So 23-06-24 Vertrauenskrise? Schaffenskrise!

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Um unsere Europa-Wahlen langsam, aber sicher ausklingen zu lassen, hier ein vorläufig letzter Schweif ins Thema. Diese Woche untertitelte eine Qualitätszeitung: Die Deutschen haben kaum noch Vertrauen in die Ampelregierung. Das „kaum“ übrigens hält Bolle für einen regelrechten Euphemismus. Doch das nur am Rande. Interessanter ist das Vertrauen an sich.

Technisch gesehen handelt es sich bei ›Vertrauen‹ um ein Element aus Welt III (vgl. dazu So 26-05-24 Das bessere Argument): Mangels besserer Möglichkeiten modelliert man sich ein Bild – in diesem Falle von der Regierung. Ob das halbwegs stimmt? Wer weiß. Allein das Bedürfnis nach Orientierung als Motiv jedweder Modellierung können wir sicher unterstellen. Schließlich handelt es sich dabei um eines der kognitiven Grundbedürfnisse. Auch können wir davon ausgehen, daß ein einmal modelliertes Bild zur Selbststabilisierung neigt: Informationen, die nicht ins Bild passen, werden entweder gar nicht erst wahrgenommen – oder weltbildstützend gedeutet bzw. umgedeutet.

Eine tatsächliche Weltbild-Änderung dagegen braucht entsprechend Zeit. Zumindest geschieht sie nicht über Nacht: Das Wahlvolk ist träge. Bolle fühlt sich hier an ein Bonmot erinnert, das verschiedensten Autoren zugeschrieben wird. Vermutlich handelt es sich dabei einfach nur um eine schlichte Volksweisheit:

Man kann alle Leute für einige Zeit, und einige Leute für alle Zeit an der Nase herumführen – aber nicht alle Leute für alle Zeit.

Unsere Qualitätszeitung jedenfalls fragt: Wer also stellt das Vertrauen in das System wieder her, dem die Deutschen Freiheit, Demokratie und Wohlstand verdanken?

Dahinter steckt zunächst einmal die Grundannahme, daß „das System“ im Kern ja wohl gut ist – und schon von daher bewahrenswert. Zweitens, und zwar versteckter, steckt dahinter die Idee, daß man so etwas wie ›Vertrauen‹ einfach nur „wiederherstellen“ muß – und schon wird alles wieder gut.

Bolle vermutet allerdings eher eine veritable Schaffenskrise. Schaffenskrise statt Vertrauenskrise. Das Problem wäre demnach weniger, daß dem Volke (empfängerseitig) sein Vertrauen flöten geht. Das Problem wäre eher, daß der Regierung (senderseitig) nicht genug einfällt, um das Volk von sich und ihren Vorhaben zu überzeugen.

Zugegeben: Die Idee, man müsse dem Volk das eigene Tun nur gut genug erklären, und alles würde gut, hat sich in gewissen Kreisen ziemlich breitgemacht. Angefangen hat das wohl 2015 mit Merkels seinerzeit frisch eingerichtetem „Nudging“-Team. Dabei ist Nudging – wörtlich anstupsen – nur ein freundlicher klingendes Wort für regierungsseitig angestoßene gezielte Manipulation. Erklärtes Ziel dabei ist natürlich, das Glück der Bürger zu steigern, of course.  Bolle meint gleichwohl: Thanks, I’m fine.

