So 06-10-24 Propaganda

Wie uns die Alten sungen …

Im Jahr 1943 wurde von der Parteizentrale folgende Direktive an alle Kommunisten in den Vereinigten Staaten herausgegeben. Sie lautete:

Wenn bestimmte Quertreiber zu lästig werden, bezeichne sie nach einem geeigneten Aufbau als Faschisten oder Nazis oder Antisemiten und nutze das Ansehen der antifaschistischen und Toleranzorganisationen, um sie in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.

Assoziieren Sie in der öffentlichen Meinung diejenigen, die gegen uns sind, ständig mit Namen, die bereits ein schlechtes Image [wörtlich: bad smell] haben. Diese Assoziation wird, wenn sie oft genug wiederholt wird, in der öffentlichen Meinung zu einer Tatsache werden.

So 29-09-24 Die Qual der Wahl

So kann’s gehen …

Der Osten hat gewählt. Fast möchte man sagen: schon wieder. Letzten Sonntag duften wir die dritte Wahl binnen dreier Wochen (plus einem Tag) erleben. Dabei hat eine solche Häufung einiges für sich. Wie unter dem Brennglas erschließt sich dem Beobachter die Stimmung im Volke.

Und? Was ist passiert? Grob gesagt könnte man sagen: Ene mene Miste, es rappelt in der Kiste. Die FDP ist aus allen drei Parlamenten geflogen, die Grünen und die Linke aus immerhin zwei Parlamenten. Allein die Volkspartei SPD ist nirgends rausgeflogen. In zwei Parlamenten ist sie mit 6 bzw. 7 Prozent der 5%-Hürde allerdings bedenklich nahegekommen.

Was die Exekutive angeht – also das, was das Wahlvolk eigentlich interessiert: In allen drei Parlamenten wurden die bestehenden Regierungen abgewählt. Zwar hat sich die Polit-Prominenz nach Kräften bemüht, sich die Ergebnisse schönzusäuseln. Allein die Schockwellen reichten bis nach Berlin. Dort wurde im Rahmen der üblichen Ränkespiele dem Parteivorstand der Grünen ein Rücktritt – gewissermaßen für Volk und Vaterland, zumindest aber im Hinblick auf die Wahlen nächstes Jahr – verordnet, und der Vorstand der Jung-Grünen ist nicht nur zurück-, sondern gleich ganz aus der Partei ausgetreten. Kurzum: das große Flattern allerorten.

Dabei könnte alles so einfach sein. Wenn das Volk sich aus rein praktischen Gründen schon nicht selber regieren kann, dann sollte es wenigstens entscheiden können, wer es regieren soll, beziehungsweise zumindest, wer es nicht länger regieren soll.

Karl Popper hatte das seinerzeit wie folgt auf den Punkt gebracht: Sinn und Zweck einer Demokratie bestehe darin, daß es dem Volke als Souverän möglich sei, die Herrschenden gegebenenfalls „ohne Blutvergießen“ abwählen zu können.

Nun ist der Deutsche (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) an sich ja wirklich kein Revolutionär. So soll Lenin einmal gesagt haben: „Revolution in Deutschland? Das wird nie was. Bevor die Deutschen einen Bahnhof besetzen, lösen sie erst mal eine Bahnsteigkarte.“

Aber davon ab: Die Herrschenden bei Mißfallen ohne Blutvergießen auszutauschen ist in Deutschland – anders als etwa in den USA – ohnehin nicht möglich (vgl. dazu etwa Sa 10-12-22 Das zehnte Türchen …). Das einzige, was in Deutschland möglich ist, ist eine Verschiebung der Machtverhältnisse in der Legislative. Die Herrschenden werden dort gewählt bzw. (via Koalitionsverhandlungen) ausgekungelt.

Und diese Kungeleien können durchaus absurde Züge annehmen. Um bloß nicht das zu machen, was das Volk will, soll nun ebenso plötzlich wie nolens volens zusammenwachsen, was wohl wirklich nicht zusammengehört. Die seriöseren unter den politischen Beobachtern munkeln schon, daß die Zustände in Deutschland auf ein Zwei-Parteien-System hinauslaufen: Die Blockparteien beliebiger Couleur auf der einen Seite, die AfD auf der anderen.

Mit Hinblick auf drei Jahre – man möchte sagen – Ampelmurks sind durchaus Zweifel angebracht, ob das funktionieren kann und wird. Bolle jedenfalls hat da so seine Zweifel.

Dabei war Demokratie noch nie so wichtig wie heute. Schließlich wurde sie mit Fleiß als das Distinktionsmerkmal dieser Welt herausgeputzt: Demokratie einerseits, Despotie andererseits: Die Guten sind die Demokraten, die Bösen die Despoten.

Daraus folgt, wenn man es mit Begrifflichkeit und Logik nicht allzu genau nimmt, daß das, was Demokraten tun, per se gut ist, und das, was Despoten tun, per se schlecht und böse. Man könnte auch sagen: Die Bösen spalten, die Guten haken sich unter. Bolle meint: Zustände wie in Hollywood.

