Wir haben uns in diesem Jahr hier in unserem agnostisch-kontemplativen Adventskalender noch nicht ein einziges mal dem Thema ›Corönchen‹ zugewendet. Und das soll auch so bleiben. Schließlich hat sich die Lage – von gewissen Resterscheinungen etwa in den Öffis sowie wackeren „Get vaccinated“-Appellen seitens offizieller Stellen einmal abgesehen – ja auch wieder weitestgehend beruhigt. Man kann wieder ohne Negativ-Nachweis und ohne Maskenmätzchen auf den Weihnachtsmarkt – ja, man darf dort sogar wieder einen Glühwein trinken.
Aus der Distanz betrachtet stellt sich Bolle der ganze, völlig unweihnachtliche Zauber letztlich als Ausfluß des Weltbildes oder zumindest des Körperbildes dar. Für Bolles lieben guten alten Yogalehrer ist der Körper der Tempel, den seine Eleven – nicht anders als andere Leute auch – nun mal brauchen, um sich auf und in der Welt bewegen zu können. In dieser Welt sind Viren schlechterdings nicht definiert. Was aber, wenn trotzdem einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einen Schnupfen kriegt? Dann ist das halt so. Schließlich hat auch der schönste Tempel von Zeit zu Zeit einen gewissen Renovierungsbedarf. Und wenn er daran sogar stirbt? Auch dann ist das halt so. So ein bißchen sterben kann einen echten Yogi nicht umhauen – wie der Meister stets, wenn auch mit rechtem Schalk im Auge, betont hat. Wieder eine Episode im ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens abgeschlossen.
Ganz anders die kontemporär-modernistische medizinisch-wissenschaftliche Sicht. Hier leben wir in einer Welt voller Widrigkeiten. An jeder Ecke lauern tödliche Gefahren. Ein mal nicht aufgepaßt, einmal die Impfung versemmelt – und zack, schon ist man tot. Wie furchtbar! Nicht einmal der Wetterbericht, der Bolle mehrmals täglich auf sein Handy flattert, kommt ohne dauernde „Warnungen“ aus. Da wird vor Hitze gewarnt, vor Kälte, vor Glätte, vor Regen, vor Sturm … Kurzum: vor dem Wetter an sich. „Volk unter Strom“ hat Bolle das an anderer Stelle einmal genannt.
Aber ist das nicht alles reichlich zynisch? Das wiederum hängt, wie so oft, schwer davon ab, was wir uns unter ›zynisch‹ vorstellen wollen. Ursprünglich, bei Diogenes und den anderen Kynikern – also den Vorläufern der Stoa – hatte man darunter die Einsicht verstanden, daß es keinen Sinn macht, sich das Leben mit der Angst vor dem Tode zu vermiesen. Und da ist durchaus was dran. Die moderne Deutung nebst pejorativem Beiklang (›Gefühllosigkeit gegenüber den Leiden anderer‹) kam jedenfalls erst sehr viel später auf – was unter den gegebenen Umständen natürlich nicht weiter verwundern kann. Gleichwohl bleibt es dabei: Hier haben die Kyniker bzw. die späteren Stoiker durchaus einen Punkt (wie man so etwas heutzutage zu nennen pflegt).
Die kontemplative Grundeinsicht – nämlich daß wir sterbliche Wesen sind und daß es uns ohnehin nicht vergönnt ist, uns mehr als nur eine sehr, sehr kurze Spanne auf dieser Wonderful World (Satchmo 1967) zu tummeln, und daß wir folglich nicht allzu viel Wind um das eigene Dasein machen sollten – vor allem dann nicht, wenn wir damit das Leben verfehlen – kann da schon mal leicht ins Hintertreffen geraten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.