So 31-01-21 Wissen, wohin …

Wissen, wohin.

Hier ein knapper Auszug aus unserer Reihe »Der historische Text«. Bolle hat ihn seinerzeit im Rahmen seiner Abschlußprüfung in Soziologie verfaßt. Hat sich seitdem was wesentlich Neues ergeben? Mitnichten. Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Auch scheint Bolle der Zeitpunkt für eine Veröffentlichung günstig, da erstens sein lieber guter alter Soziologie-Professor kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert hat und auch Franz, der Weise, dieser Tage immerhin 63 wird. Wohlan, denn. Hier der Text:

Die zukünftig Herrschenden haben den zukünftig Beherrschten eines voraus – und das ist ihre Ausrichtung. Meine These ist, daß die Ausrichtung alleine hinreichend sein kann – unabhängig von etwaigen Machtmitteln wie etwa „Kapital“ im weitesten Sinne. In den Beispielen bei Popitz 1992 (»Phänomene der Macht«) unterscheiden sich die zukünftigen „Liegestuhlbesitzer“ von den Nichtbesitzern nur darin, daß sie – aus welchen Gründen auch immer – einen eigenen Liegestuhl beanspruchten. Mit anderen Worten: Sie wußten, was sie wollten – sie waren auf ein Ziel ausgerichtet. Dabei braucht Machtentfaltung und vor allem ihre Etablierung als Herrschaft Zeit – sie entwickelt sich in aller Regel nicht spontan.

Versteht man unter »Institutionalisierung« etwa ›Verfestigung und Verstetigung‹ von Strukturen und faßt man »Strukturen« (begrifflich klarer) als ›Relationen‹ auf, dann ist es wohl nicht nur so, daß Herrschaft nach Institutionalisierung strebt, sondern auch – gerade umgekehrt – daß Institutionalisierung Herrschaft hervorbringt. Historisch gesehen wurde und wird die Zeitgebundenheit der Machtentfaltung unterstützt durch Institutionen, vor allem (1) Privateigentum und (2) Erbrecht – funktional betrachtet also die Möglichkeit, Erfolge zu akkumulieren, und zwar über die Lebensspanne einer einzelnen Person hinaus.

Nun sind Privateigentum und Erbrecht in vielen Gesellschaften schon sehr lange institutionalisiert. Aber erst mit dem Kapitalismus – also dem Vordringen des Kapitals als wichtigste materielle Machtgrundlage – entstand eine bis dahin undenkbare Akkumulationsmöglichkeit von Macht. Die herkömmliche Machtgrundlage – Eigentum an Grund und Boden und vor allem die daraus resultierenden Einkünfte – ließ sich nur durch Erwerb weiteren Bodens erweitern, also im Regelfall durch Eroberungen. Der Bodenertrag war im wesentlichen eine Funktion der Fläche. Erst mit der Erfindung des Kunstdüngers (Justus Liebig) wurde eine (vergleichsweise mäßige) Steigerung des Bodenertrags pro Hektar möglich. Auch die „Wachstumsrate“ etwa einer Viehherde hält sich in engen, natürlich vorgegebenen Grenzen.

Die Produktivität von technischen Anlagen (Kapital) ist dagegen fast grenzenlos steigerbar. Durch die Trias (1) Privateigentum, (2) Erbrecht und (3) Kapital als Produktionsfaktor ist also der „Belohnungswert“ einer langfristigen Ausrichtung so hoch wie noch nie. Der Kapitalismus war demnach auch nicht das Werk von (eher kurzfristig orientierten) „Nutzenmaximierern“, sondern – ganz im Gegenteil – das Werk von „innerweltlicher Askese“ (Max Weber), also einer langfristig und sogar generationenübergreifend angelegten Ausrichtung auf ein Ziel hin. Ganz analog verhält es sich mit anderen Kapitalformen – etwa kulturellem Kapital (Bourdieu) in Form von Ausbildung oder Titeln: Je länger eine Ausbildung regelmäßig dauert, desto höher ist in der Regel das damit verbundene Prestige und somit auch das potentiell erzielbare Einkommen. Warum ist Ausrichtung so wichtig? Zwei Gründe scheinen mir wesentlich:

