So 16-02-25 Die Erwachsenen sind zurück

Roger Köppel kommentiert …

Roger Köppel, der große Journalist einer kleinen schweizerischen Wochenzeitung, kommentiert in seiner ›Weltwoche Daily‹ beziehungsweise aus seinem ›Institut für fortgeschrittene Gegenwartskunde‹ das Weltgeschehen mit bemerkenswerter Beständigkeit jeden Morgen, fünf Tage die Woche, in aller Herrgottsfrühe und im Doppelpäck (es gibt eine schweizerische und, jeweils gleich im Anschluß, eine internationale Ausgabe). Motto: „unabhängig, kritisch, gutgelaunt“.

Bei gegebenem Anlaß kann er allerdings auch schon mal sehr deutliche Worte finden. So heißt es in seinem Beitrag vom letzten Freitag gleich zu Beginn: „Die Erwachsenen sind zurück. Donald Trump betritt die Bühne. Und auf einmal ist alles ganz anders als das, was man Ihnen in den letzten drei Jahren einzureden versuchte.“

Es ist wohl noch zu früh abzuschätzen, wohin das alles führen mag. Manche aber wittern jetzt schon Frühlingsluft. Bolle meint, man muß schon ziemlich stumpf sein, um den Mehltau nicht zu merken, der sich in den letzten Jahren über Deutschland, Europa und weite Teile der Welt gelegt hat. Spötter paraphrasieren das ja gerne wie folgt:

Eine Lösung der Probleme?
Leider rein rechtlich nicht möglich.

Dann ändert halt das Recht, Ihr Deppen! Geht nicht? Natürlich nicht. Darauf hat man ja, wie’s scheint, viele Jahre lang mit einigem Fleiß hingewirkt – vielleicht nicht mit voller Absicht, aber vom Ergebnis her schon. Irgendein Recht, gerne und vor allem auch EU-Recht oder gar Völkerrecht – jeweils in einer mehr oder weniger aparten und dem eigenen Beharrungs-Interesse dienlichen Auslegung –, macht es schlechterdings unmöglich, irgend etwas anzupacken oder gar zu ändern.

Und so will es Bolle scheinen, daß den Mehltau abzustreifen ein veritabler Job für Superhelden sein dürfte – eine Mischung aus Herkules‘ Aufräumarbeiten im Augiasstall und Alexanders Gordischem Knoten. Mit rein sozialisationsbedingt doch eher recht abgehalfterten, in der politischen Wolle gefärbten Partei-Apparatschiks wird da wenig auszurichten sein. Bolle wäre wohl der letzte, der die Yanks vorbehaltslos klasse findet. Eines aber muß man ihnen lassen: Als Volk sind sie spektakulär pragmatisch. Sie probieren was aus – und wenn’s nicht funktioniert, probieren sie halt was anderes. Wenn‘s sein muß, wählen sie auch Trump. Und tun dabei so, als wär nichts gewesen. Namentlich gegen Mehltau ist das wohl nicht das schlechteste Rezept.

Nächsten Sonntag übrigens sind Wahlen. Bolle meint: Wählt weise – zumindest aber wohlbedacht. Und laßt Euch bloß nicht kirre machen. Bolle hat natürlich gut reden. Soweit wir wissen, war er als Kind schon ausgesprochen gruppendruck-resistent. Man kann ihm hundertmal sagen, dieser oder jener (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) sei pöse, pöse, pöse oder, je nachdem, voll lieb und ganz doll fürsorglich. Die Worte hört er wohl – allein ihm fehlt der Glaube. Auch ist steter Tropfen das letzte, was ihm imponiert. Und so perlt derlei an ihm ab wie klare Kloßbrühe am Lotus. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 05-01-25 Lieb Herzelein, magst stille sein

Herzelein, magst stille sein.

Es tut sich was auf der Welt. Schleichend zwar – im Zeitraffer aber doch recht deutlich. Und wann, wenn nicht um diese Jahreszeit, könnte man besser kurz innehalten und ein wenig Abstand nehmen, um sich Rechenschaft zu geben, wie man zu den Dingen stehen mag? Ist es nicht gerade das junge, das taufrische Jahr? Und wohnt nicht jedem Zauber auch ein Anfang inne?

Es ist fast auf den Tag genau 6 Jahre her, daß Greta Thunberg beim Weltwirtschaftsforum in Davos unter dem Beifall der Weltöffentlichkeit – vor allem aber natürlich der Medien dieser Welt (vgl. dazu Mi 18-12-24 Das 18. Türchen: Vox populi – vox quojus?) – verkündete, sie wolle, daß wir Panik schieben: I want you to panic!

Bolle war damals schon nicht wohl dabei. Steht das doch in krassem Gegensatz zur Grundaussage des Anhalters durch die Galaxis, wo es spätestens seit 1978 schon auf dem Buchdeckel geschrieben steht, und zwar in großen, freundlichen Lettern: Bloß keine Panik! Bolle kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß da mächtig was untergegangen ist im Laufe von nur gut einer Generation – auch, wenn es möglicherweise die letzte sein mag.

