So 28-02-21 Demokratischer Sozialkredit?

Demokratischer Sozialkredit?

Neulich hat Bolle am Rande in einen Wilsberg-Krimi reingehört: »Überwachen und belohnen« (1. Folge der 8. Staffel / die kommenden 12 Monate in der ZDF-Mediathek verfügbar / reinkieken lohnt). Dabei ging es darum, daß in Münster, dem üblichen Schauplatz der Serie, auf freiwilliger Basis ein Sozialkreditsystem eingeführt wurde, bei dem man, anders als etwa in China, mitmachen konnte oder auch nicht. Und? Haben die Leute mitgemacht? Aber Ja doch. Zum einen, weil sie meinten, daß sie sich ja schließlich nichts vorzuwerfen hätten – warum sich das dann nicht ganz nebenbei in Punkten entlohnen lassen? Zum anderen aber, weil sich herumgesprochen hatte, daß ein erfreulicher Punktestand sich durchaus günstig auf die eigene Karriere auswirken kann.

Kurzum: in einem Sozialkreditsystem kriegt man für alles, was man tut, umgehend die Rechnung präsentiert – oder eine Gutschrift. Was Bolle on second thought wirklich irritiert hat: Ist das nicht der „Markenkern“ des „Kapitalismus“? Brauchen wir dafür die Chinesen?

Steven Landsburg hat es bereits 1993 gleich zum Einstieg in sein Bändchen »The Armchair Economist« auf den Punkt gebracht: „Most of economics can be summarized in four words: ›People respond to incentives.‹ The rest is commentary.“ Übersetzen wir das besser: Der Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften kann im wesentlichen mit vier Wörtern zusammengefaßt werden: ›Leute reagieren auf Anreize‹. Der Rest ist Kommentar.

Den Spruch könnte man ohne Bedenken zum Motto eines Sozialkreditsystems machen. Warum dann der Uffriß? Bolle meint, hier kommt wirklich einiges durcheinander, namentlich die Themenfelder »Freiheit und Verantwortung«, »Demokratie vs. Diktatur«, »Demokratie und Kapitalismus«, und nicht zuletzt auch »Sozialisation« an sich – also definitiv mehr, als wir uns für heute auf den Sonntag zumuten sollten.

Und überhaupt. Was ist mit der Wizarding World, also J. K. Rowling’s Welt der Zauberer? Da begegnet uns ganz offenkundig ein Sozialkreditsystem par excellence – geradezu ein Sozialisationssystem. Soweit Bolle sehen kann, hat das bislang noch keinen irritiert. Weil es hier nur um Fantasy geht? Oder weil es, von gelegentlichen Entgleisungen des Severus Snape einmal abgesehen, im großen und ganzen recht gut funktioniert? Fragen über Fragen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 27-02-21 Wahrheit ohne Klarheit

Wahrheit ohne Klarheit.

Neulich hat Bolle gehört, daß Corönchen in den USA jetzt schon mehr Tote „gefordert“ hat als der 2. Weltkrieg insgesamt. Krass. Ein glattes Faktum, das. Aber ist es auch „wahr“? Nun, nach Angabe des US-Veteranenministeriums belaufen sich die Weltkriegs-Toten auf 405.399. Die Corönchen-Toten dagegen belaufen sich auf bislang 507.800. Also wahr. Aber sind die 405.399 Weltkriegs-Toten wahr? Möglich, aber unwahrscheinlich. Warum? Nun, je genauer eine Zahlenangabe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß irgendein Statistiker an irgendeiner Stelle irgendein Häkchen falsch gesetzt hat. Also „Fake News“? Strenggenommen Ja. Aber kommt es darauf überhaupt an? Natürlich nicht. Das aber ist keine Frage der Fakten – es ist eine Frage der Einordnung.

Was Bolle damit sagen will: Selbst auf der Ebene schlichter, unverbundener Zahlen kommen wir ohne Einordnung nicht aus. Die „nackten Fakten“ vermitteln allenfalls eine erste, ungefähre Orientierung – und bedürfen dringend der Interpretation. Interpretation aber ist eine höhere kognitive Funktion, eine Kunst geradezu, und mit keinem Taschenrechner der Welt zu bewältigen. Die Wahrheit läßt sich nun mal nicht ausrechnen.