Und wehe, das Volk spielt nicht mit. Dann muß es natürlich verboten werden, of course. Zumindest aber weggebissen. Auf die Vorkommnisse bei der Konstituierung des Thüringer Landtages (nebst deren Zerrspiegelung in manchen Mainstream-Medien) wollen wir hier lieber nicht weiter eingehen.

Manchmal würde sich Bolle ja ein Mindestmaß an Common Sense wünschen – hier verstanden als grundsätzliches Einvernehmen auf der Meta-Ebene, also oberhalb der Objekt-Ebene (also dem, um das es im Einzelnen gerade gehen mag). Doch vergebens predigt Salomo …

Übrigens sind heute schon wieder Wahlen. Dieses mal in Österreich. Kickln wa ma … Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 22-09-24 Opinio et Reactio

Dem scheint das so zu sein …

Die Geschmäcker sind verschieden – und waren es wohl auch schon immer. De gustibus non est disputandum – Über Geschmack läßt sich nicht streiten. Das ist, wenn wir genauer hinschauen, spätestens seit Aristoteles (384–322 v. Chr.), also seit etwa zweieinhalbtausend Jahren klar. Das gleiche gilt für Meinungen, of course, da es sich hierbei ja nur um kognitive Geschmacksfragen handelt. Dabei wollen wir unter Meinung hier nur die mal eben hingehauene Ansicht, opinio, verstehen. Bolle unterscheidet das von doxa, einer durchdachten und wohlbegründeten Sicht auf die Dinge.

Betrachten wir unser Schildchen: Es beschreibt den Blick zweier Personen – hier Anton (A) und Bolle (B) – auf ein und dieselbe Sache, die wir hier Gegebenheit (X) genannt haben. Soweit sozusagen die nackten Fakten. Nehmen wir nun an, Anton fände die Gegebenheit „voll toll“, Bolle dagegen fände die gleiche Gegebenheit „ungut“.

Kann so etwas sein? Aber Ja doch. Es ist sogar der absolute Regelfall. So heißt es etwa in einem der Meinungsmacher-Blättchen dieser Tage: Seit Corona ist meine Schwester total abgedriftet, wir können gar nicht mehr über Politik reden. Dabei ist der Grund laut Blättchen schnell erkannt: Die Menschen im eigenen Umfeld haben sich „radikalisiert“. Selber liegt man natürlich völlig richtig mit seiner Opinio. Vielleicht aber haben sie sich gar nicht radikalisiert. Vielleicht sehen sie einfach nur wenig Nutzen und Frommen in einer Diskussion über Geschmacksfragen – und halten das, nicht ganz zu Unrecht, für reine Zeitverschwendung.

Schließlich läßt sich mit keiner Bolle bekannten Methode entscheiden, ob eine Gegebenheit X „voll toll“ ist oder eher „ungut“. Das hat Konsequenzen (Reactio). Auf der interpersonalen Ebene wird Anton Bolle (zumindest im Modell) aus rein konsistenztheoretischen Gründen „übel, übel“ finden – beziehungsweise zumindest nicht mögen und als Person (!) ablehnen.

In der Tat zeigt sich eine Tendenz, aggressive Argumentations-Attrappen geradezu zu kultivieren (falls man hier überhaupt von „Kultur“ sprechen kann).

Neben Radikalinski ist man nach dieser Ansicht schnell Sexist, Rassist, Stalinist – und was dergleichen Schubladen mehr sein mögen. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich auch der Verfassungsfeind – als wäre die Verfassung dafür da, bestimmte Ansichten zu schützen und andere zu verfemen. Als wäre die Verfassung überhaupt dazu da, den Umgang der Bürger untereinander zu regeln.

Gleichwohl: Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansichten – ein bißchen sozialer Kitt muß dann wohl doch sein, wenn eine Gesellschaft einigermaßen gedeihlich funktionieren soll.

Eine von ganz oben runtergejubelte Aufforderung, sich doch bitteschön unterzuhaken – als wären wir im Dauerfasching –  und die Dinge „gemeinschaftlich“ anzupacken, wird da sicherlich nicht allzu viel nützen. Das nämlich liegt einfach zu sehr über Kreuz mit elementarer Sozialpsychologie.

Bolle sieht zur Zeit nur einen einigermaßen erfolgversprechenden Weg. Statt jeden, der anderer Ansicht ist, als „übel, übel“ einzustufen, könnte man es mit Epiktets (ca. 50 bis ca. 138 v. Chr.) stoischer Haltung probieren: „Dem scheint das so zu sein“.