  1. Der time-lag zwischen Aufwand und Ertrag. Vorzeitiges Abbrechen einer Handlungskette bringt einen um den Ertrag – zurück bleibt der Aufwand, und nur der Aufwand. Ein Beispiel wäre ein Bauer, der im Herbst auf die Idee kommt, seine Zäune zu streichen, statt die Ernte einzufahren.
  2. Die Reduktion von Kontingenz bzw. Transformation von Kontingenz in Realität. Die Wirklichkeit wird „wirklicher“, wenn sie sich nicht im Raum der Möglichkeiten verzettelt.

Soweit der Text. Wem das zu theoretisch war: Überlegt doch mal, wie sich Ausrichtung bzw. „Entschlossenheit“ heute ganz lebenspraktisch äußert: „Schnabel aufreißen“ heißt die Devise. Je lauter, desto besser. Wer schreit, hat Recht. Unglücklicherweise hat sich der Journalismus 2.0 offenbar dieser Deutung angeschlossen und verkauft dem Publikum Lautstärke als Ausweis von Engagement. Die Gediegeneren begnügen sich derweil damit, ihre Anliegen nach allen Regeln der Kunst zu institutionalisieren. Zwar dauert das länger – ist aber um so wirkungsvoller. Wer schließlich mehr über das „Liegestuhl“-Beispiel erfahren möchte – die Lektüre lohnt unbedingt, und sind auch nur knapp 10 Seiten –, der (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) möge das Bändchen erwerben oder bei uns anfragen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 30-01-21 Denken nützt …

Denken nützt.

Heute konnten wir in den bildungsbürgerlichen Medien erfahren, daß Statistiker ermittelt haben, daß die sogenannte „Übersterblichkeit“ in Deutschland zur Zeit bei 5% liegt – daß zur Zeit also 5% mehr Leute sterben als sonst. Kiek ma eener an, meint Bolle und verweist auf unseren Beitrag von neulich, Mo 25-01-21 Live forever? Dort hatten wir locker überschlagen, daß in Deutschland regelmäßig und sowieso Jahr für Jahr 1 Mio Leute sterben – wobei gegenwärtig etwa 50.000 Corönchen zugerechnet werden. Nun ist es so, daß 50.000 geteilt durch 1 Mio zufälligerweise justamente 5% ergibt. Dafür braucht man weiß Gott keine Statistiker – und erst recht keine Mathematiker. Das kann jeder Taschenrechner.

Natürlich möchte Bolle mitnichten „arrogant“ rüberkommen. Aber ein wenig verwundert ist er schon, mit welcher Gründlichkeit – um nicht zu sagen: Scheingenauigkeit – seit Monaten neben den regulären Nachrichten in ungezählten „Extras“ und „Spezials“ über R-Werte, Inzidenzwerte, Verstorbene, „Genesene“ und weiß der Teufel was sonst noch auf die Einerstelle genau (!) berichtet wird. Besonders pikant findet Bolle den regelmäßigen Hinweis, daß es sich hierbei nur um Datenmüll handeln kann (so sagt das natürlich keener – aber genau darauf läuft es hinaus), unter anderem, weil „am Wochenende weniger Daten gemeldet“ würden. Bolle meint: Wie man aus Daten schwankungsbereinigte Trends ermittelt, ist den Statistikern seit mindestens 100 Jahren klar. Warum dann das Volk Tag für Tag sinnlos zumüllen? Weil es „gefühlt“ mehr zu berichten gibt? Weil es die Leute in „gefühlter“ Dauer-Alarmbereitschaft hält? Wenn das mal gutgeht auf die Dauer … Aber das ist dann doch vielleicht schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 29-01-21 Humor und Haltung

Humor und Haltung.

