Interpretation.

Hier zur Abwechslung mal wieder ein Beitrag aus Bolles Bildungsprogramm. Man kann sich ja nicht immer nur um den Unfug kümmern, mit dem die Polit-Apparatschiks dieser Welt meinen, selbige in einen besseren Ort verwandeln zu müssen.

Keine Sorge. Wir müssen das Bildchen nicht völlig verstehen – vor allem nicht die Formel. Sie sagt einfach nur aus, daß die Masse eines Körpers mitnichten konstant ist, sondern daß sie mit der Geschwindigkeit, mit der der Körper sich bewegt, zunimmt. Das allein ist erstaunlich genug. Newton jedenfalls war das noch nicht klar. Demnach wäre jemand (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), wenn er mit einem Affenzahn durch die Gegend düst, schwerer (i.S.v. massereicher) als wenn er nur bräsig im Liegestuhl läge. Allerdings – und da kommen wir schnell wieder auf den Boden der Alltagserfahrung – müßte sich derjenige schon mit 40% der Lichtgeschwindigkeit bewegen, um auch nur 10% schwerer zu werden (siehe das Pünktchen in der Graphik). Die meisten von uns werden ein solches Tempo allerdings kaum jemals erreichen, of course.

Aber von praktischen Erwägungen einmal ganz abgesehen. Hier soll es uns um die drei Hauptzutaten jeglicher Wissenschaft gehen. Da hätten wir als erstes die Empirie. Im Grunde handelt es sich dabei um ein Frage/Antwort-Spiel zwischen Welt I („alles, was der Fall ist“) und Welt II (die Welt der Wahrnehmung und Bewertung) mit der Erkenntnis der „Fakten“. Als nächstes hätten wir in Welt III (dem Weltbild, das einer für zutreffend hält) die Theorie als Destillat aus der Fülle der Fakten: So ist es nun mal! Ob das auch stimmt, wissen wir allerdings nicht. Zum Drei-Welten-Modell vgl. übrigens am besten So 26-05-24 Das bessere Argument.

Nun ist es so, daß der Zusammenhang zwischen Masse und Geschwindigkeit von Einstein schon 1905 in seinem Aufsatz ›Zur Elektrodynamik bewegter Körper‹ im Kern postuliert und seitdem auch tausendmal empirisch bestätigt wurde. Es ist also so!

Allein, was soll das bedeuten? Hier kommen wir zur dritten im Bunde, der Interpretation. Die Interpretation führt, wie’s scheint, ein geradezu stiefmütterliches Dasein in der Welt der Wissenschaften.

So geht die G’schicht, man könne leider, leider das Universum wegen der Gegebenheit Lichtgeschwindigkeit nicht so recht bereisen. Wenn nämlich ein Raumschiff sich der Lichtgeschwindigkeit nähere, dann – so die G’schicht – steigere sich dessen Masse ins Unendliche, und damit auch die zum Antrieb benötigte Energie. Unendlich viel Energie aufzubringen aber sei rein technisch nun mal unmöglich. Also auch Reisen in ferne Gefilde.

Soweit klingt das plausibel. Aber ist es auch wahr im weiteren Sinne? Ein Blick auf die Graphik zeigt uns – und hier sind wir bei der Interpretation von Empirie und Theorie –, daß wir ja mitnichten mit Lichtgeschwindigkeit fliegen müssen. Bei zum Beispiel „nur“ 87% Lichtgeschwindigkeit kommen wir gerade einmal auf die doppelte Masse (vgl. dazu wieder das Pünktchen in der Graphik). Das aber dürfte technisch ohne weiteres beherrschbar sein. Demnach würde eine Reise zu beispielsweise Proxima Centauri – dem nächsten Stern im Universum – nicht 4 Jahre und 3 Monate dauern, sondern eben 4 Jahre und 11 Monate. Bolle findet: die 8 Monate machen den Kohl dann auch nicht mehr fett.

