So 12-12-21 Das zwölfte Türchen — der dritte Advent …

Weniger ist mehr.

Neulich hat Bolle in einem der vielen Berater-Heftchen geblättert. Dort war zu lesen, wie wichtig doch gesunde Ernährung für den Klimaschutz sei. Folglich müsse gesundes Essen billiger werden – etwa durch die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse.

Bolles Befürchtung: Nach der „Friß Dich gesund“-Welle könnte nun eine „Friß die Welt gesund“-Welle über uns hereinschwappen. Als ob der Wellen nicht bereits genug gewoget wären – namentlich in Corönchen-Zeiten.

Bolles lieber guter alter Großpapa hat das noch ganz anders gesehen: FDH – so sein Motto. Friß die Hälfte. Die alten Ägypter waren da noch konsequenter – mit Lebensweisheiten wie etwa: „Ein fünftel essen wir für uns – vier fünftel für die Ärzte.“

Nun ist es aber so – und nicht etwa erst seit entwickelteren Formen des Kapitalismus – daß man „weniger“ weniger gut verkaufen kann. Also bleibt es erst mal beim manischen Mehr. Die Frage ist nur, wie lange noch der Globus so weiterquietscht und ächzet, bis ihm vielleicht dann doch der Geduldsfaden reißen könnte.

Daß dieses „Gib mir mehr, gib mir mehr, gib mir mehr davon“-Konzept in the long run nicht aufgehen kann und wird, ist letztlich natürlich jedem klar. Spätestens seit Ciceros »De officiis« („Von den Pflichten“ / 44 v. Chr.) gilt „Mäßigung“ manchem als regelrechte Kardinaltugend. Nur – wie die Kurve kriegen im entwickelten Kapitalismus? Zumal ja nie die Unternehmen „schuld“ sind, sondern immer nur das Volk (in diesem Falle also die Konsumenten, die den ganzen, mit Verlaub, Scheiß ja schließlich haben wollen).

Soll uns das jetzt den Weihnachtskeks vergällen? Natürlich nicht. Ein Keks zur Kontemplation hat noch niemandem geschadet – auch nicht dem Globus oder dem Klima. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Do 09-12-21 Das neunte Türchen …

Hört auf die alten Meister …

Hier also, wie versprochen – oder wie zumindest angedeutet –, ein deutlicher Schritt Richtung weihnachtlich. Das gilt zumindest dann, wenn wir uns nicht unbedingt auf ein doch etwas hochtrabendes „Fest der Liebe“ kaprizieren wollen und uns dafür mit einem ebenso schlichten wie agnostisch-kontemplativen „Memento an das Mitgefühl“ bescheiden. That’s a start, isn’t it?

Und? Wer hat’s gesagt? Adam Smith, of course, der uns neben seinen „ethischen Gefühlen“ auch noch den „Wohlstand der Nationen“ hinterlassen hat – und damit vornehmlich die Zunft der Ökonomen in höhere Sphären der Verwirrung katapultiert hat. Wie kann man denn erst über Mitgefühl schreiben und kurz darauf einen Catch-as-Catch-Can-Kapitalismus propagieren? Die ebenso schlichte wie ergreifende Antwort: Hat er gar nicht. Seine „unsichtbare Hand“ als durchschlagende Metapher für die angeblich sensationelle Überlegenheit des freigelassenen Marktes liest sich bei ihm wie folgt:

Alle, die jemals vorgaben, ihre Geschäfte dienten dem Wohl der Allgemeinheit, haben meines Wissens niemals etwas Gutes getan.

Das klingt doch gleich ganz anders – wenn nicht gar umgekehrt …

Und? Wie geht es weiter mit unserem Zitat?

Man mag den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.

So heißt es gleich im allerersten Satz. Wie kommen wir darauf? Kürzlich hat Joachim Bauer, seines Zeichens Arzt, Neurowissenschaftler und Psychotherapeut und überdies gleich zweifach habilitiert, ein Buch vorgelegt mit dem Titel: »Das empathische Gen« sowie dem Untertitel »Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen«. Darin heißt es unter anderem, daß Gutes tun schon nach kurzer Zeit den Cocktail der Körpersäfte einmal gründlich aufmischt. Frech gefaßt und wohl doch nicht ganz daneben könnte man vielleicht sagen: „Tu Gutes und profitiere davon.“ Das Netz tobt – jedenfalls auf den hinteren Rängen.

Wirklich überraschend ist das natürlich nicht. Denken wir nur an Ebenezer Scrooge in Charles Dickens’ »A Christmas Carol« (1843), der sein Wohlbefinden buchstäblich von heute auf morgen dramatisch steigern konnte, nachdem er – nach gehöriger Heimsuchung gleich dreier Geister in einer einzigen Nacht – seine harsche Haltung gegenüber seinen Mitmenschen ad acta gelegt und sich zum fröhlichen Erdenbürger gemausert hatte.

Bauers Verdienst besteht vor allem darin, daß uns die Vorzüge einer gewissen Empathie nicht länger einfach nur einleuchten müssen. Nein – jetzt haben wir es strikt biochemisch schwarz auf weiß. Fragt die Wissenschaft! Wem das hilft, der mag es für sich nutzen.

Übrigens: Dickens’ Weihnachtsgeschichte gibt es für Einsteiger in einer sehr niedlichen Fassung mit den Muppets (USA 1992 / Regie: Brian Henson / mit Michael Caine in der Hauptrolle). Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Do 11-03-21 Sputnik-Schock 2.0

Sputnik-Schock 2.0.

Damals, 1957, war der Teufel los. Nur 12 Jahre nach dem Endsieg über Nazideutschland und mitten im damals so genannten Kalten Krieg hatten sich die Russen erfrecht, ein Flugobjekt in den Weltraum zu schießen und damit ein Leuchtfeuer technischer Kompetenz gezündet. Im freien Westen war seinerzeit allen Ernstes von „Sputnik-Schock“ die Rede. Die Russen: Nüscht anzuziehen, keen Dach überm Kopp – aber sich im Weltraum tummeln.

Zwar meinte Bolle damals schon, ein Begriff wie »Weltraum« sei ja wohl doch ein wenig sehr euphemistisch, wenn man sich die Proportionen auch nur grob vor Augen hält: Von der Erde bis zu einer Umlaufbahn braucht ein Lichtstrahl in etwa eine zehntel Sekunde. Bis zu unserer Sonne sind es immerhin schon gut 8 Minuten, und bis zu den Außenbereichen unseres Planetensystems, dem Kuipergürtel, fast 7 Stunden. Nun ist eine zehntel Sekunde im Vergleich zu 7 Stunden doch eher wenig. Mikro-Peanuts, sozusagen. Doch es kommt noch dicker: Bis zur nächsten Sonne um die Ecke, Proxima Centauri, würde unser Lichtstrahl schon über 4 Jahre brauchen. Soviel zum Thema »Weltraum«. Das allerdings hat damals keinen interessiert – und tut es wohl bis heute nicht.

Aber davon ab: Der Sputnik-Schock saß tief. So tief, daß der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, unbedingt bemannt zum Mond fliegen wollte, und zwar rucki-zucki, binnen eines einzigen Jahrzehntes – einfach nur um klarzustellen, wer hier Master of the Universe ist.

Und dann das mit den Atomkraftwerken. Als den Russen 1986 ihr Tschernobyl um die Ohren geflogen war, da hieß es im freien und fortschrittlichen Westen: Keen Wunder – sind halt Russen. Dumm gelaufen, war aber absehbar. Uns kann so was nicht passieren. Wir können schließlich Mond.

Erst als den Japanern, genau heute vor 10 Jahren, in Fukushima genau das gleiche passiert war, begann im Westen das große Flattern – allen voran bei den Deutschen: Ausstieg aus der Atomenergie sprichwörtlich über Nacht. Gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerungen wurden, von einer Physikerin übrigens, über Nacht suspendiert – whatever it takes.

Und jetzt erfrechen sich die Russen, in Rekordzeit einen Impfstoff zu entwickeln, der anscheinend tadellos funktioniert – und allen Ernstes auch noch ›Sputnik‹ heißt. Zufall? Sprach-Design? Treppenwitz der Geschichte? Wir wissen es nicht.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Wundert sich, daß einige Länder der EU – einschließlich Thüringen übrigens – lieber Sputnik „verimpfen“ als gar nicht impfen. Berichtet, daß kein Land der EU häufiger von „Falschinformationen“ aus Rußland betroffen sei als Deutschland – und führt das auf ein hierzulande unzureichendes Maß an Vorurteilen zurück. Zeigt sich befremdet, daß eine AfD-Delegation dieser Tage nach Rußland reist, um im Gespräch zu bleiben. Miteinander reden – das geht ja wohl gar nicht. Fragt sich, warum denn North Stream 2, fünf Minuten vor Fertigstellung, nicht doch lieber wieder eingestampft wird, um den Weg freizumachen für amerikanisches Fracking-Gas. Das ist zwar deutlich teurer und auch sehr viel umweltschädlicher. Dafür kommt es aber aus einem freien Land – und das ist ja wohl die Hauptsache für lupenreine Demokraten (vgl. dazu auch Fr 04-09-20 Die Recken des Rechtsstaates).

