
Alle reden von Integration. Alle? Natürlich nicht. Bolle etwa hat da so seine Zweifel.
Der erste Punkt – wie so oft: Definiere ›Integration‹. John W. Berry, ein kanadischer Sozialpsychologe, hatte dazu 1970 schon sein Konzept des ›Acculturative Stress‹ vorgestellt. Dabei hat er mögliche Ausprägungen in einer 4-Felder-Tafel mit den Dimensionen ›Ist es wünschenswert, daß die Zugereisten ihre kulturelle Identität bewahren?‹ und ›Ist es wünschenswert, daß die Einheimischen Kontakt zu den Zugereisten herstellen bzw. halten?‹ dichotomisiert.
Dabei hat er den Fall Ja/Ja – also ›Die Zugezogenen sollen ihre kulturelle Identität bewahren‹ und ›Die Einheimischen sollen Kontakt zu ihnen herstellen bzw. halten‹ als ›Integration‹ bezeichnet. Und nur das.
Kontakt zu halten, während die Zugereisten ihre kulturelle Identität aufgeben, hat er ›Assimilation‹ genannt. Wir kennen das von den Borg aus StarTrek: „Sie werden assimiliert. Widerstand ist zwecklos.“ Auch das ist eine Form der Akkulturation, of course.
Daneben gibt es noch die ›Separation‹ mit der Botschaft: „Du darfst so bleiben wie Du bist – allerdings wollen wir nichts mit Dir zu tun haben“ und, last but not least, die ›Marginalisation‹: „Paß Dich gefälligst an. Zu tun haben mit Dir wollen wir trotzdem nichts.“
Und? Wie sieht’s in der real existierenden Wirklichkeit aus?
Nachdem Deutschland – gemeint ist natürlich die vom Volk inaugurierte Polit-Prominenz – jahrzehntelang mit sich gehadert hatte, ob D denn nun ein „Einwanderungsland“ sei oder nicht, hat sich, so zumindest will es Bolle scheinen, die Jellinek’sche normative Kraft des Faktischen (vgl. dazu Mo 09-12-24 Das 9. Türchen: Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze) Bahn gebrochen – wie immer, wenn man handelt (oder gewähren läßt), ohne einen Plan im engeren Sinne zu haben.
In den 1960er Jahren wurden die damals für das Wirtschaftswunder in der Tat dringend benötigten Hilfskräfte – von Facharbeitern zu sprechen, wäre wohl durchaus übertrieben – noch verschämt oder vielleicht auch naiv als „Gastarbeiter“ bezeichnet. Gäste zum Arbeiten einzuladen fand Bolle damals schon zumindest sprachlich schief. Wie sich sehr schnell zeigen sollte, war es durchaus auch inhaltlich schief.
So richtig gerappelt im Karton hat es dann aber erst in jüngerer Zeit, nämlich 2015, als es hieß, was und wie auch immer, wir würden das schon schaffen. Deutschland sei schließlich … bla, bla, bla. Besonnenere – und wohl auch durchaus klügere – Ganz-Fast-Zeitgenossen wie etwa Peter Scholl-Latour (1924–2014), die meinten, wer halb Kalkutta aufnehme, werde nicht etwa Kalkutta retten, sondern selber zu Kalkutta werden, wurden dabei verlacht, verspottet und verhöhnt – zumindest aber blieben sie ungehört.
Während sich die gewählten Vertreter des Deutschen Volkes – sonst immer bei jeder popeligen Kleinigkeit auf das Ansehen des „Hohen Hauses“ bedacht – dieser Tage in aller Welt-Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgeben, brillieren Teile der Polit-Prominenz mit vielsagenden Buchtiteln wie etwa ›Mein Bach‹ oder ›Freizeit‹ – oder so ähnlich. Ist Deutschland also am sprichwörtlichen Arsch? Fast könnte es einem so scheinen. Allein: Bolle mit seinem agnostischen Optimismus will nicht mal an das Verderben glauben. Schließlich habe sich Deutschland schon öfters mal aus der sprichwörtlichen Scheiße rausgeritten. Daß sich die Deutschen jedesmal vorher überhaupt erst reingeritten hatten, ist natürlich Teil der Wahrheit – und soll hier nicht geleugnet werden.
Im übrigen läßt sich Berrys Modell recht gut mit Harris‘ ›Ich bin o.k. – Du bist o.k.‹ (1976) verknubbeln – vergleiche dazu den kleingedruckten Text in den vier Feldern. Dabei zeigt sich, wenn man es zu Ende modelliert, sehr leicht und recht mühelos, was von alledem funktionieren könnte – und was never ever. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.