Das Problem ist also nicht die Unmöglichkeit, unendliche Energie aufzubringen, um ein bei Lichtgeschwindigkeit unendlich schweres Raumschiff anzutreiben. Das Problem ist vielmehr die Gegebenheit der Lichtgeschwindigkeit an sich. Das aber ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Soweit also zur Interpretation gegebener „Fakten“ bei gegebenem theoretischem Schliff. Die Welt ist voll von derlei, übrigens: Corönchen, Ukraine, Klima … – you name it. Überall führen die nackten Fakten zu nichts als Verwirrung.

Bolle hat sich nach einigem Hin und Her übrigens entschlossen, den schlichten Begriff ›G’schicht‹ zu verwenden, wo andere von ›Erzählung‹ oder gar von ›Narrativ‹ fabulieren. Gemeint ist damit stets das gleiche: Ein Deutungsmuster aus der unübersichtlichen Fülle der Erscheinungen. Thomas S. Kuhn hat in seinem Werk ›Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen‹ dafür übrigens 1962 schon den Begriff ›Paradigma‹ verwendet. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 02-06-24 Stramm auf Linie

Wahrlich ich sage Euch …

Heute können wir festhalten, daß der Wonnemonat Mai schon wieder zuende ist. Wir haben Juni. Das scheint – zumindest der üblichen Übereinkunft entsprechend – wahr zu sein. Allerdings handelt es sich hierbei auch um nichts Weltbewegendes. Heute ist halt der 2. Juni. So what?

Die Wahrheit, die ganze Wahrheit, und nichts als die Wahrheit – wie es bei Zeugenvernehmungen mitunter heißt, ist deutlich schwieriger zu fassen. Theoretisch streng genommen gar nicht (vgl. dazu unseren Beitrag von letzter Woche: So 26-05-24 Das bessere Argument). Was natürlich den Journalismus 2.0 – und hier in allererster Linie die sogenannten Faktenchecker – nicht davon abhält, sich selbst für im Inbegriff der reinen Wahrheit zu wähnen. Schließlich, so heißt es dann etwa, habe eine Studie selbiges ergeben. Ohne greifbare Studie tut es durchaus auch ein „Experte“, der im Gewande des Wissenschaftlers seine Meinung – mehr ist es meist nicht – als unumstößliches Faktum zum Besten gibt.

Wie wir ja wissen, gibt es immer vier Möglichkeiten. Man hält etwas für wahr – und die meisten anderen tun das auch (A1). Sozialpsychologisch unproblematisch. Ebenso verhält es sich mit B2. Interessant sind allein die Fälle A2 (Verschwörungsopfer) und B1 (Verblödungsopfer). Woher – das ist hier die Frage – nehmen die Linientreuen, also die A1-ler, ihre Zuversicht, daß sie im Vollbesitz der reinen Wahrheit sind und jeder, der die Dinge anders sieht, folglich (!) ein Verschwörungsopfer sein muß? Soviel Chuzpe muß man erst mal aufbringen. Bolle vermutet, daß das was mit kognitiver Kapazität zu tun hat. Aktuell etwa zeigt sich – langsam, aber immer sicherer –, daß so ziemlich alles, was uns während der Corönchen-Hysterie als reine Wahrheit aufgetischt wurde, sich als alles andere als wahr erwiesen hat. Die angeblichen Verschwörungsopfer hatten – leider kann man das kaum anders sagen – durch die Bank Recht.

Daraus könnte man was lernen. Könnte. Tut man aber nicht. Zur Zeit werden uns stramm linientreu die nächsten ultimativen Wahrheiten aufgetischt. Und jeder, der das nicht glauben mag, ist ein Verschwörungsopfer, of course.

Im Grunde könnten – beziehungsweise sollten sogar – an dieser Stelle irgendwann mal Lernprozesse einsetzen. Tun sie aber nicht. Das übrigens ist ein Punkt, der sehr für Bolles ›Mangelnde kognitive Kapazität‹-Theorem spricht.

