Heute wollen wir unser agnostisch-kontemplatives Frühstückchen auf einen Aspekt richten, der hier bislang noch nie Erwähnung gefunden hat. Warum dem so ist, müssen wir an dieser Stelle nicht weiter vertiefen.
Bekanntlich kann man sich seine Mutter nicht aussuchen. Im Umkehrschluß bedeutet das aber nicht weniger als das: die Mutter, die man hat, ist die beste Mutter, die man hat. Bolle für sein Teil findet ja, daß er an dieser Stelle wenig zu meckern hat. Er hatte in jungen Jahren stets ein Dach über dem Kopf – und zu essen war auch immer da. Zwar mußte er sich ein Zimmer mit seinem Bruderherz teilen – was natürlich nicht ohne den ein oder anderen sprichwörtlichen Bruderzwist abgehen konnte. Allerdings bleibt zu bedenken, daß etwa das Motto der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – zumindest partiell kaum noch verstanden werden würde, wenn wir alle als Einzelkinder aufwachsen würden. Was das Essen angeht: Natürlich gab es oft nur schlichtes Futter. Allerdings hatte das den höchst erfreulichen Nebeneffekt, daß Bolle bis heute weder mit Laktose- noch mit sonstigen ernährungsbedingten „Intoleranzen“ je zu tun gehabt hätte. Also auch hier: Alles richtig gemacht, liebe Mama.
Bolles Mama jedenfalls hatte eines Tages ob der vorherrschenden patriarchalischen Grundstimmung in der Gesellschaft das Schnäuzchen gestrichen voll. Also hat sie ihre drei Kinder unter den Arm gepackt und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Weite gesucht. Als Vaddern von der Arbeit heimkam, war er entsprechend baff, of course. Muttern weg, Kinder weg, Wohnung weitestgehend leergeräumt. Das wünscht man ja keinem. Aber so kann’s gehen, wenn man es zu dolle treibt mit dem Patriarchat bzw. es an einem Mindestmaß an Umgangsformen bzw. auch an Kontemplation mangeln läßt.
Na, und denn – ? (Tucholsky 1930). Dann ging es darum, sich eine Erwerbsarbeit zu suchen, um die Kinder durchzubringen. Ausgestattet mit einem IQ in der Größenordnung von Einstein sollte das ja wohl kein Problem sein. Sollte man meinen. Wenn da nur die Verhältnisse nicht wären. Doch die Verhältnisse, sie sind bekanntlich nicht so (Brecht 1928). Also hat sich Muttern wacker durchgekämpft und für die Kinder – die für sowas seinerzeit noch so rein gar keinen Sinn hatten – streckenweise heimlich auch noch die Krankenkassenbeiträge einbezahlt. „Schneeflöckchen“ jedenfalls – also Leute, die sich bei jedem Pups gleich angepißt bzw. gar „diskriminiert“ fühlen – waren noch nicht en vogue.
Mütter sind schon seltsame Wesen. Rein ökonomisch jedenfalls macht das alles rein gar keinen Sinn. Gleichwohl ist es, wie es scheint, ständige Übung bei den Müttern dieser Welt. Auch wirkt derlei bis in die Gegenwart fort: Da zieht man drei akademische Klugscheißer groß – nur um sich selber das Gefühl zu geben, daß man ja nur über einen schlichten Hauptschulabschluß verfüge – und sich damit selber sehr viel kleiner macht, als man bei nüchterner Betrachtung tatsächlich ist. Als ob es darauf – in welcher Weise auch immer – ankommen würde. „Geist“ – und vor allem auch Haltung – sind wohl das letzte, was Universitäten moderner Prägung zu vermitteln vermögen.
Ein wenig ist es mit dem Muttertag wie mit Weihnachten. Man kann solche Tage weitgehend sinnentleert als „Mitläufer“ verleben – indem man etwa Geschenke verteilt oder Blumen verschickt. Man kann sie gar als Ausdruck „kapitalistischer Konsumlogik“ oder, je nach Gusto, „sozialistischer Propaganda“ schmähen – und sich so in seiner selbstgebastelten Hölle auf Erden häuslich einrichten. Oder man kann den Muttertag zum Anlaß nehmen, einmal mehr ein wenig in sich zu gehen – und das geflissentlich auch zu zeigen. Nichts anderes bedeutet ja ›Kontemplation‹: leben aus der Kraft der Mitte (japanisch Ki bzw. chinesisch Chi). Eines jedenfalls scheint Bolle evident: Sic crustula friatur – wenn der Keks erst mal zerbröckelt ist – dann ist es definitiv zu spät. Also: Lasset die Bräsigkeit fahren, und das Ego gleich mit – und bewegt Euren sprichwörtlichen Arsch. Now! Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.