Mo 25-11-19 „Umverteilung“

Ich erwarte, dass die Politik der Umverteilung, die wir in den vergangenen zwei Jahren der Großen Koalition erlebt haben, beendet wird.

Gefunden in Garbor Steingarts Morning Briefing. Wer hat’s gesagt? Astrid Hamker, Familienunternehmerin und neue Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrates, nach dem CDU-Parteitag in Leipzig. Im Folgenden erfahren wir:

Sie legt der CDU nahe, wieder zu ihren Wurzeln zurückzukehren. Es sei eine wirtschaftspolitische Priorität, „die Leistungsträger“ – und hier vor allem die Unternehmer des Mittelstandeszu entlasten. Dabei gehe es nicht um Begünstigungen, sondern um „Wertschätzung“.

Selbstredend spricht rein gar nichts dagegen, den „Leistungsträgern“ ein gebührendes Maß an „Wertschätzung“ entgegenzubringen. Allerdings ist Wertschätzung keine ökonomische Kategorie – jedenfalls nicht unmittelbar. Für die Wertschätzung, die eine Volkswirtschaft ihren Wirtschaftssubjekten entgegenbringt – egal ob Unternehmer, Geldverleiher oder Arbeitnehmer – gibt es unter den Bedingungen freier Marktsteuerung ein recht valides Maß: Nämlich das Einkommen – egal ob Gewinn-, Zins- oder Lohneinkommen – das einer mit seiner Tätigkeit erzielt. Hier soll sich, wenn wir Frau Hamker richtig verstehen, der Staat nicht über Gebühr einmischen – insbesondere also nicht „umverteilen“. Damit sind wir umstandslos beim obersten Gebot Freier Marktwirtschaft: Was der Markt verteilt, das soll der Staat nicht „umverteilen“. Natürlich gibt es hierfür auch tüchtig theoretische Unterfütterung: So spricht etwa Eucken, einer der „Väter“ des Ordo-Liberalismus, von einem „ethisch-gleichgültigen Automatismus“ des Marktes und folgert, dies sei die Bedingung für die „Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit“, denn nur er – also „der Markt“ – vergebe das Einkommen entsprechend der für die Konsumentinnen und Konsumenten tatsächlich erbrachten Leistung. Der Markt – präziser: Freie Markt­steuerung – sorgt demnach nicht nur für das denkbar bestmögliche Ergebnis überhaupt, sie entbindet uns auch von jeglicher ethischen Bewertung. Volkswirtschaftslehre als Teildisziplin der Moralwissenschaften, als die sie noch von Pigou, Marshall und letztlich auch Keynes aufgefaßt wurde, wäre nach dieser Auffassung definitiv überholt. Dabei wird »soziale Gerechtigkeit« hier offenbar im Sinne von „suum cuique“ (jedem das Seine) verstanden: Jeder verdient (im Sinne von Einkommen), was er verdient bzw. was er sich verdient hat (im Sinne von „tatsächlich erbrachter Leistung“). Der Markt als iustitia ex machina, sozusagen: Der Markt als „Gerechtigkeits-Maschinchen“. Immer bereit – und allzeit „gerecht“. Das Problem an dieser Stelle: Das alles gilt nur, solange wir es mit einem „Bilderbuch-Markt“ zu haben – einem Markt also, der „tatsächlich“ so funktioniert, wie uns das die Ökonomen seit Jahrhunderten aufgrund hanebüchen simpler Modelle einzureden versuchen. Angefangen hat alles mit Adam Smith’s – übrigens übelst instrumentalisierter – „invisible hand“. Dumm nur, daß „der Markt“ genau so eben nicht funktioniert. „Der Markt“ ist im richtigen Leben mitnichten der „große Ausgleicher“, der er vorgeblich sein soll. Was dann? Tatsächlich sorgt Freie Marksteuerung für eine veritable Spaltungsdynamik – ganz nach dem Matthäus-Prinzip: Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden (Matth. 25, 29). Es hätte alles so schön sein können, wenn der Markt „in real life“ so funktionieren würde, wie wir das bilderbuchmäßig unterstellt haben – und zuweilen, siehe oben, immer noch unterstellen. So aber muß es heißen: Vergiß das „Gerechtigkeits-Maschinchen“ und löse Dich von Deiner Entscheidungsfaulheit – um nicht zu sagen: Entscheidungsfeigheit – und kümmere Dich um ein tragfähiges Konzept, wie Wirtschaft funktionieren soll und vor allem darum, was dabei für wen und in welcher Weise her­auskommen soll. „Der Markt“ alleine wird es nicht richten (können) – dazu ist er viel zu schlicht gestrickt. „Der Markt“ ist nicht mehr als ein Regelkreis (in zeitgenössischer Diktion: ein Algorithmus) – und mitnichten ein „Gerechtigkeits-Maschin­chen“. Wir sollten ihn nicht überfordern – und dabei vor allem nicht mehr von ihm erwarten, als er „tatsächlich“ auch leisten kann. Was das alles mit „CDU“ bzw. deren „Wurzeln“ zu tun haben sollen, will sich Bolle übrigens beim besten Willen nicht erschließen. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Do 21-11-19 Pflege-Proportionen