Übrigens scheint es so zu sein, daß die Leute, die so verbissen an ihrem Zipfelchen Wahrheit hängen – beziehungsweise dem, was sie dafür halten –, genau die gleichen Leute sind, die völlig humorabstinent durchs Leben laufen. Beides nämlich scheint eine gewisse mentale Offenheit vorauszusetzen, die einem in diesem Universum leicht flötengehen kann. Um das zu erläutern, müßten wir unser Wirklich-Wahr-Schema allerdings auf 9 Felder erweitern (vgl. dazu etwa Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 26-05-24 Das bessere Argument

Die Welt in nuce

Man hat es wirklich nicht leicht. Aber umgekehrt kann es furchtbar leicht passieren, daß es, tout au contraire, einen hat. Wie nicht zuletzt in unserer kleinen Veranschaulichung der ganz grundsätzlichen Gegebenheiten einer Welt in nuce (im Nußschälchen, sozusagen) zu sehen ist.

Bei Welt I handelt es sich, in Wittgensteins Worten, um „alles, was der Fall ist“ – also wirklich einfach alles. Damit ist Welt I ebenso vollständig wie undurchsichtig. Eine black box also im besten Sinne des Wortes. Man kann handelnd auf sie einwirken und man kann, in Welt II, ihre Reaktionen wahrnehmen. Man kann aber nicht reingucken – und damit niemals wirklich wissen, wie es um sie steht. Im übrigen würde einem, wenn man es doch könnte, vermutlich unversehens der Schädel platzen.

Bei Welt III handelt es sich um das Weltbild, das einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) mit sich durchs Leben trägt und das sein Handeln, also seinen Umgang mit der Welt, bestimmt. Das Ziel ist dabei regelmäßig eine Zustandsverbesserung bzw. zumindest die Vermeidung einer Verschlechterung. Ökonomen nennen derlei Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung, Max Weber nennt es Gesinnungs- bzw. Verantwortungsethik, wieder andere nennen es neuerdings Self-Optimization, und so weiter, und so fort.

Wie kommt die Welt III zustande? Nun, im Grunde ist sie das Destillat aller jemals wahrgenommenen und in erwünscht (W+) bzw. unerwünscht (W) eingeteilten und bewerteten Sinneseindrücke in Welt II. Welt III ist also das Ergebnis einer Modellierung und verläuft obendrein überwiegend unbewußt. Gleichwohl neigen die meisten Leute dazu zu meinen, die Welt sei nun mal so – nur weil sie sie sich so ausgedacht haben.

Nehmen wir – weil es dieser Tage naheliegt – die Wahlen zum EU-Parlament. Die einen halten die EU für einen dysfunktionalen Hirnfurz, der von Anfang an nie hat funktionieren können, tatsächlich noch nie funktioniert hat und auch zukünftig niemals funktionieren wird. Andere wiederum halten, tout au contraire, die EU für eine hochwohllöbliche Angelegenheit, die es nach Kräften zu stärken gelte.

Da beide Positionen nur schwerlich in Einklang zu bringen sind, befehden sich die Vertreter beider Lager bis aufs sprichwörtliche Messer und sprechen einander wechselweise den nötigen Verstand ab beziehungsweise zumindest die Fähigkeit, derlei überhaupt beurteilen zu können.

Und? Wer hat Recht? Die Antwort ist ebenso schlicht wie ergreifend: Wir wissen es nicht. Bei Geschichte im Allgemeinen und der EU im Besonderen handelt es sich um einen Such- und Finde-Prozeß mit völlig offenem Ausgang. Was funktioniert, hat Recht. Was nicht funktioniert, mendelt sich aus – und sei es noch so moralisch hochstehend. Letzteres wiederum würden manche als „Sozialdarwinismus“ weit von sich weisen wollen. Auch hier also wieder: Welt III in voller Aktion.

Was die Leute allerdings nicht davon abhält, sich auf die Suche nach dem „besseren Argument“ zu begeben – als ob man jemanden, der nun mal in einer alternativen Welt III lebt, ausgerechnet mit Argumenten eines Besseren belehren oder gar bekehren könnte.