In der Lutherbibel 1912 heißt es übrigens wörtlich: Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein (Matth. 20, 16). Allerdings nicht ohne hinzuzufügen: Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Daß sich so mancher (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) zu hohen und höchsten Taten zumindest berufen fühlt, liest man täglich in der Zeitung. Ob dieses Gefühl, in welcher Weise auf immer, allerdings auch nur halbwegs hinreichend substantuiert ist, wird man schwer bezweifeln dürfen. Beim gegenwärtigen Zustand des Journalismus 2.0 muß man dazu allerdings schon schwer zwischen den Zeilen lesen – oder andere Quellen hinzuziehen. Darf man das denn? Aber Ja doch. Immerhin heißt es in Art. 5 I GG, daß jedermann das Recht habe, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Bolle sieht da allerdings noch mächtig Spielraum, was das „allgemein zugänglich“ angeht. Schließlich arbeitet man schon seit einiger Zeit – nicht zuletzt auf EU-Ebene – mit Fleiß daran, die Grenzen des Säglichen in einem als demokratie-kompatibel erachteten Rahmen zu halten – Verfassung hin oder her. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 08-12-23 Das achte Türchen …

Glühwürmchen-Konfusion.

Gestern hatten wir erwähnt, daß Modelle – so sie denn Taug haben – oft furchtbar harmlos anfangen, um sich dann unversehens ins Furiose zu steigern. Für heute haben wir ein Beispiel ausgewählt, das sehr viel härter – und auch sehr viel „politischer“ –  ist als Glühwürmchens private Beziehungskisten.

Statt Freundin Anneliese und Katze Berta soll Gegebenheit A für ›Prima PISA‹ stehen und Gegebenheit B für ›Inklusiven Schulunterricht‹. Dabei wollen wir davon ausgehen, daß unser Glühwürmchen (Homo candens vulgaris) beidem zumindest aufgeschlossen gegenübersteht, also G (A) (+) und G (B) (+). Daß miese PISA-Ergebnisse einer wissensbasierten Industriegesellschaft auf die Dauer nicht sonderlich zuträglich sind, dürfte auch dem naivsten Glühwürmchen klar sein. Gegebenheit B, also Inklusion, wird – soweit Bolle das überblicken kann – regelmäßig gar heißen Herzens befürwortet. Wer wollte schon so hartherzig sein und „unschuldige“ Kinder ihrer Chancen berauben, nur weil sie weder lesen, schreiben noch rechnen können und auch keinerlei Anstalten machen, das in endlicher Zeit zu erlernen?

Kurzum: Wir haben es hier mit zwei Gegebenheiten zu tun, die sich bei nüchterner Betrachtung beißen – ähnlich wie sich Annelieses Katzenhaar-Allergie im Beispiel von gestern mit der Anwesenheit von Berta gebissen hat. Das (–/–) haben wir übrigens durch ein mnemotechnisch geschmeidigeres „Blitz“-Symbol ersetzt. Doch das nur am Rande.

Ist das jetzt alles heillos übertrieben? Mitnichten. Wie das Leben so spielt, ist Bolle gestern eine Initiative „Bildungswende Jetzt“ zugeflogen. Dort heißt es, daß „50.000 junge Menschen jedes Jahr die Schule ohne Abschluß verlassen“, daß „hunderttausende Erzieher“ (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) und nicht minder viele Lehrkräfte fehlten. Daß die Bildungspolitik versage und die Lehrpläne veraltet seien. Und so weiter, und so fort.

Und? Was soll daraus folgen? Gefordert wird ein „Sondervermögen“, eine „Ausbildungsoffensive“ sowie weitere Maßnahmen, um den Schulunterricht „zukunftsfähig und inklusiv“ zu machen. Übersetzen wir ›zukunftsfähig‹ mit „Prima PISA“ und ›inklusiv‹ mit „inklusiv“ – und schon sind wir mitten im Punkt.

Um das Ganze abzurunden, dürfen natürlich Reizwörter wie Klimakrise, Augenhöhe, Nachhaltigkeit, Zivilgesellschaft sowie gesellschaftliche Spaltung bei einer solchen „Bildungsinitiative“ nicht fehlen, of course.

Und so torkeln – man muß wirklich sagen: torkeln – die Glühwürmchen dieser Welt durch eine aversive Welt voller Widrigkeiten und staunen Bauklötze, wenn nichts wirklich funktionieren will – außer „Sondervermögen“ aufzulegen, versteht sich.

