Mo 14-10-19 Hochschullandschaft

So viel Auswahl war nie: Die Zahl der Studiengänge in Deutschland hat die 20.000er-Marke überschritten. Den Rekord meldet das CHE zum Semesterstart.

Gefunden auf Die ZEIT »Wissen hoch drei«. Im folgenden erfahren wir dort:

Die Treiber der Entwicklung sind vornehmlich private Fachhochschulen und HAWs.

Kiek ma eener an. Abgesehen davon, daß „HAWs“ nur sprachlich aufgemotzte Fachhochschulen sind, und diese wiederum nur sprachlich aufgemotzte Fachschulen bzw. Ingenieurschulen, kann das nicht weiter verwundern. Im Mittelalter gab es 3 „höhere Fakultäten“ – Theologie, Recht und Medizin – plus die „Artistenfakultät“ mit 7 weiteren Fächern (Trivium und Quadrivium). Insgesamt also 10 – und nicht etwa 20.000. Den einen oder anderen Zuwachs, etwa in Natur- oder Ingenieurwissenschaften, wird man hinnehmen müssen – meinetwegen auch das eine oder andere Sozial-, Geistes- oder wirtschaftswissenschaftliche Fach. Wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter. Aber 20.000 klingt dann doch ein wenig inflationär. Wir erinnern uns: »Inflation« bedeutet „sich aufblasen“. Private Fachhochschulen und HAWs sind also sowohl qualitativ als auch quantitativ das Ergebnis eines expandierenden Hochschul-Universums. Bolle wünscht sich einen frischen und erfrischenden Big Bang. Back to the roots!

Wie aber konnten die Wissenschaften strukturell so verkommen? Nun – wo Nachfrage ist, da ist auch ein Markt. Mittlerweile sind wir so weit, daß selbst Installateure sich am liebsten „Master of Applied Gas, Wasser, Scheiße“ oder so ähnlich nennen würden. Übrigens nichts gegen Installateure. Das sind meist ordentliche, bodenständige Leute, die überwiegend solide und nützliche Arbeit verrichten – und nicht etwa in Oberseminaren ernstlich darüber disputieren, ob Wasserhähne nicht doch besser „Wasserhennen“ heißen sollten. Oder, neuerdings, vielleicht auch „Wasserhahn (m/w/d)“. Bolle zeigt mittlerweile ernstliche Symptome einer chronischen Akademiker-Unverträglichkeit (morbus academicus extensus).

Aus Sicht der Forscher zudem bemerkenswert: Nur noch jeder 5. Studiengang trägt herkömmliche Bezeichnungen wie „Physik“ oder „Chemie“. Von Dauer sind allerdings nicht alle Studiengänge. Seit 2014 stellten die Hochschulen in Deutschland insgesamt 2.036 Angebote ein.

2.036 von 20.000 – das entspricht einer bemerkenswerten „Eintagsfliegenquote“ von 10%. Anders gewendet: Wenn in jedem der über 2.000 gefloppten „Angebote“ nur 100 oder 200 Studenten ihren Abschluß gemacht haben, dann gibt es jetzt hunderttausende von Absolventen, die etwas studiert haben, was es gar nicht (mehr) gibt. Exaktemente so funktioniert der Freie Markt, wenn man ihm nicht auf die Finger schaut und gegebenenfalls auch mal auf die Finger haut. Aufsichtsbehörden und Zertifizierungsstellen scheinen damit heillos überfordert. Schlimmer noch: Sie sind systemisch so herrlich eingenischt, daß sie nicht das geringste Interesse daran haben dürften, diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Und selbst wenn: Inflationen neigen nun mal dazu, eine gewisse Eigendynamik zu entwickeln. Ohne eine regelrechte „akademische Währungsreform“ wird da wohl nichts mehr zu machen sein. Das wäre übrigens auch ein probates Gegengift gegen den in jüngerer Zeit zu beklagenden Handwerkermangel. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Am Rande erfahren wir an gleicher Stelle noch das folgende:

Wissenschaftler verbringen 52 Stunden im Jahr damit, ihre Manuskripte zu formatieren.