Noch bedenklicher wird es, wenn wir nicht auf der Ebene schlichter, unverbundener Zahlen bleiben, sondern zum Beispiel den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen absoluten vs. relativen Zahlen einführen. Hier ergibt sich, daß bislang nur (?) 1,5 Promille der Amerikaner wegen Corönchen verschieden sind (507.800 geteilt durch 328 Millionen). Dem 2. Weltkrieg dagegen sind doppelt so viele, nämlich 3,0 Promille, zum Opfer gefallen (405.399 geteilt durch damals 132 Millionen). Wahr oder nicht wahr? Offenkundig wahr – paßt aber nicht zu unserem Ergebnis von oben. Was nun? Was tun? Wir kommen nicht drum rum: Schon wieder müssen wir einordnen bzw. interpretieren.

Mit den reinen „Fakten“ kommen wir keinen Schritt weiter. Und dabei haben wir erst die Ebenen „schlichte, unverbundene Zahlen“ bzw. „absolute vs. relative Zahlen“ abgehandelt – also voll die Froschperspektive.

Wie steht es um die „nackten Fakten“, wenn wir Attribution ins Spiel bringen – also die Neigung des menschlichen Gehirns, den Tatsachen Ursachen zuzuschreiben? Auch hierfür hat Bolle ein passendes Beispiel gefunden. In einem Beitrag einer an sich seriösen Zeitung heißt es, der Corönchen-Overkill, also der Zeitpunkt, da die Corönchen-Toten die Weltkriegstoten überschritten haben, sei justamente auf den Amtsantritt von Joe Biden gefallen. Fakt oder Fake? Könnte man als Fakt durchgehen lassen. Allerdings müßte man dann alles, was wir bislang gesehen haben, nonchalant ausblenden. Umgekehrt könnte man es also auch als subtile Form von Trump-Bashing durchgehen lassen. Das wäre nicht weniger wahr.

Richtig dumm wird es indes, wenn wir, viertens, „interessengeneigte Wahrheit“ ins Spiel bringen. Auch das ist alles andere als neu. Francis Bacon hat sich schon 1620, also vor nunmehr 400 Jahren, einschlägig geäußert: „Intellectus humanus luminis sicci non est; sed recipit infusionem a voluntate et affectibus, id quod generat Ad quod vult scientias.“ Übersetzen? Übersetzen. „Der menschliche Intellekt leuchtet nicht aus sich heraus. Vielmehr wird er von Wünschen und Leidenschaften gespeist – was dazu führt, daß wir es mit ›Wissenschaft ganz nach Wunsch‹ zu tun haben.“ Kurz und knapp: Wissenschaft wie’s g’rade paßt. Entsprechend können wir „Ad quod vult veritas“ (wörtlich: Wahrheit, wie man’s gerne hätte) knapp mit: „Wahrheit ohne Klarheit“ übersetzen.

Kurzum: Die nackten Fakten könnt Ihr knicken. Nice to have und als Grundlage unverzichtbar – aber ohne Einordnung bzw. Interpretation in keiner Weise zielführend. Warum dann das ganze doch eher unreflektierte „Fakten eintakten“? Nun, jeder tut, wie er kann, meint Bolle. Die solidere Erklärung: Menschliches Orientierungsbedürfnis, eines der kognitiven Grundbedürfnisse. Lieber irgendeinen Plan haben als gar keinen. Wer mag, mag dazu den kurzen Beitrag unter Sa 16-01-21 Wirklich wahr? nachlesen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 26-02-21 Sprache als Handwerk?

Sprache als Handwerk?

Ob das Wort wirklich zum Teufel geht, kann und will Bolle nicht beschwören. Schließlich ist der Teufel ein Konzept, das bei weitem nicht von allen Religionen geteilt wird. Andererseits, meint Bolle, sei es durchaus schlimm genug, wenn das Wort, wenn schon nicht zum Teufel, so doch zumindest Gaga geht. »Gaga« wäre dabei so eine Art höllischer Helfer, klassischerweise also ein Dämon oder auch nur ein Quälgeist (jeweils beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), der einem die Kraft des Ausdruckes oder auch nur die Freude am Ausdruck raubt.