Das allerdings würde voraussetzen, daß die lieben Mitbürger überhaupt erst einmal wieder ernstlich die Möglichkeit ins Auge fassen, daß es zu ein und derselben Gegebenheit gleich mehrere mögliche Ansichten geben kann. Und hier sieht es im Moment wirklich nicht allzu gut aus. In seinem durchaus lesenswerten Buch ›Mensch, lern das und frag nicht‹ zeigt Hauke Arach anhand einer Untersuchung von Schulbüchern, wie den lieben Kleinen das Denken in Möglichkeiten systematisch ausgetrieben wird. Eine Wahrheit muß genügen! Mehr hält man ja im Kopp nicht aus! Bolle meint: Von das kommt das, und Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.

Im übrigen sind heute Wahlen im Osten – schon wieder. Auch dieses mal geht es offenbar um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, Demokraten versus Verfassungsfeinde, Mitte gegen Extremisten. Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 15-09-24 Volk unter Strom

Krass krank.

Plärr. Schepper. Peng. Auf Bolles Handy war die Hölle los. „Aus! Aus! Mach aus! Braav …“. Das kennt Bolle noch aus seiner Zeit als peripherer Hunde-Dompteur. Hier war es im Prinzip nicht anders. Für den eigentlichen Inhalt des Getöses bleibt da naturgemäß recht wenig Raum und Sinn. Wozu auch? Was kann schon so wichtig sein, einen Schentelman (Kurt Tucholsky 1930) beim Tee – oder bei was auch immer – so rüde zu belästigen? Und was sollte da schon kommen? „Atomraketen am Himmel über Berlin. Begeben Sie sich in Ihren nächsten Bunker. Sie haben 2 Minuten 30 Sekunden Zeit.“ Na toll!

 Bolle hält es hier, wie auch sonst, mit Natsume Sôseki (1867−1916):

Ein wahrer Mönch wahrt seine Mittagsruhe.
Auch wenn draußen die Welt untergeht.

Auch hatte Bolle vor geraumer Zeit schon versucht, all diesen Unsinn nach Kräften zu deaktivieren.

Alles AUS. Und?

Allein es hat nicht wollen fruchten. Alarme der sogenannten „Warnstufe 1“ sind einfach nicht abschaltbar. Jeder, wirklich jeder, wenn er nicht gerade ein Uralt-Handy hat, soll in den Genuß des vollen „Weckeffektes“ – wie es beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe heißt – kommen.

Immerhin – eine handyschonende Möglichkeit gibt es doch. Einfach ausschalten oder zumindest in den Flugmodus gehen. Dann nämlich ist Ruhe. Ein kleiner Klick für den Menschen – aber ein Riesenschritt für die Menschlichkeit.

Manche meinen ja, der Nachteil dieser Methode sei, daß man auch für andere Nachrichten vorübergehend nicht erreichbar sei. Ach was? Sag bloß. Wer sein Leben so eingerichtet hat, daß ihm 10 Minuten, oder weniger, Handy-Abstinenz ernstlich Kummer bereiten, der sollte sowieso mal gründlich in sich gehen. Bolle empfiehlt hier einen Grundkurs Kontemplation.

Davon mal ganz abgesehen. Wieso muß der „Weckeffekt“ so laut und so ätzend sein, daß man sich ernstlich Sorgen um seinen Lautsprecher machen muß? Eine mögliche Erklärung wäre, daß die Verantwortlichen davon ausgehen, daß das Volk im großen und ganzen regelmäßig im Tiefschlaf ist – aus dem man es wirklich nur mit drastischen Mitteln aufwecken oder schrecken kann. Denkbar wär’s.

Eine andere Erklärung wäre, daß es schlechterdings Leute gibt, die es einfach klasse finden, das Volk unter Dauerstrom zu halten. Wahrlich, wir sagen Euch: Die Welt ist ein wilder, wüster und wahnsinnig gefährlicher Ort. Aber seid unbesorgt: Wir helfen, retten, schützen Euch und all die Schäfchen drumherum. Bolle könnt‘ kotzen, of course.

Solche Formen von obrigkeitlichem Paternalismus haben wir ja während der Corönchen-Hysterie hinreichend einüben dürfen. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) versteht darunter übrigens eine autoritäre Herrschaftsform, bei der der Herrschende sich Vormundschaft gegenüber dem Beherrschten anmaßt; vermeintlich väterlich wohlwollende, jedoch bevormundende, autoritäre Haltung einer Regierung gegenüber den Bürgern […]. Bolle meint, das paßt wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer.

Vor gut hundert Jahren übrigens hieß die Mode-Diagnose für Leute, denen die Welt zu laut und zu lärmend war, und die sich nicht dagegen zu wehren wußten, Neurasthenie (wörtlich Nervenschwäche). Spötter meinten seinerzeit:

Raste nie und haste nie, sonst haste die Neurasthenie.

Die Empfehlung könnte ja glatt von Bolle sein. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 08-09-24 Finden verboten – streng verboten

Lob der Linie.

Reden wir über Normen. Und fassen wir uns kurz und beschränken uns zunächst auf soziale Normen. Unter Normen versteht man anerkannte und als verbindlich geltende Verhaltensregeln, die sich in einer Gesellschaft herausgebildet haben.