Aber vielleicht ist es ja Bolle, der sich irrt– und Inklusion führt in der Tat zu Prima PISA. Allein ihm fehlt durchaus der Glaube. Dafür beobachtet er folgendes: Wer es irgendwie einrichten kann, schickt seine Kinder lieber auf eine Privatschule – und zwar eine von jenen, die (verschämt zwar, weil zeitgeistwidrig, aber immerhin) ebenfalls wenig Zutrauen in die Zielharmonie zwischen den Gegebenheiten A und B zu haben scheinen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 07-12-23 Das siebte Türchen …

Glühwürmchen im Glück.

Gestern hatten wir am Rande erwähnt, daß „die Milch solch frommer Denkungsart notwendigerweise sauer“ sein muß. Werfen wir heute – frisch gestärkt vom Nikolausi-Schmausi – einen kurzen Blick auf die Zusammenhänge. Unser Schildchen zeigt das Modell eines Glühwürmchens G, das mit zwei Gegebenheiten, A und B, konfrontiert ist. Dabei bedeutet G (A) (+), daß unser Glühwürmchen der Gegebenheit A aufgeschlossen gegenübersteht. Entsprechendes gilt für G (B) (+). Nehmen wir an, Glühwürmchen G liebt seine Freundin Anneliese (A). Gleichzeitig liebt G seine Katze Berta (B). Wenn es nun eine glückliche Fügung will, daß auch Anneliese Berta mag (und auch Berta mit Anneliese gut klarkommt), dann ist Glühwürmchens Welt eitel Sonnenschein. Glühwürmchen im Glück, wie es in der Bildbeschriftung heißt. So soll es ja auch sein zum Fest der Liebe.

Was aber, wenn Anneliese Berta scheußlich findet und nicht in ihrer Nähe dulden will? Sie womöglich gar eine Katzenhaar-Allergie hat? In diesem Falle würde auf dem oberen Beziehungspfeil (–/–) stehen statt (+/+). Eine derartige Konstellation aber wäre per se instabil. Stabil ist sie aus konsistenztheoretischen Gründen (wie das in Bolles Kreisen vornehm heißt) nur dann, wenn auf den Beziehungspfeilen entweder ausschließlich (+) steht oder einmal (+) und zweimal (–), wobei, doch das nur am Rande, (–/–) aus Gründen nur als ein Minus zählt. Was tun? Glühwürmchen müßte also seine Freundin verlassen, G (A) (–), oder seine Katze ersäufen oder zumindest im Tierheim abgeben, G (B) (–). Damit wäre alles wieder im Reinen – nach der klassischen Maxime: Probleme, die man nicht lösen kann, muß man loswerden.

Nun könnten wir uns fragen, was gehen uns Glühwürmchens Beziehungskisten an? Aber wie das oft so ist mit Modellen: Sie fangen furchtbar harmlos an – um sich dann unversehens ins Furiose zu steigern. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 22-12-22 Das zweiundzwanzigste Türchen …

Wat den eenen sin Uhl …

Wat den eenen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall. Die Einsicht ist, wie’s scheint, uralt. Die Geschmäcker sind nun mal so verschieden, daß es wenig Sinn macht, darüber zu streiten: de gustibus non est disputandum.

Wir haben hier eine x-beliebige Eigenschaft – nennen wir sie ›ping‹ – nebst ihrem Gegenteil – nennen wir es ›pong‹ – nebst deren möglichen Ausprägungen, ›maßvoll‹ vs. ›extrem‹, in eine 4-Felder-Tafel einsortiert. Die Technik läßt sich übrigens bis mindestens auf Aristoteles zurückverfolgen – auch wenn der, soweit wir wissen, noch keine 4-Felder-Tafeln benutzt hat.