Kurzum: Die Rußland-„Skepsis“ (wie das neudeutsch neuerdings heißt) sitzt so richtig, richtig tief bei den „Eliten“ im Lande. Das scheint Bolle aber eher sozialpsychologisch bedingt und weniger geschichtlich. Die letzte ernstliche russische Invasion nach Europa liegt mittlerweile immerhin zwei- bis dreihundert Jahre zurück. Damals waren russische Adelige in Scharen in Pariser Cafés und Salons eingefallen, weil sie sich zuhause, zwischen Tundra und Taiga, einfach zu sehr gelangweilt hatten. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 07-03-21 Gut zerknüllt, Löbel

Auri sacra fames — verfluchter Hunger nach Gold.

Für alle, die es nicht mitgekriegt haben: Da macht sich ein demokratisch und überdies auch noch direkt gewählter Abgeordneter um die Volksgesundheit verdient und bestellt in China einen ganzen Haufen Masken. Da alle davon ihren Nutzen haben, sowohl der Lieferant als auch die deutschen Maskenträger, hat sich der Herr Abgeordnete seine Vermittlungsbemühungen mit einem, wie er selber sagt, „marktgerechten“ Corönchen-Provisiönchen von, wie er wiederum selber sagt, 250.000 Euro entlohnen lassen. Kann man so was bringen? Aber Ja doch. Zwar erhalten Abgeordnete in Deutschland nicht nur eine „Aufwandsentschädigung“, sondern eine sogenannte „Vollalimentation“ (Art. 48 III GG), die ihnen ihre Unabhängigkeit sichern soll und überdies eine Lebensführung ermöglichen, „die der Bedeutung des Abgeordnetenhauses entspricht“ (Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichtes). Etwaige sonstige Berufseinkommen sind dabei ausdrücklich nicht mitgemeint. Im Gegensatz zu Regierungsmitgliedern soll und darf ein Abgeordneter seine großen und kleinen Geschäfte also uneingeschränkt weiterlaufen lassen. Kurzum: Ein Abgeordneter soll ein Bürger sein wie Du und ich – aus der Mitte der Gesellschaft für die Mitte der Gesellschaft.

Auch sind 250.000 Euro gemessen an den geschätzten jährlichen Corönchen-Kosten von vielleicht 80 Milliarden Euro ausgesprochene „Peanuts“ und vermutlich in der Tat „marktgerecht“ – schließlich sind Hersteller bzw. Händler ja freiwillig darauf eingegangen. Eine Hand wäscht die andere. Kennen wa ja.

Warum dann die Uffregung? Was Bolle einleuchten würde: Zum einen gilt in Corönchen-Zeiten: über Geld redet man nicht. Wat mutt, dat mutt. Voll bazooka-mäßig, whatever it takes. Zum anderen und vor allem aber könnte an einem so klar abgesteckten Einzelfall so manchem braven Erwerbstätigen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)  unangenehm auffallen, wie sehr sich seine Volksvertreter mittlerweile doch von ihm entfernt und sich in ihrem Raumschiff eingerichtet haben. „Gehobene Mittelschicht“, halt, wie Friedrich Merz das zu nennen beliebt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 28-02-21 Demokratischer Sozialkredit?

Demokratischer Sozialkredit?

Neulich hat Bolle am Rande in einen Wilsberg-Krimi reingehört: »Überwachen und belohnen« (1. Folge der 8. Staffel / die kommenden 12 Monate in der ZDF-Mediathek verfügbar / reinkieken lohnt). Dabei ging es darum, daß in Münster, dem üblichen Schauplatz der Serie, auf freiwilliger Basis ein Sozialkreditsystem eingeführt wurde, bei dem man, anders als etwa in China, mitmachen konnte oder auch nicht. Und? Haben die Leute mitgemacht? Aber Ja doch. Zum einen, weil sie meinten, daß sie sich ja schließlich nichts vorzuwerfen hätten – warum sich das dann nicht ganz nebenbei in Punkten entlohnen lassen? Zum anderen aber, weil sich herumgesprochen hatte, daß ein erfreulicher Punktestand sich durchaus günstig auf die eigene Karriere auswirken kann.