Neulich etwa hat eines dieser Faktenchecker-Portale – das sind Leute, die meinen, daß man die Wahrheit ausrechnen und erkennen kann, wenn einem nur genügend Fakten vorliegen – eine KI gefragt, ob ein gegebenes Land eine „Diktatur“ sei. Die Antwort der KI: das hänge von der Definition ab. Da war natürlich die Empörung groß. Man gibt sich alle Mühe und zimmert sich in seiner Welt III die Vorstellung zurecht, daß besagtes Land selbstverständlich eine Diktatur sei und bittet dann eine KI – wohl eher teils der Form, teils der Bestätigung halber – um entsprechende Rückmeldung. Und dann sowas. Das hänge von der Definition ab. Da muß man sich ja verärgert fühlen. Alternativ könnte man allerdings noch auf die Idee kommen, daß man selbst sich möglicherweise eine allzu schlicht gestrickte Welt III zusammengezimmert hat. Das aber wäre dann doch wohl viel zu schmerzlich. Also besser auf der KI rumhacken. Das fühlt sich zumindest besser an.

Bolle fühlt sich hier übrigens entfernt an Alan Turing erinnert, der seinerzeit meinte: Eine wirklich intelligente Maschine ist eine Maschine, die zu dem Schluß kommt, daß Menschen nicht denken können (vgl. dazu Fr 22-01-21 Vom Wollen und Verwirklichen). Furchtbar lange wird das kaum noch dauern können, bis es soweit ist. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 19-05-24 Stuck state oder abflußfrei …?

Lang ist der Weg und kurz das Streben …

Abflußfrei ist ein herrliches Wort. Zum einen – und meistens ist wohl das gemeint – kann es bedeuten, daß der Abfluß frei ist – daß also Sachen oder Dinge, die nicht länger gebraucht werden, sich flüssig flugs entfernen können.

Andererseits kann es aber, tout au contraire, auch bedeuten, daß ein System frei von Abflüssen jeglicher Art ist. Die Folge ist, schau, schau, ein Stau. Was tun, sprach Zeus? Nun, wenn es schon nicht gelingen will, den Abfluß frei zu kriegen, dann sollte man wenigstens versuchen, den Zulauf einzudämmen.

Letztlich ist es wohl eine Frage des Gleichgewichts, beziehungsweise es geht, wie eine chinesische Weisheit das auszudrücken pflegt, darum, seine Mitte nicht zu verlieren. Womit wir bei unserem Schildchen wären: Von der Gosse zu den Sternen ist’s kein bequemer Weg – wobei die Gosse gar nicht mal so schlecht zum Abfluß paßt.

Vor Jahren einmal hatte Bolle das Schnäuzchen gestrichen voll: Statt sich den ganzen Tag von wahnsinnig wichtigen Nuhs zudröhnen zu lassen, hatte er sich eine regelrechte Null-Diät auferlegt und gar keinen diesbezüglichen Input mehr zugelassen. Und? Hat er was versäumt? Wohl kaum. Bolle kann sich recht gut erinnern, wie ein Kommilitone beim Mensa-Plausch mit den krassesten Neuigkeiten rüberkam. Bolle konnte alles, wirklich alles, als entweder höchst absehbar oder recht trivial abtun – oft genug beides. Verpaßt hatte er offenbar nichts, rein gar nichts. Na also – geht doch, wird er sich damals gedacht haben.

Wirklich wirken in der Welt kann man demnach wohl nur, wenn man versucht, die Fülle der Erscheinungen auf ihren jeweiligen Nucleus granuli, den Kern vons Körnchen sozusagen, zurückzuführen. Das mag zwar anstrengender sein – Denken tut ja bekanntlich weh –, letztlich aber ist es wohl befriedigender.

