Mo 04-01-21 Letzte Fragen — total so!

Letzte Fragen — total so!

Hier – wie auch schon gestern – ein wirklicher britischer Klassiker. Jedes Kind auf der Insel kennt das. Was aber soll es bedeuten? Wir wissen es nicht. Gleichwohl wäre es doch schade, wenn ausgerechnet das im Gewühle dieser lauten, lärmenden Welt unterginge. Schön ist es nämlich schon. Auch muß man Kunst nicht immer erklären wollen …

Letztlich ist es auch nicht so richtig übersetzbar. Greifen wir also auf die DeepL-Übersetzung zurück. Die geht so:

„Die Zeit ist gekommen“, sagte das Walross,
„um von vielen Dingen zu reden:
Von Schuhen – und Schiffen – und Siegellack –
Von Kohlköpfen – und Königen –
Und warum das Meer kochend heiß ist –
Und ob Schweine Flügel haben.“

Fragen über Fragen. Aber irgendwie, will Bolle scheinen, paßt es noch immer in die Zeiten. Warum nur? Aber das ist vielleicht schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 03-01-21 Step by step …

Step by step …

Heute wollen wir uns in aller Kürze einem britischen Klassiker zuwenden. Das Sprichwort ist so was von klassisch, daß man es heute nicht mal mehr bei Google finden kann –  wenn wir von einem einzigen vereinzelten Eintrag, der überdies zu nichts weiter führt, einmal absehen wollen. Wie kann das sein? Wir wissen es nicht.

In der Entwurfsfassung des Art. 2 I GG heißt es sinngemäß: Jeder kann tun und lassen, was er will, solange er die Rechte anderer nicht verletzt …  Das klingt doch wirklich freiheitlich. „Die Rechte anderer …“ – da liegt natürlich der Hase im Pfeffer. Wenn man nämlich eines der „Rechte anderer“, namentlich das Recht auf Leben (Art. 2 II GG), über alles stellt und jede mögliche Gefährdung (nicht etwa Verletzung), und sei sie noch so abstrakt und noch so mittelbar, absolut setzt, dann sieht es mit dem Recht, zu tun und zu lassen, was man will, denknotwendig ziemlich finster aus. Kurzum: Das Grundrecht läuft hohl.

So kann es kommen, daß folgendes passiert: Junge Leute feiern in der Bretagne eine Silvesterparty – unter weniger widrigen Umständen das normalste der Welt – und finden sich nach Ansicht einer Sprecherin des französischen Innenministeriums unversehens und allen Ernstes in der Kategorie „Straftäter“ wieder. Warum? „Weil sie die Regeln mißachten“. In entspannteren Zeiten mußte man, falls Bolle sich recht erinnert, sehr viel schwerere Geschütze auffahren als nur eine Silvesterparty zu feiern, um als „Straftäter“ zu enden. Aber genau so funktioniert „step by step“. Und keiner hat’s gemerkt. Auch versteht Bolle nicht, wieso unter diesen Umständen zum Beispiel Autofahren immer noch erlaubt sein soll. So richtig einleuchtend findet er das nicht. Aber das ist wohl ein anderes Kapitel.

Sa 02-01-21 Hype und Hybris

Hype und Hybris.

Wer sich – auch und nicht zuletzt in Corönchen-Zeiten – davon angesprochen fühlen mag, sei an dieser Stelle dahingestellt. Bolle hält L’art pour l’art für ein hinreichendes Motiv, das hier anzubringen. Auch möchte er dem Verdacht begegnen, daß er überwiegend oder fast völlig nur in fernöstlichen Weisheiten bewandert ist.

Das Bild ist einfach herrlich prägnant – bringt es doch in wenigen Worten auf den Punkt, was es über Hybris zu wissen gilt. In real life begegnet ist es Bolle übrigens nur ein einziges mal – und zwar in Ulrich Schamonis zeitlos schönem und wohl auch ein wenig subversivem Film ›Chaupeau claque‹ (D 1974). Doch das ist wohl schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 01-01-21 Ein gutes Neues Jahr Euch allen!

Der Drops ist gelutscht.

Ein gutes Neues Jahr Euch allen. Mit „Friede, Freude, Eierkuchen“ wollen wir hier gar nicht erst anfangen. Belassen wir es also bei einem nüchternen „gut“. Mehr ist umständehalber wohl kaum zu erwarten. Aber Schluß mit der finsteren Weltsicht. Schließlich wollen wir vereinbarungsgemäß agnostisch-kontemplativ sein, was die Grundhaltung angeht.

