Im Jahr 1943 wurde von der Parteizentrale folgende Direktive an alle Kommunisten in den Vereinigten Staaten herausgegeben. Sie lautete:
Wenn bestimmte Quertreiber zu lästig werden, bezeichne sie nach einem geeigneten Aufbau als Faschisten oder Nazis oder Antisemiten und nutze das Ansehen der antifaschistischen und Toleranzorganisationen, um sie in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.
Assoziieren Sie in der öffentlichen Meinung diejenigen, die gegen uns sind, ständig mit Namen, die bereits ein schlechtes Image [wörtlich: bad smell] haben. Diese Assoziation wird, wenn sie oft genug wiederholt wird, in der öffentlichen Meinung zu einer Tatsache werden.
Die Geschmäcker sind verschieden – und waren es wohl auch schon immer. De gustibus non est disputandum – Über Geschmack läßt sich nicht streiten. Das ist, wenn wir genauer hinschauen, spätestens seit Aristoteles (384–322 v. Chr.), also seit etwa zweieinhalbtausend Jahren klar. Das gleiche gilt für Meinungen, of course, da es sich hierbei ja nur um kognitive Geschmacksfragen handelt. Dabei wollen wir unter Meinung hier nur die mal eben hingehauene Ansicht, opinio, verstehen. Bolle unterscheidet das von doxa, einer durchdachten und wohlbegründeten Sicht auf die Dinge.
Betrachten wir unser Schildchen: Es beschreibt den Blick zweier Personen – hier Anton (A) und Bolle (B) – auf ein und dieselbe Sache, die wir hier Gegebenheit (X) genannt haben. Soweit sozusagen die nackten Fakten. Nehmen wir nun an, Anton fände die Gegebenheit „voll toll“, Bolle dagegen fände die gleiche Gegebenheit „ungut“.
Kann so etwas sein? Aber Ja doch. Es ist sogar der absolute Regelfall. So heißt es etwa in einem der Meinungsmacher-Blättchen dieser Tage: Seit Corona ist meine Schwester total abgedriftet, wir können gar nicht mehr über Politik reden. Dabei ist der Grund laut Blättchen schnell erkannt: Die Menschen im eigenen Umfeld haben sich „radikalisiert“. Selber liegt man natürlich völlig richtig mit seiner Opinio. Vielleicht aber haben sie sich gar nicht radikalisiert. Vielleicht sehen sie einfach nur wenig Nutzen und Frommen in einer Diskussion über Geschmacksfragen – und halten das, nicht ganz zu Unrecht, für reine Zeitverschwendung.
Schließlich läßt sich mit keiner Bolle bekannten Methode entscheiden, ob eine Gegebenheit X „voll toll“ ist oder eher „ungut“. Das hat Konsequenzen (Reactio). Auf der interpersonalen Ebene wird Anton Bolle (zumindest im Modell) aus rein konsistenztheoretischen Gründen „übel, übel“ finden – beziehungsweise zumindest nicht mögen und als Person (!) ablehnen.
In der Tat zeigt sich eine Tendenz, aggressive Argumentations-Attrappen geradezu zu kultivieren (falls man hier überhaupt von „Kultur“ sprechen kann).
Neben Radikalinski ist man nach dieser Ansicht schnell Sexist, Rassist, Stalinist – und was dergleichen Schubladen mehr sein mögen. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich auch der Verfassungsfeind – als wäre die Verfassung dafür da, bestimmte Ansichten zu schützen und andere zu verfemen. Als wäre die Verfassung überhaupt dazu da, den Umgang der Bürger untereinander zu regeln.
Gleichwohl: Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansichten – ein bißchen sozialer Kitt muß dann wohl doch sein, wenn eine Gesellschaft einigermaßen gedeihlich funktionieren soll.
Eine von ganz oben runtergejubelte Aufforderung, sich doch bitteschön unterzuhaken – als wären wir im Dauerfasching – und die Dinge „gemeinschaftlich“ anzupacken, wird da sicherlich nicht allzu viel nützen. Das nämlich liegt einfach zu sehr über Kreuz mit elementarer Sozialpsychologie.
Bolle sieht zur Zeit nur einen einigermaßen erfolgversprechenden Weg. Statt jeden, der anderer Ansicht ist, als „übel, übel“ einzustufen, könnte man es mit Epiktets (ca. 50 bis ca. 138 v. Chr.) stoischer Haltung probieren: „Dem scheint das so zu sein“.
