So 17-08-25 Wir tolerieren uns zu Tode

Rein — oder raus …?

Wir haben uns natürlich überlegt, ob wir Donald Trump heute mal auf unser Schildchen heben wollen. Schließlich soll es ja Leute geben, die durchaus der Ansicht sind, daß, egal was Mr. Trump so von sich gibt, das per se nicht stimmen könne. Mancher würde gar bestreiten, daß 2+2=4 ist, falls der das behaupten sollte. Bolle aber war dafür. Schließlich – so sein Argument – sei oft der Scherz ja wohl das Loch, durch das die Wahrheit pfeife. Vor allem aber fand er das alles ausgesprochen allegorisch. Im übrigen – das kam noch hinzu – war Bolles lieber guter alter Großpapa – Sanitätsoffizier in gleich zwei Weltkriegen – ganz ähnlich drauf. Bevor er sich hat irgendwo Essen servieren lassen, hatte er regelmäßig erst mal heimlich einen Blick in die Küche geworfen. Falls ihm die Zustände nicht zusagen wollten, dann blieb es halt beim Bier. Wer braucht schon Futter mit Bazillen?

Beim Titel haben wir uns von Neil Postmans ›Wir amüsieren uns zu Tode‹ anregen lassen. Es trägt den Untertitel ›Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie‹, ist schon 1985 – vor nunmehr 40 Jahren also – herausgekommen und noch immer (beziehungsweise gar schon wieder) ausgesprochen lesenswert. Mit Urteilskraft und Urteilsbildung ist es zur Zeit ja nicht allzuweit her, könnte man meinen.

Der letzte Satz des Gleichnisses meint natürlich die gegenwärtigen Aufräumarbeiten – falls man das so nennen mag – in Washington, D.C. Mr. President ist nämlich der Ansicht, daß es der Hauptstadt von God’s own country nicht schlecht zu Gesicht stünde, wenn sie keinen allzu verwahrlosten Eindruck machen und auch keinen Spitzenplatz im Mord- und Totschlag-Ranking einnehmen würde. Die rivalisierenden Demokraten, die dort mit überwältigender Mehrheit regieren, waren natürlich aufs blankeste entsetzt ob der präsidialen Einmischung in ihre – wie sie es sehen – inneren Angelegenheiten. Schließlich versteht man sich dort als durch und durch liberal – was sich am besten mit ›links‹ übersetzen läßt – und da legt man nun mal einen gewissen Wert auf ›anything goes‹ (Paul Feyerabend 1975). Nun aber könnte zwischen der wörtlichen Übersetzung ›Man kann alles machen‹ und der lebenspraktischen Aussicht ›Wird schon alles funktionieren‹ ein kleiner, aber feiner semantischer Unterschied liegen, der, so Bolles Vermutung, der „Liberal Crowd“ nicht immer voll bewußt zu sein scheint.

Damit aber wären wir dicht an der Allegorie. Garrett Hardin hatte, in etwa um die gleiche Zeit (1968), in seinem Aufsatz ›The Tragedy of the Commons‹ zum Thema Freiheit folgendes angemerkt:

Der Ruf nach „Rechten“ und nach „Freiheit“ liegt allenthalben in der Luft. Aber was bedeutet Freiheit? Als man übereingekommen war, zum Beispiel Raub unter Strafe zu stellen, wurden die Leute dadurch freier – und nicht etwa weniger frei.

Dem könnte man natürlich widersprechen, of course – so mancher Raubritter würde genau das tun –, muß man aber nicht. Spätestens seit Thomas Hobbes‘ ›Leviathan‹ (1651) dürfte den allermeisten einleuchten, daß ein Gemeinwesen, und sei es das liberalste (beziehungsweise freiheitlichste) einer gewissen inneren Ordnung bedarf, damit die Dinge eben nicht in Mord und Totschlag ausarten. Schließlich, so Hobbes, sei im Naturzustand der Mensch dem Menschen nun mal Wolf und neige dabei ›zum bellum omnium contra omnes‹ – dem Kriege aller gegen alle.

Aber schweifen wir nicht ab und beschränken wir uns für heute auf eine zumindest leidlich adrette Erscheinung als Parallele zu Trumps adretter Eingangstüre. So hat, wie man hört, die Mailänder Scala diesen Sommer erst eine explizite Kleiderordnung eingeführt: Wer sich untersteht, in Shorts, in Flip-Flops oder ärmellosen Hemdchen zu erscheinen, muß künftig leider draußen bleiben – ohne daß die Kosten für die Eintrittskarte in irgendeiner Form erstattet würden, versteht sich. Bolles liebe gute alte Großmama hätte in solchen Fällen nicht versäumt zu erwähnen, daß auf einen groben Klotz nun mal ein grober Keil gehöre.

Natürlich gab es umgehend Diskussionen – bis hin zu heftigem Protest. Aber was will man machen? ›Form follows function‹ ist nun mal nicht alles – auch wenn eine Menge Leute (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) namentlich der jüngeren Generationen nichts anderes gelernt zu haben scheinen. Zu der ›Form‹ im Spruch gehört, wie Bolle ernstlich meinen will, nun mal auch eine gewisse Form.

Übrigens: Wie man weiterhin hört, sollen die Yanks den Ukrainern gesteckt haben, daß Selenski beim nächsten Treffen doch bitteschön im Anzug zu erscheinen habe. Anderenfalls fände leider kein Treffen statt. Ist das jetzt Powerplay? Arroganz der Macht? Oder Pflege guter Sitten und Wahrung bewährter Umgangsformen? The wind of change, womöglich gar? Fragen über Fragen. Apropos Selenski: Der Journalismus 2.0 ätzt zur Zeit aus allen Rohren ob des Treffens der beiden Präsidenten am Freitag. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert