So viel Auswahl war nie: Die Zahl der Studiengänge in Deutschland hat die 20.000er-Marke überschritten. Den Rekord meldet das CHE zum Semesterstart.
Gefunden auf Die ZEIT »Wissen hoch drei«. Im folgenden erfahren wir dort:
Die Treiber der Entwicklung sind vornehmlich private Fachhochschulen und HAWs.
Kiek ma eener an. Abgesehen davon, daß „HAWs“ nur sprachlich aufgemotzte Fachhochschulen sind, und diese wiederum nur sprachlich aufgemotzte Fachschulen bzw. Ingenieurschulen, kann das nicht weiter verwundern. Im Mittelalter gab es 3 „höhere Fakultäten“ – Theologie, Recht und Medizin – plus die „Artistenfakultät“ mit 7 weiteren Fächern (Trivium und Quadrivium). Insgesamt also 10 – und nicht etwa 20.000. Den einen oder anderen Zuwachs, etwa in Natur- oder Ingenieurwissenschaften, wird man hinnehmen müssen – meinetwegen auch das eine oder andere Sozial-, Geistes- oder wirtschaftswissenschaftliche Fach. Wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter. Aber 20.000 klingt dann doch ein wenig inflationär. Wir erinnern uns: »Inflation« bedeutet „sich aufblasen“. Private Fachhochschulen und HAWs sind also sowohl qualitativ als auch quantitativ das Ergebnis eines expandierenden Hochschul-Universums. Bolle wünscht sich einen frischen und erfrischenden Big Bang. Back to the roots!
Wie aber konnten die Wissenschaften strukturell so verkommen? Nun – wo Nachfrage ist, da ist auch ein Markt. Mittlerweile sind wir so weit, daß selbst Installateure sich am liebsten „Master of Applied Gas, Wasser, Scheiße“ oder so ähnlich nennen würden. Übrigens nichts gegen Installateure. Das sind meist ordentliche, bodenständige Leute, die überwiegend solide und nützliche Arbeit verrichten – und nicht etwa in Oberseminaren ernstlich darüber disputieren, ob Wasserhähne nicht doch besser „Wasserhennen“ heißen sollten. Oder, neuerdings, vielleicht auch „Wasserhahn (m/w/d)“. Bolle zeigt mittlerweile ernstliche Symptome einer chronischen Akademiker-Unverträglichkeit (morbus academicus extensus).
Aus Sicht der Forscher zudem bemerkenswert: Nur noch jeder 5. Studiengang trägt herkömmliche Bezeichnungen wie „Physik“ oder „Chemie“. Von Dauer sind allerdings nicht alle Studiengänge. Seit 2014 stellten die Hochschulen in Deutschland insgesamt 2.036 Angebote ein.
2.036 von 20.000 – das entspricht einer bemerkenswerten „Eintagsfliegenquote“ von 10%. Anders gewendet: Wenn in jedem der über 2.000 gefloppten „Angebote“ nur 100 oder 200 Studenten ihren Abschluß gemacht haben, dann gibt es jetzt hunderttausende von Absolventen, die etwas studiert haben, was es gar nicht (mehr) gibt. Exaktemente so funktioniert der Freie Markt, wenn man ihm nicht auf die Finger schaut und gegebenenfalls auch mal auf die Finger haut. Aufsichtsbehörden und Zertifizierungsstellen scheinen damit heillos überfordert. Schlimmer noch: Sie sind systemisch so herrlich eingenischt, daß sie nicht das geringste Interesse daran haben dürften, diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Und selbst wenn: Inflationen neigen nun mal dazu, eine gewisse Eigendynamik zu entwickeln. Ohne eine regelrechte „akademische Währungsreform“ wird da wohl nichts mehr zu machen sein. Das wäre übrigens auch ein probates Gegengift gegen den in jüngerer Zeit zu beklagenden Handwerkermangel. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Am Rande erfahren wir an gleicher Stelle noch das folgende:
Wissenschaftler verbringen 52 Stunden im Jahr damit, ihre Manuskripte zu formatieren.
Klingt viel, entspricht aber gerade mal einem Stündchen pro Woche. Muß doch alles seinen Schick haben – und von nüscht kommt nun mal nüscht. Bolle möchte eher wissen, wie viele Stunden eben diese Wissenschaftler damit verbringen, den immer gleichen Quark in immer neue Töpfchen umzufüllen – und dann wieder auszukippen (2.036 „Angebote“ eingestellt) und wieder frisch einzufüllen. Dagegen ist ein Stündchen Formatierungsarbeit wohl glatt zu vernachlässigen. Aber auch das ist ein anderes Kapitel.