Pflegeversicherung dürfte bis 2050 erheblich teurer werden

So hat das Spiegel Online, das Sturmgeschütz der Ochlokratie, dem interessierten Volke heute unter der Dachzeile »Studie« verkündet. Bolle hält das für eine ausgemachte „Null-News“. Ebenso gut hätte man verkünden können: „Bis 2050 geht die Sonne im Osten auf.“ Nur zum Vergleich: „Pflegeversicherung dürfte bis 2050 erheblich billiger werden“ – das wäre eine Nachricht gewesen. Aber so? Auch fragt sich Bolle: Wieso, um alles in der Welt, braucht man für Selbstverständlichkeiten eigens eine „Studie“? Im folgenden erfahren wir:

Bereits jetzt kommt die gesetzliche Pflegeversicherung nur für einen Teil der Pflegekosten auf. Mehr als die Hälfte müssen Betroffene oftmals bereits selbst für Unterkunft oder Verpflegung im Pflegeheim tragen.

Das geht deutlich klarer – auch ohne „Studie“. Die „Pflegekosten“ teilen sich im wesentlichen auf in (1) medizinische Betreuung, (2) Unterkunft und (3) Verpflegung. Die Leiterin eines Pflegeheimes hat es Bolle vor einiger Zeit offen ins Gesicht gesagt: In den Kosten für ein Pflegeheim seien schließlich die „Hotelkosten“ inbegriffen. Stimmt ja wohl auch. Trotzdem: Na toll. Bolle fragt sich: Warum sind dann die absehbar anfallenden „Hotelkosten“ in den Beiträgen zur Pflegeversicherung nicht „eingepreist“? Gegenwärtig läuft das Spiel wie folgt: Stationäre Pflege im sog. „Pflegegrad 2“ kostet (bei „Buchung“ eines Doppelzimmers) 94,61 Euro pro Tag. Bei mittleren 30,42 Tagen pro Monat macht das 2.878 Euro pro Monat. Davon „leistet“ die Pflegekasse 770 Euro. Der Rest, also 2.108 Euro pro Monat, ist der sog. Eigenanteil des „Bewohners“ – man könnte auch sagen: des „Hotelgastes“. Die Pflegeversicherung kommt also gerade mal für etwa ein viertel der anfallenden Kosten auf (770 / 2.878 = 27%). Umgekehrt gewendet: Wenn die Pflegeversicherung die Kosten der Pflege abdecken soll – dafür ist eine Versicherung im Grunde ja da –, dann müßte der Beitrag vier mal so hoch liegen wie bislang. Bolle fragt sich: Welcher Rentner aus unteren oder mittleren Schichten ist in der Lage, bei einer schmalen Rente (oft genug in Nähe des Hartz-IV-Niveaus) monatlich 2.108 Euro aufzubringen? Die Antwort: wenige – sehr wenige. Also zahlt das Sozialamt. Zunächst aber ist der „Pflegebedürftige“ bzw. seine Angehörigen darauf verwiesen, seine oder ihre letzten ihre Spargroschen (falls vorhanden) zu verwenden. Falls sich das jemand immer noch nicht vorstellen kann: Bei 20 Jahren Pflegeheim kommen wir auf gut eine halbe Million Euro Pflege- und „Hotel“-Kosten. So viel hat mancher in seinem ganzen Leben noch nicht verdient.

