Di 22-10-19 Rente mit 69

Bundesbank fordert Rente mit 69

Mit dieser Überschrift hat die »Süddeutsche Zeitung« heute aufgemacht – und »Die Welt« sekundiert: „Die Rente ist sicher – aber nicht mehr allzu lange“. Der arme Norbert Blüm: Da ist ihm 1986 ein flotter Spruch rausgerutscht, der ihn wohl definitiv überleben wird. Ähnlich kraß wie Fukuyamas „Ende der Geschichte“ (1992). Aber das ist ein anderes Kapitel. Immerhin: 1986 liegt mittlerweile eine Generation zurück (Bolle rechnet konventionell mit 30 Jahren pro Generation). Solange hat sich die Rente schon mal gehalten – wenn wir von den ganzen schleichenden Einschnitten einmal absehen wollen. Zwar existiert die Rente noch. Allerdings zeigt sie schwer komatöse Züge.

Was sagt die Wissenschaft? „Ein gegebenes Problem läßt sich schwerlich mit derselben Denke lösen, durch die es überhaupt erst entstanden ist.“ So in etwa soll Albert Einstein das „Metaproblem“ einmal auf den Punkt gebracht haben.

Betrachten wir zunächst das grundlegende Problem:

Die Rente wurde Ende des 19. Jahrhunderts – „klassisches Modell“ – von Bismarck mit 15 Jahren Aufwachsen und Ausbildung, 50 Jahren Erwerbstätigkeit nebst Einzahlung in die Rentenkasse und schließlich 5 Jahren Rentenbezug konzipiert. Danach war man absehbar tot und damit nicht weiter „bedürftig“. Wenn wir von Zinsen und ähnlichem Schnickschnack einmal absehen wollen, dann bedeutet das, daß ein Erwerbstätiger im Laufe seines Erwerbslebens 10% seiner Bezüge hat zurücklegen müssen, damit die Rechnung aufgeht. Heute sieht das Bild – „aktualisiertes Modell“ – ganz anders aus: Heute können wir – modelltechnisch vereinfacht – von 30 Jahren Aufwachsen und Ausbildung ausgehen, 30 Jahren Erwerbstätigkeit nebst Einzahlung in die Rentenkasse und weiteren 30 Jahren erwarteten Rentenbezugs. Das aber bedeutet, daß 50% der Bezüge zurückgelegt werden müßten, damit die Rechnung aufgeht. Bolle kennt niemanden, der das tut. Auch kennt er niemanden, der dazu überhaupt in der Lage wäre. Was tun, sprach Zeus? Was hat die „alte Denke“ uns nicht alles versucht einzureden. Wir bräuchten zusätzlich eine Betriebsrente – also ob wir davon ausgehen könnten, daß unser Betrieb, wenn wir Rente beziehen wollen, noch willens und in der Lage sein wird, uns weiterhin durchzufüttern. Da ist eine saubere, rechtlich völlig einwandfreie Insolvenz nebst Neueröffnung unter frischem Namen sehr viel naheliegender. Auch bräuchten wir eine „kapitalgedeckte“ Altersvorsorge. „Kapital“ klingt immer gut. Gemeint ist natürlich nur: Wir müssen mehr fürs Alter zurücklegen – möglichst verzinst. Aber erstens kann man sich auf eine Verzinsung nicht wirklich verlassen – und auf einen möglichen Wertauftrieb von Wertpapieren ebenso wenig. Und zweitens schließlich, siehe oben, sprengen die 50% der rechnerisch notwendigen Rücklage die Möglichkeiten der meisten bei weitem. Ein dritter beliebter Vortrag der „alten Denke“: Wir brauchen ganz viel Zuwanderung – auf daß diese Leute dann „unsere“ Rente bezahlen. Als gäbe es kein Äquivalenzprinzip: Im Grundsatz kriegt jeder das wieder raus, was er selber eingezahlt hat. Zuwanderer arbeiten im Ergebnis also für ihre eigene Rente – und nicht etwa für „unsere“. Das also wird so nicht funktionieren. Allerdings ist dieser Ansatz trefflich geeignet, das Problem „ganz nach Demokratensitte“ weiter in die Zukunft zu verschieben: Après nous le déluge (nach uns die Sintflut) – wie Madame de Pompadour das nach der verheerenden Niederlage bei Roßbach gegen Friedrichs Truppen (1757) einmal mit entwaffnender Offenheit formuliert haben soll, um sich nicht die Partylaune verderben zu lassen.