Das allerdings würde voraussetzen, daß die lieben Mitbürger überhaupt erst einmal wieder ernstlich die Möglichkeit ins Auge fassen, daß es zu ein und derselben Gegebenheit gleich mehrere mögliche Ansichten geben kann. Und hier sieht es im Moment wirklich nicht allzu gut aus. In seinem durchaus lesenswerten Buch ›Mensch, lern das und frag nicht‹ zeigt Hauke Arach anhand einer Untersuchung von Schulbüchern, wie den lieben Kleinen das Denken in Möglichkeiten systematisch ausgetrieben wird. Eine Wahrheit muß genügen! Mehr hält man ja im Kopp nicht aus! Bolle meint: Von das kommt das, und Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Im übrigen sind heute Wahlen im Osten – schon wieder. Auch dieses mal geht es offenbar um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, Demokraten versus Verfassungsfeinde, Mitte gegen Extremisten. Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Plärr. Schepper. Peng. Auf Bolles Handy war die Hölle los. „Aus! Aus! Mach aus! Braav …“. Das kennt Bolle noch aus seiner Zeit als peripherer Hunde-Dompteur. Hier war es im Prinzip nicht anders. Für den eigentlichen Inhalt des Getöses bleibt da naturgemäß recht wenig Raum und Sinn. Wozu auch? Was kann schon so wichtig sein, einen Schentelman (Kurt Tucholsky 1930) beim Tee – oder bei was auch immer – so rüde zu belästigen? Und was sollte da schon kommen? „Atomraketen am Himmel über Berlin. Begeben Sie sich in Ihren nächsten Bunker. Sie haben 2 Minuten 30 Sekunden Zeit.“ Na toll!
Bolle hält es hier, wie auch sonst, mit Natsume Sôseki (1867−1916):
Ein wahrer Mönch wahrt seine Mittagsruhe. Auch wenn draußen die Welt untergeht.
Auch hatte Bolle vor geraumer Zeit schon versucht, all diesen Unsinn nach Kräften zu deaktivieren.
Allein es hat nicht wollen fruchten. Alarme der sogenannten „Warnstufe 1“ sind einfach nicht abschaltbar. Jeder, wirklich jeder, wenn er nicht gerade ein Uralt-Handy hat, soll in den Genuß des vollen „Weckeffektes“ – wie es beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe heißt – kommen.
Immerhin – eine handyschonende Möglichkeit gibt es doch. Einfach ausschalten oder zumindest in den Flugmodus gehen. Dann nämlich ist Ruhe. Ein kleiner Klick für den Menschen – aber ein Riesenschritt für die Menschlichkeit.
Manche meinen ja, der Nachteil dieser Methode sei, daß man auch für andere Nachrichten vorübergehend nicht erreichbar sei. Ach was? Sag bloß. Wer sein Leben so eingerichtet hat, daß ihm 10 Minuten, oder weniger, Handy-Abstinenz ernstlich Kummer bereiten, der sollte sowieso mal gründlich in sich gehen. Bolle empfiehlt hier einen Grundkurs Kontemplation.
Davon mal ganz abgesehen. Wieso muß der „Weckeffekt“ so laut und so ätzend sein, daß man sich ernstlich Sorgen um seinen Lautsprecher machen muß? Eine mögliche Erklärung wäre, daß die Verantwortlichen davon ausgehen, daß das Volk im großen und ganzen regelmäßig im Tiefschlaf ist – aus dem man es wirklich nur mit drastischen Mitteln aufwecken oder schrecken kann. Denkbar wär’s.
Eine andere Erklärung wäre, daß es schlechterdings Leute gibt, die es einfach klasse finden, das Volk unter Dauerstrom zu halten. Wahrlich, wir sagen Euch: Die Welt ist ein wilder, wüster und wahnsinnig gefährlicher Ort. Aber seid unbesorgt: Wir helfen, retten, schützen Euch und all die Schäfchen drumherum. Bolle könnt‘ kotzen, of course.
Solche Formen von obrigkeitlichem Paternalismus haben wir ja während der Corönchen-Hysterie hinreichend einüben dürfen. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) versteht darunter übrigens eine autoritäre Herrschaftsform, bei der der Herrschende sich Vormundschaft gegenüber dem Beherrschten anmaßt; vermeintlich väterlich wohlwollende, jedoch bevormundende, autoritäre Haltung einer Regierung gegenüber den Bürgern […]. Bolle meint, das paßt wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer.