Im Beispiel gehen wir davon aus, daß jemand von Haus aus ein vorsichtiger Mensch ist, ›ping‹. Das Gegenteil, ›pong‹, wäre demnach, mutig zu sein. Wir hätten übrigens ebensogut ›Yin und Yang‹ sagen können. Das allerdings sind keine Adjektive im engeren Sinne. Bleiben wir also bei ›ping‹ und ›pong‹ für Teil und Gegenteil.

Das interessante an dieser Stelle: Jemand, der sich selbst als vorsichtig einstufen würde, würde jemanden, der das Gegenteil verkörpert, also eher „mutig“ ist, keinesfalls als mutig einstufen, sondern eher als – leichtsinnig. Umgekehrt würde jemand, der sich selbst für eher mutig hält, sein Gegenstück nicht etwa vorsichtig nennen, sondern eher „ängstlich“. Kurzum: Es gibt eine gewisse Neigung, alles, was uns fremd oder zumindest unverständlich anmutet, zumindest sprachlich abzuwerten. Daß eine solche pejorative Kategorisierung wenig der Toleranz und erst recht nicht der Akzeptanz förderlich sein kann, dürfte unmittelbar einleuchten. Und doch scheint es so zu sein.

Hier ein Beispiel aus dem richtigen Leben. Bolle war zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Die Party wurde über eine WhatsApp-Gruppe organisiert. Nach Wochen des kommunikativen Hin und Her’s kam dann der erste damit raus, daß ja wohl alle getestet sein würden. Sonst könne er, leider, leider, nicht kommen. Aus seiner Sicht offenbar der Typ ›vorsichtig‹. Aus Bolles Sicht natürlich eher der Typ ›ängstlich‹. Also, was tun?  Helwigs Werte (so heißen solche 4-Felder-Tafeln) in der WhatsApp-Gruppe ausdiskutieren? Absehbar wenig erfolgversprechend und damit sinnlos. Bleibt wegbleiben. Mit oder ohne Abmeldung? Die guten Sitten verlangen nach einer Abmeldung – der Erhalt der guten Laune spricht allerdings dagegen.

Wie allgemein damit umgehen? Alles zu unterlassen, was irgend jemanden (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auch nur stören könnte, kann aus rein mathematischen Gründen nicht die Lösung sein. Es gibt nun mal absehbar dermaßen viele Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten, daß die Lösungsmenge rucki-zucki auf die leere Menge zusammenschnurren würde. Eine Diskussion darüber zu führen, ob es „besser“ ist, vorsichtig zu sein oder ob es besser ist, mutig zu sein, ebensowenig. Wir befinden uns hier in der Domäne von Schwester Ethik (vgl. dazu So 24-01-21 Dreschflegel) – und die ist für Argumente nun mal völlig unzugänglich.

Und so wurde die Spaltungsdynamik, hier im ganz Kleinen schon, um einen weiteren Fall bereichert. Eine grundsätzliche Lösung ist, wie’s scheint, nicht in Sicht. Das soll uns aber nicht die Weihnachtsstimmung verderben – und wäre im übrigen auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 15-12-22 Das fünfzehnte Türchen …

Dicht vorbei ist auch daneben …

Im Bestreben, es etwas gemütlicher angehen zu lassen, hatten wir gestern (Mi 14-12-22 Das vierzehnte Türchen …) Henry Ford, Automobilhersteller und Aphoristiker, zu Wort kommen lassen. Daß wir gegenwärtig in einer Welt leben, in der ein Begriff wie „Versteher“ bis in höchste Partei- und Pressekreise nachgerade zum Schmähwort mutieren konnte, hatten wir dabei nur am Rande erwähnt.