Ich war zu meiner Zeit ziemlich berühmt. Manche haben sogar meine Bücher gelesen. Diese Mischung aus Humor und Haltung bringen vorzugsweise Briten auf den Punkt. Zum besten gegeben hat das Stephen Hawking in einer von der BBC frisch ausgestrahlten Version vom »Anhalter durch die Galaxis«. (Ja, ja – der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Schon klar …). Das war am 8. März 2018 – sechs Tage vor Hawking’s Tod, by the way. Was soll man da sagen? Kult meets Kult, vielleicht. Der »Anhalter« selbst konnte 2018 seinen 40. Geburtstag feiern. And still going strong. Selbst Bolles Studenten haben eine zumindest vage Vorstellung davon.

Wie aber erlangt man eine solche Popularität? Und vor allem: Wie bringt man Leute dazu, sogar die Bücher zu lesen, die man schreibt? Hawking selbst soll im Vorwort seiner »Kurzen Geschichte der Zeit« angemerkt haben, daß ihn sein Verleger gewarnt habe: Jede Formel im Buch würde die Leserschaft glatt halbieren. Das muß vor 1988 gewesen sein. Allerdings hätte Hawking das wissen können. Schon 1951, also über 30 Jahre zuvor, hatte ein nicht weniger prominenter Kollege aus der OxCam-Connection, Bertrand Russell, in einer kleinen Ansprache zu »The Use of Books« die Befürchtung geäußert, daß zu viele Formeln wirklich zu viele abschrecken. Dabei ging es allerdings ausgerechnet um die »Principia Mathematica« (Russell / Whitehead 1910-1913). Aber Russell ahnte schon, was fehlt: Zu wenig „moral uplift“, also moralische Erbauung, im Standardwerk der Mathematik.

Und?, fragt sich Bolle. Was hat das mit mir zu tun? „Terror, Ficken, Hitler“ (so das Känguru in Marc-Uwe Klings einschlägigen Chroniken) einschließlich entsprechender Inhalte kann’s dann wohl ja auch nicht sein.

Das führt uns zu der Gretchenfrage für heute. Lesen Leute überhaupt noch? Oder sind sie vollauf damit beschäftigt, ihre Emails zu checken, Follower zu beglücken oder selber brav zu „folgen“ – oder auch nur die nächsthöhere Stufe in irgendeinem Daddel-Ding zu erklimmen? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 28-01-21 Sozialisation. Wird schon? Oder Hohn?

Bolles Definition von Sozialisation.

Zugegeben: Eine regelrechte Definition im aristotelischen Sinne, von wegen „omni definitio fit per genus proximum et differentiam specificam“, ist das natürlich nicht. Bolle mag sie trotzdem. Bleiben wir also dabei – und suchen wir uns einen cartesianischen Ausgangspunkt. Clare et distincte, eben. Den zu finden ist allerdings gar nicht allzu schwer.

Erstens: Man kann es, egal was man tut, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene unmöglich allen recht machen – es sei denn, alle sind per se der gleichen Meinung bzw. haben eine ähnliche Vorstellung davon, was eine „gute“ Gesellschaft ausmacht. Davon allerdings können wir weiß Gott nicht ausgehen.

Zweitens: Je „homogener“ eine Gesellschaft, desto wahrscheinlicher ist es, daß die Vorstellungen von einer „guten“ Gesellschaft einigermaßen deckungsgleich und damit politisch handhabbar sind. Sowohl die Werte als auch das Verhalten und nicht zuletzt auch das Erscheinen bilden sich – und zwar von Kindertagen an – in der Auseinandersetzung mit den jeweils Anderen. Niemand, wirklich niemand, entwickelt sein Weltbild out of thin air.

Drittens: In einer „heterogenen“ Gesellschaft ist das grundsätzlich anders. Hier treffen nicht selten Leute, die die Verfassung sprichwörtlich unterm Arm tragen, auf Leute, die – nur zum Beispiel – die Sharia für verbindlich halten. Dürfen die das? Aber Ja doch. Jeder mag nach seiner Façon glücklich werden – das hat der Alte Fritz vor über 250 Jahren schon so gesehen. Allein: Eine gelingende Sozialisation – i.S.v. „Du wirst so wie die Leute um Dich herum“ – ist auf diese Weise nicht möglich. Warum nicht? Weil „Die Leute um Dich herum“ einfach nicht mehr definiert sind.

Daraus folgt, viertens: Je heterogener eine Gesellschaft aufgestellt ist, desto heftiger wird sich ein Teil der Gesellschaft in ihrer Freiheit eingeschränkt bzw. in ihren Werten (i.S.v. ›allgemeines Für-richtig-halten‹) verraten fühlen.

Damit stellt sich die Frage, wie eine „Mehrheitsgesellschaft“ mit so etwas umgehen soll. Die naheliegendste Möglichkeit wäre eine Art von Werte-Relativismus („Macht doch, was Ihr wollt“). Eine charmante Idee – nur läßt sich darauf kaum eine Gesellschafts- und schon gar nicht eine Rechtsordnung aufbauen. Demnach haben wir es hier also mit einer „Null-Lösung“ zu tun: fein – aber nicht funktional.

Die anthropologisch bzw. sogar biologisch seit Jahrmillionen eingeführten „Konflikt-Bereinigungsstrategien“  sind Unterwerfung, Vertreibung und schließlich auch Vernichtung – in dieser Reihenfolge (Schwarz’sche Konfliktlösungsstufen). Guckt Ihr denn nie Tierfilme? Oder glaubt Ihr etwa, das sei nicht vergleichbar und homo sapiens stünde über den Dingen? In diesem Falle würde Bolle Darwin gerne herzlich grüßen lassen.

Kurzum: daß in einer Gesellschaft verschiedene Werte vorherrschen, ist unabänderlich. Dabei gilt: Je heterogener, desto verschiedener. Einfach laufen lassen ist dabei keine Option – jedenfalls nicht auf längere Sicht. Für die drei restlichen Optionen brauchen wir dringend – um in der Tierreich-Analogie zu bleiben – so eine Art Beißhemmung. Nicht alles, was technokratisch „zielführend“ scheint, ist humanistisch auch vertretbar und könnte – um auf Darwin zurückzukommen – einen evolutionären Rückschritt um einige Millionen Jahre bedeuten. Es sei denn, wir finden eine sophistischere Definition von Evolution. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Auch und vor allem die Frage, was das alles mit dem 76. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zu tun haben soll, ist so was von ein anderes Kapitel, daß wir an dieser Stelle unmöglich darauf eingehen können.

Mi 27-01-21 Wahn und Wirklichkeit

Wahn und Wirklichkeit in der Dreigroschenoper.

„Wahn“ – das ist den meisten nicht klar – ist ein uraltes Wort. Der Ursprung läßt sich zurückverfolgen bis ins Althochdeutsche und darüber hinaus ins Germanische, Gotische und Altnordische. Und überall bedeutet es das gleiche – nämlich ›Hoffnung, Erwartung‹. Man könnte auch sagen: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die semantische Nähe zu „Wahnsinn“ dagegen ist vergleichsweise jung. Um vermeidbaren Konfusionen vorzubeugen, sollten wir uns besser auf „Wunsch und Wirklichkeit“ verständigen.