Vor allem will Bolle nicht einleuchten, daß man ein Problem – irgendein x-beliebiges Problem – besser, schneller, leichter oder überhaupt lösen kann, indem man Panik schiebt. Bolle war, vor Jahren schon, einmal Zeuge einer dieser Wie-nicht-bestellt-und-doch-abgeholt-Lektionen, mit denen das Universum nicht oft, aber doch gelegentlich, aus heiterem Himmel aufzuwarten beliebt. Bolle befand sich auf einer Party im kleinen Kreise in einem der sozialistischen Plattenbauten – die mit der herkömmlichen Berliner Traufhöhe (22 Meter) wenig am Hut hatten, und zwar in einem der obersten Stockwerke. Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, gab es plötzlich einen Wohnungsbrand: Lodernde Flammen und mächtig viel Rauch. Im Grunde war es wie im Kino: unverstellte, aber sichere Sicht auf das Malheur vis-à-vis. – Lalülala, of course. Und? Was haben die Feuerwehrleute (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) gemacht? Sie haben seelenruhig und gemessenen Schrittes die Lage gepeilt, ihre Ausrüstung ausgerollt und das Nötige in die Wege geleitet. Von Hektik – oder Panik gar – nicht die Spur. Bolle hatte fast den Eindruck, daß man eher schlendert als hetzt oder hechelt. Es gibt Momente im Leben, da bleibt es nicht aus, an den Anhalter durch die Galaxis samt seiner Buchdeckel-Weisheit denken zu müssen.

Auch war das wohl kein Ausnahme-Phänomen. Jahre später hat Bolle mal eine Doku über einen dieser Katastrophen-Helfer/Retter/Schützer-Vorabend-Filme gesehen. Da waren sowohl der Schauspieler als auch der „echte“ Retter im Gespräch – und man war sich völlig einig, daß es in real life eher so läuft wie in Bolles Beobachtung. Panik völlig fehl am Platze. Da man den Zuschauern aber ein gehöriges Maß an Action bieten will, werden solche Filme dann eben panisch aufgepeppt. Nun, denn.

Kurzum: Jedem, der beruflich mit sowas zu tun hat, ist klar, daß Panik das letzte ist, was hilft. Daß sich jemand wie Greta Thunberg gleichwohl ein gehöriges Maß selbiger wünscht, mag ihrer jugendlichen und auch ihrer professionellen Unerfahrenheit geschuldet sein. Daß aber die Medien dieser Welt derlei Unsinn hysterisch hochgehyped haben – und selbiges noch immer tun, und zwar unvermindert – egal, ob es ums Klima geht, um Kriege oder Katastrophen aller Art, mag da schon bedenklicher stimmen. Und so kommt Bolle nicht umhin, sich zu wünschen, daß mehr gedacht werden möge. Gedacht – und dann gemacht. Das Herzelein mag derweil stille schweigen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 21-12-24 Das 21. Türchen: Silentium

Einfach mal die Klappe halten.

Eigentlich sollte es uns heute um ›Lange Schlangen‹ gehen – Schlangen vor den Postämtern beziehungsweise Paketannahmestellen, an den Kassen der Konsumtempel und nicht zuletzt auch auf den Autobahnen. Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.

Es hat mal wieder geknallt auf einem deutschen Weihnachtsmarkt. Falls der überhaupt noch so heißen darf – und nicht etwa „Winterwunderland“ (vgl. Mi 11-12-24 Das 11. Türchen: Winterwunderland).

Und? Wie geht der Journalismus 2.0 damit um? Zunächst einmal verunstalten sie den im Telly laufenden ›Kleinen Lord‹ (GB 1980 / Regie: Jack Gold) mit der höchst häßlichen Einblendung von „Eilmeldungen“ am oberen und am unteren Bildschirmrand. Doppelt gemoppelt hält besser, wird man sich wohl gedacht haben. Bolle aber findet, das störe den Filmgenuß doch sehr – und meint das ganz und gar nicht zynisch. Wozu die Eile? Hat das nicht Zeit bis nach dem Film? Schlechte Nachrichten werden nunmal auch dann nicht besser, wenn sie sich  überschlagen.

Schließlich wurde, wie’s scheint, das sprichwörtliche Kribbeln im Arsch der Medienschaffenden anscheinend übermächtig, und so hat man den Film kurzerhand zwecks Katastrophenberichterstattung glatt unterbrochen – nur um zu berichten, daß man noch nichts zu berichten wisse. Dazu die üblichen langen Gesichter – wie immer, wenn einem die Realität mal wieder höchst unsanft vor Augen führt, daß es sie noch gibt, allem Leugnen und Schönsäuseln zum Trotze, und daß nicht jeder gut gemeinte und dabei ganz schlecht durchdachte Plan auch ein gutes Ende nehmen muß.

Mehr wollen wir heute gar nicht sagen. Einfach mal die Klappe halten scheint uns mehr als angemessen. Nur so viel: Laßt Euch von sowas nicht die Weihnachtszeit verderben – auch wenn es naheliegen mag. Und doch: da freut man sich auf Weihnachten – zumindest aber auf Glühwein und Bratwurst, den Christbaum, leuchtende Kinderaugen und viele, viele Geschenke. Und zack: ganz plötzlich, eh man sich’s versieht, findet man sich im Krankenhaus oder gar auf dem Friedhof wieder. Schön ist das nicht. Bolle jedenfalls würde sich das anders wünschen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 18-12-24 Das 18. Türchen: Vox populi – vox quojus?

