Fr 18-10-19 Markt und „Gerechtigkeit“

Forscher halten Klimapaket für sozial ungerecht: Das Klimapaket der Regierung benachteiligt einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge Haushalte mit niedrigem Einkommen. Demnach trifft der geplante Preis auf den CO2-Ausstoß im Verkehrs- und Gebäudebereich die Ärmeren stärker als die Reichen. Auf Haushalte mit niedrigerem Einkommen komme zum Teil eine Belastung in Höhe von mehr als einem Prozent ihres Nettoeinkommens zu. Das oberste Zehntel der Haushalte habe hingegen nur eine Mehrbelastung von durchschnittlich 0,4 Prozent seines Nettoeinkommens zu erwarten.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage. 1 Prozent des Nettoeinkommens? Das wären bei 1.000 Euro ja saftige 10 Euro. So teuer wie ein kleines Steak. Bolle fragt sich: „Geht’s noch, ihr Fruchtzwerge?“ Auch fragt er sich, wieso man für eine solche Einsicht überhaupt „Forscher“ braucht. Dafür braucht man maximal Papier und Bleistift – wenn überhaupt. Je geringer das Einkommen, desto heftiger schlägt eine Preiserhöhung relativ gesehen (also bezogen auf eben dieses Einkommen) zu Buche. Für diese Erkenntnis braucht man keine Mikroökonomie – man braucht allenfalls einen Dreisatz. Interessanter ist das dahinterliegende grundsätzliche Problem: Freie Marktsteuerung – hier also die Festlegung der Güterpreise durch „den Markt“ – ist nun mal per se „sozial ungerecht“ – zumindest dann, wenn man unter „Gerechtigkeit“ verstehen will, daß alle den gleichen, egalitären, gar „demokratischen“ Zugang zu Gütern haben sollen. Marktsteuerung funktioniert im Kern wie folgt: Wer etwas haben will – hier im Beispiel also Energie – und bereit und in der Lage ist, den aufgerufenen Preis zu bezahlen, kriegt seine Energie. Die anderen gehen „ungerechterweise“ leer aus. Das ist nicht immer schön – aber so geht nun mal Marktwirtschaft.

Was wäre die „sozial gerechte“, „egalitäre“, gar „demokratische“ Alternative? Easy. Energie auf Bezugsschein. Bolle meint: Hat es alles schon mal gegeben. Wobei natürlich klar sein sollte, daß ein „reicher“ Haushalt mit einer 20-Zimmer-Villa kein größeres Anrecht auf Bezugsscheine haben würde als ein Hartz-IV-Empfänger mit seiner 30-Quadratmeter-Bude.

Kurzum: Die wohltönenden Begriffe („sozial gerecht“, „demokratisch“, „egalitär“ – vielleicht sogar, let’s go crazy, „inklusiv“) wollen so rein gar nicht zur „Logik des Marktes“ passen. Bolle meint: Fein, daß das mal jemand merkt. Neben dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat das offenbar auch Paul Collier gemerkt – und gleich in ein einschlägiges Werk umgesetzt. Im Handelsblatt Morning Briefing lesen wir:

[…] wenn sich in der westlichen Gesellschaft ein Leitbild erledigt hat, dann ist es mit Sicherheit das von Jeremy Bentham. Der britische Philosoph predigte das größte Glück der größten Zahl. Doch die reine Theorie des maximalen Nutzens für jeden Einzelnen hat auch eine Menge der Probleme mitbegünstigt, die wir derzeit haben. Liberalismus ist nicht alles, es komme angesichts des verschärften Kapitalismus mehr als früher auf den sozialen Zusammenhalt an, auf die gemeinsamen Werte einer Gesellschaft, schreibt Paul Collier. Für sein aktuelles Werk „Sozialer Kapitalismus!“ erhält der Ökonomieprofessor aus Oxford den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2019 […]

Wir wollen hier nicht auf Bentham’s „größtem Glück der größten Zahl“ rumhacken. Das Konzept war schon seinerzeit mathematisch unterbelichtet. Und was mathematisch nicht funktioniert, kann auch „im richtigen Leben“ nicht funktionieren – also weder im Sozialismus und nicht einmal im Kapitalismus.

Ein ganz analoges Problem hat übrigens vor Wochen schon Markus Dettmer geplagt. Auf Spiegel Online hat er am 07-08-19 getitelt: »Wer Fleisch höher besteuert, stellt die soziale Frage«. „Ne Nummer kleiner ging’s wohl nicht“, meint Bolle. Dettmers Argumentation läuft auf folgendes hinaus: „Ob arm, ob reich – an der Fleischtheke sind alle gleich.“ Das ist egalitär, das ist demokratisch, das ist inklusiv. Im Kern also – und in Anlehnung an das Demokratieprinzip „one man, one vote“: „One man, one Wurscht.“ Damit aber wären wir bei der Bezugsschein-Lösung. Bolle hat keine Ahnung, ob Herr Dettmer das zuende gedacht hat.

Kurzum: Es verdichten sich die Anzeichen, daß die in der westlichen Zivilisation über alles geschätzten „Grundwerte“ Demokratie und Freie Marktwirtschaft sowas von über Kreuz liegen, daß man langsam wirklich mal dazu übergehen sollte, sich hierzu ein paar vertiefte Gedanken zu machen. Wir bleiben am Ball. Aber das ist ein anderes Kapitel.

2 Antworten auf „Fr 18-10-19 Markt und „Gerechtigkeit““

  1. Hallo, hallo, das geht ja jetzt richtig los hier. Da hat doch wohl nicht jemand eine Dissertation über das Thema geschrieben? Stimmt, Bezugsschein hatten wir schon mal, aber rückwärts sollte es doch wohl nicht gehen, oder? Und was mathematisch nicht zu beweisen ist kann eben auch in der realen Welt nicht funktionieren? Dass Hobbes dir gefällt, wundert mich nicht.

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