Die Wirklichkeit taucht regelmäßig im Singular auf – auch wenn die Perspektiven darauf höchst vielfältig sein mögen. Der Wünsche dagegen gibt es furchtbar viele. Auf den Brecht’schen Punkt gebracht: Wer plant, muß wählen. Damit ist zwar noch lange nicht gesagt, daß der Plan dann auch „geht“. Aber immerhin: It’s a start. Aber wählen – man könnte auch sagen: entscheiden – ist beileibe nicht jedermanns Sache. Und das ist karrieretechnisch ja auch durchaus klug. Wenn einer sagt: Dieses will ich, jenes nicht – dann hat er, namentlich in einer pluralistischen und massenmedial gesteuerten Gesellschaft, sofort alle am Hals, die exaktemente das Gegenteil wollen. Und wenn sich – rückblickend betrachtet – mehr oder weniger „nachweisen“ läßt, daß das ursprünglich Gewollte in eine Sackgasse geführt hat oder zumindest schwere „Nebenwirkungen“ mit sich gebracht hat, dann steht’s schlecht um die weitere Karriere. Folglich produziert „das System“ scharenweise Leute, die sich vernünftigerweise immer schön bedeckt halten. Einer Problemlösung, die den Namen verdient, kommt das allerdings  weniger zugute. So ist das nun mal bei Nash-Gleichgewichten. Sei’s drum.

Was hat das alles mit Corönchen zu tun? Corönchen – das scheint Bolle das Gute daran – wird uns zwingen, unsere vielfältigen Wünsche mit der einen Wirklichkeit abzugleichen. Im Zweifel gewinnt die Wirklichkeit – egal, was wir für wünschenswert halten. Im Moment sieht es ganz danach aus, als würden die „Markt-Taliban“ – die die letzten Jahrzehnte absolut die Oberhand hatten –  ein wenig in die Defensive geraten. Und das ist wohl auch gut so – andererseits dann aber doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 26-01-21 Live forever, again

Relative Corönchen-Anfälligkeit nach Lebensalter.

Nach unserem Beitrag von gestern (Mo 25-01-21 Live forever?) haben uns einige Rückmeldungen erreicht: Der wundersame Rückgang bei den über 90-jährigen könne ja wohl nur daran liegen, daß es von denen nicht mehr allzu viele gebe. Besten Dank dafür. Bolle – wie geht man mit so etwas um? Kein Problem – wir rechnen die Verteilung der verschiedenen Altersgruppen einfach raus. Gesagt, getan. Damit ergibt sich eine neue Graphik – die das Gemeinte allerdings nur noch unterstreicht.

In den Psaltern 90, 10 heißt es: Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.

Das aber ist – man kann es kaum anders sagen – die conditio humana auf den Punkt gebracht. Kommen wir damit klar. Sagen wir so: Die Wahrscheinlichkeit, das nächste Jahr (oder die nächsten Jahre – darauf kommt es nicht an) zu überleben, sinkt mit zunehmendem Lebensalter. Und nichts anderes spiegelt sich in unserer Corönchen-Anfälligkeits-Statistik: Je älter, desto anfälliger fürs Ableben. Kann man unter diesen Umständen sagen, daß Corönchen ursächlich ist – oder ist es einfach nur auslösend? Ein Trigger, auf neudeutsch. Bolle vermutet letzteres.

Das aber legt einmal mehr nahe, daß Corönchen eher ein psychologisches Problem auf der Ebene „letzte Fragen“ ist und weniger ein medizinisches. Wir haben es hier und überhaupt mit einer Population zu tun, die mit ihren dringend anzuratenden agnostisch-kontemplativen Exerzitien schwer ins Hintertreffen geraten ist. Bedauerlich – aber auf die Schnelle kaum zu ändern. Philister – alles Philister. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 25-01-21 Live forever?

Relativer Exitus nach Lebensalter.

