Plärr. Schepper. Peng. Auf Bolles Handy war die Hölle los. „Aus! Aus! Mach aus! Braav …“. Das kennt Bolle noch aus seiner Zeit als peripherer Hunde-Dompteur. Hier war es im Prinzip nicht anders. Für den eigentlichen Inhalt des Getöses bleibt da naturgemäß recht wenig Raum und Sinn. Wozu auch? Was kann schon so wichtig sein, einen Schentelman (Kurt Tucholsky 1930) beim Tee – oder bei was auch immer – so rüde zu belästigen? Und was sollte da schon kommen? „Atomraketen am Himmel über Berlin. Begeben Sie sich in Ihren nächsten Bunker. Sie haben 2 Minuten 30 Sekunden Zeit.“ Na toll!
Bolle hält es hier, wie auch sonst, mit Natsume Sôseki (1867−1916):
Ein wahrer Mönch wahrt seine Mittagsruhe.
Auch wenn draußen die Welt untergeht.
Auch hatte Bolle vor geraumer Zeit schon versucht, all diesen Unsinn nach Kräften zu deaktivieren.
Allein es hat nicht wollen fruchten. Alarme der sogenannten „Warnstufe 1“ sind einfach nicht abschaltbar. Jeder, wirklich jeder, wenn er nicht gerade ein Uralt-Handy hat, soll in den Genuß des vollen „Weckeffektes“ – wie es beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe heißt – kommen.
Immerhin – eine handyschonende Möglichkeit gibt es doch. Einfach ausschalten oder zumindest in den Flugmodus gehen. Dann nämlich ist Ruhe. Ein kleiner Klick für den Menschen – aber ein Riesenschritt für die Menschlichkeit.
Manche meinen ja, der Nachteil dieser Methode sei, daß man auch für andere Nachrichten vorübergehend nicht erreichbar sei. Ach was? Sag bloß. Wer sein Leben so eingerichtet hat, daß ihm 10 Minuten, oder weniger, Handy-Abstinenz ernstlich Kummer bereiten, der sollte sowieso mal gründlich in sich gehen. Bolle empfiehlt hier einen Grundkurs Kontemplation.
Davon mal ganz abgesehen. Wieso muß der „Weckeffekt“ so laut und so ätzend sein, daß man sich ernstlich Sorgen um seinen Lautsprecher machen muß? Eine mögliche Erklärung wäre, daß die Verantwortlichen davon ausgehen, daß das Volk im großen und ganzen regelmäßig im Tiefschlaf ist – aus dem man es wirklich nur mit drastischen Mitteln aufwecken oder schrecken kann. Denkbar wär’s.
Eine andere Erklärung wäre, daß es schlechterdings Leute gibt, die es einfach klasse finden, das Volk unter Dauerstrom zu halten. Wahrlich, wir sagen Euch: Die Welt ist ein wilder, wüster und wahnsinnig gefährlicher Ort. Aber seid unbesorgt: Wir helfen, retten, schützen Euch und all die Schäfchen drumherum. Bolle könnt‘ kotzen, of course.
Solche Formen von obrigkeitlichem Paternalismus haben wir ja während der Corönchen-Hysterie hinreichend einüben dürfen. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) versteht darunter übrigens eine autoritäre Herrschaftsform, bei der der Herrschende sich Vormundschaft gegenüber dem Beherrschten anmaßt; vermeintlich väterlich wohlwollende, jedoch bevormundende, autoritäre Haltung einer Regierung gegenüber den Bürgern […]. Bolle meint, das paßt wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer.
Vor gut hundert Jahren übrigens hieß die Mode-Diagnose für Leute, denen die Welt zu laut und zu lärmend war, und die sich nicht dagegen zu wehren wußten, Neurasthenie (wörtlich Nervenschwäche). Spötter meinten seinerzeit:
Raste nie und haste nie, sonst haste die Neurasthenie.
Die Empfehlung könnte ja glatt von Bolle sein. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.