Kurzum: in einem Sozialkreditsystem kriegt man für alles, was man tut, umgehend die Rechnung präsentiert – oder eine Gutschrift. Was Bolle on second thought wirklich irritiert hat: Ist das nicht der „Markenkern“ des „Kapitalismus“? Brauchen wir dafür die Chinesen?

Steven Landsburg hat es bereits 1993 gleich zum Einstieg in sein Bändchen »The Armchair Economist« auf den Punkt gebracht: „Most of economics can be summarized in four words: ›People respond to incentives.‹ The rest is commentary.“ Übersetzen wir das besser: Der Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften kann im wesentlichen mit vier Wörtern zusammengefaßt werden: ›Leute reagieren auf Anreize‹. Der Rest ist Kommentar.

Den Spruch könnte man ohne Bedenken zum Motto eines Sozialkreditsystems machen. Warum dann der Uffriß? Bolle meint, hier kommt wirklich einiges durcheinander, namentlich die Themenfelder »Freiheit und Verantwortung«, »Demokratie vs. Diktatur«, »Demokratie und Kapitalismus«, und nicht zuletzt auch »Sozialisation« an sich – also definitiv mehr, als wir uns für heute auf den Sonntag zumuten sollten.

Und überhaupt. Was ist mit der Wizarding World, also J. K. Rowling’s Welt der Zauberer? Da begegnet uns ganz offenkundig ein Sozialkreditsystem par excellence – geradezu ein Sozialisationssystem. Soweit Bolle sehen kann, hat das bislang noch keinen irritiert. Weil es hier nur um Fantasy geht? Oder weil es, von gelegentlichen Entgleisungen des Severus Snape einmal abgesehen, im großen und ganzen recht gut funktioniert? Fragen über Fragen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 09-02-21 Wenn Corönchen kapitalistisch wäre …

Wintergarten. Besten Dank an Mü für die Zusendung.

Bolle ist verwirrt. Da hämmert man uns – zumindest im Westen – jahrzehntelang ein, daß der Markt die geniale Antwort der klassischen Ökonomen auf die allgegenwärtige Knappheit sei.  Manche gehen dabei sogar so weit zu erklären, daß „der Markt“ in der Tat jegliche Knappheit beseitigt – und zwar restlos. Und das nicht etwa erst in ferner Zukunft – wie man sich das in östlicheren Gefilden des Landes von fortgesetzter Planübererfüllung erhofft hatte – sondern hier und heute, jeden Tag. Die Logik geht in etwa wie folgt: (1) Begrenzte Produktionskapazitäten stoßen auf potentiell unbegrenzte materielle Bedürfnisse. (2) Folglich kann nicht jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) alles haben, was er gerne hätte. (3) Demnach brauchen wir einen Verteilungsmechanismus, der regelt, wer welche „knappen Güter“ kriegt und wer leer ausgehen muß. Die Lösung der klassischen Ökonomen ist ebenso verblüffend einfach wie naiv: „Der Markt“ – präziser gesagt: die Freie Marksteuerung, vulgo „der Kapitalismus“ – setzt die Preise solange hoch, bis einem Großteil der Nachfrager die Freude an der Nachfrage vergeht. Wenn also einer gerne einen schicken Lamborghini hätte – oder auch nur eine „bezahlbare“ Wohnung da, wo seine Eltern und Großeltern schon gewohnt haben – dann läßt sich seine „Haben-wollen-Intensität“ ganz einfach an seiner Bereitschaft messen, den Kaufpreis bzw. die Monatsmiete auf den Tisch zu blättern. Und wer nicht will, der hat offenbar schon. Und falls einer doch mehr Bedürfnisse haben sollte als er sich leisten kann: Nun – es steht jedermann frei, sich anzustrengen und seine Einkünfte entsprechend zu steigern. It’s a free country after all. Die Logik ist in der Tat bestechend – kommt dabei aber, wie gesagt, nicht ohne ein gerüttelt Maß an Naivität bzw. gar Lebensferne aus. Und doch ist genau das die auf den Kern runtergebrochene kapitalistische Markt-Logik. Komplizierter ist es an dieser Stelle wirklich nicht.