Manche Dinge werden Bolle erst so richtig klar, wenn er eine Graphik vor Augen hat. Wenn die Angaben nicht lügen – wovon wir mangels besseren Wissens einmal ausgehen wollen – dann kann man Corönchen eigentlich nur als ›Rentnerproblem‹ einstufen. Nach entsprechender Datenverdichtung ergibt sich nämlich, daß 92,7% der Dahingeschiedenen auf Rentner entfallen. Das sind fast alle. Natürlich gönnt Bolle allen und jedem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ein möglichst langes und auch möglichst erfülltes Leben. Indes: Macht bei dieser Datenlage die feine Unterscheidung zwischen „an Corönchen“ und „mit Corönchen“ überhaupt noch irgendeinen Sinn? Oder ist Corönchen nur ein, zugegeben: auffälliger, Auslöser für den finalen Exit, der uns Menschen als sterblichen Wesen nun einmal bestimmt ist? Ist nicht jede andere denkbare Sichtweise im Kern frevelhaft, hybrid – oder gar gottlos?

Bevor wir hysterisch werden – hier die frohe Botschaft. Aus der Tatsache, daß 92,7% der Dahingeschiedenen Rentner sind, folgt nicht, daß furchtbar viele Rentner dahingeschieden sind. Noch liegt die Sterblichkeit insgesamt bei lediglich 0,6‰. Das ist so gut wie Null. Nun könnte man dagegenhalten und argumentieren, daß sie damit absolut gesehen bei über 50.000 liegt – und das seien 50.000 zuviel. Wiederum umgekehrt sollten wir uns aber auch klarmachen, daß in einem Land mit einer Wohnbevölkerung von etwa 80 Millionen und einer Lebenserwartung von in etwa 80 Jahren natürlicher- bzw. auch statistischerweise ohnehin 1 Mio Einwohner pro Jahr das Zeitliche segnen. Das, so meint zumindest Bolle, relativiert die 50.000 doch sehr. Könnte es nicht vielleicht sein, daß wir es hier weniger mit einem medizinischen Problem und nicht doch eher mit einer Form von anthropozentrischem Totalitarismus zu tun haben? Frei nach dem Motto: Let’s live forever. Fuck the rest of all. Das aber ist dann doch schon wieder ein definitiv anderes Kapitel.

So 24-01-21 Dreschflegel

Die drei Töchter der Philosophie.

Donald Trump ist erst mal „out“. Zeit für ein Comeback für Putin. Wir können und wollen uns hier nicht mit irgendwelchen Einzelheiten beschweren. Wenden wir uns lieber dem Grundsätzlichen zu. Menschliches Streben – im alten Wortsinne also die »Philosophie« – läßt sich rückstandsfrei unterteilen in die Bereiche Logik, Ethik und Ästhetik. Von Kant, der meinte, ein viertes erkennen zu können, wollen wir hier einmal absehen: Jeder kann sich mal verkanten. Die „drei Schwestern“ (wie Bolle sie in seinen Lehrveranstaltungen gerne nennt) haben zunächst einmal nichts, aber auch rein gar nichts miteinander zu tun – obwohl es in der Geschichte der Philosophie nicht an Versuchen gemangelt hat, das Gegenteil zu beweisen – vergeblich. Schwester Logik kümmert sich um Seins-Aussagen. Heute nennen wir das üblicherweise „Wissenschaft“. Schwester Ethik kümmert sich um das, was sein soll. Ihr Tummelfeld ist das Recht und die Religion – aber auch „Werte“ im weitesten Sinne. Schwester Ästhetik schließlich – die sleeping beauty unter den dreien – ist für die (mehr oder weniger) gefällige Darbietung des Gesagten zuständig.