Hier noch ein kleiner Nachtrag zu Henry Ford. Nach einem Anekdötchen soll sich seinerzeit folgendes zugetragen haben. Eine von Fords Maschinen lief nicht rund und er ließ einen externen Mechaniker kommen. Der warf einen fachkundigen Blick auf das Problem und löste es binnen weniger Minuten. Auf der Rechnung stand: „Schraube anziehen: 20 Dollar“. Waas? 20 Dollar für Schraube anziehen? Henry Ford war entsetzt und wollte nicht zahlen. (Dazu muß man wissen, daß 2 Dollar in etwa dem Tageslohn eines Arbeiters entsprochen haben.) Woraufhin der Mechaniker – offenbar nicht nur der Mechanik kundig – eine neue Rechnung ausgestellt hat: „Schraube anziehen: 50 Cent. Wissen, welche Schraube: 19 Dollar 50 Cent.“ Ford soll anstandslos gezahlt haben.

Was will uns das sagen? Nun – wäre Henry Ford ein Spitzenpolitiker kontemporärer Prägung gewesen, hätte er den Mechaniker wohl unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt, die Rechnung wegen Annahmeverzuges (so heißt das zumindest im deutschen Recht) wohl trotzdem bezahlen müssen und überdies laut und vernehmlich „Mit dem Geschäfte machen? Nie wieder!“ gebrüllt.

Und so gibt es auch im Kleinen Unterschiede, die durchaus einen Unterschied machen. Die Ford Motor Company gibt es heute noch. Ob das für weitere Kreise der aktuellen Politprominenz demnächst auch noch gelten wird – darauf würde Bolle nicht mal einen Pfifferling verwetten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 10-12-22 Das zehnte Türchen …

Kurzdialog: — Bolle ist doof! — Definiere ›doof‹.

Hier also – wie vorgestern schon erahnt und gestern regulär angekündigt, der erste Teil unserer kleinen Trias ›Demokratie/Rechtsstaat/Verfassungsstaat‹.

›Demokratie‹ gehört – man kann das wohl kaum anders sagen – linguistisch gesehen zur Gruppe der meliorativen Blähwörter: Klingt gut bzw. soll gut klingen, ist dabei aber wenig trennscharf. In Bolles Kreisen spricht man auch von „Wünsch-Dir-was“-Wörtern. Die systematische Verwendung solcher Begriffe nennt man ›Waber-Laber‹. Dabei ist derartiger Sprachgebrauch gar nicht mal so selten: Prominente Beispiele wären etwa ›Leistung‹ (als Grundbegriff der „Leistungsgesellschaft“) oder auch ›Wettbewerbsfähigkeit‹ (als Grundbegriff wirtschaftspolitischer Ausrichtung).

Damit eignet es sich als Begriff hervorragend zur Errichtung quasi-staatsreligiöser Systeme. Wenn man der kontemporären Polit-Prominenz oder auch weiten Teilen der Presse so zuhört, könnte man meinen, ›Demokratie‹ sei so etwas wie die ›Herrschaft der Guten‹ (vgl. dazu auch So 06-12-20 Das sechste Türchen — Nikolausi …). So krass darf man das natürlich nicht sagen, of course – auch wenn „gefühlt“ genau das gemeint ist: Israel als einzige Demokratie im Nahen Osten, Indien als größte Demokratie in Fernost, etc. bla bla – immer im Gegensatz zu den weniger Guten.

Was aber meinen wir inhaltlich, wenn wir von ›Demokratie‹ reden? Ganz wörtlich die Herrschaft des Volkes, of course. Dabei gilt es als zulässig, wenn das Volk zumindest mittelbar herrscht, indem es seine Herrscher alle Jubeljahre einmal wählen geht.  Diese Lesart hat übrigens auch Popper überzeugt – der die Vorzüge einer Demokratie ganz bescheiden darin sieht, daß es möglich ist, die Herrschenden bei Mißfallen „ohne Blutvergießen“ abwählen zu können.