Die Bertelsmann Stiftung verlangt einen „Generationenausgleich“ innerhalb des bestehenden Systems der Pflegeversicherung.

Mit „Generationenausgleich“ – da ist sich Bolle sicher – hat das alles nichts zu tun. Die betroffenen „Pflegebedürftigen“ bzw. deren Angehörigen gehen auch so pleite – ganz ohne „Studie“ und, wenn es denn sein muß, auch ohne Pflegeversicherung. Wir erinnern uns: Die Pflegeversicherung wurde 1995 eingeführt (und im SGB XI kodifiziert), um die Kosten der Krankenversicherung optisch geringer zu halten. Jetzt, so scheint es, wird die Pflegeversicherung dazu mißbraucht, die Kosten der Pflege – inklusive „Hotelkosten“, versteht sich – optisch gering zu halten. Ein Spiel der „aufrechten Demokraten“, das natürlich nicht aufgehen kann und wird. Was tun, sprach Zeus? Happy Pill ? Mehr rauchen, vielleicht, um sich 20 Jahre rumdümpeln im Pflegeheim zu ersparen – eine „proaktive“ Maßnahme für „sozialverträgliches Frühableben“ (Karsten Vilmar / Unwort des Jahres 1998) sozusagen? Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mo 18-11-19 Catch as catch can

Sobald es im Berufsleben anstrengender wird, ducken sich Frauen gern weg. Sie seien eben nicht so machtgeil wie Männer, sagen sie dann.

Gefunden auf Spiegel Online, dem Sturmgeschütz der Ochlokratie. Der Beitrag ist allerdings schon vom 9. Oktober 2018 – also immerhin über 1 Jahr alt. Im folgenden erfahren wir:

Vor einiger Zeit saß ich mit zwei Freundinnen zusammen. Es ging um das Thema Altersvorsorge. Sie erzählten von ihrem Rentenbescheid, wonach sie rund 800 Euro Rente erhalten würden, wenn sie die nächsten 25 Jahre so weiterarbeiteten wie bisher.

„Mit Freundinnen zusammenzusitzen“, da ist sich Bolle sicher, gilt in der Tat nicht als Anrechnungszeit im rentenrechtlichen Sinne. Also, was tun? „Machtgeiler“ werden, etwa?

Ich sagte erst mal gar nichts.

Bolle meint: Recht so. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Einfach mal Klappe halten – namentlich in aussichtslosen Lagen.

Das Gespräch drehte sich weiter, es ging um die Frage, ob man zur Altersabsicherung nicht doch eine Wohnung oder ein Haus kaufen solle, auch wenn man nicht genug verdiene.

Kieken wa ma, was die Bank zu solchen Plänen sagt. So richtig aussichtsreich klingt das nicht. Doch halt! Rettung naht.

Aber vielleicht werde der Ehemann ja demnächst mehr verdienen, das wäre doch schön.

In der Tat. Das wäre schön. Bleibt nur zu hoffen, daß er das mehr Verdiente im Zuge seines absehbar zu erwartenden „zweiten Frühlings“ – der mittlerweile ja gesellschaftlich voll und ganz akzeptiert ist – nicht in eine soziale Verjüngungskur stecken wird. Neue Familie, neues Leben. Ciao, Bella.

Das war zu viel für mich.

Recht so. Das ist in der Tat „zu viel“. In schwächeren Momenten denkt Bolle, daß es schon seine Richtigkeit damit haben könnte, daß nicht auch noch jede Frau „so machtgeil wie Männer“ ist. Mit den Machos haben wir schon genug zu tun. Wenn Können und vielleicht sogar Weisheit wenigstens mit der „Machtgeilheit“ mithalten würden. So wie’s aussieht, ist das allerdings nicht unbedingt der Fall.