Klingt viel, entspricht aber gerade mal einem Stündchen pro Woche. Muß doch alles seinen Schick haben – und von nüscht kommt nun mal nüscht. Bolle möchte eher wissen, wie viele Stunden eben diese Wissenschaftler damit verbringen, den immer gleichen Quark in immer neue Töpfchen umzufüllen – und dann wieder auszukippen (2.036 „Angebote“ eingestellt) und wieder frisch einzufüllen. Dagegen ist ein Stündchen Formatierungsarbeit wohl glatt zu vernachlässigen. Aber auch das ist ein anderes Kapitel.

Mo 14-10-19 Polen

Die Kombination „linke“ Sozialpolitik und „rechte“ Innenpolitik hat sich in Polen ausgezahlt. Bei der Parlamentswahl kam die regierende nationalkonservative Partei PiS auf mehr als 43 Prozent der Stimmen und behält die absolute Mehrheit. Parteichef Jaroslaw Kaczynski kann damit weiter seine Strategie des „dobra zmiana“ (guter Wandel) verfolgen – oder was er dafür hält.

Gefunden im Handelsblatt Morning Briefing. Was oberflächlich gesehen wie ein Widerspruch klingt – „links“ ist nun mal das Gegenstück zu „rechts“ –, könnte bei näherem Hinsehen durchaus Sinn machen. Systeme ohne Außenhülle – und ein Staat ist ein System i.w.S. – lassen nun mal schlecht bis gar nicht steuern. Die EU läßt grüßen. China übrigens auch. Übersetzen wir indessen „links“ mit „sozial“ – oder gar mit „sozialistisch“ – und rechts mit „national“, dann könnte die schiere Begrifflichkeit bei so manchem Assoziationen evozieren oder gar provozieren, die man dann doch lieber nicht hätte. Schließlich kann es nichts Gutes im ultimativ Bösen geben. 43 Prozent der Wähler halten sich dagegen offenbar wacker an ihre Nationalhymne: Noch ist Polen nicht verloren. Marsch, marsch, Dabrowski. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Sa 12-10-19 Brexit

Bernhard und der Brexit

„Bernhard und der Brexit“. Mit diesem Titel macht eine Zeitung, die sich selber für ein Qualitätsblatt hält, allen Ernstes auf. Brexit kennen wir. Aber wer ist Bernhard? Bernhard ist, wie sich herausstellt, ein LKW-Fahrer, der sein Leben damit verbringt, von Niedersachsen nach England zu fahren, und zurück, und wieder hin und wieder zurück. Er selbst hält das für „Freiheit“. Bolle hält das für Sisyphos. Aber was soll’s: Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Übrigens – auch das erfahren wir, ist Bernhard „ein ruhiger Mittfünfziger mit Henriquatre-Bart und Geheimratsecken“. Wie gesagt: Wir befinden uns hier inmitten einer Titelgeschichte einer angeblichen Qualitätszeitung. Bolle meint: Geht’s noch?

Ein harter Brexit würde nicht nur sein Leben abrupt verändern, sondern auch den Handel in Europa.

Was will der Autor uns damit sagen? Daß ein harter Brexit von Übel ist, weil er Bernhard aus seinem Trott reißen würde? Oder weil er zumindest „den Handel in Europa“ verändern würde, und zwar „abrupt“? Der „Handel in Europa“, so erfahren wir, ist

„eine Maschinerie aus Abertausenden Trucks, die Nacht für Nacht vom Kontinent ins Vereinigte Königreich rollen, immer entlang fein austarierter Zeitpläne.“

„Abertausende Trucks“, und das „Nacht für Nacht“. Und obendrein „fein austariert“. So etwas ist natürlich definitiv erhaltenswert. Fragt Greta. Und warum ist das so?