Die „Forderung“ der Bundesbank bedeutet also nichts weiter als den Erwerbstätigkeitsbalken (siehe oben) ein wenig zu verlängern und den Rentenbezugsbalken dafür ein wenig zu verkürzen. „Alte Denke“ eben – und dabei naturgemäß nicht sonderlich inspiriert. Also: „Game over“, oder was? Der letzte macht das Licht aus? Wir wollen an dieser Stelle nicht hysterisch werden. Das Rentenproblem ist lösbar – zumindest mathematisch. Dabei gilt: Was mathematisch funktioniert, könnte auch im richtigen Leben funktionieren. Ob sich indes die Dinge entsprechend wenden, hängt entscheidend an den jeweiligen Entscheidern – bzw. letztlich an deren „Auftraggebern“, mithin also dem Souverän. Und? Wer ist der Souverän? Das sind irgendwie wir alle. „Wir sind das Volk“ – kennen wa ja. Die Lösung greift allerdings etwas weiter als hier auf die Schnelle darstellbar ist. Daher verweisen wir auf die beigefügte PDF. Zugegeben: keine ganz leichte Kost – aber auch nicht völlig unverdaulich. Einen Versuch ist es wohl allemal wert. Ein halbes Stündchen Zeit sollte man sich dafür aber schon nehmen. Verglichen mit der seit 1986 währenden Dauer-Irritation (siehe oben) scheint uns das aber ein vertretbarer Aufwand zu sein. Falls Sie Fragen haben: Nutzen Sie unsere Kommentarfunktion. Wir werden antworten – versprochen. Viel Spaß bei der Lektüre!

Fr 20-09-19 Klima-Rente

Wenn die Große Koalition nicht über das Klima streitet, dann über die Grundrente. Nun zeichnet sich offenbar ein Kompromiss ab […]

Gefunden im Handelsblatt Morning Briefing. Wenn das alles so flott geht mit dem „Streit unter aufrechten Demokraten“, dann wird das Klima sich wohl noch ein wenig gedulden müssen. Greta läßt grüßen.

Statt einer Bedürftigkeitsprüfung sollen Bezieher der Grundrente eine Einkommensprüfung durchlaufen. Die Grundrente würde dann nur gezahlt, wenn das Haushaltseinkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liege.

Wer Grenzen zieht, erzeugt notwendigerweise Abgrenzungsprobleme: Wer nur soundso viel verdient, bekommt den Grundrentenzuschlag. Wer einen einzigen Euro mehr verdient, bekommt ihn nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier „Gerechtigkeits“-Debatten losgetreten werden und, in der Folge, das „Nachbessern“ der „handwerklichen Fehler“ versichert wird – die üblichen betröppelten [rheinischer Sprachgebrauch] Mienen inklusive. Bolle fragt sich: Was zum Teufel treiben die denn die ganze Zeit in ihren Kommissionen und ihren ewigen Nachtsitzungen? Immerhin: „Die Regierung tut was.“ Na toll.

Beide Seiten sehen sich als Sieger: Die Union, weil die Grundrente nicht bedingungslos gezahlt wird. Die SPD, weil sie ein zentrales Wahlkampfversprechen durchsetzen kann.

Na, das ist doch das wichtigste, meint Bolle. Gesichtswahrung vor Problemlösung – muß doch alles seine Ordnung haben. Das Klima läßt grüßen.

In der Sache bleibt das Ergebnis vor allem eins: ein fauler und teurer Kompromiss.

Ein fauler Kompromiß? Definitiv. Allerdings liegt es im Wesen eines Kompromisses, „faul“ zu sein – namentlich in einer Demokratie. Ein echter Konsens – verstanden als der aufrechte Bruder des Kompromisses – ist sehr viel anspruchsvoller und nur mit sehr viel mehr Gehirnschmalz (Sitz des Denkens) und überdies mit sehr viel mehr  „Bauchschmalz“ (Sitz des Wollens) zu bewerkstelligen. Bevor man nämlich auch nur anfangen kann zu denken, muß man notwendigerweise wissen, worüber man eigentlich nachdenken will. Kurzum: Man muß wissen, was man will [vgl. dazu auch »Fr 04-10-19 Klimabremse« – dort heißt das Baby, wie üblich, »Zieldefinition«]. Genau hier, da ist sich Bolle sicher, liegt das demokratietheoretische Problem: Wenn einer klipp und klar sagt, was er will, verprellt er umgehend all diejenigen potentiellen Wähler, die genau das eben nicht wollen. Wer traut sich das schon? Außerdem kommt rucki-zucki die (übrigens in keiner Weise demokratisch legitimierte) Sprachpolizei um die Ecke und rügt, daß man das – egal, worum es im Einzelfall gehen mag – so nicht sagen könne oder dürfe. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Warum aber eigentlich „teuer“? Teuer für wen? Für die Bezieher der Grundrente sicher nicht. Ganz im Gegenteil. Des Einen Kosten sind des Anderen Einkommen. Immer! In einer Volkswirtschaft kommt – ähnlich wie in einem Universum – nichts weg. Es gibt schlechterdings kein „weg“. Aber auch das ist ein anderes Kapitel.