Was hat das alles mit Corönchen zu tun? Nun, wenn Corönchen konsequent kapitalistisch wäre, dann würden diejenigen das kriegen, was sie unbedingt haben wollen – in diesem Falle also den „rettenden Impfstoff“ – die bereit sind, die meiste Knete auf den Tisch zu blättern. Ihre überdurchschnittliche „Zahlungsbereitschaft“ ist nach dieser Logik nämlich nichts anderes als der Spiegel des überdurchschnittlichen „Nutzens“, den das Vakzin bei ihnen zu stiften vermag. Bilderbuch-Ökonomen sprechen hier auch gerne von „optimaler Ressourcen-Allokation“ – und in gewisser Weise haben sie sogar Recht.

Kurzum: Die kapitalistische Logik befreit uns von allen Nöten. Wer (am meisten) zahlt, hat Recht. Wer nicht bereit ist, (am meisten) zu zahlen, dem scheint die Sache nicht so wichtig zu sein. Und wer zwar bereit wäre, aber schlechterdings nicht in der Lage ist, (am meisten) zu zahlen, der mag sich demnächst halt mehr anstrengen und folglich auch mehr verdienen. Dann wird das schon.

Wenn wir dieser „kapitalistischen“ Logik nicht folgen wollen – und offenbar sind sich die Entscheidungsträger im Lande in diesem Punkt zur Zeit einig – dann brauchen wir einen anderen Mechanismus, der (übermäßige) Nachfrage mit (dem sehr viel knapperen) Angebot in Einklang bringt. Einen solchen Mechanismus gibt es in der Tat: Wir nennen es »Triage«: triager bedeutet in der militärischen Fachsprache ›auswählen‹ – und zwar wiederum nach einer Optimierungsregel – hier also den bestmöglichen Nutzen (möglichst viele „retten“) bei realisierbarem Aufwand (die Zahl der Rettungssanitäter ist regelmäßig begrenzt) zu erzielen.

Beiden Mechanismen – Marktsteuerung und Triage – liegt also ein Optimierungskalkül zugrunde. Der Unterschied: Während sich bei der Marktsteuerung die „Abgehängten“ sozusagen „selber triagieren“, muß bei der eigentlichen Triage ein Arzt, ein Pfleger, ein Sanitäter, oder wer auch immer, die Entscheidung treffen. Und das tut weh – vor allem, wenn man solche Entscheidungen (buchstäblich „auf Leben und Tod“) nicht zu treffen gewohnt ist.

Das war’s dann aber auch schon. Dumm nur, wenn man dabei auf potentiell „Abgehängte“ trifft, die von all dem nichts wissen wollen, und in völliger Ignoranz der Mangellage ihr individuelles Recht auf Weiterexistenz lautstark einfordern – und dabei womöglich auch noch massenmediale Unterstützung erfahren. Auf diese Weise geraten wir aber unversehens in die Abteilung „unlösbare Probleme“. Mit unlösbaren Problemen soll man sich aber möglichst nicht weiter befassen. Im übrigen wäre das dann auch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 31-01-21 Wissen, wohin …

Wissen, wohin.

Hier ein knapper Auszug aus unserer Reihe »Der historische Text«. Bolle hat ihn seinerzeit im Rahmen seiner Abschlußprüfung in Soziologie verfaßt. Hat sich seitdem was wesentlich Neues ergeben? Mitnichten. Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Auch scheint Bolle der Zeitpunkt für eine Veröffentlichung günstig, da erstens sein lieber guter alter Soziologie-Professor kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert hat und auch Franz, der Weise, dieser Tage immerhin 63 wird. Wohlan, denn. Hier der Text:

Die zukünftig Herrschenden haben den zukünftig Beherrschten eines voraus – und das ist ihre Ausrichtung. Meine These ist, daß die Ausrichtung alleine hinreichend sein kann – unabhängig von etwaigen Machtmitteln wie etwa „Kapital“ im weitesten Sinne. In den Beispielen bei Popitz 1992 (»Phänomene der Macht«) unterscheiden sich die zukünftigen „Liegestuhlbesitzer“ von den Nichtbesitzern nur darin, daß sie – aus welchen Gründen auch immer – einen eigenen Liegestuhl beanspruchten. Mit anderen Worten: Sie wußten, was sie wollten – sie waren auf ein Ziel ausgerichtet. Dabei braucht Machtentfaltung und vor allem ihre Etablierung als Herrschaft Zeit – sie entwickelt sich in aller Regel nicht spontan.