Der wesentliche outcome, den das Jahr 2020 – allen Widernissen zum Trotze – mit sich gebracht hat, ist, Corönchen sei Dank, die Einsicht, daß wir Menschen sterblich sind. Zwar war das schon immer so – und ist insofern alles andere als neu. Allerdings braucht es zuweilen eine gewisse Wucht (neudeutsch: impact), damit das – an sich selbstverständliche – auch dem letzten unter uns helle wird.

Hier ein weiteres Exempel aus Bolles schier unerschöpflichem adaptierten Zitatenschatz fernöstlicher Weisheiten: „Jede Reise – und sei es die längste – beginnt mit einem ersten Funken an Haltung.“ Beachtet in diesem Zusammenhang bitte die Sorgfalt, mit der der gelutschte Drops auf dem Aschenbecher plaziert wurde. Bolle meint: That’s the spirit. So kommen wir weiter – und möchte sich an dieser Stelle ausdrücklich bei seiner Studentin mit der besten Haltungsnote ever bedanken. So gesehen war 2020 gar nicht soo schlecht. Ein gutes Neues Jahr Euch allen!

Do 31-12-20 Guten Rutsch! Und bessert Euch!

Silvester 2017 in Berlin Prenzlauer Berg.

Hier die Silvesternacht 2017 in Prenzlauer Berg. In 2018 und 2019 hatte sich Bolle nach »Dinner for One« gleich wieder hingelegt und damit seine photographischen Ambitionen hintan gestellt. Ob es dieses Jahr möglich sein wird, ein Last Minute Pic zu schießen und rechtzeitig ins Netz zu stellen, ist corönchen-bedingt eher fraglich. Auch ist das Bild krass verpixelt. Aber so ist das nun mal im Spätimpressionismus.

Dann wollen wir mal hoffen, daß das kommende Jahr erquicklicher wird als das doch etwas betrübliche 2020. Ob das so wird, hängt natürlich weniger von der Zahl an sich ab als vielmehr davon, was wir draus machen. Wer noch Anregungen zur Neu-Besinnung sucht, möge sich, falls er mag (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), von unserem agnostisch-kontemplativen Adventskalender inspirieren lassen.

Guten Rutsch, fürs erste. Nächstes Jahr wissen wir mehr …

So 27-12-20 Oh Zeiten, oh Sitten!

Vossische Zeitung vom 28. Juni 1914, am Vorabend des 1. Weltkrieges.

Hier das in den Medienwissenschaften immer wieder gerne herangezogene, geradezu „klassische“ Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll. Für diejenigen unter uns, die sich mit Frakturschrift schwertun, hier zunächst die Übertragung in Antiqua:

Sarajewo, 28. Juni (Telegramm unseres Korrespondenten). Als der Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin, die Herzogin von Hohenberg, sich heute vormittag zum Empfange in das hiesige Rathaus begaben, wurde gegen das erzherzogliche Automobil eine Bombe geschleudert, die jedoch explodierte, als das Automobil des Thronfolgers die Stelle bereits passiert hatte. In dem darauffolgenden Wagen wurden der Major Graf Boos-Waldeck von der Militärkanzlei des Thronfolgers und Oberstleutnant Merizzi, der Personaladjudant des Landeshauptmanns von Bosnien, erheblich verwundet. Sechs Personen aus dem Publikum wurden schwer verletzt. Die Bombe war von einem Typographen namens Cabrinowitsch geschleudert worden. Der Täter wurde sofort verhaftet. Nach dem festlichen Empfang im Rathause setzte das Thronfolgerpaar die Rundfahrt durch die Straßen der Stadt fort. Unweit des Regierungsgebäudes schoß ein Gymnasiast der achten Klasse (Primaner) namens Princip aus Grabow aus einem Browning mehrere Schüsse gegen das Thronfolgerpaar ab. Der Erzherzog wurde im Gesicht, die Herzogin im Unterleib getroffen. Beide verschieden, kurz nachdem sie in den Regierungskonak gebracht worden waren, an den erlittenen Wunden. Auch der zweite Attentäter wurde verhaftet. Die erbitterte Menge hat die beiden Attentäter nahezu gelyncht.