In der mir eigenen, sehr direkten Art fragte ich die beiden Freundinnen, ob ihnen erstens klar sei, dass sie ihre Rente versteuern müssten, also weniger als 800 Euro bekämen.

Fake News! Bei 800 Euro muß gegenwärtig niemand groß was versteuern. Da ist der – übrigens bundesverfassungsgerichtlich abgesicherte – Freibetrag vor (BVerfGE 82, 60 aus 1990). Das Problem ist also nicht die Steuer – sondern vielmehr das erbarmenswürdige Einkommen an sich.

Und ob sie auch mal in Erwägung gezogen hätten, sich selbst darum zu kümmern, dass genügend Geld für den Hauskauf, das Alter und generell für den Rest des Lebens vorhanden sei. Sich also nicht auf den Mann an ihrer Seite zu verlassen.

Völlig richtig, das. Unter den gegebenen sozio-ökonomischen Bedingungen ist das in der Tat der womöglich einzig gangbare Weg. Allerdings ist das leichter gesagt als getan.

Ich gebe zu, ich bin familiär vorbelastet.

Ich gebe zu, meint Bolle, bin intellektuell vorbelastet. Dieses Spiel ist nicht zu gewinnen. Vor allem dann nicht, wenn man sich den Schuh anzieht, daß jeder und jede seines oder ihres Glückes Schmied ist. Die Individualisierung der Verantwortung in einer systemisch verstrickten Gesellschaft – spätestens 2005 von Altkanzler Schröder im Rahmen seiner unsäglichen „Hartz“-Gesetze eingeführt – führt absehbar zu rein gar nichts – außer zu catch as catch can, einem Spiel, in dem die „Machtgeilen“ zwar nicht unbedingt gewinnen, sich aber immerhin dem Gefühl hingeben können, daß alles rechts und links neben ihnen noch schneller untergeht. Formal gesehen haben wir es also einmal mehr mit einem Nash-Gleichgewicht zu tun. Also, ihr Freundinnen: Macht es wie unser Altkanzler und sucht Euch einen schicken Job bei Gazprom. Dann klappt das auch mit dem Häuschen – notfalls auch völlig männerfrei. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Fr 15-11-19 Nachtrag AKK sozial

Wir haben ein Sicherungssystem aufgebaut, das heute an die Grenzen des Machbaren und Möglichen stößt.

Die Tagesspiegel Morgenlage erweist sich heute als ausgesprochen ergiebig – so daß uns ein zweiter Nachtrag angebracht erscheint. Hier also ein Spruch der CDU-Cheffin Annegret Kramp-Karrenbauer, die demnach vorhat, in 2020 „das Sozialsystem auf Kosten und Leistungen zu überprüfen“. Abgesehen von der Frage: „Was geht die das an?“ drängt sich aus Bolles Sicht eine noch viel gravierendere Frage auf: Begünstigte des „Sicherungssystems“ leisten, grob gesagt, nichts. Das liegt nun mal im Wesen eines Sicherungssystems. Wenn wir jetzt „Kosten und Leistungen überprüfen“, dann kann das nur – da ist sich Bolle sicher – darauf hinauslaufen, daß die Kosten die Leistungen übersteigen. Wenn wir nun „überprüfen“ mit „ins Gleichgewicht bringen“ übersetzen (Bolle ist ein ausgesprochener „Schwurbel-Sprech“-Hater), dann kann das konsequenterweise nur heißen, daß „wir“ die „Leistungen“ auf Null zurückfahren. Helmut Kohl hätte sich solche Sprüche nie getraut. Chapeau! In diesen und ähnlichen Zusammenhängen erinnert Bolle gerne daran, daß „wir“ in einer Volkswirtschaft leben, deren Güterberg Jahr für Jahr mit schönster Zuverlässigkeit wächst. Der zu verteilende „Kuchen“ wird also immer größer. Gleichzeitig haben „wir“ es fertiggebracht, daß die Krümel, die das untere Drittel der Gesellschaft abbekommt, seit Jahrzehnten mit minder schöner Zuverlässigkeit weniger werden. Na toll. Was das mit „Grenzen des Machbaren und Möglichen“ zu tun haben soll, will sich Bolle beim besten Willen nicht erhellen. Bolles „free advice“ an die CDU-Cheffin: First of all, get your army running – aber achte dabei ein wenig darauf, daß nicht wieder alle Schiß vor Deutschland kriegen. Internationale „Verantwortung“ hin oder her. Deine offenkundigen Karriere-Ambitionen klären wir später. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Fr 15-11-19 Nachtrag Klima