Mit Meinungsfreiheit verhält es sich übrigens recht analog. Meinungsfreiheit kann bedeuten, daß einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) seine Meinung frei äußern kann, ohne übermäßige Repressalien fürchten zu müssen. Meinungsfreiheit könnte aber auch bedeuten, daß einer völlig frei von jeglicher Meinung ist – zumindest von einer in irgendeiner Weise abweichenden Meinung. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 18-12-22 Das achtzehnte Türchen – der vierte Advent …

Murphy totalmente …

Bekanntlich gibt es immer zwei Möglichkeiten. Zumindest in einer dichotomen Welt ist das so. Gleichzeitig bedeutet das, daß es in einer zweidimensionalen dichotomen Welt immer vier Möglichkeiten gibt. So auch hier. ›Etwas‹ – in der 4-Felder-Tafel etwas hochtrabend ›System‹ genannt – kann entweder funktionieren oder nicht funktionieren. Und es ist möglich, daß man weiß, warum es funktioniert oder nicht funktioniert. Oder man weiß es eben nicht.

Wenn etwas funktioniert und man weiß warum (Fall #1), ist alles fein. Der Fall, daß etwas nicht funktioniert, man aber weiß, warum das so ist (Fall #2), ist weniger schön. In diesem Fall muß man den Fehler halt beheben, das System reparieren. Wenn etwas nicht funktioniert und man weiß nicht warum (Fall #4), dann ist die sprichwörtliche Kacke am Dampfen. So etwas führt unmittelbar zu innerer Unruhe. Hier hilft es nur, solange zu insistieren, bis man weiß, warum es nicht funktioniert. Rücke vor zu Fall #2, sozusagen. Oft genug allerdings reichen die eigenen Fähigkeiten nicht aus und man ist auf fremde Hilfe angewiesen. Immerhin ist das allemal besser als mit nicht-funktionierenden Systemen zu arbeiten – was ja schließlich per se sinnlos wäre.

Eine sehr eigenartige Konstellation ist Fall #3. Etwas funktioniert, wir haben aber keine Ahnung, warum. Hier scheiden sich die Geister. Während die einen froh sind, daß es überhaupt funktioniert und die Gründe hierfür Gründe sein lassen, gibt es andere, die so etwas schier in den Wahnsinn treibt. Es soll so mancher schon bei der Erklärungssuche so lange am System rumgefummelt haben, bis es schließlich nicht mehr funktioniert hat. Immerhin wußte er (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) dann, warum und fühlte sich gleich besser. So weit würde Bolle – bei aller Aversion gegen Fall #3 – dann allerdings lieber doch nicht gehen wollen. Manchmal muß man eben einfach ganz pragmatisch die sprichwörtlichen Fünfe gerade sein lassen.

Natürlich gibt es im richtigen Leben oft doch noch mehr Möglichkeiten als in der binären Logik. So kann es etwa sein, daß etwas nicht funktioniert und man weiß nicht, daß es nicht funktioniert. Die Warum-Frage stellt sich hier also gar nicht erst. Genau das ist uns vorgestern abend passiert. Die Ankündigungs-Email war geschrieben, ins System eingetütet – und tschüß. Sollte man meinen. Daß sie aber nicht ankommen würde wie vorgesehen, hatte sich erst am nächsten Morgen herausgestellt. Und schon waren wir wieder in vertrauten Bahnen – in diesem Falle Fall #4. Nach ein bißchen Insistieren sind wir dann über Fall #2 zu Fall #1 gekommen: es funktioniert und wir wissen, warum. Zumindest wollen wir davon bis zum Erweis des Gegenteiles ausgehen.

