Do 22-12-22 Das zweiundzwanzigste Türchen …

Wat den eenen sin Uhl …

Wat den eenen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall. Die Einsicht ist, wie’s scheint, uralt. Die Geschmäcker sind nun mal so verschieden, daß es wenig Sinn macht, darüber zu streiten: de gustibus non est disputandum.

Wir haben hier eine x-beliebige Eigenschaft – nennen wir sie ›ping‹ – nebst ihrem Gegenteil – nennen wir es ›pong‹ – nebst deren möglichen Ausprägungen, ›maßvoll‹ vs. ›extrem‹, in eine 4-Felder-Tafel einsortiert. Die Technik läßt sich übrigens bis mindestens auf Aristoteles zurückverfolgen – auch wenn der, soweit wir wissen, noch keine 4-Felder-Tafeln benutzt hat.

Im Beispiel gehen wir davon aus, daß jemand von Haus aus ein vorsichtiger Mensch ist, ›ping‹. Das Gegenteil, ›pong‹, wäre demnach, mutig zu sein. Wir hätten übrigens ebensogut ›Yin und Yang‹ sagen können. Das allerdings sind keine Adjektive im engeren Sinne. Bleiben wir also bei ›ping‹ und ›pong‹ für Teil und Gegenteil.

Das interessante an dieser Stelle: Jemand, der sich selbst als vorsichtig einstufen würde, würde jemanden, der das Gegenteil verkörpert, also eher „mutig“ ist, keinesfalls als mutig einstufen, sondern eher als – leichtsinnig. Umgekehrt würde jemand, der sich selbst für eher mutig hält, sein Gegenstück nicht etwa vorsichtig nennen, sondern eher „ängstlich“. Kurzum: Es gibt eine gewisse Neigung, alles, was uns fremd oder zumindest unverständlich anmutet, zumindest sprachlich abzuwerten. Daß eine solche pejorative Kategorisierung wenig der Toleranz und erst recht nicht der Akzeptanz förderlich sein kann, dürfte unmittelbar einleuchten. Und doch scheint es so zu sein.

Hier ein Beispiel aus dem richtigen Leben. Bolle war zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Die Party wurde über eine WhatsApp-Gruppe organisiert. Nach Wochen des kommunikativen Hin und Her’s kam dann der erste damit raus, daß ja wohl alle getestet sein würden. Sonst könne er, leider, leider, nicht kommen. Aus seiner Sicht offenbar der Typ ›vorsichtig‹. Aus Bolles Sicht natürlich eher der Typ ›ängstlich‹. Also, was tun?  Helwigs Werte (so heißen solche 4-Felder-Tafeln) in der WhatsApp-Gruppe ausdiskutieren? Absehbar wenig erfolgversprechend und damit sinnlos. Bleibt wegbleiben. Mit oder ohne Abmeldung? Die guten Sitten verlangen nach einer Abmeldung – der Erhalt der guten Laune spricht allerdings dagegen.

Wie allgemein damit umgehen? Alles zu unterlassen, was irgend jemanden (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auch nur stören könnte, kann aus rein mathematischen Gründen nicht die Lösung sein. Es gibt nun mal absehbar dermaßen viele Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten, daß die Lösungsmenge rucki-zucki auf die leere Menge zusammenschnurren würde. Eine Diskussion darüber zu führen, ob es „besser“ ist, vorsichtig zu sein oder ob es besser ist, mutig zu sein, ebensowenig. Wir befinden uns hier in der Domäne von Schwester Ethik (vgl. dazu So 24-01-21 Dreschflegel) – und die ist für Argumente nun mal völlig unzugänglich.

Und so wurde die Spaltungsdynamik, hier im ganz Kleinen schon, um einen weiteren Fall bereichert. Eine grundsätzliche Lösung ist, wie’s scheint, nicht in Sicht. Das soll uns aber nicht die Weihnachtsstimmung verderben – und wäre im übrigen auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 18-12-22 Das achtzehnte Türchen – der vierte Advent …

Murphy totalmente …

Bekanntlich gibt es immer zwei Möglichkeiten. Zumindest in einer dichotomen Welt ist das so. Gleichzeitig bedeutet das, daß es in einer zweidimensionalen dichotomen Welt immer vier Möglichkeiten gibt. So auch hier. ›Etwas‹ – in der 4-Felder-Tafel etwas hochtrabend ›System‹ genannt – kann entweder funktionieren oder nicht funktionieren. Und es ist möglich, daß man weiß, warum es funktioniert oder nicht funktioniert. Oder man weiß es eben nicht.

Wenn etwas funktioniert und man weiß warum (Fall #1), ist alles fein. Der Fall, daß etwas nicht funktioniert, man aber weiß, warum das so ist (Fall #2), ist weniger schön. In diesem Fall muß man den Fehler halt beheben, das System reparieren. Wenn etwas nicht funktioniert und man weiß nicht warum (Fall #4), dann ist die sprichwörtliche Kacke am Dampfen. So etwas führt unmittelbar zu innerer Unruhe. Hier hilft es nur, solange zu insistieren, bis man weiß, warum es nicht funktioniert. Rücke vor zu Fall #2, sozusagen. Oft genug allerdings reichen die eigenen Fähigkeiten nicht aus und man ist auf fremde Hilfe angewiesen. Immerhin ist das allemal besser als mit nicht-funktionierenden Systemen zu arbeiten – was ja schließlich per se sinnlos wäre.

Eine sehr eigenartige Konstellation ist Fall #3. Etwas funktioniert, wir haben aber keine Ahnung, warum. Hier scheiden sich die Geister. Während die einen froh sind, daß es überhaupt funktioniert und die Gründe hierfür Gründe sein lassen, gibt es andere, die so etwas schier in den Wahnsinn treibt. Es soll so mancher schon bei der Erklärungssuche so lange am System rumgefummelt haben, bis es schließlich nicht mehr funktioniert hat. Immerhin wußte er (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) dann, warum und fühlte sich gleich besser. So weit würde Bolle – bei aller Aversion gegen Fall #3 – dann allerdings lieber doch nicht gehen wollen. Manchmal muß man eben einfach ganz pragmatisch die sprichwörtlichen Fünfe gerade sein lassen.

Natürlich gibt es im richtigen Leben oft doch noch mehr Möglichkeiten als in der binären Logik. So kann es etwa sein, daß etwas nicht funktioniert und man weiß nicht, daß es nicht funktioniert. Die Warum-Frage stellt sich hier also gar nicht erst. Genau das ist uns vorgestern abend passiert. Die Ankündigungs-Email war geschrieben, ins System eingetütet – und tschüß. Sollte man meinen. Daß sie aber nicht ankommen würde wie vorgesehen, hatte sich erst am nächsten Morgen herausgestellt. Und schon waren wir wieder in vertrauten Bahnen – in diesem Falle Fall #4. Nach ein bißchen Insistieren sind wir dann über Fall #2 zu Fall #1 gekommen: es funktioniert und wir wissen, warum. Zumindest wollen wir davon bis zum Erweis des Gegenteiles ausgehen.

Was das alles mit der Adventszeit, der Ankunft des Heilands der Christenmenschen zu tun hat? Nun, wenn wir uns zu Weihnachten nicht zuletzt auch ›Frieden‹ wünschen, sollten wir nicht vergessen, daß es beim Navigieren durch die 4-Felder-Tafel auch um eine Art von Frieden geht, die wir aus rein kontemplativen Gründen niemals geringschätzen sollten: Den Seelenfrieden – wie ihn unseres Wissens Robert M. Pirsig in seinem ›Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten‹ (1974) präsentiert und popularisiert hat. Wir werden morgen oder in den nächsten Tagen darauf eingehen. Für heute aber wär das dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 23-12-21 Das dreiundzwanzigste Türchen …

Wirklich wahr?

Laßt uns heute – gegen Ende unseres kleinen virtuellen Adventskalenders – noch einmal unser Spielbrett von vor fast zwei Wochen (vgl. Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …) aufklappen.

Dabei wollen wir weiterhin davon ausgehen, daß etwas für einen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) subjektiv wahr sein kann („true“) oder auch nicht („false“). Das zu ermitteln ist relativ easy: Man muß einfach nur fragen – zum Beispiel:

Wenn die Jugend von heute eine Straße wäre:
Wäre sie dann eher die A7 oder die B27?