Vox populi – vox quojus? Volkes Stimme – wessen Stimme?

Die Wendung ›vox populi vox Dei‹ war das ganze Mittelalter hindurch geläufig – und erfreut sich bei manchen heute noch einer ungebrochenen Beliebtheit. Nicht zuletzt bei Elon Musk, wenn er meinte: „44 Milliarden Dollar – das war nicht der Preis für Twitter. Das war der Preis für die Wiederherstellung der Redefreiheit.“ (vgl. dazu So 10-11-24 Die freiere Zeit).

Mit derlei Aussagen stößt man natürlich nicht bei allen und auch nicht zu allen Zeiten auf Gegenliebe. Schon Alkuin, ein britischer Mönch und Berater Karls des Großen, meinte seinerzeit, man solle nicht auf jene hören, die behaupten, daß Volkes Stimme Gottes Stimme sei, weil, so die Begründung, die Neigung des Volkes aufzubrausen oft dem Wahnsinn nahekäme.

Ist das nicht herrlich? Heute würde man das nur etwas anders formulieren und sagen: das Volk neigt zu „Haß und Hetze“. Und da einfach weghören nicht mehr ganz so einfach ist wie noch damals, um 800 n. Chr. herum, ist es womöglich das Beste, dem Volk im Keime schon das sprichwörtliche Maul zu stopfen. Entsprechende Bestrebungen gibt es derzeit ja zur Genüge.

Warum aber halten nicht alle einfach die Klappe – statt zu riskieren, bei der Obrigkeit anzuecken oder schlimmeres? Bleiben wir sachlich und stellen nüchtern fest, daß Kommunikation nicht weniger ist als ein Systemerfordernis. Ohne Austausch kann kein System funktionieren. Das ist auf der rein biologischen Ebene so – und es ist auf der anthropologischen Ebene nicht anders. Wenn die Zellen eines Lebewesens nicht mehr vernünftig kommunizieren, ist das Lebewesen tot. Exitus!

Auf anthropologischer Ebene – und übrigens noch viel früher – ist es nicht anders. Hier nur ein Beispiel: Bolle hatte seinerzeit Jahre gebraucht, um zu kapieren, wozu in alles in der Welt so etwas wie Klatsch und Tratsch gut sein mag. Die Antwort: es hält die Gruppe zusammen. Ohne Klatsch und Tratsch kein Zusammengehörigkeitsgefühl – und damit auch keine Gruppe. Exitus! Konrad Lorenz übrigens hat dem seinerzeit mit seinem ›Das sogenannte Böse‹ (1963) ein ganzes gut und recht anschaulich lesbares Buch gewidmet.

Bei dieser Konstellation ist es natürlich nachgerade „tödlich“, wenn ein N:N-Austausch (jeder kann im Prinzip mit jedem reden) durch den 1:N-Austausch (einer redet, alle anderen hören zu) der sogenannten „Leitmedien“ verdrängt wird. Formen wie zum Beispiel TwitteX dagegen ermöglichen einen echten N:N-Austausch. Übrigens redet Bolle schon lange nicht mehr von „sozialen“ Medien – sondern eben von N:N-Medien. Daß ein N:N-Austausch manchen ganz und gar nicht recht ist, versteht sich. Unkontrollierte Kommunikation? Bei der Neigung im Volke zu „Haß und Hetze“? Wo kommen wir da hin? Laßt uns lieber „helfen, retten, schützen“. Bolle könnt‘, wie immer an der Stelle, glatt kotzen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 12-12-24 Das 12. Türchen: AODSCH!

Finis Germania.

Nach den Weihen deutscher Weihnachtsmärkte bzw. deren Derangement in Form von Winterwunderwelten, mit denen wir uns die letzten beiden Tage befaßt hatten – hier zur Abwechslung mal wieder ein ausgesprochen weltliches Thema. AODSCH!

AODSCH ist Bolles jüngstes Akronym für ›Als-Ob-Demokratie-Schietkram‹. Darf man das so sagen? Bolle meint: man muß! Es rumort ja durchaus schon länger im Gebälk. Anlaß – lediglich der Anlaß – für unseren heutigen Beitrag sind die mißratenen Wahlen in Rumänien, of course. Dort fiel dieser Tage ein Urteil des obersten Gerichtes in etwa wie folgt aus:

Im Namen des Volkes! Ihr, das Volk, seid zu blöd zum Wählen. Also zurück auf Los, marsch, marsch!

Natürlich hat das niemand so formuliert. Aber im Tenor ist genau das gemeint. Möglicherweise ist das Volk ja wirklich zu blöd. Dann muß das wohl auch mal gesagt werden dürfen. Aber derlei ›Im Namen des Volkes‹ zu verkünden, mutet dann doch ein wenig skurril an. Und das ganze dann auch noch als ›Demokratie‹ zu verkaufen – eine Staatsorganisationsform, in der alle Staatsgewalt vom Volke auszugehen hat – selbst, wenn es nun mal zu blöd sein sollte. Was wäre die Alternative? Ein besseres Volk? Oder ganz zumindest eben eine ›Als-ob-Demokratie‹, die so tut, als ob – dabei aber niemandem in den höheren Schichten ernstlich wehtut. Merkwürdig – sehr, sehr merkwürdig das, in der Tat.