Vor gut hundert Jahren übrigens hieß die Mode-Diagnose für Leute, denen die Welt zu laut und zu lärmend war, und die sich nicht dagegen zu wehren wußten, Neurasthenie (wörtlich Nervenschwäche). Spötter meinten seinerzeit:
Raste nie und haste nie, sonst haste die Neurasthenie.
Die Empfehlung könnte ja glatt von Bolle sein. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Das Schildchen zeigt vom Prinzip her einen von Bolles jüngeren Netzfunden. Natürlich hat er das ganze sprachlich ein wenig geglättet und in ein ordentliches Flußdiagramm verwandelt, of course. Die Überschrift ergibt sich aus dem Umstand, daß nächste Woche schon in Sachsen und in Thüringen das Volk zur Wahl antreten soll und mehrheitlich wohl auch wird.
Allein, darum soll es uns hier gar nicht gehen. Vor allem könnte man im Vorfeld manches argumentativ so lange breittreten, bis der Inhalt vollends diffundiert – ganz nach Goethes Epigramm in seinem ›Buch der Sprüche‹ im ›West-östlichen Divan‹ (1819):
Getretner Quark Wird breit, nicht stark.
So könnte man als geschulter Scholastiker naheliegenderweise mit ›Definiere Deutschland‹ und ›Definiere abschaffen‹ loslegen. Einschlägige Bestrebungen gibt es ja reichlich im Polit-Getümmel.
Ganz im Gegenteil – Bolle hält das Schildchen in seiner flußdiagrammatischen Verdichtung für hervorragend geeignet, sich seiner eigenen Mappa mundi, also dem tief verinnerlichten Weltbild (Welt III), das einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) als Päckchen mit sich trägt, etwas bewußter zu werden und weniger via Autopilot durchs Leben zu cruisen (vgl. dazu etwa So 28-07-24 Mappa mundi vitiosa).
Falls einer also beim flotten Überfliegen als erstes im Ergebnisfeld ›AfD‹ hängenbleiben sollte und dieses Ergebnis als allzu aversiv empfindet und daraus ableitet, daß ihm, im Flußdiagramm regelwidrig aufsteigend, bitteschön nichts anderes übrigbleibt als den linken Ast zu wählen – nur um sich dabei mit Widrigkeiten ganz anderer Art konfrontiert zu sehen: Nun, dann hat er ein Problem. Mehr als die Optionen ›Schnell abschaffen‹ und ›Ganz schnell abschaffen‹ bleiben da nämlich nicht – falls das Diagramm nicht lügt, of course.
Und so neigen, falls Bolle das richtig beobachtet, deprimierend viele Leute dazu, spätestens an dieser Stelle auszusteigen und sich nach innen in Wird-schon-nicht-so-schlimm-werden-Gefilde zu flüchten und nach außen in diverse Grobheiten im Umgang mit anderen: Alles Idioten! Verschwörungsopfer! Die Liste ließe sich wohl um einiges verlängern. Denken tut nun mal weh. Entscheiden sowieso: Wer die Wahl hat, hat die Qual – wie der Volksmund weiß. Und Klarheit füsiliert den schönsten Tran. Bolle ist übrigens, doch das nur am Rande, mit solchen Sprüchen aufgewachsen – was natürlich nicht heißen muß, daß da nichts dran wäre, of course.
Im übrigen wissen wir aus ungezählten Untersuchungen, daß die Leute nicht unbedingt die wählen, die ihren „eigentlichen“ inhaltlich-politischen Vorstellungen entsprechen. Max Weber hat das in seinem Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft 1922 schon als traditionales Handeln bezeichnet – Handeln aus eingelebter Gewohnheit. Im Grunde ist das schlicht Handeln aus der Mappa mundi vitiosa heraus (vgl. auch hier So 28-07-24 Mappa mundi vitiosa). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Manchmal kann man sich wirklich nur wundern, was den höheren Schichten so alles einfällt beziehungsweise was sie so alles anrichten. Was ist da bloß los?
Eines der jüngsten, eher niedertrabenden Beispiele etwa sind Holzbriketts, denen plötzlich, Knall auf Fall, ein CO2-Wert „zugewiesen“ werden sollte – mit der Konsequenz, daß sie als „klimaschädlich“ deklariert worden wären. Das ist offenbar schon wieder vom Tisch – aber als Beispiel taugt es allemal.