Dumm nur, daß nach dieser Definition Deutschland eben keine Demokratie wäre. In Deutschland kann man nur seine Legislative wählen – die dann wiederum aus ihren Reihen eine Regierung bildet. In den USA zum Beispiel ist das anders. Da wird der Präsident (fast) direkt vom Volk gewählt, und zwar jeweils zeitversetzt – so daß es nicht selten vorkommt, daß Regierung und Parlament verschiedenen Lagern entstammen. In Deutschland dagegen kann man seine Regierung nur abwählen, indem man zunächst andere Parteien in die Legislative wählt. Was die dann damit machen – von Koalitionsbildungen bis hin zur Bestimmung des Regierungschefs – steht weitestgehend in den Sternen.

Was ist dann der Inhalt? Das Zauberwort heißt ›Partizipation‹. Gib den Leuten um Dich herum – egal, ob wir hier von einem Staatswesen reden, einem Unternehmen oder auch nur einer Familie – das Gefühl, daß sie auch was zu sagen haben, und schon werden sie Dir sehr viel williger folgen. Das Gefühl reicht völlig – wirklich zu sagen haben müssen sie nichts. In Bolles Kreisen sind das elementare sozialpsychologische Einsichten. Die Frage ist: kann man auf ein so windiges und so leicht zu durchschauendes Konzept eine ganze Staatsreligion aufbauen? Die Antwort: man kann, wie’s scheint. Auf der „gefühlten“ Ebene liegt die intellektuelle Latte nun mal nicht allzu hoch. Dazu ein Kurzdialog zwischen den drei Königen aus dem Morgenlande – wie ihn Lilli Bravo aufs Feinste auf den Punkt gebracht hat:

Der erste König: „Ein fliegendes Kind im Nachthemd möchte, daß wir dem Baby einer Jungfrau Geschenke bringen.“ — Der zweite: „Crazy! Ich bin dabei!“ — Der dritte: „Klingt plausibel.“

Wie wir unschwer erkennen können – zumal jetzt zur Weihnachtszeit der Christenmenschen, stehen auch andere große Ideen kognitiv auf eher tönernen Füßen. Darauf also kommt es offenbar nicht an. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 22-12-21 Das zweiundzwanzigste Türchen …

Ansichten eines Baumes.

Daß „Fakten“ in einem relationalen Universum nicht monolithischer Natur sind, sondern schwer davon abhängen, welche Perspektive einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einnimmt, haben wir uns ja längst klargemacht. Unser heutiges Türchen soll uns allegorisch erhellen, daß auch das, was einer „findet“ bzw. empfindet (vgl. So 19-12-21 Das neunzehnte Türchen — der vierte Advent …) – und sei es auch nur Mitleid –, nicht zuletzt eine Frage der Perspektive ist. Falls jemanden noch Zweifel plagen sollten – was ja einer agnostisch-kontemplativen Haltung durchaus zuträglich sein dürfte: Versetzt Euch einfach mal in die Perspektive eines stolzen Baumes am anderen Ende der Allee.

Und so bleibt es bei der Frage, die sich immer wieder stellt: Scheint die Welt so groß und vor allem auch so „komplex“, weil der Kopf so klein? (vgl. Mo 29-03-21 Osterruhe ohne Ende). Das aber wär’ für heute dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel …

Sa 18-12-21 Das achtzehnte Türchen …

Hört auf Lehrer Lämpel — hört auf die Wissenschaft!

Bei unserem heutigen Türchen handelt es sich um den Kern vom »Schluß« von Wilhelm Buschs »Max und Moritz«, of course. Ein Wunder, daß das noch nicht auf dem Index steht – von wegen etwa der vierte Streich mit der Explosion von Lehrer Lämpels Meerschaumpfeife:

Nase, Hand, Gesicht und Öhren
Sind so schwarz als wie die Möhren.