Man könnte fast meinen, daß so etwas wie ›Demokratie‹ nur dann und nur so lange funktioniert, wie das Volk sich an der Urne angemessen brav verhält. Diese Partei wählen oder jene – geschenkt. Solange die alle das gleiche wollen im Prinzip, wird das nicht weiter stören. Aber so richtig danebenwählen? Das ist nach Ansicht mancher mehr als die stärkste Demokratie abkann. Immerhin ist das ein Indiz für die Richtigkeit von Bolles Partizipationsplacebo-Theorem (vgl. dazu etwa Mo 12-12-22 Das zwölfte Türchen …). Gib den Leuten das Gefühl, daß sie was zu sagen haben – zum Beispiel wählen gehen dürfen. Das fördert das Commitment und damit die Zufriedenheit. Allerdings muß man höllisch darauf achten, daß sie nicht wirklich was sagen – also zum Beispiel völlig falsch wählen. Das ginge dann doch zu weit.

Und? Wie sieht es hierzulande aus? Noch nicht ganz so offenkundig, aber auf dem besten Wege, wie zu befürchten steht. Bolle muß da an die letzten Wahlen im Osten denken, Brandmauern und nicht zuletzt Verbotsphantasien für bestimmte Parteien. Irgendwie muß das Volk ja auf den rechten Weg geführt werden.

Was schließlich sagt die freie Presse, der Journalismus 2.0? Irritierend wenig. Rumänien sei ein EU-Land und überdies in der NATO – da sei es nun mal nicht tunlich, einen Präsidenten zu wählen, der da nicht voll und ganz dahinterstehen mag. Das könne und müsse man ja verstehen. Nun ist es wirklich nicht jedermanns (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) Sache, die Bedeutung von Nachrichten einschätzen und beurteilen zu können. Allerdings fragt Bolle sich manchmal: warum dann Journalist werden? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 09-12-24 Das 9. Türchen: Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze

Die normative Kraft des Faktischen (Universitätsbibliothek Heidelberg).

Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze. Das ist weiß Gott nicht weihnachtlich – und doch ist es nicht minder wahr – und zwar nicht nur zur Weihnachtszeit. Aufgeschnappt hat Bolle das in irgendeiner Vorabend-Serie – und war spontan entzückt ob der Dichte des Diktums. Wie ein gut geführter Hammer. Wumm! Und sitzt!

Aber ist es auch wahr? Natürlich ist es wahr – in dem Sinne, daß wir es wieder und wieder beobachten können. Aktuell reden wir von Syrien, of course. Da hat man ein Land seit gut 60 Jahren und in zweiter Generation mehr oder minder fest im Griff – und schwupps: plötzlich ist alles anders. Wenn die Waffen sprechen (und ein paar günstige Umstände hinzukommen), halt.

Daß damit nicht jeder glücklich ist, versteht sich. Als etwa Bismarck – um ein Beispiel aus der jüngeren Weltgeschichte herauszugreifen – sich in einer Rede vor dem Preußischen Abgeordnetenhaus vom 30. September 1862 zu bemerken veranlaßt sah, daß „die großen Fragen der Zeit“ nicht „durch Reden und Majoritätsbeschlüsse“ entschieden würden, sondern durch „Eisen und Blut“ – da war natürlich der Teufel los. Ja, darf der das denn? Natürlich darf der das. Zumindest hat er es getan.

Hier nämlich geht es mitnichten darum, was einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) gerne hören mag. Es geht auch nicht darum, ob etwas wünschenswert ist oder nicht (Schwester Ethik). Hier geht es lediglich um das, was ist (Schwester Logik). Bolle muß immer wieder staunen, mit welcher Hartnäckigkeit so manches Hülsenfrüchtchen selbst elementare Kategorien zu konfundieren weiß (vgl. dazu etwa So 06-10-24 Propaganda).

Manchmal aber ist mancher doch der Einsicht nahe. So meinte eine Journalistin gestern in einem dieser Plauder-Formate (vulgo Talk-Show), „die Realität“ entwickele sich „gerade in eine andere Richtung“. Bolle meint, das hat sie schön gesagt.

Georg Jellinek (1851–1911), ein österreichisch/deutscher Staatsrechtslehrer mit Blick über den juristischen Tellerrand, hat dafür seinerzeit den Begriff ›Die normative Kraft des Faktischen‹ geprägt: Wenn was so is, dann isses so. Friß, Vogel, oder stirb. Ändern können wirst Du’s eh nicht.

Um den Ganzen dann doch noch eine weihnachtliche Note zu verleihen: Bolle findet ja, Georg Jellinek ließe sich großartig als Nikolausi casten – und meint das in keinster Weise despektierlich. Die Brille, der Bart – überhaupt der Ausdruck insgesamt: Im Kern freundlich – aber durchaus wohl auch zur Strenge fähig. Ein echter Nikolausi eben. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 17-11-24 Und niemals wieder landen

Signale hör ick wohl, allein …

Manchmal will es Bolle ja so scheinen, als gäbe es eine Clique von unverdient Hochgestellten, die eine regelrechte Freude daran haben, brave Bürgersleut zu drangsalieren. Das machen sie natürlich nicht mit Absicht. Gleichwohl aber mit Absichten – und zwar mit guten, versteht sich, of course. Im Kern ist es wohl so, wie Diedrich Dörner das 1989 schon in seiner ›Logik des Mißlingens‹ so trefflich formuliert hat. Wir werden ja nicht müde, es immer wieder zu erwähnen (vgl. dazu etwa Fr 23-04-21 Vive la France! – ein Beitrag, der immerhin schon 3½ Jahre alt ist).