Im Grunde hatte sich Bolle schon im Vorfeld schwer verwundert. Das Anpflanzen von Bäumen, so hieß es und so heißt es, kompensiere den CO2-Ausstoß und sei damit per se klimafreundlich. Ganze Branchen leben von dieser Art von Greenwashing. Ersteres mag ja sein – aber doch wirklich nur vorübergehend. Wenn ein Baum in die ewigen Jagdgründe eingeht – wie Bolles indianische Freunde (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) das nennen würden – Asche zu Asche, Staub zu Staub, dann gibt er exakt die gleiche Menge CO2 wieder frei, die er im Laufe seines Lebens „kompensiert“ hatte. Ja was denn sonst?
Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (1. Mose 8, 22). Kennen wa ja. Und eben auch einatmen und ausatmen – und sei es CO2.
So geht der Kreislauf des Lebens. Ein Baum „entzieht“ der Atmosphäre also kein CO2 – er speichert es nur für eine gewisse, begrenzte Zeit. Eine wirklich „nachhaltige“ Lösung (i.S.v. ›funktioniert auf Dauer‹) ist das sicherlich nicht. Eher Voodoo-Ökologie. Aber macht das mal einem rechten Hülsenfrüchtchen klar. „Da muß sich doch was ‚optimieren‘ lassen“ ist noch mit das Beste, was einem als Antwort zuteilwerden kann.
Andererseits: Wenn man neuerdings Säuglingen bei der Geburt ein Geschlecht „zuweisen“ kann – warum dann nicht auch einem Baum einen CO2-Wert? Ist doch nur fair – und paßt im übrigen herrlich ins Weltbild von manch mehr oder weniger hochgestelltem Hülsenfrüchtchen.
Daß ein Baum auf lange Sicht einfach einen CO2-Wert hat – im Zweifel nämlich exakt Null, da gibt es nichts „zuzuweisen“ – und daß ein Neugeborenes einfach ein Geschlecht hat, nämlich (von seltensten Ausnahmen einmal abgesehen) männlich oder weiblich, ist im allgemeinen Durcheinander offenbar glatt untergegangen. Wenn aber alle – oder hinreichend viele – ganz dolle dran glauben, dann mag das wohl so sein. Überzeugend findet es Bolle trotzdem nicht.
Immerhin handelt es sich hierbei um ein hübsches Beispiel von umsichgreifender Hybris. Dabei ist Hybris Bolles agnostische Variante der guten alten Gotteslästerung. Des Frevels gar, des Nicht-wahrhaben-wollens, daß eben nicht alles möglich ist, was sich einer in den Kopf gesetzt haben mag. Und was wollen die nicht alles retten oder schützen. Klima und Demokratie sind dabei Bolles gegenwärtige „Top-Favoriten“. (Schon wieder so ein Wort wie Donnerhall übrigens – außen laut und innen hohl).
Und so kommt es denn heraus, daß sich Gedankenlos und Planlos einträchtig die Händchen reichen. Das Ergebnis ist fruchtlos, of course, und die übliche Reaktion seitens der Planer meist schamlos: „Das haben wir nicht wissen können“ oder, maximal-ignorant: „Wieso? Ist doch alles prima.“ Ein Eingeständnis der Planlosigkeit wäre aber auch zu peinlich. In Bolles Kreisen spricht man hier gerne von Selbstwertbeschädigung. Das Selbstwertgefühl – Ich bin ein ganz famoses Haus (Wilhelm Busch) – aber ist eines der vier kognitiven Grundbedürfnisse (SOSS) und will seinerseits unbedingt geschützt sein – egal wie albern die Ausflüchte im Einzelfall auch immer sein mögen. Tricky …
Eine schöne alte deutsche Wendung legt einem nahe, zuweilen doch mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Aber bei aller kontemporären, geradezu närrischen Liebe zu den Fakten: In diesem Rahmen werden Tatsachen, wie es scheint, durchaus höchst geringgeschätzt. Was bitteschön sind schon schnöde Tatsachen gegen hochfliegende Ambitionen? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Bei manchem, was die lieben Mitmenschen im allgemeinen und die politische Klasse im besonderen so treiben, könnte man glatt von schierer Bosheit ausgehen. Von finsterer Gesinnung, gar. Allein da ist Hanlons Heuristik vor – eine Finderegel zur Erkenntnisgewinnung, derzufolge man es regelmäßig erst einmal mit der Annahme von klassischer Dummheit probieren sollte. Erst, wenn Dummheit allein das Verhalten nicht hinreichend erklären kann, sollte man Bosheit in Betracht ziehen.