Dabei beruhen soziale Normen im Wesentlichen auf Werten (im Sinne von ›Allgemeines Für-richtig-halten‹). Die Werte wiederum sind, grob gesagt, Ausfluß der Sozialisation, die einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) erfahren hat. Spötter meinen ja, Sozialisation sei, wenn man so wird wie die Leute um einen herum – wobei wir nicht vergessen wollen, daß oft der Scherz das Loch ist, durch das die Wahrheit pfeift. Kurzum: Man hält sich in der Regel an soziale Normen, weil man sie verinnerlicht hat. Man handelt, um es mit Max Weber zu sagen, traditional, also aus eingelebter Gewohnheit bzw., in Bolles Sprache, aus der Mappa mundi vitiosa heraus (vgl. dazu etwa So 25-08-24 Denkmal zur Wahl). So pinkelt man, um nur ein Beispiel herauszugreifen, als zivilisierter Mitteleuropäer üblicherweise nicht einfach an den nächsten Baum – auch dann nicht, wenn man ganz dringend mal muß.

Auch kann es nicht schaden, sich klarzumachen, daß soziale Normen recht regional sind. Sie reichen gerade mal so weit wie die relevante Gruppe, deren Zusammenhalt sie dienen. So ist es etwa in Bayern völlig „normal“ (im Sinne von normgerecht), gleich zum zweiten Frühstück ein Bierchen zu trinken. Auf dem Wochenmarkt hier im Dörfchen mußte Bolle sich exaktemente deswegen aber schon mal anpampen lassen – allerdings nur von einem Zugereisten, versteht sich. Natürlich hat sich Bolle ganz köstlich amüsiert.

Welche Norm ist nun die „richtige“? Nun, es liegt im Wesen des allgemeinen Für-richtig-haltens, daß es hier kein „richtig“ gibt – und auch nicht geben kann. Wenn die Leute in Bayern ein Bierchen zum Frühstück trinken und das allgemein in Ordnung finden, dann ist das ebensowenig zu beanstanden, wie wenn das in der Herkunftsregion unseres Zugereisten eben nicht so ist.

Dumm wird es nur, wenn die Zugereisten meinen, daß das, was sie allgemein für richtig halten, bitteschön auch für alle anderen zu gelten habe. Mehr noch: wenn die Zugereisten meinen, daß diejenigen, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen, deswegen (!) schlechte Menschen seien, und folglich (!) abgekanzelt gehören. Die Briten übrigens haben hierfür eine sehr schöne Wendung: When in Rome, do as the Romans do – Wenn Du in Rom bist, benimm dich, wie ein Römer sich benimmt.

Nun wird man einen einzelnen Zugereisten verschmerzen können. Richtig dumm wird es allerdings, wenn sich im Zuge überschäumender Globalisierung die Völkerscharen schneller durchmischen als die sozialen Normen auch nur ansatzweise hinterherkommen können. Dabei geht der Trend dahin, alles zu verbieten, was nicht das Zeug zu einer weltumspannenden sozialen Norm hat – was allerdings nicht zuletzt unserer Grundannahme widersprechen würde. Aber was kümmert das ein Glühwürmchen mit heißem Herzen und hinkendem Hirn. Schaut Euch um auf der Welt. Genau das ist es, was zur Zeit passiert. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 01-09-24 Fanal zur Wahl

Was wo hingehört.

Zugegeben: Unser kleines Flußdiagramm letzte Woche (So 25-08-24 Denkmal zur Wahl) konnte in seiner schlichten Prägnanz durchaus ein wenig irritierend wirken. Gleichwohl wäre es nicht ganz einfach zu begründen, was daran denn so richtig falsch sein soll. Zumindest scheint es dieser Tage zum Leidwesen von manch etabliertem Polit-Professional (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) eine erhebliche Zahl von Wählern zu geben, die die Dinge exakt so sehen und sich auch anschicken, entsprechend zu wählen. Auch das wirkt auf gewisse Kreise durchaus irritierend.

Was Bolle für sein Teil irritiert, ist diese Melange aus gleichzeitiger Dickfelligkeit und Dünnhäutigkeit. Dickfelligkeit, was die über jeden Zweifel erhabene Überzeugung angeht, selber auf dem rechten Weg zu sein. Man müsse dem Volk das eigene Tun nur besser erklären – dann werde alles gut. Man müsse die Leute „mitnehmen“ – und sei es nach Utopia. Dünnhäutigkeit, was den Umgang mit abweichenden Ansichten angeht. Da nennt einer einen Politiker ›fett‹ – was ja mitunter durchaus stimmen mag – und schon hagelt es Strafanzeigen, als könne man die rechte Gesinnung juristisch erzwingen. Oder man findet sich, wenn das alles nichts nützt, auf einer Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes für unbotmäßiges Verhalten „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ wieder.

