Zugegeben: Eine regelrechte Definition im aristotelischen Sinne, von wegen „omni definitio fit per genus proximum et differentiam specificam“, ist das natürlich nicht. Bolle mag sie trotzdem. Bleiben wir also dabei – und suchen wir uns einen cartesianischen Ausgangspunkt. Clare et distincte, eben. Den zu finden ist allerdings gar nicht allzu schwer.
Erstens: Man kann es, egal was man tut, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene unmöglich allen recht machen – es sei denn, alle sind per se der gleichen Meinung bzw. haben eine ähnliche Vorstellung davon, was eine „gute“ Gesellschaft ausmacht. Davon allerdings können wir weiß Gott nicht ausgehen.
Zweitens: Je „homogener“ eine Gesellschaft, desto wahrscheinlicher ist es, daß die Vorstellungen von einer „guten“ Gesellschaft einigermaßen deckungsgleich und damit politisch handhabbar sind. Sowohl die Werte als auch das Verhalten und nicht zuletzt auch das Erscheinen bilden sich – und zwar von Kindertagen an – in der Auseinandersetzung mit den jeweils Anderen. Niemand, wirklich niemand, entwickelt sein Weltbild out of thin air.
Drittens: In einer „heterogenen“ Gesellschaft ist das grundsätzlich anders. Hier treffen nicht selten Leute, die die Verfassung sprichwörtlich unterm Arm tragen, auf Leute, die – nur zum Beispiel – die Sharia für verbindlich halten. Dürfen die das? Aber Ja doch. Jeder mag nach seiner Façon glücklich werden – das hat der Alte Fritz vor über 250 Jahren schon so gesehen. Allein: Eine gelingende Sozialisation – i.S.v. „Du wirst so wie die Leute um Dich herum“ – ist auf diese Weise nicht möglich. Warum nicht? Weil „Die Leute um Dich herum“ einfach nicht mehr definiert sind.
Daraus folgt, viertens: Je heterogener eine Gesellschaft aufgestellt ist, desto heftiger wird sich ein Teil der Gesellschaft in ihrer Freiheit eingeschränkt bzw. in ihren Werten (i.S.v. ›allgemeines Für-richtig-halten‹) verraten fühlen.
Damit stellt sich die Frage, wie eine „Mehrheitsgesellschaft“ mit so etwas umgehen soll. Die naheliegendste Möglichkeit wäre eine Art von Werte-Relativismus („Macht doch, was Ihr wollt“). Eine charmante Idee – nur läßt sich darauf kaum eine Gesellschafts- und schon gar nicht eine Rechtsordnung aufbauen. Demnach haben wir es hier also mit einer „Null-Lösung“ zu tun: fein – aber nicht funktional.
Die anthropologisch bzw. sogar biologisch seit Jahrmillionen eingeführten „Konflikt-Bereinigungsstrategien“ sind Unterwerfung, Vertreibung und schließlich auch Vernichtung – in dieser Reihenfolge (Schwarz’sche Konfliktlösungsstufen). Guckt Ihr denn nie Tierfilme? Oder glaubt Ihr etwa, das sei nicht vergleichbar und homo sapiens stünde über den Dingen? In diesem Falle würde Bolle Darwin gerne herzlich grüßen lassen.
Kurzum: daß in einer Gesellschaft verschiedene Werte vorherrschen, ist unabänderlich. Dabei gilt: Je heterogener, desto verschiedener. Einfach laufen lassen ist dabei keine Option – jedenfalls nicht auf längere Sicht. Für die drei restlichen Optionen brauchen wir dringend – um in der Tierreich-Analogie zu bleiben – so eine Art Beißhemmung. Nicht alles, was technokratisch „zielführend“ scheint, ist humanistisch auch vertretbar und könnte – um auf Darwin zurückzukommen – einen evolutionären Rückschritt um einige Millionen Jahre bedeuten. Es sei denn, wir finden eine sophistischere Definition von Evolution. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.
Auch und vor allem die Frage, was das alles mit dem 76. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zu tun haben soll, ist so was von ein anderes Kapitel, daß wir an dieser Stelle unmöglich darauf eingehen können.
2 Antworten auf „Do 28-01-21 Sozialisation. Wird schon? Oder Hohn?“