Als aufgeschlossene Agnostiker allerdings wollen wir zunächst die Begriffe klären. Dabei sei unter ›Dummheit‹, wie stets, das kognitive Unvermögen verstanden, Gegebenheiten bzw. Zusammenhänge zu erkennen. Man könnte auch sagen, Dummheit ist eher spärlich entwickelte prognostische Kompetenz: Jemand tut etwas, ohne vernünftig abschätzen zu können, wohin das führen wird. Hinterher, wenn das Kind dann im Brunnen liegt, gibt es regelmäßig die üblichen langen Gesichter: Das haben wir nicht gewollt – das haben wir nicht wissen können. Bolle meint: Hättet ihr wohl.
Bei ›Bosheit‹ gestalten sich die Dinge etwas schwieriger. Vom Wortstamm her hat Bosheit mit ›böse‹ zu tun. Da Bolle aber nicht so recht an Gut und Böse glauben mag (vgl. dazu etwa So 16-06-24 Ein Hauch von Hollywood), hilft uns das nicht weiter. Ergiebiger ist da Adam Smith. Gleich eingangs seiner ›Theorie der ethischen Gefühle‹ (1759) heißt es:
Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.
Nennen wir dieses Vergnügen ›Wohlwollen‹, dann bietet sich als Gegenstück ›Übelwollen‹ geradezu an. Bosheit wäre demnach Übelwollen – das Vergnügen also, Zeuge davon zu sein, wie es anderen schlechtgeht – regelmäßig verbunden mit der Bereitschaft, dem gegebenenfalls ein wenig nachzuhelfen.
Noch viel weitreichender als schlichte Dummheit ist allerdings das, was Bolle Mappa mundi vitiosa, also kaputte Weltkarte, zu nennen pflegt. Dabei handelt es sich um nichts weiter als die Welt III, also das Weltbild, das sich einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) im Laufe der Zeit zu eigen gemacht hat und das er mit schönster Regelmäßigkeit mit Welt I, also der Welt, konfundiert. Dabei dürfen wir nie vergessen, daß Welt III handlungsleitend ist. Um dem geneigten Leser das virtuelle Blättern zu ersparen, sei das Drei-Welten-Modell hier noch einmal abgebildet.
Wer also – um nur ein einziges Beispiel herauszupicken – eine Aussage wie etwa „Die Vereinigten Staaten sind unser Freund“ mit einem überzeugten „Yes, of course“ beantworten kann, wird ein anderes Verhalten an den Tag legen als jemand, der das nicht so sieht. Statt sich also über Bosheit oder zumindest Dummheit zu echauffieren, macht sich Bolle zunehmend einen Spaß daraus zu erkunden, welche Glaubenssätze einem gegebenen Verhalten wohl zugrundeliegen mögen – weil es anderenfalls schlechterdings unerklärlich wäre.
In absoluten Härtefällen, wenn also die Erklärungskraft einer Mappa mundi vitiosa verblaßt, spricht Bolle auch gerne von Mappa mundi friata – also einem vollends zerkrümelten Weltbild. Das einzige, was eine solche Karte noch zusammenhält, ist der unerschütterliche Glaube der Personen oder Organisationen, die sich ihrer – aller Fehlschläge im wirklichen Leben zum Trotze – unverdrossen und beherzt bedienen. Schließlich läßt sich die Welt nicht nur schönsaufen, sondern geflissentlich auch schönsäuseln. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Um unsere Europa-Wahlen langsam, aber sicher ausklingen zu lassen, hier ein vorläufig letzter Schweif ins Thema. Diese Woche untertitelte eine Qualitätszeitung: Die Deutschen haben kaum noch Vertrauen in die Ampelregierung. Das „kaum“ übrigens hält Bolle für einen regelrechten Euphemismus. Doch das nur am Rande. Interessanter ist das Vertrauen an sich.
Technisch gesehen handelt es sich bei ›Vertrauen‹ um ein Element aus Welt III (vgl. dazu So 26-05-24 Das bessere Argument): Mangels besserer Möglichkeiten modelliert man sich ein Bild – in diesem Falle von der Regierung. Ob das halbwegs stimmt? Wer weiß. Allein das Bedürfnis nach Orientierung als Motiv jedweder Modellierung können wir sicher unterstellen. Schließlich handelt es sich dabei um eines der kognitiven Grundbedürfnisse. Auch können wir davon ausgehen, daß ein einmal modelliertes Bild zur Selbststabilisierung neigt: Informationen, die nicht ins Bild passen, werden entweder gar nicht erst wahrgenommen – oder weltbildstützend gedeutet bzw. umgedeutet.