Daß zumindest der klügere Teil im Volke derlei so rein gar nicht zu goutieren weiß, sorgt dann wiederum für gehörige Irritation. Wie kann man nur so fehlgeleitet sein und die überschäumende Weisheit von „uns hier oben“ so rein gar nicht zu schätzen wissen? Bolle hält es an solchen Stellen mit Goethes Knopfloch-Theorem aus seinen ›Maximen und Reflexionen‹:

Wer das erste Knopfloch verfehlt,
kommt mit dem Zuknöpfen nicht zurande.

Ganz grundsätzliche Einsichten – etwa, daß das Volk der Souverän ist und nicht etwa, aller ›Helfen/Retten/Schützen‹-Rhetorik zum Trotze, der Schutzbefohlene der Regierung, den es gehörig zu erziehen gilt – können da leicht schon mal hintunterfallen.

Bolles jüngster Lieblings-Terminus für den ganzen Kladderadatsch ist übrigens ›hochkomplexe Gemengelage‹ – wobei sich Bolle ›komplex‹ mit „Blicke nicht mehr durch“ übersetzt, ›hochkomplex‹ mit „Blicke überhaupt nicht mehr durch“, und die ›Gemengelage‹ als albern-ironisches i-Tüpfelchen obendraufsetzt. Im übrigen wartet ein kluger Prophet die Ereignisse ab. Hinterher – in diesem Falle heute abend – ist man bekanntlich schlauer. Damit wären wir bei Plisch und Plum:

Aber hier, wie überhaupt,
Kommt es anders, als man glaubt.

Vielleicht ist alles aber ganz einfach und läßt sich leicht mit Professor Creys (alias Schnauz) schlichter Stellungnahme erklären:

Pfeiffer, sä send albern. Ehnen fählt die sittliche Reife.

Bolle meint: denkbar wär’s – auch und vor allem, was die Polit-Prominenz angeht. Will man sowas wirklich wählen? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 25-08-24 Denkmal zur Wahl

Flußdiagramm — selbsterklärend.

Das Schildchen zeigt vom Prinzip her einen von Bolles jüngeren Netzfunden. Natürlich hat er das ganze sprachlich ein wenig geglättet und in ein ordentliches Flußdiagramm verwandelt, of course. Die Überschrift ergibt sich aus dem Umstand, daß nächste Woche schon in Sachsen und in Thüringen das Volk zur Wahl antreten soll und mehrheitlich wohl auch wird.

Allein, darum soll es uns hier gar nicht gehen. Vor allem könnte man im Vorfeld manches argumentativ so lange breittreten, bis der Inhalt vollends diffundiert – ganz nach Goethes Epigramm in seinem ›Buch der Sprüche‹ im ›West-östlichen Divan‹ (1819):

Getretner Quark
Wird breit, nicht stark.

So könnte man als geschulter Scholastiker naheliegenderweise mit ›Definiere Deutschland‹ und ›Definiere abschaffen‹ loslegen. Einschlägige Bestrebungen gibt es ja reichlich im Polit-Getümmel.

Ganz im Gegenteil – Bolle hält das Schildchen in seiner flußdiagrammatischen Verdichtung für hervorragend geeignet, sich seiner eigenen Mappa mundi, also dem tief verinnerlichten Weltbild (Welt III), das einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) als Päckchen mit sich trägt, etwas bewußter zu werden und weniger via Autopilot durchs Leben zu cruisen (vgl. dazu etwa So 28-07-24 Mappa mundi vitiosa).

Falls einer also beim flotten Überfliegen als erstes im Ergebnisfeld ›AfD‹ hängenbleiben sollte und dieses Ergebnis als allzu aversiv empfindet und daraus ableitet, daß ihm, im Flußdiagramm regelwidrig aufsteigend, bitteschön nichts anderes übrigbleibt als den linken Ast zu wählen – nur um sich dabei mit Widrigkeiten ganz anderer Art konfrontiert zu sehen: Nun, dann hat er ein Problem. Mehr als die Optionen ›Schnell abschaffen‹ und ›Ganz schnell abschaffen‹ bleiben da nämlich nicht – falls das Diagramm nicht lügt, of course.

Und so neigen, falls Bolle das richtig beobachtet, deprimierend viele Leute dazu, spätestens an dieser Stelle auszusteigen und sich nach innen in Wird-schon-nicht-so-schlimm-werden-Gefilde zu flüchten und nach außen in diverse Grobheiten im Umgang mit anderen: Alles Idioten! Verschwörungsopfer! Die Liste ließe sich wohl um einiges verlängern. Denken tut nun mal weh. Entscheiden sowieso: Wer die Wahl hat, hat die Qual – wie der Volksmund weiß. Und Klarheit füsiliert den schönsten Tran. Bolle ist übrigens, doch das nur am Rande, mit solchen Sprüchen aufgewachsen – was natürlich nicht heißen muß, daß da nichts dran wäre, of course.