Was war passiert? Das österreichische Thronfolgerpaar wurde erschossen. Das ist die Nachricht. Wider alle Regeln der Kunst erfährt man das beiläufig gegen Ende des Beitrages.

Was hat das mit uns zu tun? Nun — in diesen Weihnachtstagen, die ja eigentlich besinnlicher Natur sein sollten, hat die Presse augenscheinlich nichts besseres zu tun, als von einem „Wohnmobil“ zu berichten, das in Nashville, Tennessee, als Autobombe benutzt wurde. Was bitteschön, hat das mit „Wohnmobil“ zu tun? Oder damit, daß Nashville auch „Music City“ genannt wird? Hier die Nachricht, wie Bolle sie sich wünschen würde:

In Nashville, Tennessee, ist am Morgen des 25. Dezember eine Autobombe explodiert. Dabei haben die Täter Vorkehrungen getroffen, daß möglichst niemand zu Schaden kommt. Neben erheblichem Sachschaden ist weiter nichts passiert. Das Motiv ist noch unklar. Das FBI ermittelt.

Das wär’s gewesen. Ende der Durchsage. Frohe Weihnachten – und den Menschen auf Erden ein Wohlgefallen. Könnte es nicht sein, daß die Lust an der Sensation die Liebe zur Sachlichkeit bei weitem übersteigt? Aber das ist wohl schon wieder ein anderes Kapitel.

So 20-12-20 Das zwanzigste Türchen — der 4. Advent …

Hier das 20. virtuelle Türchen …

Heute wollen wir uns – nach den ganzen Kontemplations-Anstrengungen der letzten Wochen – zur Abwechslung mit einem „leichten“ Türchen begnügen bzw. vergnügen. Die Originalfassung war Bolle dann aber erstens doch ein wenig zu apodiktisch und zweitens zu „victorian underground“. Unter der sittenstrengen Victoria I. nämlich hatten (nicht nur) die Bohémiens und Freidenker so manches Problem, das sich heute so kaum mehr vermitteln läßt – was sich nicht zuletzt in der Literatur niedergeschlagen hat. Belassen wir es also für heute bei Bolles fröhlich-paradoxer Version – und lassen uns die Kekse und die Stolle schmecken. Auf die Waage stellen können wir uns auch in 2021 noch. Doch das ist schon ein anderes Kapitel.

Mo 14-12-20 Das vierzehnte Türchen …

Hier das 14. virtuelle Türchen …

– Was ist, Bolle? Meinst Du, wir sollten das übersetzen?
– Unbedingt.
– Warum schreiben wir dann nicht gleich: „Keine Aktion ohne Reaktion“?
– Weil das Argument damit an Glanz verlieren würde.
– Wie das?
– Steht alles in Brechts »Leben des Galilei«.
– Wo?
– Auf Seite 45–49, im Disput zwischen Galileo und seinem Linsenschleifer mit einem Mathematiker und einem Philosophen. Damals ging es darum, ob Planeten a) an einer „Sphäre“ kleben oder sich nicht doch eher b) freischwingend im Raum bewegen. Aristoteles war für a), Galileos Fernrohr für b).
– Und? Wo stehen wir heute?
– Das mit dem Fernrohr ist geklärt. Ansonsten sind wir deprimierend dicht bei a).

Was, bitte, hat das alles mit „oberster Sozialdirektive“ zu tun? Die alte Regel: Von nüscht kommt nüscht. Man könnte auch sagen: Wer nicht will, der hat schon. Bolle lehnt es schlichtweg ab, mit Leuten zu tun zu haben, die nichts mit ihm zu tun haben wollen – oder sich zumindest so benehmen. Im Grunde aber ist das schon ein anderes Kapitel.