„Sprache ist unser Handwerkszeug.“ So hat es eine bekannte Journalistin in einem Gender-Plausch auf den Punkt gebracht. Wunsch oder Wirklichkeit?, fragt sich Bolle. Handwerkszeug – das klingt so herrlich erdig, geradezu bodenständig. Nun, ein Handwerker pflegt sein Handwerkszeug, hält es in Schuß und setzt es werkdienlich ein. Es macht wirklich Freude, einem guten Handwerker beim Handwerken zuzusehen. (Man darf ihn bloß nicht ansprechen – das mögen die gar nicht). Da sitzt jeder Griff. Kein überflüssiges Getändel. Keine Multifunktionswerkzeuge, die angeblich für alles, letztlich aber für gar nichts wirklich zu gebrauchen sind. So etwas machen nur Hobby-Bastler. Die Ergebnisse sind entsprechend. Und übrigens auch kein Gedanke daran, was man nebenbei sonst noch so alles handwerken könnte. Ganz im Gegenteil: Reine Konzentration auf das Werk. Hier und jetzt. Total so.

Und? Wie macht’s der Journalismus 2.0? Wenn ein Sprachhandwerker zum Beispiel „gleichzeitig“ nicht von „zeitgleich“ unterscheiden kann und „scheinbar“ nicht von „anscheinend“, „am Ende des Tages“ sagt, wenn er „unterm Strich“ meint, Projekte „starten“ läßt – statt Raketen oder Flugzeuge, oder angelsächsisch „ich bin bei Dir“ blubbert, wenn er Zustimmung ausdrücken will. Wenn schließlich ein Sprachhandwerker nur noch eine Zeitform zu kennen scheint: „Vor soundso vielen tausend Jahren zähmen die Menschen das Feuer“ (nein: sie haben es seinerzeit gezähmt) – dann ist die Sprache womöglich wirklich beim Teufel angelangt bzw. zumindest mit Schmackes auf dem Wege dorthin. „Die unendliche Ausdehnung der Gegenwart“ hat Bastian Sick das in seinem ›Zwiebelfisch‹ einmal genannt – nicht ohne gründlich abzulästern: „Der Präsens ist das Botox der Journalistensprache.“ Zieht sozusagen alles glatt.

Brauchen wir überhaupt eine spezielle „Journalistensprache“? Natürlich nicht. Warum nicht? Weil das journalistische Gaga-Sondersprech bedenklich auf die Leser-, Hörer-, oder Zuschauerschaft abfärbt. Bolle erlebt das jeden Tag bei seinen Studenten, die oft gar nicht mehr merken, daß sie überwiegend nur blubbern – statt zu versuchen, die Wirklichkeit mit Sprache zu zähmen. „Gefühlte Wirklichkeit“ ist weiß Gott kein vollwertiger Ersatz für die „wirkliche“ Wirklichkeit. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel. Im übrigen verweisen wir gerne auf So 06-09-20 Laber Rhabarber.

Do 25-02-21 Le Waldsterben

Le Waldsterben.

Ganz am Rande, und voll von Corönchen und islamistischen oder sonstigen Übeltätern überschattet, hat es das Waldsterben als zartes Pflänzchen dann doch mal wieder bis in die bildungsbürgerlichen Medien geschafft. Bolle gratuliert.

Bolle hat, was Form und Inhalt angeht, bekanntlich einen ausgesprochen Sinn für das Knappe und Grundsätzliche – und in diesem Rahmen vor einiger Zeit eine lose Liste angelegt mit den drängendsten Problemen, die uns plagen. Hier und heute finden sich darin genau zwei Dutzend Einträge. Sollte also eigentlich noch „überschaubar“ sein, wie das auf neudeutsch neuerdings heißt – zumal es deutliche Querbezüge gibt: Die Lösung von so manchem Problem A würde so manches Problem B absehbar obsolet machen.

Für unsere jüngeren Leser: Das Waldsterben ist alles andere als neu. Spätestens in den frühen 1980er Jahren gab es in Deutschland eine regelrechte Waldsterben-Welle. Nun waren die Deutschen ihrem Wald schon immer aufs innigste verbunden. Wo war das doch gleich noch mal, wo Hermann der Cherusker (die Römer nannten ihn Arminius) 9 n. Chr. Varus’ Legionen vernichtend geschlagen hatte? Im Teutoburger Wald.  Der war den Römern viel zu dunkel, zu morastig, kurzum: zu unübersichtlich. Nicht so den Germanen. Die Liebe zum Wald geht den Deutschen so weit, daß Elias Canetti in seinem (übrigens höchst lesenswerten) philosophisch gehaltenen Opus »Masse und Macht« (1960) den Wald als das „Massensymbol“ der Deutschen identifizieren konnte. Das Massensymbol zum Beispiel der Franzosen – also das, was im Kern verbindet – sei dagegen ihre Revolution. Und so kam es, daß die Franzosen das deutsche Waldsterben zunächst belächelt haben – nur um es dann als Lehnwort, „Le Waldsterben“, zu übernehmen. Bolle lieebt der Franzosen Feingefühl für Sprache.