Im übrigen wissen wir aus ungezählten Untersuchungen, daß die Leute nicht unbedingt die wählen, die ihren „eigentlichen“ inhaltlich-politischen Vorstellungen entsprechen. Max Weber hat das in seinem Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft 1922 schon als traditionales Handeln bezeichnet – Handeln aus eingelebter Gewohnheit. Im Grunde ist das schlicht Handeln aus der Mappa mundi vitiosa heraus (vgl. auch hier So 28-07-24 Mappa mundi vitiosa). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 18-08-24 Was ist da bloß los?

So dumm kann’s laufen …

Manchmal kann man sich wirklich nur wundern, was den höheren Schichten so alles einfällt beziehungsweise was sie so alles anrichten. Was ist da bloß los?

Eines der jüngsten, eher niedertrabenden Beispiele etwa sind Holzbriketts, denen plötzlich, Knall auf Fall, ein CO2-Wert „zugewiesen“ werden sollte – mit der Konsequenz, daß sie als „klimaschädlich“ deklariert worden wären. Das ist offenbar schon wieder vom Tisch – aber als Beispiel taugt es allemal.

Im Grunde hatte sich Bolle schon im Vorfeld schwer verwundert. Das Anpflanzen von Bäumen, so hieß es und so heißt es, kompensiere den CO2-Ausstoß und sei damit per se klimafreundlich. Ganze Branchen leben von dieser Art von Greenwashing. Ersteres mag ja sein – aber doch wirklich nur vorübergehend. Wenn ein Baum in die ewigen Jagdgründe eingeht – wie Bolles indianische Freunde (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) das nennen würden – Asche zu Asche, Staub zu Staub, dann gibt er exakt die gleiche Menge CO2 wieder frei, die er im Laufe seines Lebens „kompensiert“ hatte. Ja was denn sonst?

Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (1. Mose 8, 22). Kennen wa ja. Und eben auch einatmen und ausatmen – und sei es CO2.

So geht der Kreislauf des Lebens. Ein Baum „entzieht“ der Atmosphäre also kein CO2 – er speichert es nur für eine gewisse, begrenzte Zeit. Eine wirklich „nachhaltige“ Lösung (i.S.v. ›funktioniert auf Dauer‹) ist das sicherlich nicht. Eher Voodoo-Ökologie. Aber macht das mal einem rechten Hülsenfrüchtchen klar. „Da muß sich doch was ‚optimieren‘ lassen“ ist noch mit das Beste, was einem als Antwort zuteilwerden kann.

Andererseits: Wenn man neuerdings Säuglingen bei der Geburt ein Geschlecht „zuweisen“ kann – warum dann nicht auch einem Baum einen CO2-Wert? Ist doch nur fair – und paßt im übrigen herrlich ins Weltbild von manch mehr oder weniger hochgestelltem Hülsenfrüchtchen.

Daß ein Baum auf lange Sicht einfach einen CO2-Wert hat – im Zweifel nämlich exakt Null, da gibt es nichts „zuzuweisen“ – und daß ein Neugeborenes einfach ein Geschlecht hat, nämlich (von seltensten Ausnahmen einmal abgesehen) männlich oder weiblich, ist im allgemeinen Durcheinander offenbar glatt untergegangen. Wenn aber alle – oder hinreichend viele – ganz dolle dran glauben, dann mag das wohl so sein. Überzeugend findet es Bolle trotzdem nicht.

Immerhin handelt es sich hierbei um ein hübsches Beispiel von umsichgreifender Hybris. Dabei ist Hybris Bolles agnostische Variante der guten alten Gotteslästerung. Des Frevels gar, des Nicht-wahrhaben-wollens, daß eben nicht alles möglich ist, was sich einer in den Kopf gesetzt haben mag. Und was wollen die nicht alles retten oder schützen. Klima und Demokratie sind dabei Bolles gegenwärtige „Top-Favoriten“. (Schon wieder so ein Wort wie Donnerhall übrigens – außen laut und innen hohl).

Und so kommt es denn heraus, daß sich Gedankenlos und Planlos einträchtig die Händchen reichen. Das Ergebnis ist fruchtlos, of course, und die übliche Reaktion seitens der Planer meist schamlos: „Das haben wir nicht wissen können“ oder, maximal-ignorant: „Wieso? Ist doch alles prima.“ Ein Eingeständnis der Planlosigkeit wäre aber auch zu peinlich. In Bolles Kreisen spricht man hier gerne von Selbstwertbeschädigung. Das Selbstwertgefühl – Ich bin ein ganz famoses Haus (Wilhelm Busch) – aber ist eines der vier kognitiven Grundbedürfnisse (SOSS) und will seinerseits unbedingt geschützt sein – egal wie albern die Ausflüchte im Einzelfall auch immer sein mögen. Tricky …

Eine schöne alte deutsche Wendung legt einem nahe, zuweilen doch mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Aber bei aller kontemporären, geradezu närrischen Liebe zu den Fakten: In diesem Rahmen werden Tatsachen, wie es scheint, durchaus höchst geringgeschätzt. Was bitteschön sind schon schnöde Tatsachen gegen hochfliegende Ambitionen? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 11-08-24 Börsen-Crashli

Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; gelobet sei der Name des Herrn! (Hiob 1, 21)

In der vergangenen Woche war es so, daß ein veritabler Börsen-Crash durch den Blätterwald rauschte. Das mag dem Sommerloch geschuldet sein. Vielleicht aber liegt der Hase doch tiefer im Pfeffer.