Selbst auf solche Fragen finden die meisten Leute allen Ernstes eine Antwort – man mag es glauben oder nicht. (Bolle lieebt ja Selbstbezüglichkeiten). Nur einzelne Agnostiker werden mit einem fröhlichen „me“ antworten: „Wer bin ich, das zu entscheiden? Frag mich was leichteres.“

Das wirft natürlich kein gutes Licht auf das Meinen (im Sinne von subjektiver Wahrheit). Hier ist in der Tat alles möglich: Vom ›Ruf aus dem Gulli‹ („ick finde aber …“) bis hin zum wohlbegründeten Theorem (im erweiterten Sinne von ›Lehrmeinung‹). Immerhin: Hier tut sich ein gigantisches Feld für ebenso inbrünstige wie witzlose Endlos-Debatten auf. Ein demütiger Agnostiker geht da glatt unter im Gewühle.

Damit bleiben im wesentlichen zwei Fragen offen. Erstens: Wie steht es um die objektive Wahrheit, also „pos“ bzw. „neg“? Ist wenigstens hier alles zum Besten bestellt – wie manche zu wissen meinen, mitunter gar auf dem Niveau eines Theorems? So formuliert läßt die Frage schon Unheil erahnen. Zweitens und vor allem aber: Warum sind nicht viel mehr Leute agnostisch drauf? Woher dieses geradezu verzweifelte Bedürfnis nach „Wahrheit“? Bolle meint ja immer: Wahrheit oder vanitas – das ist hier die Frage. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel …

Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …

Glauben und Wissen.

Heute wollen wir nicht mehr tun als uns mit einem kleinen agnostisch-kontemplativen Verwirrspiel vertraut zu machen. Sinn vons janze ist natürlich, wie immer, ein Lichtlein anzuzünden, statt über die Finsternis zu klagen. Und das paßt doch aufs feinste zur Adventszeit der Christenmenschen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course).

Hier unser Spielbrett:

Wirklich wahr?

Ein kleiner Hinweis: Wir ersetzen »Glauben« durch ›subjektiv wahr‹ und »Wissen« durch ›objektiv wahr‹ und gehen davon aus, daß es jeweils nur zwei Möglichkeiten gibt: ›Ist so‹ oder ›ist nicht so‹, also „true“ oder „false“, was den Glauben angeht, bzw. „pos“ oder „neg“, was das Wissen angeht. Und schon sind wir einen Schritt weiter.

Dabei ergeben sich zunächst genau vier Möglichkeiten: Wir können richtig liegen (konsistent), „true / pos“ bzw. „false / neg“, oder wir können falsch liegen (fehlerhaft), „true / neg“ bzw. „false / pos“.

Wem das noch nicht reicht, der mag das Spielfeld erweitern um die Möglichkeiten „me“ bzw. „mu“. Dabei steht „me“ für individuelle Agnostik: „Wer bin ich, diese Frage zu beantworten?“, und „mu“ steht für universelle Agnostik: Das Universum höchstselbst traut sich nicht so recht eine Antwort zu.

Kann sowas sein? Aber ja doch. Bei Schrödingers Katze, zum Beispiel. Aber das ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel …

Mo 16-11-20 Wirklich wahr?

Der trichotomisierte Wahrheitsraum
Wahrheitsraum trichotom

Hier Bolles trichotomisierter Wahrheitsraum. Alles drinne — von Verschwörungsopfern über Verblödungsopfer — die sich ihre fehlerhafte Sicht der Dinge teilen – bis hin zu Gläubigen und Ungläubigen, die sich mit Fug und Recht ihren Hochmut teilen. Mehr dazu in Kürze …

Do 17-10-19 Homöopathie

Ein Basis-Grüner aus Berlin hat beantragt, den Krankenkassen die Kostenerstattung für das alternative Heilverfahren zu untersagen. Die Globuli-Behandlung sei – wir sagen das jetzt mal mit unseren Worten – reiner Hokuspokus.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage. Mit dem „alternativen Heilverfahren“ ist die Homöopathie gemeint. Unser „Basis-Grüner“ führt aus:

Die Grünen hingegen seien eine Partei, die wissenschaftliche Fakten hoch hielten. Also: Schluss mit den Kassenzuschüssen in zweistelliger Millionenhöhe.