Zwar wurde der Wald in den 1980er Jahren nicht wirklich „gerettet“. Vielmehr wurden die kranken Bäume geschlagen – was sich selbstredend erfreulich auf die Schadensstatistik ausgewirkt hatte. Auch hat die Post 1985 eine Briefmarke mit dem Aufruf „Rettet den Wald“ herausgebracht –  graphisch untermalt mit einer Uhr, die auf etwa drei Minuten vor zwölf steht. Immerhin.

Was hat das mit uns hier und heute zu tun? Nun, die frühen 1980er Jahre sind mittlerweile 40 Jahre her. Passiert ist seitdem – nüscht. Auch war das keineswegs der Anfang. Ansätze zu einer vernünftigen (neudeutsch: „nachhaltigen“) Forstwirtschaft lassen sich bis mindestens 1884 zurückverfolgen. Damals hieß das noch „Dauerwald“ – wobei „Dauer“ im semantischen Netz nicht allzu weit von „nachhaltig“ entfernt ist.

Kommen wir zum Punkt: Bolle befürchtet, daß die Staatsorganisationsform ›Demokratie‹ für die Lösung schwelender Probleme alles andere als erste Wahl ist. Solange es nur schwelt, neigen Demokraten zu einer „Kieken wa ma“-Einstellung. Erst wenn die Hütte brennt – oder gar die Jacke – beginnt das große Flattern. Corönchen ist da wohl das beste Beispiel. Bolle meint: So kann man zwar Symptome bekämpfen, aber keine Probleme lösen – und verweist kühl auf unseren Beitrag von gestern nebst dem Verweis auf Tobin (Di 02-02-21 Von Gänseblümchen und Brennesseln). Also, was tun? Demokratie abschaffen? Das wohl lieber nicht. Aber eine gewisse Feinjustierung kann vielleicht nicht schaden. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 24-02-21 Wahlkrampf

Wahlkrampf.

Wenn das stimmt, dann wird’s jetzt heftig. Schließlich steuern wir auf ein sogenanntes „Superwahljahr“ zu mit einer Bundestagswahl plus nicht weniger als sechs Landtagswahlen. Neulich (Do 04-02-21 Höret auf den Herrn …) hatte Bolle deren Zahl noch auf nur fünf geschätzt. Aber erstens neigt er nicht zur Übertreibung, und zweitens kommt es darauf auch nicht wirklich an. Eines der Probleme einer Demokratie ist ja bekanntlich, daß es für einen Politiker (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) nicht nur darauf ankommt, das richtige zu tun – was übrigens unmittelbar die Frage aufwirft, was das denn sein mag, das richtige. Nein, er muß auch noch das Wahlvolk überzeugen, daß das richtige auch wirklich das richtige ist. Selbst wenn es ihm „an Wahrheit und an Kräften“ nicht gebricht, kann er durchaus doch an mangelnder Einsicht des Volkes in die Wahrheit scheitern. Das kann zum Beispiel einen Anton Hofreiter und sein „Häuschen im Grünen“ treffen – weil er diesen Lebensstil, aus trivial-guten Gründen übrigens, für klimaschädlich hält. Menschen an sich sind bekanntlich klimaschädlich. Oder zum Beispiel auch den Gesundheitsminister, der sich mit sich selbst bislang nicht hat einigen können, ob er nun zu viel oder zu wenig Impfstoff hat – bzw. „Impfstoff, den keiner will“. Oder es kann den Berliner Senat mit seiner Mietpreisbremse treffen, die nach Ansicht einiger nur dazu geführt habe, daß es erstens weniger und zweitens nur teureren Wohnraum gebe. Ist das jetzt wahr? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, daß seinerzeit bei der Einführung des Mindestlohnes recht ähnlich argumentiert wurde.

Wir hatten das Thema neulich schon mal gestreift und dabei festgehalten: „Die Malaria wurde in erster Linie durch das Trockenlegen der Sümpfe zurückgedrängt – und nicht etwa durch Chinin. Ganz ähnlich verhält es sich mit ökonomischen Ungleichgewichten. Wenn es nicht gelingt, die Probleme an der Wurzel zu packen, dann wird sich für jedes einzelne Problem, das wir erfolgreich lösen, ein ganz ähnlich gelagertes Problem an irgendeiner anderen Stelle einstellen. Darum ist es so wichtig, auf das gesamtwirtschaftliche Klima zu achten.“ (James Tobin 1965, vgl. dazu Di 02-02-21 Von Gänseblümchen und Brennesseln).

Wie wir leicht erkennen können: Die Probleme ähneln sich – um nicht zu sagen, es sind immer die gleichen. Und? Wer ist schuld? Die Demokraten? Ihre Wähler? Hier schweigt des Sängers Höflichkeit. Im übrigen wäre das dann auch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 23-02-21 Wo bleibt denn da das Positive?

Wo bleibt denn da das Positive?

Nichts liegt Bolle ferner als übertriebener Zynismus. Und das, obwohl in seinem semantischen Netz »Zynismus« lange nicht so abwertend („negativ“) besetzt ist wie der Geist der Zeiten das gegenwärtig sehen mag. Wir hatten diesen Punkt neulich schon mal gestreift (vgl. So 07-02-21 Shit happens). Wer mag, mag dort nachlesen.

Wo zeigt sich nun das Positive? Womöglich nur im Corönchen-Test. Wirklich aufbauend ist das nicht – das sieht Bolle ein. Nun gibt es, um einen „positiven“ Corönchen-Test zu vermeiden, im Grunde genau zwei Möglichkeiten: a) sich nicht infizieren oder b) sich gar nicht erst testen lassen. Auf Dauer aber – auch das sieht Bolle ein – wird sich letzteres wohl kaum vermeiden lassen. Nicht in Urlaub fahren dürfen mangels „negativem“ Testergebnis? Geschenkt. Bolle entspannt sich regelmäßig bei der Arbeit und ist demnach wenig urlaubs-affin. Nicht in den Klub dürfen aus gleichen Gründen? Ebenfalls geschenkt. Spätestens dann aber, wenn man ohne „negativem“ Testergebnis nicht mal mehr in den Supermarkt darf, wird’s eng. Genau das aber wird kommen. Zwar traut sich bislang noch kein einziger der demokratischen Würdenträger, das offen auszusprechen. Aber der Journalismus 2.0 arbeitet erkennbar und mit Fleiß daran, das Volk auf ebendieses einzustimmen. Bürgerliche Freiheitsrechte? Selbstverständlich – wir leben ja schließlich in einem demokratischen Rechtsstaat. Aber bitteschön doch nur für „gute“ Bürger – und nicht für jeden Lumpi, der verantwortungslos „sich und die anderen“ gefährden tut. Demokratie ist schließlich, wie wir bereits gesehen haben, ›die Herrschaft der Guten‹ (siehe So 06-12-20 Das sechste Türchen — Nikolausi …). Nur brauchen die Guten manchmal eben ein Weilchen, bis sie einsehen, was gut ist und was nicht: „Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum“ (Ihr werdet sein wie Gott und Gut und Böse unterscheiden können). Das hat ausgerechnet Mephistopheles dem jugendlichen Schüler in sein „Stammbuch“ geschrieben (Faust I, Zeile 2048) – nicht ohne hinzuzufügen: „Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!“ (Zeile 2050). Im Grunde war das – obschon nicht ganz neu – der Anfang demokratischer Rechthaberei. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 22-02-21 Von Wissenschaft, Wahrheit und Wirkung

Von Wissenschaft, Wahrheit und Wirkung.