Eine tatsächliche Weltbild-Änderung dagegen braucht entsprechend Zeit. Zumindest geschieht sie nicht über Nacht: Das Wahlvolk ist träge. Bolle fühlt sich hier an ein Bonmot erinnert, das verschiedensten Autoren zugeschrieben wird. Vermutlich handelt es sich dabei einfach nur um eine schlichte Volksweisheit:
Man kann alle Leute für einige Zeit, und einige Leute für alle Zeit an der Nase herumführen – aber nicht alle Leute für alle Zeit.
Unsere Qualitätszeitung jedenfalls fragt: Wer also stellt das Vertrauen in das System wieder her, dem die Deutschen Freiheit, Demokratie und Wohlstand verdanken?
Dahinter steckt zunächst einmal die Grundannahme, daß „das System“ im Kern ja wohl gut ist – und schon von daher bewahrenswert. Zweitens, und zwar versteckter, steckt dahinter die Idee, daß man so etwas wie ›Vertrauen‹ einfach nur „wiederherstellen“ muß – und schon wird alles wieder gut.
Bolle vermutet allerdings eher eine veritable Schaffenskrise. Schaffenskrise statt Vertrauenskrise. Das Problem wäre demnach weniger, daß dem Volke (empfängerseitig) sein Vertrauen flöten geht. Das Problem wäre eher, daß der Regierung (senderseitig) nicht genug einfällt, um das Volk von sich und ihren Vorhaben zu überzeugen.
Zugegeben: Die Idee, man müsse dem Volk das eigene Tun nur gut genug erklären, und alles würde gut, hat sich in gewissen Kreisen ziemlich breitgemacht. Angefangen hat das wohl 2015 mit Merkels seinerzeit frisch eingerichtetem „Nudging“-Team. Dabei ist Nudging – wörtlich anstupsen – nur ein freundlicher klingendes Wort für regierungsseitig angestoßene gezielte Manipulation. Erklärtes Ziel dabei ist natürlich, das Glück der Bürger zu steigern, of course. Bolle meint gleichwohl: Thanks, I’m fine.
In der Lutherbibel 1912 heißt es übrigens wörtlich: Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein (Matth. 20, 16). Allerdings nicht ohne hinzuzufügen: Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Daß sich so mancher (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) zu hohen und höchsten Taten zumindest berufen fühlt, liest man täglich in der Zeitung. Ob dieses Gefühl, in welcher Weise auf immer, allerdings auch nur halbwegs hinreichend substantuiert ist, wird man schwer bezweifeln dürfen. Beim gegenwärtigen Zustand des Journalismus 2.0 muß man dazu allerdings schon schwer zwischen den Zeilen lesen – oder andere Quellen hinzuziehen. Darf man das denn? Aber Ja doch. Immerhin heißt es in Art. 5 I GG, daß jedermann das Recht habe, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Bolle sieht da allerdings noch mächtig Spielraum, was das „allgemein zugänglich“ angeht. Schließlich arbeitet man schon seit einiger Zeit – nicht zuletzt auf EU-Ebene – mit Fleiß daran, die Grenzen des Säglichen in einem als demokratie-kompatibel erachteten Rahmen zu halten – Verfassung hin oder her. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Gestern hatten wir erwähnt, daß Modelle – so sie denn Taug haben – oft furchtbar harmlos anfangen, um sich dann unversehens ins Furiose zu steigern. Für heute haben wir ein Beispiel ausgewählt, das sehr viel härter – und auch sehr viel „politischer“ – ist als Glühwürmchens private Beziehungskisten.
Statt Freundin Anneliese und Katze Berta soll Gegebenheit A für ›Prima PISA‹ stehen und Gegebenheit B für ›Inklusiven Schulunterricht‹. Dabei wollen wir davon ausgehen, daß unser Glühwürmchen (Homo candens vulgaris) beidem zumindest aufgeschlossen gegenübersteht, also G (A) (+) und G (B) (+). Daß miese PISA-Ergebnisse einer wissensbasierten Industriegesellschaft auf die Dauer nicht sonderlich zuträglich sind, dürfte auch dem naivsten Glühwürmchen klar sein. Gegebenheit B, also Inklusion, wird – soweit Bolle das überblicken kann – regelmäßig gar heißen Herzens befürwortet. Wer wollte schon so hartherzig sein und „unschuldige“ Kinder ihrer Chancen berauben, nur weil sie weder lesen, schreiben noch rechnen können und auch keinerlei Anstalten machen, das in endlicher Zeit zu erlernen?