Was auch immer man auf den ersten Blick meinen mag. Die drei können wirklich was, wenn man sie auf die Phänomene dieser Welt losläßt – allen Unterschieden zum Trotze, oder vielleicht gerade deswegen. Wenn wir etwa – um ein tagesaktuelles Beispiel herauszugreifen – erfahren, daß in Rußland zur Zeit gegen Putin demonstriert wird, dann gehört das als Ist-Aussage in den Bereich der Logik. Leider läßt es sich der Journalismus 2.0 nicht nehmen, dem Leser bzw. Zuhörer oder Zuschauer nicht nur zwischen den Zeilen, sondern ganz offen und unverblümt zu vermitteln, wie „schlimm“ Putin im Grunde doch sei. Das aber sind wertende Aussagen (2. Tochter), die im Qualitätsjournalismus (von den Kommentarspalten abgesehen) nichts zu suchen haben. Bolle möchte aufgrund der vermittelten Ist-Aussagen gerne selber entscheiden, was er „schlimm“ finden will und was nicht. Um last but not least die 3. Tochter, die sleeping beauty, nicht zu kurz kommen zu lassen: Wenn ein Reporter am Rande des Geschehens, also definitiv außerhalb der eigentlichen „Gefahrenzone“, dem Zuschauer mit aufgeregtem Gestus hautnahe Berichterstattung vorzugaukeln versucht, dann ist das einfach nur eine wenig gefällige Darbietungsform – mithin also schlechter Stil. Wir hatten diesen Punkt neulich schon mal gestreift – vgl. dazu Do 07-01-21 Journalismus 2.0. Warum der Beitrag »Dreschflegel« heißt? Das läßt und wird sich klären – ist dann aber doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 23-01-21 In vino veritas

Wahrer Wein und weiches Wasser.

Selbst der Erlöser der Christenmenschen fand offenbar, daß Wasser keine wirklich prickelnde Partydroge sei. Warum sonst hätte er bei der Hochzeit zu Kana (Joh. 2, 1–11) beträchtliche Mengen davon in Wein verwandeln sollen? Seine erste Wundertat, by the way.

Als das mit den Talk Shows seinerzeit auch im deutschen Fernsehen losging, saßen die Leute an so einer Art Küchentisch und haben sich, leicht alkoholisiert, alles mögliche um die Ohren gehauen. Außerdem wurde ohne Ende gequalmt. Das kam einer Show deutlich näher als alles, was wir heute erleben müssen. Heute halten sich weichgespülte Wichtigtuer in aufgemotzten Studios jeweils an einem Schlückchen Wasser fest – und verplempern die Hälfte der Sendezeit damit, ihrer „Besorgnis“ Ausdruck zu verleihen und zu betonen, wie entschieden sie doch die Ansichten der anderen „teilen“. Bolle meint: Fetzt überhaupt nicht. Wasser ist wohl wirklich nicht die Partydroge der Wahl – auch nicht für Talk Shows. Ist es wenigstens „gesünder“? Mag sein – wer weiß. Bolle indes beschleicht zunehmend der Eindruck, daß die Leute immer gesünder leben wollen und dabei immer kränker werden – und befürchtet, das könnte was mit dann doch nicht ganz leicht zu durchschauenden Autoimmunreaktionen zu tun haben. Wir sind nun mal aus einem Erdenkloß erschaffen (Genesis 2, 7) – und nicht etwa aus Plaste. Von wegen „Je zivilisierter, desto sterilisierter“ (Huxley’s ›Schöne neue Welt‹). Also doch lieber Wein?

Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben sich zwei grundsätzliche Beobachtungen ergeben: In vino veritas – im Wein liegt die Wahrheit, aber eben auch in vino feritas (letztlich schon Sprüche Salomos 20, 1) – im Wein liegt  das Ungestüm. Für eine Talk Show, die wenigstens ein wenig Wert auf den Show-Aspekt legt und nicht nur auf Talk, wäre beides keine schlechte Grundlage und beileibe kein Gegensatz. Der Satiriker Moritz Gottlieb Saphier hat es schon 1832 auf den Punkt gebracht: Der Wein und die Wahrheit sind sich insofern ähnlich, als man mit beiden anstößt. Na denn: Prost! Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 22-01-21 Vom Wollen und Verwirklichen

Der Turing-Test in Bolles Adaption.