Heute gönnen wir uns mal wieder was leichteres zur Entspannung  – auch als praktischen Nachtrag zu unserem Thema von neulich (vgl. Sa 16-01-21 Wirklich wahr?). Aber es gibt nun mal Themen, die einen geradezu anspringen. Bei der heutigen Morgenlektüre hat Bolle erfahren, daß „alle zwölf Berliner Amtsärzte“ geschlossen darauf hingewiesen haben, daß die gemessenen „Inzidenzen“ nicht nur davon abhängen, wie viele Leute sich frisch infiziert haben, sondern auch davon, wie viele Leute sich testen lassen – und damit lange nicht so aussagekräftig sind, wie wir das gerne hätten. Kiek ma eener an. Als Donald Trump sich vor einiger Zeit ganz ähnlich geäußert hatte, war voll der Teufel los. Warum dann tagtäglich die tagesgenaue massenmediale Vermittlung der Werte? Bolle meint: Das soll so wirken, als habe man, wenn schon nicht Corönchen an sich, so doch zumindest „die Daten“ im Griff. Und dann so was. Das zieht dem Orientierungsbedürfnis – einem der vier kognitiven Grundbedürfnisse und damit essentiell für das seelische Wohlbefinden – doch glatt den Boden unter den Füßen weg. Ja, dürfen die das denn?

Wir hätten diesen Punkt vielleicht gar nicht erwähnt – hätte da nicht ein Hamburger Wissenschaftler ein 105-seitiges Thesenpapier veröffentlicht, das einen Laborunfall in Wuhan als Ursache der Corönchen-Pandemie nahelegt. Ja, darf man das denn als Wissenschaftler? Eine abweichende Meinung vertreten und damit das Orientierungsbedürfnis der Leute erschüttern? Die Leute erwarten von der Wissenschaft die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Dumm nur, daß Wissenschaft so nicht funktioniert. Wissenschaft ist, auf den Punkt gebracht, ein Wettbewerb um Wahrheit (neudeutsch: ein Trial-and-Error-Prozeß), der naturgemäß mehr Versuch und mehr Irrtum hervorbringt als abschließende Wahrheiten. Und? Was kommt pressevermittelt beim Volk an? „Hört auf die Wissenschaft“ – die haben die Weisheit mit Löffeln gefressen. Bolle meint: Hört, hört. Und so wird auch unverzüglich die unzureichende „Wissenschaftskommunikation“ der Uni Hamburg angemeckert. Im Grunde läuft das auf das Ansinnen hinaus, dem Volk nur wirkliche, abschließende Wahrheiten zu servieren – möglichst mainstream-kompatibel. Allerdings liegt es im Wesen der Wissenschaften, daß damit bis auf weiteres nicht zu rechnen ist. Dumm, das.

Das letzte Beispiel für heute: Die Energie-Effizienzklassen, etwa von Kühlschränken, sollen von inflationären A + + + für die beste Einstufung auf eine Skala von A bis G umgestellt werden – wobei A für die schlechteste und G für die höchste Energie-Effizienz stehen soll. Bolle meint: Ist aber auch verwirrend. Wo sind eigentlich die Marketing-Experten und Sprach-Designer, wenn man sie mal braucht? Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 21-02-21 Die große Schwester der Freiheit …

Die große Schwester der Freiheit.

Erst mal übersetzen? Besser isset. „ … der Ruf nach „Recht“ und „Freiheit“ hallt allenthalben durch die Lüfte. Aber was meinen wir mit „Freiheit“? Als man sich darauf verständigt hatte, Raub und Diebstahl zu verbieten, hat das die Freiheit ausgedehnt – und nicht etwa eingeschränkt.“ Und so geht es weiter im Text: „Einzelne, die sich an die Logik der Allmende halten, erreichen lediglich die Freiheit, den allgemeinen Ruin herbeizuführen. Erst wenn wir die Notwendigkeit verbindlicher Regeln einsehen, gewinnen wir die Freiheit, uns edleren Taten zu widmen. Ich glaube, es war Hegel, der gesagt hat: „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit.“ Soweit der Text.

Was aber ist die ›Logik der Allmende‹? Hier die Ultra-Kurzfassung: Wenn ein Bauer seine Kuh auf die Gemeindewiese (Allmende) treibt, auf daß sie dort möglichst viel fressen möge, macht das aus seiner Sicht Sinn. Wenn das aber alle so machen, wird die Wiese überweidet und macht schlapp – zum Nachteil aller Bauern. Das ist es, was Hardin mit „allgemeinem Ruin“ meint. Eine naheliegende Lösung: Verbindliche Regeln, was das Weiderecht angeht. Das hat, historisch gesehen, auch zufriedenstellend funktioniert. Zumindest so lange, bis liberale, also „freiheitsliebende“ Ökonomen auf den Plan getreten sind und verkündet haben: Ganz im Gegenteil: Die Weide muß einem gehören, der sie, gegen Geld natürlich, verpachtet. Der „Herr der Weide“ wird dann schon im eigenen Interesse dafür sorgen, daß es zu keiner Überweidung kommt. Kann man das so sehen? Natürlich. Muß man das so sehen? Natürlich nicht. Den freiheitsliebenden Ökonomen hat es bekanntlich schon immer, Hegel 2.0, an Einsicht in die Sozialverträglichkeit gemangelt. Diesen Punkt wollen wir heute aber nicht weiter vertiefen. Hier bleibt nur festzuhalten: Verantwortung ist die große Schwester der Freiheit. Wir hatten es bereits erwähnt (vgl. Sa 06-02-21 Multiples Organversagen: Der Globus quietscht und reihert …).