Kurzum: Wir haben es hier mit zwei Gegebenheiten zu tun, die sich bei nüchterner Betrachtung beißen – ähnlich wie sich Annelieses Katzenhaar-Allergie im Beispiel von gestern mit der Anwesenheit von Berta gebissen hat. Das (–/–) haben wir übrigens durch ein mnemotechnisch geschmeidigeres „Blitz“-Symbol ersetzt. Doch das nur am Rande.
Ist das jetzt alles heillos übertrieben? Mitnichten. Wie das Leben so spielt, ist Bolle gestern eine Initiative „Bildungswende Jetzt“ zugeflogen. Dort heißt es, daß „50.000 junge Menschen jedes Jahr die Schule ohne Abschluß verlassen“, daß „hunderttausende Erzieher“ (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) und nicht minder viele Lehrkräfte fehlten. Daß die Bildungspolitik versage und die Lehrpläne veraltet seien. Und so weiter, und so fort.
Und? Was soll daraus folgen? Gefordert wird ein „Sondervermögen“, eine „Ausbildungsoffensive“ sowie weitere Maßnahmen, um den Schulunterricht „zukunftsfähig und inklusiv“ zu machen. Übersetzen wir ›zukunftsfähig‹ mit „Prima PISA“ und ›inklusiv‹ mit „inklusiv“ – und schon sind wir mitten im Punkt.
Um das Ganze abzurunden, dürfen natürlich Reizwörter wie Klimakrise, Augenhöhe, Nachhaltigkeit, Zivilgesellschaft sowie gesellschaftliche Spaltung bei einer solchen „Bildungsinitiative“ nicht fehlen, of course.
Und so torkeln – man muß wirklich sagen: torkeln – die Glühwürmchen dieser Welt durch eine aversive Welt voller Widrigkeiten und staunen Bauklötze, wenn nichts wirklich funktionieren will – außer „Sondervermögen“ aufzulegen, versteht sich.
Aber vielleicht ist es ja Bolle, der sich irrt– und Inklusion führt in der Tat zu Prima PISA. Allein ihm fehlt durchaus der Glaube. Dafür beobachtet er folgendes: Wer es irgendwie einrichten kann, schickt seine Kinder lieber auf eine Privatschule – und zwar eine von jenen, die (verschämt zwar, weil zeitgeistwidrig, aber immerhin) ebenfalls wenig Zutrauen in die Zielharmonie zwischen den Gegebenheiten A und B zu haben scheinen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Gestern hatten wir am Rande erwähnt, daß „die Milch solch frommer Denkungsart notwendigerweise sauer“ sein muß. Werfen wir heute – frisch gestärkt vom Nikolausi-Schmausi – einen kurzen Blick auf die Zusammenhänge. Unser Schildchen zeigt das Modell eines Glühwürmchens G, das mit zwei Gegebenheiten, A und B, konfrontiert ist. Dabei bedeutet G (A) (+), daß unser Glühwürmchen der Gegebenheit A aufgeschlossen gegenübersteht. Entsprechendes gilt für G (B) (+). Nehmen wir an, Glühwürmchen G liebt seine Freundin Anneliese (A). Gleichzeitig liebt G seine Katze Berta (B). Wenn es nun eine glückliche Fügung will, daß auch Anneliese Berta mag (und auch Berta mit Anneliese gut klarkommt), dann ist Glühwürmchens Welt eitel Sonnenschein. Glühwürmchen im Glück, wie es in der Bildbeschriftung heißt. So soll es ja auch sein zum Fest der Liebe.
Was aber, wenn Anneliese Berta scheußlich findet und nicht in ihrer Nähe dulden will? Sie womöglich gar eine Katzenhaar-Allergie hat? In diesem Falle würde auf dem oberen Beziehungspfeil (–/–) stehen statt (+/+). Eine derartige Konstellation aber wäre per se instabil. Stabil ist sie aus konsistenztheoretischen Gründen (wie das in Bolles Kreisen vornehm heißt) nur dann, wenn auf den Beziehungspfeilen entweder ausschließlich (+) steht oder einmal (+) und zweimal (–), wobei, doch das nur am Rande, (–/–) aus Gründen nur als ein Minus zählt. Was tun? Glühwürmchen müßte also seine Freundin verlassen, G (A) (–), oder seine Katze ersäufen oder zumindest im Tierheim abgeben, G (B) (–). Damit wäre alles wieder im Reinen – nach der klassischen Maxime: Probleme, die man nicht lösen kann, muß man loswerden.