Meines Erachtens ist die Frage offen,
ob ›gute Absichten + Dummheit‹
oder ›schlechte Absichten + Intelligenz‹
mehr Unheil in die Welt gebracht haben.
Denn Leute mit guten Absichten
haben gewöhnlich nur geringe Hemmungen,
die Realisierung ihrer Ziele in Angriff zu nehmen.

Nun – momentan scheinen wir von ›gute Absichten + Dummheit‹ regelrecht überschwemmt zu werden. Dabei wollen wir unter ›Dummheit‹, wie stets, nicht mehr verstehen als das kognitive Unvermögen, Gegebenheiten bzw. Zusammenhänge erkennen zu können. Mit anderen Worten: unzureichende prognostische Kompetenz (vgl. dazu auch So 27-10-24 Vorausschauend fahren! Können vor Lachen).

Anlaß zu diesem Beitrag war folgendes: Da hatte ein ansonsten völlig braver Bürger einen der unverdient Hochgestellten als „Schwachkopf“ bezeichnet. Genau genommen hatte er selbst ihn gar nicht bezeichnet. Vielmehr hatte er einfach ein ziemlich süßes TwitteX-Bildchen mit einigem an Witz „geliked“. Die Folge: Strafanzeige wegen Majestätsbeleidigung, § 188 StGB. Bemerkenswert ist also, daß unser braver Bürger den „Schwachkopf“ nicht einmal selbst in den Mund genommen hat. Er fand das einfach nur niedlich. Wir kennen das von früher, als das reine Weitererzählen von politischen Witzen strafbar war – wenn auch nicht unbedingt unter dem Slogan „wehrhafte Demokratie“, dessen sich die unverdient Hochgestellten so gerne befleißigen.

Auch ist es interessant, wie solche Strafanzeigen überhaupt zustandekommen. Hat sich da unser „Schwachkopf“ persönlich beleidigt gefühlt und zum Schutze seiner Ehre Strafanzeige erstattet? Mitnichten. Mittlerweile wird von darauf spezialisierten Firmen das Netz mittels KI auf möglicherweise unbotmäßige Äußerungen durchforstet und die Strafanzeigen in einem automatisierten Prozeß an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die sich – so viel Rechtsstaat muß sein – dann eben darum zu kümmern hat.

Doch das ist noch nicht alles. So hat ein offenbar höchst ambitionierter Staatsanwalt nebst einem wohl nicht minder ambitionierten Richter eine Hausdurchsuchung bei unserem ansonsten braven Bürger angeordnet. Man muß sich das vorstellen: Eine Hausdurchsuchung! Wegen eines Likes!

Bolle hält es ja eher mit der gewohnheitsrechtlichen britischen Regel ›My home is my castle‹. Eine Burg, in der der Staat, von Verfehlungen der krasseren Art einmal abgesehen, rein gar nichts zu suchen hat. Eben dies war in den vergangenen Jahrzehnten auch durchgängig gute juristische Praxis.

Von Winston Churchills Milchmann-Parabel jedenfalls entfernen wir uns zur Zeit geradezu im Sauseschritt:

Wenn es morgens klingelt an der Tür
und ich weiß, daß es der Milchmann ist,
dann merke ich, daß ich in einer Demokratie lebe.

Eher läuft es wohl auf Bolles Dystopie hinaus:

Wenn es morgens klingelt an der Tür
und ich denk‘, das könnt‘ der Staatsschutz sein,
dann war’s das erstmal mit der Demokratie.

Das alles ist ohne den Journalismus 2.0 natürlich völlig undenkbar, of course. Aber was erfährt der geneigte Durchschnitts-Medien-Konsument? Werfen wir einen Blick auf ein Original:

Journalismus 2.0

Der Beitrag läuft unter der doch recht verqueren Dachzeile ›Start-up‹, nennt ein edles Motiv („gegen Hass“) und erwähnt die erfolgreiche Akquisition „prominenter Mandanten“. Der Kern vons Janze, der nucleus granuli also, wird den Autoren offenkundig nicht helle. Bolle meint, da wundere ihn rein gar nichts mehr. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 10-11-24 Die freiere Zeit

Der Preis der Freiheit.

So kam es, daß es in der Abenddämmerung, drei Tage nach Molotows Hinscheiden, in diesem Teil des Sörmländer Waldes so schlimm knallte wie seit den zwanziger Jahren nicht mehr. Der Fuchs flog in die Luft, ebenso wie Allans Hühner, Hühnerhaus und Holzschuppen. Doch der Sprengsatz reichte bequem auch noch für die Scheune und das Wohnhaus.

So heißt es in Jonas Jonassons ›Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand‹ aus dem Jahre 2009 im 28. Kapitel.