Was hat das mit uns zu tun? Werfen wir einen Blick in die Welt. Da hätten wir „Libertad Pablo Hasél“ – also den Ruf nach Freiheit für einen spanischen Rapper, der wegen Majestätsbeleidigung zu 9 Monaten Haft verurteilt wurde. Da hätten wir Alexei Nawalny, der wegen Verunglimpfung eines Kriegsveteranen zu einer Geldbuße von umgerechnet zwei mittleren russischen Jahreseinkommen verurteilt wurde. Warum? Beide haben in ihren Freiheitsbestrebungen gegen die jeweils geltenden Regeln verstoßen und wurden dafür zur Verantwortung gezogen. Aber darf ein Staat, egal ob Spanien oder Rußland, so was denn? Einfach Regeln aufstellen? Bolles Befürchtung: er darf nicht nur – er muß sogar. Aber sind die Regeln nicht viel zu hart? Nun, auch in Deutschland ist „Majestätsbeleidigung“ strafbewehrt. Nur heißt es hier „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“, § 90 StGB, und führt auch zu bis zu 5 Jahren Haft. Aber auch „Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des öffentlichen Lebens“, § 188 StGB, ist in Deutschland gleichermaßen strafbewehrt. Und selbst für die „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“, § 189 StGB, sind noch bis zu 2 Jahren Haft oder Geldstrafe fällig.

Aber kann man das denn überhaupt vergleichen? Ist Spanien nicht eine Diktatur? Aber Ja doch. Erstens kann man ganz grundsätzlich alles mit allem vergleichen – was allerdings nicht heißen soll, daß man alles mit allem gleichsetzt. Aber laßt uns besser nicht trivial werden. Übrigens: Hardin’s Hegel-Zitat ist definitiv nicht von Hegel. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 20-02-21 Fast forward …

In der Kürze liegt die Würze.

Der Sinnspruch heute stammt in der Tat aus Shakespeare’s Hamlet – das war Bolle durchaus nicht klar – und ist damit auch schon wieder 400 Jahre alt. Höchste Zeit, sich dran zu halten. Oft genug passiert aber glatt das Gegenteil. So hat sich zum Beispiel, Ironie pur, ein deutscher Aphoristiker bemüßigt gesehen, da einen Sechszeiler draus zu machen. Aber das soll hier nicht unser Thema sein. Was dann?

Bolle hat sich schon öfters mal gefragt, wie es sein kann, daß jeden Tag genau so viel passiert, daß es exakt die Seiten einer Zeitung füllt oder auch das vorgegebene Zeitfenster etwa der Abendnachrichten. Irgendwas kann da nicht stimmen. Aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Trick – wie es ›Wir sind Helden‹ in ihrem Lied ›Geht auseinander‹ 2005 schon recht trefflich (und fast wörtlich so) gefaßt haben. Und? Wie geht Bolles Trick?

Im Grunde ist der Trick, wie die meisten guten Ideen, so simpel, daß Bolle sich im Nachhin­ein gefragt hat, wieso er da nicht sehr viel früher schon drauf gekommen ist. Zeitung lesen scheidet seit langem aus, weil es da ja offenkundig weniger um Nachrichten an sich geht als um journalistische Selbstverwirklichung. Im übrigen ist Bolle der Zeitverzug zwischen Ereignis und Übermittlung zu groß. Und was die bildungsbürgerlichen Nachrichtensendungen angeht – die Bolle wenigstens kursorisch zur Kenntnis nehmen will: Die lassen sich, zumindest im Internet, im Fast forward-Modus goutieren. So bietet etwa die ARD ihre jeweils letzte Nachrichtensendung unter ›tagesschau.de/sendung/letzte-sendung/‹ als Video-Stream an – mit dem unschätzbaren Vorteil, daß man die ganzen Propaganda-Einlagen und sonstigen Banalitäten bequem via Pfeiltaste überspringen kann. Fast forward, eben. Eine durchschnittliche Sendung von etwa 15 Minuten schafft Bolle so locker in 2 bis 3 Minuten – wenn überhaupt. Wenn das kein Fortschritt ist. Außerdem befreit einen das von der Bindung an alberne Sendezeiten. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 19-02-21 Die fetten Lieferketten retten?