So titelte etwa eine Zeitung, die große Stücke auf sich selber hält und dabei vor allem auf ihre Wirtschaftskompetenz: Angst an den Märkten – Das neue Gefühl der Anleger.

Abgesehen davon, daß Angst ein schlechter Ratgeber ist – vor allem, wenn man sich auf dem aalglatten Börsenparkett tummelt, hält Bolle es mit der Devise: Wenn Euch das hier zu heiß ist, dann bleibt doch bitteschön der Küche fern.

Auch wollen wir uns nicht mit Börsengeschäften beschweren – im Grunde nicht einmal im weiteren Sinne. Allein das Beispiel zeigt sehr schön, was passieren kann, wenn man als Schreiber auf der Ebene der nackten Fakten klebenbleibt. Aufschlußreich dazu ist nach wie vor Cervantes‘ Don Quixote 1605/1615 (vgl. dazu etwa Sa 16-01-21 Wirklich wahr?).

Tatsachen, mein lieber Sancho,
sind die Feinde der Wahrheit.

Und Fakten – bei Cervantes hieß das noch schlicht Tatsachen – gibt es in diesem Metier nun mal reichlich. Die Börsenkurse stehen unumstößlich fest und lassen sich wohl auch nur recht schwierig „faken“. Werfen wir also einen Blick auf die nackten Fakten:

Voll der Börsen-Crash, eye!

Dabei müssen wir gar nicht allzu genau hinschauen, um das Wesentliche zu erfassen. Es reicht völlig, sich klarzumachen, wie sich der DAX grosso modo in den letzten 12 Monaten entwickelt hat. Tendenz: kommod steigend. Lag er vor einem Jahr noch bei knapp 16.000, hatte er um die Jahreswende einen Stand von knapp 17.000 erreicht, und in den letzten Wochen gut 18.000 (vgl. dazu die grünen Bälkchen). Kurzum: es ging – soweit das an der Börse möglich ist – mehr oder weniger stetig aufwärts.

Dann aber – in der vergangenen Woche nämlich – fiel der Kurs, wie unser Qualitätsblatt zu berichten weiß, auf den tiefsten Stand seit Mitte Februar (gestrichelte Linie). Bolle meint: Na und? Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; gelobet sei der Name des Herrn! Daß man mit einer solchen Einstellung an der Börse nicht wirklich reich werden kann, ist Bolle natürlich klar, of course. Doch das soll hier nicht unser Thema sein. Interessanter ist, daß Vergleiche wie „der tiefste bzw. der höchste Stand seit …“ recht wohlfeil zu haben sind. Das Internetz spuckt solche Daten auf Knopfdruck aus. Die muß man dann nur noch reinschreiben in die Zeitung. Man sollte sich dabei aber nicht ohne Not lächerlich machen. Wenn zum Beispiel jemand früh morgens vermelden würde: Booah! Ich bin so hungrig. Mein schlimmster Hunger seit vor dem Abendessen gestern – dann ist das nun mal lächerlich. Im günstigsten Falle ist es witzig.

Etwas anders liegen die Dinge, wenn unser Qualitätsblatt darauf hinweist, daß der Nikkei-Index seinen „größten Tagesverlust seit 1987“ erlebt hat. Hier reden wir von immerhin knapp 40 Jahren. Obwohl – auch das ist durchaus noch albern genug. Würde man sich als Journalist nämlich die Mühe machen, ein ganz klein wenig über den Tellerrand des Tages hinaus zu denken – statt gleich drauflos zu sensationalisieren, dann hätte man leicht ahnen können, daß die Ereignisse mit „Horrormeldung aus Japan“ oder einem „schwarzen Montag“ sogar doch eher reißerisch betitelt sind. Und in der Tat hatte sich das Börsenbarometer auch in Japan binnen weniger Tage wieder auf Normal eingepegelt. Soweit zum Börsen-Crashli.