Was können wir uns unter „wissenschaftlichen Fakten“ vorstellen? Erstens die Kenntnis von Tatsachen (zum Beispiel „Leute haben eine Leber“ oder „Es gibt Ethanol“) sowie Wissen um Zusammenhänge (zum Beispiel „Wenn eine Leber mit zu viel Ethanol in Kontakt kommt, dann tut ihr das nicht gut“). Beides halten wir für gegeben, wenn hinreichend viele Fachleute die Tatsache oder den Zusammenhang für zutreffend halten. So etwas nennt man vorsichtigerweise „intersubjektiver Konsens“ bzw., weniger vorsichtig, „Objektivität“. Daß sich alle Fachleute völlig einig sind, kommt dabei eigentlich nie vor – nicht einmal beim Klimawandel. Das Gegenstück zu einem wissenschaftlichen Zusammenhang nennen wir seit alters her „Magie“ – oder, deutlich herablassender, eben auch „Hokuspokus“: Wir stellen fest, daß es einen Zusammenhang gibt, können ihn uns aber nicht erklären. Wissenschaftlich gesehen gibt es an dieser Stelle genau 4 Fallkonstellationen:

(#1) Etwas funktioniert – und wir wissen warum. Damit fühlen wir uns am wohlsten, weil es sowohl unser Orientierungsbedürfnis als auch unser Bedürfnis nach Situationskontrolle befriedigt.

(#2) Etwas funktioniert – und wir wissen nicht warum. Hier scheiden sich die Geister. Während a) die einen sagen „Hauptsache, es funktioniert“, treibt das b) andere, also Leute mit ausgeprägterem Orientierungsbedürfnis, schier in den Wahnsinn.

(#3) Etwas funktioniert nicht – und wir wissen warum. Das ist zwar nicht schön – aber wenigstens ist unser Orientierungsbedürfnis befriedigt. Mit etwas Glück und Können läßt sich dieser Zustand nach (#1) überführen. Das nennt man dann „Problemlösung“. Techniker und Handwerker („applied sciences“) machen so etwas jeden Tag.

(#4) Etwas funktioniert nicht – und wir wissen nicht warum. Das ist der unerquicklichste aller Zustände: Er beleidigt sowohl das Orientierungsbedürfnis als auch das Bedürfnis nach Situationskontrolle.

Nun läßt sich unser „Basis-Grüner“ ohne Umschweife und wissenschaftlich sauber der Kategorie #2 b) zuordnen. Was tun, sprach Zeus? Hier ergeben sich im wesentlichen genau 3 Möglichkeiten:

a) Rausfinden, warum es funktioniert. Das wäre eine Überführung nach (#1). Allerdings ist das meist nicht ganz einfach zu bewerkstelligen – schon gar nicht für einen Politiker.

b) Leugnen, daß es funktioniert. Das aber wäre, weil kontrafaktisch, im Kern unwissenschaftlich.

c) Hinnehmen, daß die Fallkonstellation (#2) existiert. Das wäre eine Überführung von #2 b) nach #2 a).

In seiner Not hat sich unser „Basis-Grüner“ offenbar für die Variante b) entschieden und damit für die „unwissenschaftlichste“ aller Möglichkeiten. Kiek ma eener an! Nun ist es so, daß Leute mit ausgeprägtem Orientierungsbedürfnis nicht nur jede Form von „Magie“ ablehnen müssen – so etwas würde sie, wie oben formuliert, schier in den Wahnsinn treiben. Überdies müssen sie – nach dem Motto „alle sollen gleich sein wollen“ – das bescheidenere und wissenschaftlich saubere Konzept intersubjektiven Konsenses geringschätzen und statt dessen das Panier „objektiver Wahrheit“ hochhalten. Dabei merken solche Leute offenbar nicht einmal, daß sie damit schon wieder den Boden der „Wissenschaftlichkeit“ verlassen.

Kurzum: Unser Basis-Grüner verhält sich in zweifacher Hinsicht „unwissenschaftlich“ – und das ausgerechnet im Namen der Wissenschaften. Der Tagesspiegel nennt das übrigens, und zwar völlig zutreffend, einen „Glaubenskrieg“. Bolle meint: Geht’s noch? Aber das ist ein anderes Kapitel.