„Just in Time“ heißt das Fertigungsprinzip. Es spart Lagerkosten und kann die Produktivität steigern.

Daß „Just in time“ Lagerkosten spart, ist unbestritten. Und? Was macht es sonst noch so? Die Lagerkosten verschwinden natürlich nicht einfach – sie verlagern sich lediglich auf die Autobahn, Nacht für Nacht. Tagsüber übrigens auch. Da freut sich der Unternehmer und die Allgemeinheit zahlt die Zeche. „Externalisierung von Kosten“ nennt das der Fachmann – der sich dabei übrigens nicht einmal mehr wundert. Auch die Laien haben ja längst aufgehört zu staunen. Daß es aber die Produktivität steigern soll, wenn Bernhard Stunden über Stunden – im Grunde sein ganzes Berufsleben – mit den „immergleichen 84 km/h auf dem Tacho“ über die Autobahn geistert, mag getrost bestritten werden. Indes: „Produktivitätssteigerung“ klingt immer gut.

Joostberends tuckert über eine Nebenroute: Auf der Autobahn staut sich der Verkehr selbst zu normalen Zeiten. Kaum breiter als sein Scania ist das Sträßchen, Schlagloch an Schlagloch.

„Joostberends“ – so heißt Bernhard mit Nachnamen. Das also ist Bernhards Konzept von „Freiheit“: Über Straßen zu tuckern, die für Fußgänger und Pferdekutschen ausgelegt sind – aber nicht für Bernhards 40-Tonner. Auch das ist definitiv eine Externalisierung von Kosten.

Was also ist zu tun? Gar nicht mal soo viel: Erstens: Wir machen Schluß mit dem ganzen Just-in-Time-Crap. Wer Lager braucht, soll Lager bauen – und zwar nicht auf der Autobahn und auch nicht auf irgendwelchen „Sträßchen“ in Südengland. Zweitens: Wer produzieren will, soll produzieren – und nicht Bauteile zusammenschrauben, die er in ganz Europa zusammengekauft hat. Drittens: Wenn es sich ausnahmsweise nicht vermeiden läßt, Zwischenprodukte über weitere Strecken zu transportieren, dann doch bitte nicht mit Bernhard – es sei denn, Bernhard schult um zum Lok-Führer.

Noch knapp drei Wochen bis Halloween.

So endet der Beitrag. Daß ausgerechnet zu Hallowe’en ein Spuk auch mal enden könnte – das ist die erste gute Nachricht. Und daß ausgerechnet die Briten einen Beitrag dazu leisten werden – Iren mit ihrem Hallowe’en sind ja zumindest assoziierte Briten –, das ist die zweite. Gruß an Greta. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Do 10-10-19 Märkte und Zünfte

Für zwölf Berufe hat sich das Kabinett auf eine Wiedereinführung der Meisterpflicht geeinigt. Damit sollten die Qualität und die Qualifikation im Handwerk gestärkt und dessen Zukunft nachhaltig gesichert werden, teilte das Wirtschaftsministerium mit.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage. Kiek ma eener an! An anderer Stelle liest sich das wie folgt:

Wir können uns das ganz lebenspraktisch vorstellen: Nehmen wir an, der gestandene Handwerksmeister M konkurriere mit dem Neugründer N um einen Auftrag. M wird – oder muß aus rein rechtlichen Gründen – für seine Mitarbeiter einen Lohnsatz kalkulieren, der auch die oft geschmähten „Lohnnebenkosten“ berücksichtigt, in erster Linie also Beiträge für die Renten- und Krankenversicherung der Mitarbeiter. N dagegen, so wollen wir nur leicht überzeichnend annehmen, meint, auf all das verzichten zu können. Er fühlt sich jung, die Rente ist fern (falls er überhaupt daran glaubt, jemals Rente zu beziehen), und gesund fühlt er sich auch. Entsprechend gering kalkuliert er seine Lohnkosten, macht das „bessere“ Angebot und wird den Auftrag absehbar erhalten. Nun ist es aber so sicher wie das sprichwörtliche „Amen in der Kirche“, daß auch N irgendwann einmal krank sein wird und eines Tages auch so alt, daß er eine Rentenversicherung zu schätzen wissen würde. Umgekehrt formuliert: Neugründer N produziert mit seinem Angebotsverhalten unerwünschte („negative“) externe Effekte, für die über kurz oder lang jemand (im Zweifel also der Steuerzahler) wird aufkommen müssen. Kurzum: Die Kalkulation des Handwerksmeisters M ist kaufmännisch solide bzw. – um es in modernerer Diktion zu fassen – „nachhaltig“. Die Kalkulation des Neugründers N dagegen ist frei von jeglicher kaufmännischen Vorsicht bzw. im Grunde sogar „windig“. Gleichwohl unterstützt das System, wenn es auf diese Weise steuert, das windige Geschäftsgebaren. Damit hätten wir es also auch hier wieder mit einem Nash-Gleichgewicht zu tun. Für jeden einzelnen Anbieter ist es rational, kurzfristig zu denken und zu kalkulieren, um überhaupt Aufträge zu erhalten. Spiegelbildlich ist es für Nachfrager rational, daß günstigere Angebot zu wählen. Dabei entsteht aber, allerdings erst auf mittlere Sicht, eine Situation, die mit bewährter kaufmännischer Vorsicht nur noch wenig zu tun hat. So werden auch die Nachfrager irgendwann feststellen müssen, daß sie die Beträge, die sie bei den Handwerkerrechnungen eingespart haben, später und an anderer Stelle schließlich doch in irgendeiner Form (im Zweifel in Form von Steuern) werden aufbringen müssen.

Soweit der Textauszug. Freie Marktsteuerung einschließlich freien Marktzuganges für prinzipiell alle führt zu den niedrigst möglichen Preisen auf den Gütermärkten – was von vielen Ökonomen als Ideal bejubelt wird. Allerdings führt sie gleichzeitig auch zu niedrigst möglichen Löhnen auf den Arbeitsmärkten und zu einer Verschiebung der Lasten in die Zukunft – was von den meisten Ökonomen allerdings nicht ernstlich in Rechnung gestellt wird. Im Ergebnis hätten wir also erfreulich günstige Güter – bei so unerfreulich niedrigen Löhnen, daß wir uns damit auch die günstigen Güter nicht leisten können.

Also doch lieber Zünfte? Aber das ist ein anderes Kapitel.

Fr 04-10-19 Klimabremse

Wer tritt auf die Klima-Bremse? Die CSU. Eigentlich wollte das Bundeskabinett am Mittwoch den nächsten „großen Wurf“ beschließen. Zusätzlich zu ihrem Klimapaket wollte die Regierung in dieser Woche einen 180-seitigen Katalog verabschieden – ein Konvolut an Maßnahmen zum Erreichen der Klimaziele 2030 in den Bereichen Energie, Wärme, Verkehr und Industrie.

Gefunden in der Tagesspiegel-Morgenlage: Das Wort „eigentlich“ sollte eigentlich presserechtlich verboten werden. Und über „große Würfe“ sollte man nur mit gehöriger ironischer Distanz berichten dürfen. Warum? Um die Nerven der Leser zu schonen. Der „große Wurf“ hat schon bei Mao nicht funktioniert – auch wenn er da noch „großer Sprung“ hieß.

Man wolle das 180-Seiten-Papier erst einmal in Ruhe lesen, sagt Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Na toll. Da werden großspurig Ziele präsentiert, ohne auch nur den Hauch einer Idee zu haben, wie man sie denn erreichen möchte (Plan) bzw. ob man sich das Problem, das man lösen möchte, überhaupt leisten kann (Check der Mittel). Das Heilige Gretchen von Thunberg läßt grüßen. „How do you think?“ wäre vielleicht angebrachter als „How dare you?“. Dabei könnte alles so einfach sein:

Der Managementzirkel.