Aber Journalismus kommt nun mal von le jour, der Tag, und da muß das womöglich so sein. Bolle indes, der sich mehr für Zusammenhänge interessiert als für Sensationen, hält das, und zwar wohl nicht ganz zu Unrecht, für einen Ausfluß des gemeinen A&O des Journalismus: Aufgeregtheit und Oberflächlichkeit. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 04-08-24 Fast fashion / Slow fashion

Sherlock Holmes im feinen Frack (Illustration im Strand von Sidney Paget 1901)

In letzter Zeit hat Bolle ja vermehrt auf die Mütze gekriegt: die Texte seien in der Tendenz zu überkandidelt, man müsse sich zu sehr reindenken, überhaupt seien die Modelle und die Graphiken zu schwer verständlich, und dergleichen mehr, of course. Bolle meint: Ihr habt ja Recht, und würde am liebsten mit Lessings ›Abschied an den Leser‹ (1751) parieren:

Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
So sei mir wenigstens für das verbunden,
Was ich zurück behielt.

Kurzum: es hätte schlimmer kommen können. Es gibt nun mal Zusammenhänge, die sind vergleichsweise einfach, und es gibt Zusammenhänge, die eher schwierig zu verstehen sind. Daneben gibt es Erklärungen, die verständlich sind, und solche, die ziemlich kauderwelschig sind. Damit kommen wir, wie so oft, auf vier Möglichkeiten. Das dumme daran ist, daß es stets der Leser ist, der entscheidet, was verständlich ist und was nicht. Für heute ginge das also zu weit.

Folglich begnügen wir uns mit einer 4-Felder-Tafel am harmlosen Beispiel von Fashion. Wenn man sich traut, klare, harte Schnitte zu machen, dann können Klamotten minderwertig sein oder hochwertig. Andererseits können sie tiefpreisig sein oder hochpreisig. Tertium non datur – eine dritte Möglichkeit gibt es nun mal nicht in einer dichotomen Welt.

Damit sieht das ganze aus wie folgt:

Fashion dichotomisiert.

Fehlt nur noch, ein paar knackige Begriffe in die weiß unterlegten Felder zu füllen. Nennen wir minderwertig/tiefpreisig also ›Fast Fashion‹ und hochwertig/hochpreisig ›Slow Fashion‹. Natürlich können hochwertige Klamotten ggf. auch günstig zu haben sein – Fein! Umgekehrt können minderwertige Klamotten auch zu einem stolzen Preis vermarktet werden. Das wäre dann also Grrr! Obwohl: das ist nicht das Schlechteste für Leute, die das Bedürfnis haben, sich – wenn schon nicht über den Geschmack, so doch zumindest über den Preis – vom Rest des Volkes abzuheben. In der Werbung heißt es dann, unfreiwillig komisch: Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.

Ursprünglich war Slow Fashion einmal „alternativlos“, wie man das heute nennen würde. So hat Bolle, vor vielen Jahren schon, in einem Benimm-Buch einmal gelesen, daß ein englischer Gentleman (ausdrücklich nicht beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einen neuen Anzug zunächst jahrelang nur bei sich zuhause in den eigenen vier Wänden getragen hat. Sich mit einem nigelnagelneuen Anzug in die Öffentlichkeit zu begeben, hätte man als schockierend ungentlemanlike, nachgerade dandyhaft  empfunden.

Und im 5. Kapitel – dies nur als Beispiel – von Sir Arthur Conan Doyles ›Hund von Baskerville‹ (1901/1902) erfahren wir, daß Sir Henry, obwohl 740.000 Pfund schwer – das entspricht heute einem Vermögen im dreistelligen Millionenbereich – gerade mal drei Paar Schuhe sein eigen nannte: alte schwarze, neue braune, sowie ein Paar Lackschuhe – wenn es einmal darum ging, sich stadtfein zu machen (vgl. dazu etwa das Bildchen oben). Das jedenfalls ist gelebte Slow Fashion.

Daß derlei nicht nur in der Literatur vorkommt, können wir sehr schön am Beispiel Bolle beobachten: Seinen letzten Mantel – seinen einzigen, wohlgemerkt – hat er 20 Jahre lang getragen. Allerdings nur im Winter, of course. Und seinen neuen Mantel trägt er seit nunmehr 12 Jahren. Dabei geht es ihm, wie wir erfahren konnten, mitnichten um ethisch hochwertiges Verhalten – als solches nämlich wird Slow Fashion zur Zeit hochgejubelt bzw. (Branchen-Sprech) vermarktet. Bolle hat einfach Null Neigung, pausenlos was anderes anzuziehen. Wenn man aber umgekehrt bedenkt, daß Fast Fashion angeblich für 8–10 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sein soll, kann einem schon etwas schwindelig zumute werden.

Manchmal wird Bolle wirklich ganz mulmig ums Herz, wenn er an die ganzen Hülsenfrüchtchen mit ihren wundgescheuerten Egos denken muß – an Leute also, die sich nur in neuer Klamotte wohlzufühlen meinen, auch wenn sie durchaus minderwertig ist. Dazu gibt es übrigens reichlich „Studien“. Insbesondere die sog. Generation Z steht in dem Ruf, hier eine ziemliche „Absichtslücke“ (intention-action-gap), wie rührige Soziologen das zuweilen nennen, aufzuweisen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.