Versteht man unter »Institutionalisierung« etwa ›Verfestigung und Verstetigung‹ von Strukturen und faßt man »Strukturen« (begrifflich klarer) als ›Relationen‹ auf, dann ist es wohl nicht nur so, daß Herrschaft nach Institutionalisierung strebt, sondern auch – gerade umgekehrt – daß Institutionalisierung Herrschaft hervorbringt. Historisch gesehen wurde und wird die Zeitgebundenheit der Machtentfaltung unterstützt durch Institutionen, vor allem (1) Privateigentum und (2) Erbrecht – funktional betrachtet also die Möglichkeit, Erfolge zu akkumulieren, und zwar über die Lebensspanne einer einzelnen Person hinaus.

Nun sind Privateigentum und Erbrecht in vielen Gesellschaften schon sehr lange institutionalisiert. Aber erst mit dem Kapitalismus – also dem Vordringen des Kapitals als wichtigste materielle Machtgrundlage – entstand eine bis dahin undenkbare Akkumulationsmöglichkeit von Macht. Die herkömmliche Machtgrundlage – Eigentum an Grund und Boden und vor allem die daraus resultierenden Einkünfte – ließ sich nur durch Erwerb weiteren Bodens erweitern, also im Regelfall durch Eroberungen. Der Bodenertrag war im wesentlichen eine Funktion der Fläche. Erst mit der Erfindung des Kunstdüngers (Justus Liebig) wurde eine (vergleichsweise mäßige) Steigerung des Bodenertrags pro Hektar möglich. Auch die „Wachstumsrate“ etwa einer Viehherde hält sich in engen, natürlich vorgegebenen Grenzen.

Die Produktivität von technischen Anlagen (Kapital) ist dagegen fast grenzenlos steigerbar. Durch die Trias (1) Privateigentum, (2) Erbrecht und (3) Kapital als Produktionsfaktor ist also der „Belohnungswert“ einer langfristigen Ausrichtung so hoch wie noch nie. Der Kapitalismus war demnach auch nicht das Werk von (eher kurzfristig orientierten) „Nutzenmaximierern“, sondern – ganz im Gegenteil – das Werk von „innerweltlicher Askese“ (Max Weber), also einer langfristig und sogar generationenübergreifend angelegten Ausrichtung auf ein Ziel hin. Ganz analog verhält es sich mit anderen Kapitalformen – etwa kulturellem Kapital (Bourdieu) in Form von Ausbildung oder Titeln: Je länger eine Ausbildung regelmäßig dauert, desto höher ist in der Regel das damit verbundene Prestige und somit auch das potentiell erzielbare Einkommen. Warum ist Ausrichtung so wichtig? Zwei Gründe scheinen mir wesentlich:

  1. Der time-lag zwischen Aufwand und Ertrag. Vorzeitiges Abbrechen einer Handlungskette bringt einen um den Ertrag – zurück bleibt der Aufwand, und nur der Aufwand. Ein Beispiel wäre ein Bauer, der im Herbst auf die Idee kommt, seine Zäune zu streichen, statt die Ernte einzufahren.
  2. Die Reduktion von Kontingenz bzw. Transformation von Kontingenz in Realität. Die Wirklichkeit wird „wirklicher“, wenn sie sich nicht im Raum der Möglichkeiten verzettelt.

Soweit der Text. Wem das zu theoretisch war: Überlegt doch mal, wie sich Ausrichtung bzw. „Entschlossenheit“ heute ganz lebenspraktisch äußert: „Schnabel aufreißen“ heißt die Devise. Je lauter, desto besser. Wer schreit, hat Recht. Unglücklicherweise hat sich der Journalismus 2.0 offenbar dieser Deutung angeschlossen und verkauft dem Publikum Lautstärke als Ausweis von Engagement. Die Gediegeneren begnügen sich derweil damit, ihre Anliegen nach allen Regeln der Kunst zu institutionalisieren. Zwar dauert das länger – ist aber um so wirkungsvoller. Wer schließlich mehr über das „Liegestuhl“-Beispiel erfahren möchte – die Lektüre lohnt unbedingt, und sind auch nur knapp 10 Seiten –, der (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) möge das Bändchen erwerben oder bei uns anfragen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 19-01-21 Total exponential

Total exponential.

