Zum Abschluß unseres agnostisch-kontemplativen Adventskalenders wollen wir Hermann Hesse zu Wort kommen lassen. Die Textstelle stammt aus seinen wunderschönen »Märchen«. In »Faldum« geht es darum, daß „ein Jüngling“ sich wünschte, ein Berg zu sein, um dem Kreislauf von Werden und Vergehen zu entgehen. Er wollte ewig sein und unwandelbar. Der Wunsch ward wahr – der Jüngling wurde zum Berge. Mit der Ewigkeit wurde es allerdings nichts – wie der Jüngling nach einigen tausend Jahren erkennen mußte. Indes: auch in Gestalt von „Sonne und Gestirne“ wäre sein Wunsch nach ewiger Existenz letztendlich ins Leere gelaufen – wenn auch ein paar Milliarden Jahre später.
Bolle definiert »Existenz« als einen ›Zustand mit einer Energie / Materie-Konzentration (EMK) größer Null‹. Na toll! EMK ist das Gegenstück zur Entropie – nur anschaulicher definiert. »Nicht-Existenz« wäre damit ein ›Zustand mit einer EMK gleich Null‹. Sauber dichotomisiert – das muß man Bolle lassen.
Beides, Energie und Materie, ist ja letztlich das gleiche – das wissen wir seit Einsteins E = m · c2. Ein „System“ kann dabei auch das Universum in toto sein. War das Universum zum „Zeitpunkt des Urknalls“ existent? Ja oder Nein? Bolle meint, eine höhere Konzentration als zum Zeitpunkt des Urknalls, also Lemaîtres „Ur-Atom“, ist überhaupt nicht denkbar. Demnach war das Universum vor 13,8 Mrd. Jahren definitiv existent – und wie! Von wegen „Schöpfung aus dem Nichts“ (creatio ex nihilo). Alles, was „ist“, war schon immer „da“ – wenn auch in Erscheinungsformen, die unser Vorstellungsvermögen bei weitem übersteigen. Aber was kümmert es das Universum, wenn es der Mops anbellt?
Und? Wie geht’s weiter? Zur Zeit sieht es so aus, als daß das Universum expandiert – und zwar beschleunigt expandiert. Die Energie / Materie-Konzentration nimmt also ab – im mathematischen Grenzfall bis auf Null und damit definitionsgemäß bis an die Grenze der Nicht-Existenz.
Nach allem, was wir wissen, kann sich Energie nicht von sich aus konzentrieren. Da ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik vor – falls der überhaupt gilt. Materie dagegen kann sich sehr wohl von sich aus konzentrieren. Wir nennen es Gravitation. Was aber, wenn das Universum im Laufe seiner weiteren Entwicklung auf die Idee verfällt, nicht länger zu expandieren, sondern sich – ganz im Gegenteil – zusammenzuziehen, um sich schließlich wieder zu einem „Ur-Atom 2.0“ zu verdichten? Dafür spricht nicht zuletzt, daß eine fortgesetzte beschleunigte Ausdehnung auf Dauer unmöglich ist. Das Universum würde, wenn sich die Ausdehnung der Lichtgeschwindigkeit nähert, unendlich schwer werden. Geht also nicht. Damit wäre zumindest Bolles ›Existenz-Erhaltungssatz‹ gewahrt. Statt sich also bis zur Unkenntlichkeit zu verdünnen, würde sich das Universum – einmal mehr? – in einen Zustand maximal möglicher Energie / Materie-Konzentration verdichten – und das Spiel begänne von neuem. Der „Tanz des Shiva“, eben. So haben das hinduistische Philosophen seit alters her genannt – allerdings unbeleckt von vertieften naturwissenschaftlichen Einsichten. Gleichwohl: Bolle würde das einleuchten.
Harte Kost? Durchaus. Wem das alles zu viel ist – viel zu viel für den Heiligen Abend der Christenmenschen mit Würstchen und Kartoffelsalat, Hölzerbrot, mit Gans oder was auch immer – der sei auf den agnostisch-kontemplativen Adventskalender im kommenden Jahr verwiesen. Noch ist nicht aller Tage Abend. Fürs erste also frohe und besinnliche Weihnachten und den Menschen auf Erden – gleich, was sie sonst so glauben mögen – ein Wohlgefallen. Vor allem aber: Fürchtet Euch nicht! In diesem Universum kommt nüscht weg! Aber das ist definitiv ein anderes Kapitel. Frohe Weihnachten!