Wie wir gestern bei der Lektüre von Gabor Steingarts Morning-Briefing erfahren konnten, feierte „der wahrscheinlich größte Volksdichter unseres Landes“ seinen Geburtstag. Sagen wir so: Er hätte (seinen 123. Geburtstag übrigens) womöglich gefeiert, wenn er nicht seit bereits 65 Jahren tot wäre. Tot sein aber drückt doch mächtig auf die Feierlaune. Von solchen Restriktionen – vor denen auch die meisten Helden nicht gefeit sind – einmal abgesehen, wurde er als „Volksdichter“ gewürdigt, gar als „einer der fleißigsten Menschen, die der Literaturbetrieb hierzulande hervorgebracht hat“.
Ein Held der Literatur, also. Und? Wie steht’s um den privaten Helden? Auf der einen Seite haben wir da seine kaum verhohlene Stalin-Verehrung. Auf der anderen Seite aber wissen wir zum Beispiel auch von seiner Forderung, daß die Hälfte des Preisgeldes für den »Stalinpreis für Frieden und Verständigung zwischen den Völkern« auf ein Konto in der Schweiz (!) überwiesen werden sollte. Im wirklich privaten Bereich könnte man vielleicht sagen: Brecht war schwer gewöhnungsbedürftig. Und? Ist das jetzt schlimm? Tut das dem Heldentum Abbruch? Hier liegt die Antwort voll und ganz im Auge des Betrachters.
Ähnliches gibt es, nur zum Beispiel, von Michael Jackson zu berichten: Ein Held der Musik – im privaten Leben in den Augen mancher aber voll der Kinderschänder.
Betreten wir die politische Bühne und nehmen wir, nur zum Beispiel, George Washington, den 1. Präsidenten der Vereinigten Staaten (1789–1797). Der Mann war Sklavenhalter! Oder nehmen wir Thomas Jefferson, den 3. Präsidenten der Vereinigten Staaten (1801-1809). Der Mann hatte glatt ’ne halbe Armee an Sklaven – 600 an der Zahl. Alles Panne-Helden im Privaten?
Oder nehmen wir einen weiteren Jubilar, keinen geringeren als Martin Luther, der 1517 seine 95 Thesen rausgehauen hat, und 1520 seine 30 Thesen zur Freiheit eines Christenmenschen. Das alles nur, um kurz darauf (1525) »Wider die Mördischen und Reubischen Rotten der Bawren« zu wettern und damit den grauseligen Tod von zehntausenden von Bauern auszulösen. Oder, wiederum nur wenig später (1543), zur Versklavung oder zumindest Vertreibung der Juden aufzurufen. Nach neueren Forschungsergebnissen soll das allerdings kein „Rassismus“ und auch kein „Antisemitismus“ gewesen sein, sondern lediglich Spiegel seiner „antijudaistischen Theologie“. Bolle meint: Na, dann geht’s ja.
Oder nehmen wir Pippi Langstrumpf – die in jüngerer Zeit von interessierten Kreisen geradezu zur Emanzipations-Ikone hochgejubelt wurde – dabei aber ihren eigenen Vater „Negerkönig“ genannt hat, und sich damit privat klar als „Rassistin“ geoutet hat. Nun ist Pippi eine literarische Figur. Anders als Astrid Lindgren – die sich zeitlebens geweigert hat, einer Umfirmierung – etwa zum „Südseekönig“ – zuzustimmen. Als ob es in der Südsee „Neger“ gäbe. Doch das nur am Rande. Erst ihre Erben konnten nach zähen Verhandlungen (und wohl auch angesichts drohender Verluste aus den Lizenzeinnahmen) vom Zeitgeist weichgeklopft und veranlaßt werden, einer entsprechenden Umfirmierung zuzustimmen. Wer ist hier wahrhaft heldenhaft? Die aufrechte Autorin? Oder ihre ertragsgeneigten Epigonen? Auch das liegt wohl, wie immer, vornehmlich im Auge des Betrachters.
Kurzum: Haben wir es hier mit Huldigung des hehren Heldentums zu tun? Oder nicht doch eher mit genuinem Geschichts-Gegacker? Anders gefaßt: Stimmt da mit dem Heldentum an sich was nicht? Oder liegt das Problem nicht doch eher bei den Helden-Huldigern, die sich – ein wenig naiv vielleicht, aber bitteschön – hehre Helden höchster Huld wünschen? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.