Das ist zwar inhaltlich nicht gaanz richtig – Möhren sind eher gelb-orange – aber bitteschön. Wenn’s den kontemporären Befindlichkeiten dient …  Und ist nicht schon Wilhelm Busch im Namen von Schwester Ästhetik recht freizügig mit der Sprache umgegangen? Bolle meint: Was der Ästhetik recht ist, ist der Ethik billig. Oder etwa nicht?

Neulich hat Bolle, ganz am Rande nur, natürlich, mit einem Öhr in eine Talkshow reingehört. Da saßen sie alle, die alten weißen Männer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) und konnten sich vor seliger Selbstgerechtigkeit gar nicht einkriegen zu betonen, wie unverständlich doch das Unverständnis der Unwilligen sei. In Bolles Kreisen nennt man so etwas „mangelnde Akkuratesse der Sozialperspektivität“ – das völlige Unvermögen, sich eine andere als die eigene Perspektive auch nur vorstellen zu können. Eine Fähigkeit übrigens, die unter Primatenforschern als Zeichen von Intelligenz gilt. Daß man überdies anderen Perspektiven unmöglich mit Argumenten beikommen kann, hatten wir neulich schon (vgl. Do 16-12-21 Das sechzehnte Türchen …) anhand eines sehr schlichten Exempels geklärt. Doch weiter mit unserer Talkshow: Dort hieß es, man müsse dem „mit allen Mitteln des Rechtsstaates entschlossen entgegentreten“. Schließlich gelte:

In Gefahr und großer Noth
Bringt der Mittel-Weg den Tod.

Wenn das kein hübsches Motto für eine verhagelte Schönwetterdemokratie ist …  Der Spruch stammt aus Friedrich von Logaus (1605–1655) umfangreicher Epigramme-Sammlung. Da steht übrigens durchaus noch einiges mehr – wie etwa:

Leb ich / so leb ich!
Dem Herren hertzlich;
Dem Fürsten treulich;
Dem Nechsten redlich;
Sterb ich / so sterb ich!

Das hätte ohne weiteres auch vom Erlöser der Christenmenschen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) stammen können – wenn auch vielleicht etwas gleichnishafter formuliert. Von Logau für sein Teil war vom 30-jährigen Krieg (1618–1648) gestählt und hatte offenkundig noch Koordinaten im Kopp. Bolle meint: Mit solchen Leuten in Talkshows würd ick doch glatt mit mehr als nur nem halben Öhr hinhören. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Do 09-12-21 Das neunte Türchen …

Hört auf die alten Meister …

Hier also, wie versprochen – oder wie zumindest angedeutet –, ein deutlicher Schritt Richtung weihnachtlich. Das gilt zumindest dann, wenn wir uns nicht unbedingt auf ein doch etwas hochtrabendes „Fest der Liebe“ kaprizieren wollen und uns dafür mit einem ebenso schlichten wie agnostisch-kontemplativen „Memento an das Mitgefühl“ bescheiden. That’s a start, isn’t it?

Und? Wer hat’s gesagt? Adam Smith, of course, der uns neben seinen „ethischen Gefühlen“ auch noch den „Wohlstand der Nationen“ hinterlassen hat – und damit vornehmlich die Zunft der Ökonomen in höhere Sphären der Verwirrung katapultiert hat. Wie kann man denn erst über Mitgefühl schreiben und kurz darauf einen Catch-as-Catch-Can-Kapitalismus propagieren? Die ebenso schlichte wie ergreifende Antwort: Hat er gar nicht. Seine „unsichtbare Hand“ als durchschlagende Metapher für die angeblich sensationelle Überlegenheit des freigelassenen Marktes liest sich bei ihm wie folgt:

Alle, die jemals vorgaben, ihre Geschäfte dienten dem Wohl der Allgemeinheit, haben meines Wissens niemals etwas Gutes getan.

Das klingt doch gleich ganz anders – wenn nicht gar umgekehrt …

Und? Wie geht es weiter mit unserem Zitat?

Man mag den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.