Die fetten Lieferketten retten?

In einer mittelalterlichen Siedlung wurden, so hört man, geschätzte 98% aller verbrauchten Güter in einem Umkreis hergestellt, den man von der Kirchturmspitze aus überblicken konnte. Lieferketten waren demnach unbekannt. Natürlich hat es immer schon Handel gegeben mit Gütern, die eben nicht in Kirchturmspitzen-Entfernung zu haben oder herzustellen waren. So sollen zum Beispiel ägyptische Pharaonen seinerzeit einen Narren an Bernstein gefressen haben. Bernstein findet sich aber vorwiegend in der Ostsee und nicht etwa im roten Meer. Und so hat es in der Bronzezeit schon einen mehr oder weniger schwungvollen Bernstein-Handel gegeben. Regelrechte Lieferketten waren das allerdings noch nicht.

Etwas anders sieht die Sache aus, wenn wir von der Ostsee zur Nordsee schwenken und von Bernstein zu beispielsweise Krabben. Die in der Nordsee gefangenen Krabben werden heutzutage allen Ernstes nach Marokko gekarrt, dort von Hand gepult und dann wieder zurückgekarrt, um auf einem Häppchen-Teller in, sagen wir, Buxtehude zu landen. Noch krasser wird das ganze, wenn, wie in einigen hoch-industrialisierten Bereichen, so ziemlich alles irgendwo anders hergestellt und hier nur noch zusammengeschraubt wird, um zum Abschluß mit einem fröhlichem „Made in Germany“-Etikett verziert zu werden. So richtig seriös will Bolle das nicht scheinen.

Was tun? Sprichwörtlich ›Zurück auf Los‹ – zurück zur mittelalterlichen Dorfgemeinschaft? Das wäre vermutlich übertrieben. Schließlich profitieren ja alle von der „internationalen Arbeitsteilung“ – wie das gerne und etwas euphemistisch auch genannt wird. In erster Linie profitieren aber die Länder, die die höherwertigen Güter anbieten – egal ob selber hergestellt oder einfach nur zusammengesteckt. In allererster Linie profitieren aber die Unternehmen, die das Lohngefälle ausnutzen (in Marokko liegt der übliche Stundenlohn nun mal deutlich unter dem in Buxtehude), und überdies die Gefälle in den Sozial- und Umweltstandards. Wenn in Marokko jemand nach einem langen Arbeitsleben einfach tot umfällt statt in Rente zu gehen, spart das eine Menge Geld. Und wenn den Krabben-Pulern (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course – wir wollen ja gender-korrekt sein und bleiben) im wahrsten Sinne des Wortes die Fabrikdecke auf den Kopf fällt, weil man in Marokko mit den Bauvorschriften noch nicht so weit ist: Betretene Mienen am Häppchen-Buffet. Wer hat’s vermasselt? Kaum feststellbar – zumal die marokkanischen Auftragnehmer die Aufträge ja regelmäßig längst an Sub-, Subsub- und Subsubsub-Unternehmen weitergereicht haben. „Diversifikation der Verantwortung“ nennt man das dann in der Betriebswirtschaftslehre. „Schulterzucken“ könnte man auch sagen.

Und? Wer ist schuld? Der Verbraucher (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) natürlich, der seine Krabben ein paar Cent billiger haben möchte. Der Verbraucher – und nicht etwa die bösen Konzerne – ist immer schuld an allem, of course, und meint dabei auch noch, nicht mal betreten gucken zu müssen. Die Lieferketten sind aber auch zu schlecht zu überblicken (neudeutsch: zu „komplex“) – vor allem, wenn man gar nicht erst hingucken mag. Bolle fragt sich: Wäre die agnostisch-kontemplative Corönchenzeit, in der wir alle ja nun mal feststecken, nicht eine feine Gelegenheit, über diese und ähnliche Fragen mal ganz grundsätzlich nachzudenken? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.