Bolle, was soll das denn heißen? – Ick würde sagen: Det größte Manko von uns Menschen ist unsere Unfähigkeit, mit der Exponentialfunktion umzugehen. Sie ist einfach zu „kontra-intuitiv“. Daran hat auch Corönchen nüscht jeändert. – Geht’s nicht auch ein wenig konkreter? – Durchaus. Hier zwei aktuelle Meldungen aus dem Blätterwald:

Der Flughafen Frankfurt am Main meldet einen „Einbruch“ bei den Passagierzahlen von fast 75%. Das ist krass – entspricht aber dem Niveau von 1984. Umgekehrt bedeutet das, daß die Kinder vor Corönchen vier mal so viel geflogen sind wie ihre Eltern seinerzeit – und wundern sich dann, daß sie Fridays for Future kämpfen müssen. How dare you? Was hat das mit der Exponential-Funktion zu tun? Nun – eine Vervierfachung binnen 35 Jahren (1984 bis 2019) entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von albernen 4%. Hier macht’s nicht die Masse – hier macht’s der reine Zeitablauf.

Die zweite Meldung: George Soros  – den einen ein „Philantrop“, den anderen ein demokratisch nicht legitimierter Weltenlenker – hat einmal mehr „ewige Anleihen“ ins Gespräch gebracht. ›Ewige Anleihen‹ – das ist Geld, das man sich leiht, aber praktisch nie zurückzahlen muß. Macht das Sinn? Aber Ja doch. Für den Geldnehmer sowieso – das leuchtet ein. Für den Geldgeber aber auch – dauerhafte „Bonität“ des Schuldners vorausgesetzt, of course. Bei einem Zinssatz von realistischen 2,1% bedeutet das, daß ein Geldgeber nach etwas 33 Jahren, also wiederum nach etwa einer Generation, sein Geld in Form von Zinsen wieder eingespielt hat. Und das ganze „auf ewig“ gestellt. Ganz praktisch gesehen heißt das: Wer es fertigbringt, seinem (oder irgendeinem solventen) Staat einmalig ein Milliönchen zu leihen, kann sich ab sofort eines monatlichen Einkommens von 1.750 Euro (vor Steuern und Inflation, versteht sich) erfreuen – auf ewig. So macht Kapitalismus wirklich Spaß. Sozialneid? I wo. Wir reden hier rein von Mathematik im allgemeinen und Exponential-Funktionen im speziellen.

Gibt es denn nichts konstruktiveres zu vermelden? Oh doch. Wenn wir, als „human race“, besser mit der Essential Exponential umgehen könnten, wäre das Rentenproblem (unter wenig kritischen Nebenbedingungen) auf einen Schlag gelöst – auch ohne Zinseinkommen von 1.750 Euro. Wer mehr wissen will: https://agenda2028.org/texte/zukunft-der-rente/. Da steht eigentlich alles drinne, was man wissen muß. Leider nicht gerade Lektüre „für unter der Bettdecke“. Andererseits aber auch kein Hexenwerk. Aber im Grunde ist das schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 18-01-21 So sein — oder so sein …?

So isset eben.

Och Mensch. So isset eben. Das Thema ist viel zu weit, um es hier auf die Schnelle abzuhandeln. Schon 2006 hatte der Göttinger Politologe Franz Walter ein Büchlein mit dem geradezu prophetischen Titel ›Die ziellose Republik‹ vorgelegt. Wo wollen wir eigentlich hin? Zurück zur „Normalität“? Mit high speed aus den Schulden „rauswachsen“, die zur Zeit ein Teil der Gesellschaft bei einem anderen Teil der Gesellschaft anhäuft  – und somit deren Macht ins ungeheuerliche steigert? Corönchen könnte eine so schöne Gelegenheit sein, kollektiv eine agnostisch-kontemplative Phase einzuläuten – ganz ähnlich, wie wir es im Dezember mit unserem einschlägigen Adventskalender versucht hatten. Was ist da eigentlich draus geworden? Irgendwelche Einsichten? Laßt hören. Im Moment hat es für Bolle wirklich den Anschein, daß außer „banal am Leben kleben“ nicht viel an Perspektive in Sicht ist. Bislang hat es nicht einmal gereicht, die Gunst der Stunde zu nutzen und über ein bedingungsloses Grundeinkommen wenigstens etwas vertiefter nachzudenken. Oder zumindest die teils wirklich üblen Arbeitsbedingungen der „Helden der Arbeit“ in den Kliniken, den Pflegeheimen oder auch in den Supermärkten und anderenorts deutlich zu verbessern oder wenigstens finanziell spürbar aufzuwerten. Außer einem Wust an warmen Worten ist da bislang nicht viel passiert.