Hundert Jahre später, wieder in den zwanziger Jahren, genau genommen just diese Woche, hat es einmal mehr richtig geknallt: Mr Donald Trump wurde – gemessen am Wunschdenken und an den Schmähschriften eines weitgehend woken Journalismus 2.0 geradezu „erdrutschartig“ – zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten designiert.

Dagegen nimmt sich beispielsweise ein Scholz’scher „Doppel-Wumms“ (2022) geradezu harmlos aus. Bolle jedenfalls fand das die spannendste Fernsehnacht seit der Mondlandung. Und das ist durchaus schon ein Weilchen her.

Natürlich war niemand vorbereitet. Hoffen und Harren // Macht viele zum Narren. Das war dem römischen Dichterfürsten Ovid schon vor zweitausend Jahren klar. Bis zuletzt hat man in der politischen Klasse ganz, ganz dolle daran geglaubt, daß dieser Kelch an ihnen vorübergehen werde. Ist er aber nicht. Nun heißt es eben auslöffeln.

In der ersten Schockstarre hieß es etwa, daß Trump bislang offengelassen habe, wie er seine vielen Ziele denn erreichen wolle. Das in der ersten Stunde nach dem Wahlsieg! Seriös ist das nicht. Bolle weiß von Polit-Prominenten zu berichten, die nach Jahren noch nicht wissen, wie sie ihre Ziele erreichen wollen – die, schlimmer noch, nicht einmal klar zu sagen wissen, was ihre Ziele überhaupt sind. Wenn wir von Friede, Freude, Eierkuchen nebst Rettung vor der Klimakatastrophe, Wohlstand für alle und Tod den Tyrannen nebst Rettung „unserer“ Demokratie, of course, einmal absehen wollen.

Vor einigen Wochen war Bolle auf einem 100-Jahre-Abi-Treffen. Das Schöne an solchen Veranstaltungen ist, daß man Leute trifft, die man ewig nicht gesehen hat, die aber ein Bild von einem von damals im Kopf haben. Dabei ergab sich am Rande die Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit. „Wenn sich jemand verletzt fühlt“, meinte eine ehemalige Mitschülerin. „Nein“ – entfuhr es Bolle, schneller als er denken konnte. Und doch muß er sich im Nachhinein Recht geben. Natürlich soll man nicht unnötig grob werden. Aber letztlich scheint ihm die in den letzten Jahren um sich gegriffen habende PC (Political Craziness) nachgerade ein Einfallstor für fortschreitende Goethe’sche Schafsnatur zu sein (vgl. dazu So 09-06-24 Erst wählen, dann zählen).

Und auf vorgeschriebnen Bahnen
Zieht die Menge durch die Flur;
Den entrollten Lügenfahnen
Folgen alle. – Schafsnatur!

Das jedenfalls, soviel ist jetzt schon klar, will Mr Trump ändern – und dafür hat er durchaus gute Argumente. So heißt es etwa in einer Entscheidung des amerikanischen Supreme Court:

Das Recht zu denken ist der Beginn der Freiheit, und die Sprache muß vor der Regierung geschützt werden, weil die Sprache der Beginn des Denkens ist.

Lyrischer noch hat es Karl Kraus in seinem ›Pro domo et mundo‹ (1919) vor nunmehr 100 Jahren gefaßt.

Die Sprache ist die Mutter,
nicht die Magd des Gedankens.

Aber macht das mal einem Analphabeten oder auch nur einem Hülsenfrüchtchen klar.

Letztlich geht es wohl um die grundsätzliche Ausrichtung: Wollen wir eine politische Landschaft mit einem Souverän, der souverän ist, und seinen gewählten Vertretern tüchtig auf die Finger klopft, wenn sie außer Rand und Band geraten? Oder wollen wir eine mittelalterliche politische Landschaft, wie sie Umberto Eco in seinem ›Der Name der Rose‹ (1980) so trefflich beschreibt: Mit Hirten, Hunden und vielen gefügigen Schäfchen? Wie unsere Hirten derzeit mit dem Recht auf Redefreiheit umgehen, ist jedenfalls durchaus mittelalterlich. Kant hätte glatt ‘n Knall gekriegt – von wegen sapere aude (Bediene Dich Deines Verstandes). Haben vor Lachen? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 20-10-24 Respekt, Digga!

Oh Zeiten, oh Sitten …

Es gibt eine Lehrmeinung, die besagt, daß bestimmte Wörter erst dann aufkommen, wenn das Kind bereits im Brunnen liegt. Ein Beispiel wäre etwa die vor rund 100 Jahren aufgekommene Neurasthenie mit der Kurzumschreibung: Raste nie und haste nie, sonst haste die Neurasthenie (vgl. dazu unseren Beitrag von neulich (So 15-09-24 Volk unter Strom).

In der Zeit davor „hatte“ niemand diese Form von Nervenschwäche. Ebensowenig wie heute: jetzt hat man „Burnout“. Die philosophische Frage, die zu beantworten hier allerdings viel zu weit führen würde, lautet: Gab es früher keine Neurasthenie bzw. keinen Burnout – oder gab es einfach nur kein Wort dafür?