Egal, worum es geht: Wir haben es immer und immer wieder mit dem gleichen, überaus schlichten Ablaufschema zu tun. Wer also keinen Plan hat, sollte besser stille schweigen. Wer absehbar nicht über ausreichende Mittel und Möglichkeiten verfügt – und noch sieht es ganz danach aus –, der sollte sich im ersten Schritt zunächst darum kümmern – und dann erst das „eigentliche“ Problem angehen. Ob aus einem „großen Plan“ auch tatsächlich ein „großer Wurf“ wird, entscheidet sich ohnehin erst im Feld „Soll / Ist-Abgleich“ – nachdem man einige Schritte gegangen ist. Immerhin: Ein Beispiel für einen solchen Abgleich findet sich an gleicher Stelle wenige Absätze später:

Merkel lobt das Erreichte seit der Wiedervereinigung: […] Auch heute sei zu beobachten, wie viele Deutsche die Ursache für Schwierigkeiten vor allem und zuerst beim Staat und den sogenannten Eliten suchten. So zu denken, führe jedoch ins Elend.

So hat sich das beim „zentralen Festakt zum 3. Oktober in Kiel“ angehört. So richtig „lobend“ klingt das in Bolles Ohren allerdings nicht. Eher nach Verelendung des Volkes aufgrund selbstverschuldeter Unmündigkeit. Wenn wir Kant folgen, können wir »selbstverschuldete Unmündigkeit« locker mit „mentaler Bräsigkeit“ übersetzen. Da mag was dran sein. Goethe schließlich hat seinerzeit noch eins draufgesetzt: Es ist nicht genug, zu wissen, man muß auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen, man muß auch tun (siehe Managementzirkel). Da ist es doch einfacher, „die Ursache für Schwierigkeiten vor allem und zuerst beim Staat und den sogenannten Eliten“ zu suchen. Die werden schließlich dafür bezahlt. Ob zu Recht (siehe oben), sei dahingestellt. Übrigens ist Kants Diktum mittlerweile 235 Jahre alt. So richtig funktioniert hat die „Aufklärung“ ja wohl noch nie – wenn wir von einigen technokratischen Entgleisungen einmal absehen wollen. Aber das ist ein anderes Kapitel. Eine Randnotiz sei aber noch erlaubt:

Sachsens Grünen-Vertreter für Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD: […] Die sogenannte Kenia-Koalition ist die einzige derzeit realistische Möglichkeit für die CDU, eine regierungsfähige Mehrheit zu organisieren.

Wie es scheint, gehen der Demokratie langsam die aufrechten Demokraten aus. Womöglich sind die Sachsen hier nur Vorreiter. Wo soll das hinführen? All-Parteien-Koalitionen – Außer für Deppen (AfD)? Ganz nach dem Motto: Die sind zwar demokratisch gewählt und bilden somit einen Teil des „Wählerwillens“ ab. Wir finden sie aber trotzdem deppert. So deppert, daß wir mit denen kein Wort wechseln und erst recht keinen Gedanken austauschen wollen – von Koalieren ganz zu schweigen. Nun, das wird nur so lange gutgehen, wie es für „Alle außer die da“-Koalitionen noch reicht. Bis dahin sollten wir uns Gedanken über das Wahlrecht machen. Deppen dürfen demokratisch wählen? Das kann nicht sein! Weg mit den „Hate Votern“. Mit der Hate Speech haben wir ja schon fleißig vorgelegt. Aber auch das ist ein anderes Kapitel.

Fr 04-10-19 Klima Kölsch

Er ist der anarchistische Bruder von Greta Thunberg. Sie redet, er zündelt. Sie fordert, er sendet verstörende Botschaften: Klimaschutz sei „größer als die Demokratie“, sagte er jüngst im „Spiegel“.