Mit den heute bestehenden Klimazielen der Welt würde sich die Erde um drei Grad erwärmen. Das heißt, wir sind mit unseren Zielsetzungen noch längst nicht da insgesamt, wo wir hinmüssen.

Zusätzlich gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage unter „Zitate“. Wer hat’s gesagt? Unsere Kanzlerin. Kiek ma eener an. Mit den »Zielen« sind wir noch nicht „da insgesamt“, wo wir hinmüssen. Bolle fragt sich: Wie steht’s denn dann mit dem »Plan« – also der Verwirklichung eben dieser Ziele? In düstereren Momenten verweist Bolle gerne auf den Managementzirkel und dabei, in Anlehnung an das Lieblingsspiel seiner Jungend, auf die Option „Rücke vor bis auf »Exit«. Gehe nicht über »Schritte«, Pfeil b). Damit ist das Problem zwar inhaltlich nicht gelöst – aber immerhin formal. Das Klima läßt grüßen. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Fr 15-11-19 Kohleausstieg

Worüber dürfte es noch Streit geben? Das 40-Milliarden-Paket für die Kohleausstiegs-Länder. Die Summe steht zwar, etwa zwei Milliarden werden es bis 2038 jährlich sein. Der Knackpunkt ist jetzt, wie das Geld verteilt wird.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage. Das erinnert doch ein wenig an das „Bahn-Management“ (vgl. »Di 12-11-19 Die Bahn«). Dort war es so, daß man nicht einmal weiß, wo man steht (fehlende »Ist-Analyse«). Hier ist es so, daß man nicht weiß, wo genau man eigentlich hin will (fehlende »Ziel-Definition«). Doch halt: Das läßt sich retten – und zwar, indem wir das „40-Milliarden-Paket“ bzw. dessen Verballerung als das eigentliche Ziel definieren. Ähnlich wie bei der Bahn hätte sich damit der Punkt »Check der Mittel« bereits im Vorfeld erledigt – und »Plan« würde in der Tat zum eigentlichen „Knackpunkt“. Ein hübsches Wort übrigens für einen circulus vitiosus.

Der Managementzirkel.

So richtig seriös ist das allerdings nicht – und durchdacht sowie nicht. Warum – das ist hier die eigentlich spannende Frage – gibt man Ziele als Ziele aus, die selbst bei oberflächlicher Betrachtung nur mit Mühe als „Ziele“ durchgehen können? Das einzige, was Bolle einleuchten würde: Immerhin kann man dann sagen: „Seht her – die Regierung tut was.“ Na toll. Und so lassen die Konsequenzen auch nicht lange auf sich warten.

Denn es hat einen Nachteil: Das Geld liegt dann zwar bereit, aber fließt es auch so ab wie gewünscht? […] Wie es langfristig weitergeht, ist offen.

Kiek ma eener an. So ist das nun mal, wenn es in der Projektplanung am »Plan« fehlt. „Wie gewünscht“ ist schlechterdings nicht definiert. Immerhin – und hier ist Bolle voll zufrieden: Das Ablauf-Modell funktioniert auch in absurderen Fällen aufs Feinste. Daran liegt es also nicht. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Do 14-11-19 Der Kommissar

Ursula von der Leyen und der Fall des fehlenden Kommissars

So einer der Aufmacher von Spiegel Online, dem Sturmgeschütz der Ochlokratie, heute. In der Kellerzeile erfahren wir dann, daß

Großbritannien [sich] weigert […], rechtzeitig zum geplanten Amtsantritt der neuen EU-Kommission einen Kommissar zu nominieren.