Ganz ähnlich verhält es sich mit posttraumatischen Belastungsstörungen im weitesten Sinne. So weiß Bolle aus Gesprächen mit Zeitzeugen, daß jemand, dem die sogenannten Befreier 1945 das Haus überm Kopp weggebombt hatten, und der sich nach dem Angriff, als Kind (!) über Dutzende von Leichen steigend, mit knapper Not aus dem Keller ins Freie retten konnte, herzlich wenig Zeit und Sinn für derlei hatte.

Auch müssen wir uns nicht auf subjektives Erleben beschränken: So wirft zum Beispiel Robert Pirsig in seinem ›Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten‹ (1974) die nur auf den ersten Blick absurde Frage auf, ob es vor Isaac Newton (1643–1727) so etwas wie Gravitation überhaupt gegeben hat.

Heute sind die Zeiten friedlicher – zumindest hier und noch. Und so können wir friedlich der Frage nachgehen, ob das im letzten Bundestagswahlkampf 2021 fett plakatierte „RESPEKT FÜR DICH.“ (in Großbuchstaben, anbiederndem Du sowie mit Punkt am Ende) nicht vielleicht ein eher übles Vorzeichen war. Bolle zumindest schwante so etwas – von wegen Kind-im-Brunnen-Theorem.

Und so ist es dann ja auch weitestgehend gekommen. Bolle jedenfalls wüßte kein Beispiel, daß eine Regierung zu seinen Lebzeiten jemals derart hochfahrend mit ihrem Wahlvolk umgegangen wäre. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, daß es so manchem Entscheidungsträger kaum noch darum geht, was herkömmlicherweise als recht und billig erachtet wird. Offenbar geht es zunehmend darum, das gegebene Recht so zu biegen und zu kneten, daß man damit irgendwie noch durchkommt. Common sense? Rechtstradition? Gute Sitten und Gepflogenheiten? Kann alles weg. Stört nur beim revolutionären, möglichst schnellen Aufbruch in eine bessere Welt – oder was man dafür hält. Wenn’s der guten Sache dient, ist zu viel Recht ganz schlecht.

Wir durften das beim Heizungsgesetz erleben, von dem es später hieß, man sei womöglich „zu weit gegangen“, bei der Corönchen-Hysterie, bei der praktisch sämtliche Grundrechte bis auf weiteres suspendiert wurden, beim Ukraine-Krieg, der hausgemachten Migrationskrise, und so weiter und so fort.

Dann kam das Compact-Verbot mit seinen ungeahnten und bislang einmaligen juristischen Winkelzügen, die völlig respektlosen Geschehnisse in Thüringen und anderswo im Osten, und schließlich neuerdings die Bestrebungen um getreuliche Petzen („trusted flaggers“). Bolle meint: Ist doch alles nicht seriös.

Nach allem drängt sich der Eindruck auf, daß die Regierung meint, von einem Erziehungsauftrag ausgehen zu müssen: Hier die weisen Staatenlenker, dort der widerspenstige Teil des Volkes, der dringend diszipliniert werden muß („The beatings will continue …“). Das aber ist erstens schlicht kontrafaktisch und zweitens das schiere Gegenteil von ›Respekt für dich‹. Was dann?

In den 1980er Jahren schon gab es in einem Hamburger Hallenbad mal ein Problem mit marodierenden Jugendlichen. Die Jungs fanden es schick, den Mädels an den Oberteilen ihrer Bikinis zu zupfen. Aus heutiger Sicht eher harmlos. Die Mädels allerdings waren not amused. Was tun? Im ersten Ansatz hat man ein Team von Sozialarbeitern eingesetzt, die den Jungs was von Respekt und gewaltfreier Kommunikation verklickern wollten. Ohne jeden Erfolg, of course. Dann schließlich – einige Anläufe später – hat man einen Kerl angeheuert, der fast so breit war wie groß. Jedenfalls keiner, mit dem man sich unnötig würde anlegen wollen – schon gar nicht als hühnerbrüstiger Teenie. Kurzum: wo er war, war Ruhe. Allenfalls mußte er mal mit den Augen rollen. Und das Beste: Die Jungs haben ihn geliebt. So geht Respekt. So und nicht anders.

Die Regierung dagegen scheint sich, tout au contraire, an Bolles Entwurf einer Brav-Schaf-Verordnung zu orientieren:

§ 1  Es ist verboten, gegen die Regierung zu sein.
§ 2  Das gilt auch dann, wenn man nichts Verbotenes tut.
§ 3  Im übrigen behält sich die Regierung vor, entsprechendes Verhalten de lege ferenda (nach zukünftigem Recht) zu verbieten.
§ 4  Bis dahin wird die Regierung alles tun, einschlägiges Verhalten nach Kräften zumindest sozial und medial zu ächten. Dabei beruft sie sich auf die bewährten Grundsätze der wehrhaften Demokratie.
§ 5  Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Na, denn Prost!

Das alles kann natürlich nur funktionieren, wenn man es mit einem Journalismus 2.0 zu tun hat, der seine Hauptaufgabe darin sieht, sich an die vermeintlich Mächtigen mit Verve ranzuwanzen und der mit der in einer Demokratie ebenso unerläßlichen wie ehrenwerten Funktion als Vierte Gewalt nur noch herzlich wenig am Hute hat. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 13-10-24 Die beste Lösung

Der Problemlösungszirkel oder De arte solvendi.