Gefunden in Gabor Steingarts Morning Briefing. Gemeint ist Roger Hallam, einer der Mitbegründer der Klimaschutzbewegung „Extinction Rebellion“. Die dazu gehörige Gretchenfrage – Wollen wir die Demokratie retten oder das Klima? – hat in dieser Klarheit wohl als erster Jan Fleischhauer aufgeworfen. Dafür gebührt ihm Dank. Aber vielleicht ist er ja einfach nur übermäßig pessimistisch gestimmt. Das natürliche Gegengift gegen solchen Defätismus findet sich in Artikel 3 vons „Rheinisch Jrundjesetz“: „Et hätt noch emmer joot jejange.“ Da haben wir doch alles zusammen, was man für einen gelungenen Weltuntergangs-Cocktail braucht. Im günstigsten Falle übt sich das Klima in Langmut und wartet zu, bis die aufrechten Demokraten mit ihrer kaum zu leugnenden sprichwörtlichen Lahmarschigkeit in die nicht minder sprichwörtlichen Pötte kommen. Das wäre Artikel 3. Oder aber das Klima tut genau das nicht: Damit wären wir in der Tat und unversehens bei der Fleischhauer-Doktrin. Ausgang vorerst offen. In the long run ist natürlich klar, wer gewinnt: Bislang zumindest war es immer das Klima. Zwar hat das Klima seinerzeit nicht die römische Demokratie vom Platz gefegt, sondern lediglich die römischen Kaiser (Stichwort: Völkerwanderung). Das allerdings dürften aus Klima-Sicht lediglich historische Peanuts sein. Damit aber wären wir bei Artikel 2: „Et kütt, wie et kütt.“ –  oder, wiederum in the long run, Artikel 4: „Wat fott es, es fott.“ Das indessen spitzt sich zu auf die Frage: Wat es fott? Klima oder Demokratie? Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mo 30-09-19 Schwäbische Hausfrau

Vorsätzlich missachtet sie eine Grunderkenntnis der Volkswirtschaftslehre: Das Sparvermögen ist nichts anderes als Kaufkraft im Wartestand.

So heißt es in Gabor Steingarts Morning Briefing von heute. Gemeint ist die EZB mit ihrer Zinspolitik, die potentiell „Sparvermögen“ abschmelzen läßt. Die interessante Frage an dieser Stelle: Worauf, bitteschön, wartet das Sparvermögen? Die eigentliche „Grunderkenntnis“ der Volkswirtschaftslehre geht eher wie folgt: Der produzierte Güterberg einer Volkswirtschaft und die sich daraus ergebenden Einkommen sind betragsmäßig identisch. Einkommen sind nichts anderes als geldvermittelte Ansprüche an den Güterberg. Wenn nun diese Ansprüche „im Wartestand“ sind – also nicht zu tatsächlicher Nachfrage führen, dann bedeutet das notwendigerweise, daß mehr produziert als nachgefragt wird bzw. daß mehr produziert wird als abgesetzt werden kann. In der Folge werden die Unternehmen ihre Produktion zurückfahren: Der produzierte Güterberg wird kleiner – und damit auch die Einkommen. Kurzum: „Kaufkraft im Wartestand“ führt unvermittelt in eine Rezession. Griechenland läßt grüßen. Dem kann man nur entgehen, indem man die überschüssige Produktion im Ausland absetzt, und zwar auf Kredit – Stichwort „Exportweltmeister“. Die gelegentlich zitierte „Schwäbische Hausfrau“ mag ihren privaten Haushalt kaufmännisch solide führen. Der Volkswirtschaft, in der sie lebt, wird sie aber schaden – und damit auf längere Sicht auch ihrem eigenen Haushaltseinkommen. „Harmlos“ ist etwas an sich so tugendhaftes wie Sparen nur dann, wenn es als tatsächliches Angebot auf tatsächliche Nachfrage am Kapitalmittelmarkt stößt. Davon indessen sind wir zur Zeit weit entfernt. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Keynes, dem vielleicht gebildetsten und weitsichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, war das übrigens vor fast 100 Jahren schon klar. Dazu findet sich ganz aktuell ein hübscher kleiner Podcast (21 min) auf der ARD-Mediathek. Liebsten Dank an Katha, an der übrigens eine Star-Ökonomin verlorengegangen ist, für die Mitteilung.