Bolles vorläufige Prognose: Wir werden noch ein Weilchen weiterwurschteln – und zwar so lange, bis die Maschinen soweit sind, daß man ihnen einfach nur Ziel- und Aktionsparameter eingeben muß und sie uns dann mit kühler Logik mitteilen, was zu tun ist – bzw. daß wir die Zielparameter (also das, was wir erreichen wollen) gründlich abspecken müssen oder aber die Aktionsparameter (also das, was wir possibly überhaupt tun können) gründlich aufstocken, da die Gleichungssysteme ansonsten schlechterdings unlösbar sind. Bolle’s altes Credo: Was mathematisch nicht funktioniert, funktioniert nicht mal im Kapitalismus – und übrigens auch nicht im Sozialismus.

Alan Turing, Master Mind der künstlichen Intelligenz, soll einmal sinngemäß gesagt haben, daß eine wirklich intelligente Maschine eine Maschine ist, die zu dem Schluß kommt, daß Menschen nicht denken können. Bolle fürchtet, er hat Recht. Indes: Allet wird jut. Aber nicht so. Im übrigen wäre das auch ein definitiv anderes Kapitel.

So 17-01-21 Real existierender Kapitalismus …

Schlange stehen im Kapitalismus.

Schlange stehen im Kapitalismus? Machen wa doch gerne. Wenn’s dem Wachstum dient … Wir haben es hier mit einem klitzekleinen Vorstadt-Laden zu tun – in dem, falls Bolle sich recht erinnert, noch nie so viele Leute waren, wie diese Schlange suggeriert.

Daneben fühlt sich Bolle allerdings ein wenig an Oberstufen-Zeiten erinnert. Damals hieß es aus dem Munde des Gesellschaftslehre-Pädagogen: Schlange stehen? So etwas gebe es nur im Sozialismus. Bolle hatte seinerzeit nachgehakt und wollte wissen, ob er das richtig verstehe: Im Sozialismus kriegen die die knappen Güter, die die meiste Zeit mitbringen. Im Kapitalismus kriegen die die Güter, die das meiste Geld mitbringen. Eine wie immer geartete Systemüberlegenheit hatte er daraus nicht ableiten wollen. Es hätte nicht viel gefehlt und der Pädagoge hätte ihm, mangels besserer Argumente, eine gescheuert. So weit zur klassischen Pädagogik.

War sonst noch was los? Ach Ja. Die CDU hat sich eine neue Vorsitzende gewählt. Das war auch nötig – nach dem seinerzeit dann doch etwas mißglückten Versuch mit Anneglet Klamp-Kallenbauel. (Bolle hat entfelnt asiatische Wulzeln und tut sich sehl schwel damit, ein „R“ oldendlich auszusplechen, vgl. dazu den Eintlag von volgesteln: Fr 15-01-21 Von Tischen und Stühlen. Ist el deswegen ein schlechtel Mensch? Deswegen sichel nicht. Fühlt el sich lassitisch diskliminielt? Da lachen ja die Hühnel.)

Und? Was macht del Joulnalismus 2.0? [Doch nun genug beblödelt]. Erklärt uns, daß die Online-Wahl „aus rechtlichen Gründen“ erst noch durch eine Briefwahl bestätigt werden müsse. Das aber sei „reine Formsache“. Bolle fragt sich: Was, wenn nicht? Was, wenn sich das Premium-Parteivolk besinnt und der eine oder die andere, on second thought, sich doch noch anders entscheidet? Können die das? Vermutlich – wenn die Online-Wahl geheim war. Dürfen die das? Freie Willensbildung – warum nicht? Werden die das? Lieber nicht. Falls Ja, dann ist der Teufel los. Einen waahnsinnig fetten Vorsprung hat der neue große Vorsitzende dann ja wohl doch nicht. Warten wir es ab. Schließlich wäre das ohnehin ein anderes Kapitel.