Warum sollten sie auch, die Briten? Bolle meint: Kein Mensch bewirbt sich um eine Projektleiter-Stelle, nachdem er längst schon gekündigt hat. Ist das jetzt schlimm?

Macht das die EU arbeitsunfähig?

– wie es in der Kellerzeile weiter heißt. Aus EU-Kreisen hört man:

Die Situation sei „komplex“, „außergewöhnlich“ und „beispiellos“.

Dabei ist „beispiellos“ nur ein anderes Wort für „außergewöhnlich außergewöhnlich“ – und „komplex“ ist nur ein Synonym für „wir blicken nicht mehr ganz durch“. Reine EU-Routine, also. Nach einigem Hin und Her heißt es in dem Beitrag schließlich,

[…] das EU-Recht schreibe lediglich die Zahl der Kommissare vor. „Es heißt dort nicht, dass jeder Mitgliedsstaat einen Vorschlag machen muss“ […]

So what?, fragt Bolle. Die Zahl der Kommissare hat demnach mit den Briten rein jar nüscht zu tun. Interessant wäre demnach allein die Frage, wie lange die verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten im EU-Soziotop brauchen werden, um sich zu einigen, welches Land gleich 2 Kommissare stellen darf. Das kann dauern, wahrscheinlich länger als der Brexit selbst – egal wie lange der noch dauern mag. Nach weiterem Hin und Her – und unter Verlust der Argumentationslinie – kommt schließlich noch das Sahnehäubchen:

Jeder neue Kommissar koste den Steuerzahler rund eine Million Euro für Umzug, Personal und lebenslange Rente – egal, wie lange er im Amt ist.

Vor allem der Umzug schlägt dabei wohl mächtig ins Kontor. Bolle meint: Leute, bewerbt Euch. Zumindest in der EU ist die Rente noch sicher. „Drah’ di net um […]  // Schau, schau, der Kommissar geht um […]“. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Di 12-11-19 Die Bahn

Viel helfe nicht viel, denn: Dem Bund fehlten Informationen über den tatsächlichen Zustand des eigenen und von der Bahn betriebenen Netzes. Richard Lutz als James Dean der Bahn AG: Denn sie wissen nicht, was sie tun.

Gefunden in Garbor Steingarts Morning Briefing. Dabei geht es …

… um die sogenannte „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III“, die der Bahn AG für ihre gebrechliche Infrastruktur ein Budget von gut 58 Milliarden Euro zur Verfügung stellen soll.

58 Milliarden Euro, offenbar einmalig auszuschütten: Das entspricht in etwa den jährlichen Kosten für die „Schutzsuchenden“ (vgl. Mo  11-11-19 Proportionen). Klarer Fall: Wir schaffen das, meint Bolle. Doch das nur am Rande. Interessanter scheint Bolle der folgende Punkt:

Der Managementzirkel.

Bolle ist immer wieder fasziniert, wie praktisch kleine, aber feine Systemdarstellungen doch sein können. Während üblicherweise die schiere Zieldefinition dem Volk bereits als „Durchbruch“ verkauft wird – ohne einen Hauch von »Plan« oder gar »Check der Mittel« (aktuell ist das bei der Grundrente so) –, verhalten sich die Dinge hier genau umgekehrt: »Check der Mittel« ist gebongt – 58 Milliarden eben. Dafür fehlen der »Plan« und sogar die »Ist-Analyse«. So wird aus Garbor Steingarts „Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)“ unvermittelt: Denn sie wissen nicht, wo sie stehen. Eine erfrischende Variante im Management-Reigen. Bolle fragt sich zweierlei: (1) Wofür werden die eigentlich bezahlt? und, konstruktiv gewendet: (2) Könnte man sämtlichen Damen und Herren Entscheidern den Managementzirkel nicht einfach auf die Stirn kleben, auf daß sie sich in ihren langen „nächtlichen Verhandlungsrunden“ gegenseitig daran erinnern mögen, was genau ihr eigentlicher Job ist? Platz genug wäre ja. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mo 11-11-19 Proportionen

Bis zu 1,5 Millionen Menschen können künftig eine Grundrente erhalten, die höher liegt als die vom Sozialamt gewährte Grundsicherung. […] Die Gesamtkosten belaufen sich auf bis zu 1,5 Milliarden Euro.