https://audiothek.ardmediathek.de/items/68154586

Fr 20-09-19 Klima-Rente

Wenn die Große Koalition nicht über das Klima streitet, dann über die Grundrente. Nun zeichnet sich offenbar ein Kompromiss ab […]

Gefunden im Handelsblatt Morning Briefing. Wenn das alles so flott geht mit dem „Streit unter aufrechten Demokraten“, dann wird das Klima sich wohl noch ein wenig gedulden müssen. Greta läßt grüßen.

Statt einer Bedürftigkeitsprüfung sollen Bezieher der Grundrente eine Einkommensprüfung durchlaufen. Die Grundrente würde dann nur gezahlt, wenn das Haushaltseinkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liege.

Wer Grenzen zieht, erzeugt notwendigerweise Abgrenzungsprobleme: Wer nur soundso viel verdient, bekommt den Grundrentenzuschlag. Wer einen einzigen Euro mehr verdient, bekommt ihn nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier „Gerechtigkeits“-Debatten losgetreten werden und, in der Folge, das „Nachbessern“ der „handwerklichen Fehler“ versichert wird – die üblichen betröppelten [rheinischer Sprachgebrauch] Mienen inklusive. Bolle fragt sich: Was zum Teufel treiben die denn die ganze Zeit in ihren Kommissionen und ihren ewigen Nachtsitzungen? Immerhin: „Die Regierung tut was.“ Na toll.

Beide Seiten sehen sich als Sieger: Die Union, weil die Grundrente nicht bedingungslos gezahlt wird. Die SPD, weil sie ein zentrales Wahlkampfversprechen durchsetzen kann.

Na, das ist doch das wichtigste, meint Bolle. Gesichtswahrung vor Problemlösung – muß doch alles seine Ordnung haben. Das Klima läßt grüßen.

In der Sache bleibt das Ergebnis vor allem eins: ein fauler und teurer Kompromiss.

Ein fauler Kompromiß? Definitiv. Allerdings liegt es im Wesen eines Kompromisses, „faul“ zu sein – namentlich in einer Demokratie. Ein echter Konsens – verstanden als der aufrechte Bruder des Kompromisses – ist sehr viel anspruchsvoller und nur mit sehr viel mehr Gehirnschmalz (Sitz des Denkens) und überdies mit sehr viel mehr  „Bauchschmalz“ (Sitz des Wollens) zu bewerkstelligen. Bevor man nämlich auch nur anfangen kann zu denken, muß man notwendigerweise wissen, worüber man eigentlich nachdenken will. Kurzum: Man muß wissen, was man will [vgl. dazu auch »Fr 04-10-19 Klimabremse« – dort heißt das Baby, wie üblich, »Zieldefinition«]. Genau hier, da ist sich Bolle sicher, liegt das demokratietheoretische Problem: Wenn einer klipp und klar sagt, was er will, verprellt er umgehend all diejenigen potentiellen Wähler, die genau das eben nicht wollen. Wer traut sich das schon? Außerdem kommt rucki-zucki die (übrigens in keiner Weise demokratisch legitimierte) Sprachpolizei um die Ecke und rügt, daß man das – egal, worum es im Einzelfall gehen mag – so nicht sagen könne oder dürfe. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Warum aber eigentlich „teuer“? Teuer für wen? Für die Bezieher der Grundrente sicher nicht. Ganz im Gegenteil. Des Einen Kosten sind des Anderen Einkommen. Immer! In einer Volkswirtschaft kommt – ähnlich wie in einem Universum – nichts weg. Es gibt schlechterdings kein „weg“. Aber auch das ist ein anderes Kapitel.