So 26-05-24 Das bessere Argument

Die Welt in nuce

Man hat es wirklich nicht leicht. Aber umgekehrt kann es furchtbar leicht passieren, daß es, tout au contraire, einen hat. Wie nicht zuletzt in unserer kleinen Veranschaulichung der ganz grundsätzlichen Gegebenheiten einer Welt in nuce (im Nußschälchen, sozusagen) zu sehen ist.

Bei Welt I handelt es sich, in Wittgensteins Worten, um „alles, was der Fall ist“ – also wirklich einfach alles. Damit ist Welt I ebenso vollständig wie undurchsichtig. Eine black box also im besten Sinne des Wortes. Man kann handelnd auf sie einwirken und man kann, in Welt II, ihre Reaktionen wahrnehmen. Man kann aber nicht reingucken – und damit niemals wirklich wissen, wie es um sie steht. Im übrigen würde einem, wenn man es doch könnte, vermutlich unversehens der Schädel platzen.

Bei Welt III handelt es sich um das Weltbild, das einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) mit sich durchs Leben trägt und das sein Handeln, also seinen Umgang mit der Welt, bestimmt. Das Ziel ist dabei regelmäßig eine Zustandsverbesserung bzw. zumindest die Vermeidung einer Verschlechterung. Ökonomen nennen derlei Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung, Max Weber nennt es Gesinnungs- bzw. Verantwortungsethik, wieder andere nennen es neuerdings Self-Optimization, und so weiter, und so fort.

Wie kommt die Welt III zustande? Nun, im Grunde ist sie das Destillat aller jemals wahrgenommenen und in erwünscht (W+) bzw. unerwünscht (W) eingeteilten und bewerteten Sinneseindrücke in Welt II. Welt III ist also das Ergebnis einer Modellierung und verläuft obendrein überwiegend unbewußt. Gleichwohl neigen die meisten Leute dazu zu meinen, die Welt sei nun mal so – nur weil sie sie sich so ausgedacht haben.

Nehmen wir – weil es dieser Tage naheliegt – die Wahlen zum EU-Parlament. Die einen halten die EU für einen dysfunktionalen Hirnfurz, der von Anfang an nie hat funktionieren können, tatsächlich noch nie funktioniert hat und auch zukünftig niemals funktionieren wird. Andere wiederum halten, tout au contraire, die EU für eine hochwohllöbliche Angelegenheit, die es nach Kräften zu stärken gelte.

Da beide Positionen nur schwerlich in Einklang zu bringen sind, befehden sich die Vertreter beider Lager bis aufs sprichwörtliche Messer und sprechen einander wechselweise den nötigen Verstand ab beziehungsweise zumindest die Fähigkeit, derlei überhaupt beurteilen zu können.

Und? Wer hat Recht? Die Antwort ist ebenso schlicht wie ergreifend: Wir wissen es nicht. Bei Geschichte im Allgemeinen und der EU im Besonderen handelt es sich um einen Such- und Finde-Prozeß mit völlig offenem Ausgang. Was funktioniert, hat Recht. Was nicht funktioniert, mendelt sich aus – und sei es noch so moralisch hochstehend. Letzteres wiederum würden manche als „Sozialdarwinismus“ weit von sich weisen wollen. Auch hier also wieder: Welt III in voller Aktion.

Was die Leute allerdings nicht davon abhält, sich auf die Suche nach dem „besseren Argument“ zu begeben – als ob man jemanden, der nun mal in einer alternativen Welt III lebt, ausgerechnet mit Argumenten eines Besseren belehren oder gar bekehren könnte.

Neulich etwa hat eines dieser Faktenchecker-Portale – das sind Leute, die meinen, daß man die Wahrheit ausrechnen und erkennen kann, wenn einem nur genügend Fakten vorliegen – eine KI gefragt, ob ein gegebenes Land eine „Diktatur“ sei. Die Antwort der KI: das hänge von der Definition ab. Da war natürlich die Empörung groß. Man gibt sich alle Mühe und zimmert sich in seiner Welt III die Vorstellung zurecht, daß besagtes Land selbstverständlich eine Diktatur sei und bittet dann eine KI – wohl eher teils der Form, teils der Bestätigung halber – um entsprechende Rückmeldung. Und dann sowas. Das hänge von der Definition ab. Da muß man sich ja verärgert fühlen. Alternativ könnte man allerdings noch auf die Idee kommen, daß man selbst sich möglicherweise eine allzu schlicht gestrickte Welt III zusammengezimmert hat. Das aber wäre dann doch wohl viel zu schmerzlich. Also besser auf der KI rumhacken. Das fühlt sich zumindest besser an.

Bolle fühlt sich hier übrigens entfernt an Alan Turing erinnert, der seinerzeit meinte: Eine wirklich intelligente Maschine ist eine Maschine, die zu dem Schluß kommt, daß Menschen nicht denken können (vgl. dazu Fr 22-01-21 Vom Wollen und Verwirklichen). Furchtbar lange wird das kaum noch dauern können, bis es soweit ist. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

5 Antworten auf „So 26-05-24 Das bessere Argument“

  1. „Es war ein Test […] ich bin zu weit gegangen“, waren die jüngsten Äußerungen unseres Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck. Hier sind die Belehrungen und Vorgaben letztendlich doch an dem Weltbild anderer gescheitert. Ein Versuch schien es dennoch allemal wert gewesen zu sein …

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