Die IT-Technologie hatte in den 1940er Jahren für damalige Verhältnisse gigantische Fortschritte gemacht. Weder der Bau der Atombombe noch die Entschlüsselung der ENIGMA wäre ohne „Maschinen“ – wie die Rechner damals noch hießen – möglich gewesen. Damit kam die Frage auf, was passieren müsse, um eine Maschine als „intelligent“ einstufen zu können bzw. gar zu müssen. So kam es 1950 schon zum (später) so genannten „Turing-Test“: Wenn ein Mensch sich über längere Zeit mit einer Maschine austauschen würde, ohne seinen „Gesprächspartner“ als Computer „entlarven“ zu können, dann müsse man – so Turing – davon ausgehen, daß die Maschine „intelligent“ sei. Der Clou dabei: Wir reden hier nicht von humanoider Intelligenz. Der konnten und wollten die frühen Nerds schon damals nicht allzu viel zutrauen. Falls Ihr Zweifel habt: Fragt Euch doch mal kurz, was die dritte Wurzel aus 4711 ist? Und dann fragt mal Euren Taschenrechner. Die Antwort ist etwa 16,76374. Und? Wer war schneller? Oder zählt mal kurz durch, wie oft der göttliche Zuspruch „Fürchte Dich nicht“ in der Bibel vorkommt. Eine Maschine erledigt so etwas in sekundenschnelle. Oder versucht mal, einen modernen Schachcomputer zu schlagen. Fassen wir zusammen: Maschinen ticken anders – und können dabei sehr, sehr vieles sehr viel besser als humanoide Intelligenz das jemals können wird. Damit stellt sich früher oder später – nach heutigem Stand eher früher – die Frage: Wer hat auf Dauer das Sagen? Maschinen oder Menschen? Diese und ähnliche Überlegungen veranlaßten Turing damals schon zu der verschärften Fassung – daß also Maschinen auf die Idee kommen könnten, daß Menschen letztlich gar nicht denken können.

Und? Was sagt Bolle? Schlimmer geht immer. Wir hatten diesen Punkt am Rande schon mal kurz gestreift – vgl. dazu Fr 04-12-20 Das vierte Türchen … Bei ›Alice in Wonderland‹ heißt es ganz treffend:

– Könntest Du mir bitte sagen,
wie ich von hier aus am besten weiterkomme?
– Das hängt schwer davon ab, wo Du hin willst …

Kurzum: Solange man nicht weiß, wo man hin will, muß man sich nicht wundern, wo man ankommt – falls überhaupt irgendwo. Können die Maschinen das nicht für uns ausrechnen? Nein, können sie nicht. Wo wir hinwollen, müssen wir schon selber wissen. Und wenn wir uns nicht trauen zu wollen, sieht’s finster aus – furchtbar finster. Übertrieben? I wo. Hier ein einziges, klitzekleines Beispiel aus den heutigen Nachrichten: Wir wollen (1) „Freie Grenzen in Europa“ und wir wollen (2) „Die Pandemie eindämmen“. Ja, was denn nun? Idealerweise beides – und zwar gleichzeitig. Das funktioniert aber absehbar nicht.

Eine Maschine würde kühl zwei Eingaben erwarten:
Was sind die Zielparameter (was wollt Ihr erreichen)?
Was sind die Aktionsparameter (an welchen Stellschrauben ließe sich drehen)?

Und wenn wir dann bei Zielparameter „Friede, Freude, Eierkuchen“ nebst „Demokratie und Freiheit“ und vielleicht auch noch „heal the world“ eingeben, dann wird jede Maschine – und sei es die intelligenteste – ein fröhliches „Error“ ausspucken: Gleichungssystem nicht lösbar. Ein humanoides soziales System – insbesondere eine Demokratie – braucht da deutlich länger, um zum gleichen Ergebnis zu gelangen. Das indes geht absehbar so lange so weiter, bis die Maschinen dann letztlich doch zu dem Ergebnis kommen, daß Menschen in der Tat nicht denken können – und nicht einmal zu wollen wissen. Aber das ist dann wirklich doch schon wieder ein anderes Kapitel.