Gefunden in Garbor Steingarts Morning Briefing. Gleich oder ähnlich lautend findet sich die Meldung allerdings im gesamten Blätterwald. Aber bei Steingart liest es sich nun mal am amüsantesten. Überschlagen wir die Proportionen: 1,5 Milliarden bei 1,5 Millionen Rentnern macht, easy, 1.000 Euro pro Rentner und Jahr – mithin also 83 Euro pro Monat. Na toll, meint Bolle. Voll der „Meilenstein“ bei der Bekämpfung der Altersarmut. Da wir schon mal bei Proportionen sind: Vergleichen wir die abgehängten Rentner mit einer anderen schwer diskriminierten Gruppe – den Flüchtlingen bzw., wie es neuerdings heißt, den „Schutzsuchenden“. Bolle fragt sich: Welche Sprach-Designer sind hier eigentlich am Werk? Und vor allem: Wer bezahlt die? Aber das ist ein anderes Kapitel. Der Vergleich von „abgehängten Rentnern“ und „Schutzsuchenden“ bietet sich schon deshalb an, weil sie größenordnungsmäßig gaanz vorsichtig geschätzt in etwa gleich stark sind: etwa 1,5 Millionen. Das erleichtert den Vergleich. Deren jährliche Kosten allerdings belaufen sich nach mehreren mehr oder weniger übereinstimmenden Quellen auf etwa 50 Milliarden jährlich – mithin also auf das über 30-fache (!). Bolle sieht das ganz pragmatisch, wenn er meint, daß er der seinerzeit ausgegebenen Losung „Wir schaffen das“ mehr Glauben würde schenken können, wenn die Proportionen nicht derart unproportioniert wären. Entweder wir sind „ein reiches Land“, wie es in diesem Zusammenhang immer heißt. Oder wir sind ein dann doch nicht ganz so reiches Land, das es nötig hat, seine „abgehängten Rentner“ mit 83 Euro pro Monat abzuspeisen und das dem Volk als „sozialpolitischen Meilenstein“ zu verkaufen – vor allem vor dem Hintergrund solcher Proportionen. In diesem Zusammenhang muß Bolle oft an die Geschichte vom barmherzigen Samariter denken (Lukas 10, 25-37). Was wäre gewesen, fragt er sich, wenn „die Mörder“ nicht nur einen, sondern zehn, oder hundert – oder noch viel mehr – hätten „halbtot liegen lassen“? Irgendwann, so sein vorläufiger Schluß, wird sich auch der warmherzigste Samariter entscheiden müssen, ob er seinem ethischen Impuls („alle retten“) oder seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten wird folgen wollen oder müssen. Im Bibel-Beispiel ging es um „zwei Groschen“ (plus der Option auf Begleichung weiterer Auslagen des zur Pflege eingespannten Wirtes, Lukas 10, 35). Somit – und das ist Bolles zweiter Schluß – dreht sich die gesamte Kontroverse, die Deutschland seit nunmehr mindestens vier Jahren quält, im Kern um die Frage: Schaffen wir das – oder schaffen wir das dann doch eher doch nicht? Wenn ich abgehängter und abgespeister Rentner wäre, so Bolle, würde ich wohl eher auf letzteres tippen – und mich dabei schwer dagegen verwahren, allein deswegen von bessergestellten Kreisen als „Nazi“ oder zumindest „Fremdenhasser“ diffamiert zu werden. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mo 11-11-19 Logik vs Ethik