Nun könnten wir uns fragen, was gehen uns Glühwürmchens Beziehungskisten an? Aber wie das oft so ist mit Modellen: Sie fangen furchtbar harmlos an – um sich dann unversehens ins Furiose zu steigern. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Wat den eenen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall. Die Einsicht ist, wie’s scheint, uralt. Die Geschmäcker sind nun mal so verschieden, daß es wenig Sinn macht, darüber zu streiten: de gustibus non est disputandum.
Wir haben hier eine x-beliebige Eigenschaft – nennen wir sie ›ping‹ – nebst ihrem Gegenteil – nennen wir es ›pong‹ – nebst deren möglichen Ausprägungen, ›maßvoll‹ vs. ›extrem‹, in eine 4-Felder-Tafel einsortiert. Die Technik läßt sich übrigens bis mindestens auf Aristoteles zurückverfolgen – auch wenn der, soweit wir wissen, noch keine 4-Felder-Tafeln benutzt hat.
Im Beispiel gehen wir davon aus, daß jemand von Haus aus ein vorsichtiger Mensch ist, ›ping‹. Das Gegenteil, ›pong‹, wäre demnach, mutig zu sein. Wir hätten übrigens ebensogut ›Yin und Yang‹ sagen können. Das allerdings sind keine Adjektive im engeren Sinne. Bleiben wir also bei ›ping‹ und ›pong‹ für Teil und Gegenteil.
Das interessante an dieser Stelle: Jemand, der sich selbst als vorsichtig einstufen würde, würde jemanden, der das Gegenteil verkörpert, also eher „mutig“ ist, keinesfalls als mutig einstufen, sondern eher als – leichtsinnig. Umgekehrt würde jemand, der sich selbst für eher mutig hält, sein Gegenstück nicht etwa vorsichtig nennen, sondern eher „ängstlich“. Kurzum: Es gibt eine gewisse Neigung, alles, was uns fremd oder zumindest unverständlich anmutet, zumindest sprachlich abzuwerten. Daß eine solche pejorative Kategorisierung wenig der Toleranz und erst recht nicht der Akzeptanz förderlich sein kann, dürfte unmittelbar einleuchten. Und doch scheint es so zu sein.
Hier ein Beispiel aus dem richtigen Leben. Bolle war zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Die Party wurde über eine WhatsApp-Gruppe organisiert. Nach Wochen des kommunikativen Hin und Her’s kam dann der erste damit raus, daß ja wohl alle getestet sein würden. Sonst könne er, leider, leider, nicht kommen. Aus seiner Sicht offenbar der Typ ›vorsichtig‹. Aus Bolles Sicht natürlich eher der Typ ›ängstlich‹. Also, was tun? Helwigs Werte (so heißen solche 4-Felder-Tafeln) in der WhatsApp-Gruppe ausdiskutieren? Absehbar wenig erfolgversprechend und damit sinnlos. Bleibt wegbleiben. Mit oder ohne Abmeldung? Die guten Sitten verlangen nach einer Abmeldung – der Erhalt der guten Laune spricht allerdings dagegen.
Wie allgemein damit umgehen? Alles zu unterlassen, was irgend jemanden (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auch nur stören könnte, kann aus rein mathematischen Gründen nicht die Lösung sein. Es gibt nun mal absehbar dermaßen viele Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten, daß die Lösungsmenge rucki-zucki auf die leere Menge zusammenschnurren würde. Eine Diskussion darüber zu führen, ob es „besser“ ist, vorsichtig zu sein oder ob es besser ist, mutig zu sein, ebensowenig. Wir befinden uns hier in der Domäne von Schwester Ethik (vgl. dazu So 24-01-21 Dreschflegel) – und die ist für Argumente nun mal völlig unzugänglich.
Und so wurde die Spaltungsdynamik, hier im ganz Kleinen schon, um einen weiteren Fall bereichert. Eine grundsätzliche Lösung ist, wie’s scheint, nicht in Sicht. Das soll uns aber nicht die Weihnachtsstimmung verderben – und wäre im übrigen auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.