Di 08-12-20 Das achte Türchen …

Hier das 8. virtuelle Türchen …

Hier finden wir, einmal mehr, Original und Abklatsch – sozusagen das O&A der vom Fuße auf den Kopf gestellten Flach-Welt. Massenmedial eingebürgert hat sich „Denn erstens kommt es anders // Und zweitens als man denkt.“ Aber machen wir uns nichts vor: Im Vergleich zum Original kann das nur Abklatsch sein. Wo genau liegt der Unterschied? Fassen wir es so: Es geht um Feinheiten …, es geht um Stil …, es geht um Ästhetik …, es geht um, neudeutsch, „feeling“. Muß man nicht verstehen – könnte man aber. Wie heißt es doch, zeitlos klassisch, Faust zu Wagner: Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Sa 05-12-20 Das fünfte Türchen …

Hier das 5. virtuelle Türchen …

Bolle hegt unverhohlen eine gewisse Sympathie gegenüber manchen chinesischen Lebensweisheiten. Von der Weihnachtszeit inspiriert hat er bei Lukas 10, 25-37 nachgeschlagen und ist auf folgendes gestoßen: Ein Schriftgelehrter wollte wissen, was er tun müsse, damit er „das ewige Leben ererbe“? Vom Meister getriggert, fiel ihm die Antwort selber ein: Er müsse Gott, seinen Herrn, lieben von ganzem Herzen und seinen Nächsten wie sich selbst. Um sein Gesicht zu wahren und doch noch etwas Kluges zu äußern, setzte er nach: „Definiere Nächster“ – woraufhin der Meister mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter ein Gleichnis zum Besten gab. Hier der Sachverhalt in Kürze: Ein, so wörtlich, „Mensch“ kam auf Reisen unter Räuber und blieb „halbtot“ im Graben liegen. Nachdem ein Priester und ein Levit – also „echte“ Juden – vorbeigezogen waren, ohne sich zu kümmern, war es ausgerechnet ein Samariter – also ein Mitglied einer aus jüdischer Sicht abtrünnigen Sekte – der sich schließlich des „Menschen“ annahm, Erste Hilfe leistete und aus eigener Tasche („zwei Groschen“ mit der Option auf Erstattung weiterer anfallender Kosten) einen Herbergsvater mit der nötigen Pflege beauftragte.

Um das Gleichnis auf den Punkt zu bringen: „Nächster“ ist nach des Meisters Definition also buchstäblich jeder – noch allgemeiner als einfach nur „Mensch“ kann man sich nicht fassen. Statt also dreimal vor der eigenen Tür zu kehren – was auf Reisen auch nicht ganz einfach sein dürfte – hat sich der Samariter darangemacht, die Welt zumindest im Kleinen ein klein wenig zu verbessern. Liegen die Chinesen mit ihrem Sprichwort also falsch? Die meisten Leute, die Bolle kennt, würden „gefühlt“ mit dem Samariter sympathisieren. Ob sie sich, wenn es zum Schwur kommt, auch entsprechend verhalten würden, ist eine andere Frage.

Eng wird es erst, wenn wir das Gleichnis lebenswirklich erweitern und uns vorstellen, daß da nicht ein Mensch im Graben lag – sondern derer zehn, hundert oder auch tausend. Hier würden die meisten, wenn auch vielleicht unwillig, einräumen müssen, daß es wohl doch so etwas wie den „Vorbehalt des Möglichen“ (so nennt es das Bundesverfassungsgericht) gibt. Was also tun als Samariter auf verlorenem Posten? Ein zerknirschtes „Shit happens“ murmeln? Gott zürnen? Bloß nicht – das geht absehbar in die Hose. Sich demütig mit Psalm 95, 4 trösten (sinngemäß: „Das liegt in Gottes Hand“)? Oder, umgekehrt und hoch-modern, diesseitig-hybrid nach dem Staat rufen, auf daß er’s bitteschön richten möge?

Bleiben wir sachlich und auch ein wenig versöhnlich und wagen wir eine Übersetzung: (1) Kenne Deine Grenzen, (2) Halte aus, was Deine Grenzen sprengt, und (3) Mache den ersten Schritt möglichst vor dem zweiten. Damit wäre schon viel gewonnen. Vor allem mit dem Aushalten haben Bolles Zeitgenossen nach seiner Einschätzung ihre liebe Not. Im Alten Testament ist man da übrigens noch sehr viel pragmatischer: So heißt es im 5. Mose 23, 20 f.: „Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder mit Geld noch mit Speise noch mit allem, womit man wuchern kann. Von dem Fremden magst du Zinsen nehmen, aber nicht von deinem Bruder […]“. Von „Jeder ist Dein Bruder bzw. Dein Nächster“ und somit gleich „liebenswert“ ist hier realistischerweise noch keine Rede. Wie auch? Übrigens: Morgen ist Nikolausi – auch das war so einer, der nicht immer nur vor seiner eigenen Tür gekehrt hat. Aber das ist ein anderes Kapitel.