Was das alles mit der Adventszeit, der Ankunft des Heilands der Christenmenschen zu tun hat? Nun, wenn wir uns zu Weihnachten nicht zuletzt auch ›Frieden‹ wünschen, sollten wir nicht vergessen, daß es beim Navigieren durch die 4-Felder-Tafel auch um eine Art von Frieden geht, die wir aus rein kontemplativen Gründen niemals geringschätzen sollten: Den Seelenfrieden – wie ihn unseres Wissens Robert M. Pirsig in seinem ›Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten‹ (1974) präsentiert und popularisiert hat. Wir werden morgen oder in den nächsten Tagen darauf eingehen. Für heute aber wär das dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 17-12-22 Das siebzehnte Türchen …

Das kann man so sehen – oder so …

Wir haben uns in diesem Jahr hier in unserem agnostisch-kontemplativen Adventskalender noch nicht ein einziges mal dem Thema ›Corönchen‹ zugewendet. Und das soll auch so bleiben. Schließlich hat sich die Lage – von gewissen Resterscheinungen etwa in den Öffis sowie wackeren „Get vaccinated“-Appellen seitens offizieller Stellen einmal abgesehen – ja auch wieder weitestgehend beruhigt. Man kann wieder ohne Negativ-Nachweis und ohne Maskenmätzchen auf den Weihnachtsmarkt – ja, man darf dort sogar wieder einen Glühwein trinken.

Aus der Distanz betrachtet stellt sich Bolle der ganze, völlig unweihnachtliche Zauber letztlich als Ausfluß des Weltbildes oder zumindest des Körperbildes dar. Für Bolles lieben guten alten Yogalehrer ist der Körper der Tempel, den seine Eleven – nicht anders als andere Leute auch – nun mal brauchen, um sich auf und in der Welt bewegen zu können. In dieser Welt sind Viren schlechterdings nicht definiert. Was aber, wenn trotzdem einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einen Schnupfen kriegt? Dann ist das halt so. Schließlich hat auch der schönste Tempel von Zeit zu Zeit einen gewissen Renovierungsbedarf. Und wenn er daran sogar stirbt? Auch dann ist das halt so. So ein bißchen sterben kann einen echten Yogi nicht umhauen – wie der Meister stets, wenn auch mit rechtem Schalk im Auge, betont hat. Wieder eine Episode im ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens abgeschlossen.

Ganz anders die kontemporär-modernistische medizinisch-wissenschaftliche Sicht. Hier leben wir in einer Welt voller Widrigkeiten. An jeder Ecke lauern tödliche Gefahren. Ein mal nicht aufgepaßt, einmal die Impfung versemmelt – und zack, schon ist man tot. Wie furchtbar! Nicht einmal der Wetterbericht, der Bolle mehrmals täglich auf sein Handy flattert, kommt ohne dauernde „Warnungen“ aus. Da wird vor Hitze gewarnt, vor Kälte, vor Glätte, vor Regen, vor Sturm … Kurzum: vor dem Wetter an sich. „Volk unter Strom“ hat Bolle das an anderer Stelle einmal genannt.

Aber ist das nicht alles reichlich zynisch? Das wiederum hängt, wie so oft, schwer davon ab, was wir uns unter ›zynisch‹ vorstellen wollen. Ursprünglich, bei Diogenes und den anderen Kynikern – also den Vorläufern der Stoa – hatte man darunter die Einsicht verstanden, daß es keinen Sinn macht, sich das Leben mit der Angst vor dem Tode zu vermiesen. Und da ist durchaus was dran. Die moderne Deutung nebst pejorativem Beiklang (›Gefühllosigkeit gegenüber den Leiden anderer‹) kam jedenfalls erst sehr viel später auf – was unter den gegebenen Umständen natürlich nicht weiter verwundern kann. Gleichwohl bleibt es dabei: Hier haben die Kyniker bzw. die späteren Stoiker durchaus einen Punkt (wie man so etwas heutzutage zu nennen pflegt).

Die kontemplative Grundeinsicht – nämlich daß wir sterbliche Wesen sind und daß es uns ohnehin nicht vergönnt ist, uns mehr als nur eine sehr, sehr kurze Spanne auf dieser Wonderful World (Satchmo 1967) zu tummeln, und daß wir folglich nicht allzu viel Wind um das eigene Dasein machen sollten – vor allem dann nicht, wenn wir damit das Leben verfehlen – kann da schon mal leicht ins Hintertreffen geraten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.