So heißt es gleich im allerersten Satz. Wie kommen wir darauf? Kürzlich hat Joachim Bauer, seines Zeichens Arzt, Neurowissenschaftler und Psychotherapeut und überdies gleich zweifach habilitiert, ein Buch vorgelegt mit dem Titel: »Das empathische Gen« sowie dem Untertitel »Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen«. Darin heißt es unter anderem, daß Gutes tun schon nach kurzer Zeit den Cocktail der Körpersäfte einmal gründlich aufmischt. Frech gefaßt und wohl doch nicht ganz daneben könnte man vielleicht sagen: „Tu Gutes und profitiere davon.“ Das Netz tobt – jedenfalls auf den hinteren Rängen.

Wirklich überraschend ist das natürlich nicht. Denken wir nur an Ebenezer Scrooge in Charles Dickens’ »A Christmas Carol« (1843), der sein Wohlbefinden buchstäblich von heute auf morgen dramatisch steigern konnte, nachdem er – nach gehöriger Heimsuchung gleich dreier Geister in einer einzigen Nacht – seine harsche Haltung gegenüber seinen Mitmenschen ad acta gelegt und sich zum fröhlichen Erdenbürger gemausert hatte.

Bauers Verdienst besteht vor allem darin, daß uns die Vorzüge einer gewissen Empathie nicht länger einfach nur einleuchten müssen. Nein – jetzt haben wir es strikt biochemisch schwarz auf weiß. Fragt die Wissenschaft! Wem das hilft, der mag es für sich nutzen.

Übrigens: Dickens’ Weihnachtsgeschichte gibt es für Einsteiger in einer sehr niedlichen Fassung mit den Muppets (USA 1992 / Regie: Brian Henson / mit Michael Caine in der Hauptrolle). Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Fr 03-12-21 Das dritte Türchen …

Hammer und Nagel.

Im Grunde sollte das ja der Ausnahmefall sein. Wer nur einen Hammer hat, sollte sich tunlichst darum kümmern, seinen Werkzeugkoffer zu vervollständigen, statt auf alles draufzukloppen in der Hoffnung und Erwartung, es werde sich dabei ja wohl um einen Nagel handeln. Der Nagel dieser Tage sind, wie’s scheint, die armen unverständigen Ungeimpften. In Old-Fashioned-Western hieß es noch: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.“ Das soll man heute so nicht mehr sagen. Heute spricht man vorzugsweise von ›Angehörigen eines indigenen Volkes in Amerika‹ – möglichst ohne zu versäumen hinzuzufügen: beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course. Auch dürfen wir das nicht Eins-zu-Eins auf heutige Verhältnisse übertragen. Etwas zivilisierter sind wir dann ja doch. Obwohl, eine Fassung wie etwa: „Nur ein geimpfter Ungeimpfter ist ein guter Ungeimpfter“ dürfte den kontemporären Befindlichkeiten doch recht nahe kommen. Also immer feste druff. Ist das jetzt übertrieben? Mitnichten, leider. Erst gestern war zu hören, es müsse einen „Impfknall“ geben in Deutschland. Dabei hat Bolle schon vor Jahr und Tag bei so manchem einen mehr oder weniger ausgeprägten Impfknall ausmachen können. Allerdings hat Bolle mutatis mutandis auch weit mehr als nur einen Hammer in seiner Werkzeugkiste. Seien wir also nicht zu streng, wenn wir von der „Lizenz zum Impfen“ (etwa für Apotheker oder Zahnärzte) hören, von „Akten der nationalen Solidarität“ oder gar von „Generälen“ mit ihren „schnellen Eingreiftruppen“. Aber so ist das wohl, wenn man nur einen Hammer hat. Bolle fragt sich nur: Was machen die eigentlich mit ihrer Schönwetter-Demokratie, wenn die mal ein richtiges Problem haben – so richtig existentialistisch? Aber das ist wohl doch schon wieder ein anderes Kapitel …