Nun streiten sie wieder. Oder noch. Oder immer noch. Was kann es Schöneres geben als in einer Schnatterrunde (Neudeutsch: Talkshow) hinter einem süffigen Schlückchen Wasser zu sitzen und – zu streiten? Streiten ist nachgerade und überhaupt das Wesensmerkmal „unserer Demokratie“, möchte man meinen. Und? Um was streitet man? Um die beste Lösung, of course. Da ist man rührig bestrebt, den jeweiligen politischen Gegner mit dem jeweils „besseren Argument“ zu „stellen“ und – so womöglich die Idee – eines Besseren zu belehren bzw. gar zu bekehren.

Allein, es will nicht wirklich fruchten. Der jeweilige politische Gegner neigt nämlich dazu, das Bessere am vermeintlich besseren Argument einfach nicht einsehen zu wollen. In der Folge verhärten sich regelmäßig zusehends die Fronten – die Gesellschaft ist, wie es immer so schön heißt, „gespalten“. Da hilft wohl nur unterhaken – beziehungsweise ein Aufstand der Anständigen gar. Das Argument indes, erst recht das bessere, bleibt derweil auf der Strecke.

Und? Wo bleibt das Positive? Sagen wir so: Bolle findet es immer wieder höchst erfreulich, wieviel Unsinn bzw. wieviel Belangloses von einem abfällt, wenn man sich nur befleißigt, ein geeignetes Modell zu bemühen. Nun – haben vor lachen. Aber daran soll es weiß Gott nicht scheitern. Nehmen wir unser Modell aus dem Schildchen oben. Es beschreibt direktemang den Weg von einem gegebenen, im Zweifel unerfreulichen Ist-Zustand zu einem angestrebten Soll-Zustand. Wir wollen es hier nicht weiter durchkauen. Nur so viel:

Wenn ich nicht weiß, wo ich stehe – Ist-Analyse –, wird es schwierig zu wissen, in welche Richtung ich mich bewegen muß, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Man kann sich das ganz praktisch klarmachen: Nehmen wir an, wir wollten nach Berlin Mitte. Wenn wir uns zum Beispiel in Prenzlauer Berg befinden, sollten wir uns tunlichst Richtung Süden bewegen. Wenn wir uns dagegen in Kreuzberg befinden, wäre, tout au contraire, der Norden die richtige Richtung. Es gibt also keinen unter allen Umständen richtigen Weg. Selbst so etwas muß man, wie’s scheint, so manchem Wassersüffler (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) in so mancher Schnatterrunde erst mühsam erklären.

Sehr viel dramatischer noch verhält es sich mit der Ziel-Definition. In Bolles Kreisen heißt es oft scherzhaft: Wenn Du nicht weißt, wo Du hinwillst, mußt Du dich nicht wundern, wo Du ankommst.

Begnügen wir uns mit einem einzigen, dafür aber strikt kontradiktorischen Beispiel: Die einen wollen mehr Zugereiste – egal ob Einwanderer, Asylberechtigte oder Flüchtlinge –, die anderen weniger. Was will man da „argumentieren“? Sie wollen es einfach. Und was jemand will, hat mit Argumenten nichts, aber auch rein gar nichts zu tun – so wahr Schwester Logik und Schwester Ethik in verschiedenen Universen leben (vgl. dazu etwa unser Frühstückchen letzte Woche: So 06-10-24 Propaganda). Ersatzweise wirft man sich dann wechselseitig vor, schlechte Menschen zu sein, für die man sich zu schämen habe, Nazis oder gar Verfassungsfeinde – oder eben Wolkenkuckucksheimer. Na toll! Die Schnatterrunden sind voll davon.

Ist das denn alles völlig aussichtslos? Nicht ganz. Bevor ich aber mit dem besseren Argument aufwarten kann, muß ich zwingend erst einmal dafür sorgen, daß der andere das will, was ich selber auch will. Zum Beispiel könnte ich versuchen, ihn zu überzeugen, daß seine Rente – die er ja auch will – ohne Zugereiste in Gefahr gerät. Seine Krankenhausversorgung (Ärzte, Pflegekräfte) nicht minder. Daß es dann nur noch Schweinsbraten mit Kartoffelknödel und Sauerkraut gibt – und keine Pizza mehr und auch keinen Döner. Falls das alles aber nicht überzeugen sollte, komme ich gar nicht erst bis zum Feld ›Plan / Check der Mittel‹ und kann mir jedes weitere Argument ersparen.

Dann nämlich erst, und wirklich erst dann, macht es Sinn, sich über einen möglichen Plan (im Modell das grüne Feld) Gedanken zu machen. Hier, und wirklich erst hier, käme das bessere Argument zum Tragen. Allerdings würde an dieser Stelle auch klar, was absehbar geht und was eben nicht. Aber macht das mal einem rechten Glühwürmchen (heißes Herz, hinkendes Hirn) klar. Schließlich gilt, wie’s scheint, in jenen Kreisen offenbar das heimliche und wohl mangels kognitiver Kapazität durchaus nicht mitgedachte Motto:

Wir glühen, bis die ganze Welt
an der Wirklichkeit zerschellt
und in sich zusammenfällt.

Möglicherweise sind wir – allem Optimismus eines überzeugten Agnostikers zum Trotze – gar nicht mehr allzu weit entfernt davon. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.