Gerade in einer Zeit, in der mehr und mehr Fakten ignoriert werden, ist es wichtiger denn je, dass sich die Wissenschaft zu Wort meldet und sich in Debatten einmischt.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage unter „Zitate“. Wer hat’s gesagt? Forschungsministerin Anja Karliczek. Bolle meint: Da hat jemand auf ganz grundsätzliche Weise mißverstanden, was die Aufgabe „der Wissenschaft“ ist – Forschungsministerin hin oder her. Aufgabe der Wissenschaft ist es erstens, Kenntnis von Tatsachen zu erlangen (zum Beispiel „Leute haben eine Leber“ oder „Es gibt Ethanol“) sowie zweitens Wissen um Zusammenhänge (zum Beispiel „Wenn eine Leber mit zu viel Ethanol in Kontakt kommt, dann tut ihr das nicht gut“). Wir hatten das übrigens schon mal (vgl. »Do 17-10-19 Homöopathie«). Ob es dagegen jemand in Anbetracht der wissenschaftlichen Erkenntnisse vorzieht, a) ein nüchternes, im Zweifel sozial ausgegrenztes, dafür aber leberfreundliches Leben zu leben, oder aber b) dem einen oder anderen Gläschen zuzusprechen (oder auch einem ganzen Faß), hat mit Wissenschaft rein gar nichts zu tun. Es handelt sich hierbei um eine Frage der Entscheidung. Der Unterschied könnte nicht grundsätzlicher sein. Wissenschaft, bzw., in klassischer Diktion, Logik fragt: Was ist / was ist nicht? Ethik dagegen fragt: Was soll / was soll nicht? Seins-Aussagen und Sollens-Aussagen miteinander zu vermengen ist dabei ebenso daneben wie verbreitet. Aus Entscheider-Sicht hat es ja auch einen gewissen Charme: (1) Die Wissenschaft hat festgestellt, […]. (2) Also müssen wir […]. Damit ist man der Entscheidung enthoben. Wenn’s schief geht, ist dann eben jemand anderes schuld. Na toll. Dumm nur, daß diese Logik aus Sicht der »Logik« ganz und gar unzulässig ist: Aus einer Seins-Aussage läßt sich unter keinen Umständen („never ever“) eine Sollens-Aussage ableiten.

Graphisch gestaltet sich das ganze wie folgt. Auch das hatten wir übrigens schon mal (vgl. »Fr 04-10-19 Klimabremse«) – aber man kann es offenbar nicht oft genug wiederholen.

Der Managementzirkel.

Die Gesellschaft bzw. deren designierte Entscheider legen fest, wo sie hin wollen: »Ziel-Definition«. Die Wissenschaft versucht dann zu ergründen, wie man (beim gegebenen Stand der Technik) da hin kommen kann bzw. was zu tun ist, um das Ziel zu erreichen: »Plan«. Dabei kann es passieren, daß die Wissenschaft im Rahmen von »Check der Mittel« (ein unverzichtbarer Bestandteil jeglicher Planung) zu dem Schluß kommt, das in der Aufgabenstellung zu viele Zielgrößen vorkommen und zu wenige Aktionsgrößen – daß das Problem also überbestimmt ist. Zum Beispiel: (1) Wir wollen unseren CO2-Ausstoß bis dann und dann halbieren – und zwar so, (2) daß sich niemand auch nur im geringsten einschränken muß. Natürlich würde kein Entscheider das so platt formulieren. Wenn wir uns aber umgucken auf der Welt, läuft es zur Zeit exaktemente darauf hinaus. In diesem Fall bleiben einem aufrechten Wissenschaftler nur zwei Optionen. Er kann sagen: „Überdenkt Euer Ziel und meldet Euch dann noch mal bei mir“, Pfeil a). Oder er kann sagen: „Laßt uns uns anderen Problemen zuwenden. Das hier kriegen wir vorläufig nicht gelöst“, Pfeil b). Auch hier würde kein Wissenschaftler das so platt formulieren. Aber auch hier läuft es exaktemente darauf hinaus. Kurzum: Von der Wissenschaft zu erwarten, daß sie uns „ausrechnet“, was wir wollen, geht nach allem rein gar nicht. Aus Entscheider-Sicht (»Ethik«) ist das natürlich eine ultra-charmante Lösung – weil sie sich dann nicht entscheiden müssen (obwohl sie genau dafür bezahlt werden). Aus Wissenschaftler-Sicht (»Logik«) dagegen ist das aber leider voll „unlogisch“ (siehe oben) und somit im Ansatz und damit auch als Ansatz unbrauchbar. Aber das ist ein anderes Kapitel.