Mo 21-12-20 Das einundzwanzigste Türchen …

Hier das 21. virtuelle Türchen …

Wird es nicht langsam wirklich weihnachtlich in unserem kontemplativen Adventskalender? Kann man so sehen – oder auch nicht. Wirklich weihnachtlich will es ja nicht werden in diesem Jahr. Bolle vermißt vor allem den Glühwein und das Gewusel auf den Weihnachtsmärkten. Ein Geschenk auf amazon zu erlegen ist ja ooch nicht das gleiche. Vor allem aber findet Bolle es höchst unchristlich, die „Dosen“ mit der gleichen Freude und Zuversicht als Heilsbringer zu erwarten, wie es eigentlich nur dem Erlöser der Christenmenschen vorbehalten sein sollte: „Komme, oh Impfstoff, oh komme doch bald … // Lasset uns preisen in frommen Weisen // Halleluja …“ Bei aller weihnachtlichen Liebe: Ein bißchen bigott ist das schon. Zumal auch die Pfaffen mehrheitlich auf der Tour reiten. Von wegen „Heim ins Himmelreich“. Aber vielleicht ist das bereits ein anderes Kapitel.

So 20-12-20 Das zwanzigste Türchen — der 4. Advent …

Hier das 20. virtuelle Türchen …

Heute wollen wir uns – nach den ganzen Kontemplations-Anstrengungen der letzten Wochen – zur Abwechslung mit einem „leichten“ Türchen begnügen bzw. vergnügen. Die Originalfassung war Bolle dann aber erstens doch ein wenig zu apodiktisch und zweitens zu „victorian underground“. Unter der sittenstrengen Victoria I. nämlich hatten (nicht nur) die Bohémiens und Freidenker so manches Problem, das sich heute so kaum mehr vermitteln läßt – was sich nicht zuletzt in der Literatur niedergeschlagen hat. Belassen wir es also für heute bei Bolles fröhlich-paradoxer Version – und lassen uns die Kekse und die Stolle schmecken. Auf die Waage stellen können wir uns auch in 2021 noch. Doch das ist schon ein anderes Kapitel.

Sa 19-12-20 Das neunzehnte Türchen …

Hier das 19. virtuelle Türchen …

Das „ideale Gasgesetz“ beschreibt das Verhalten eines idealen Gases und sagt aus, daß sich Druck mal Volumen proportional zu Teilchenzahl mal Temperatur verhält: p × V =  k × N × T. Der Proportionalitätsfaktor (k) ist dabei die Boltzmann-Konstante. Müssen wir das wissen? Natürlich nicht. Die Thermodynamik von Gasen versteht ohnehin fast niemand. Nur so viel: Wenn sich Gas ausdehnt, wird es in aller Regel (1) dünner und (2) kälter. Nach diesem Prinzip funktioniert jeder Kühlschrank. Auf die soziale Welt übertragen bedeutet das – zumindest, falls Bolle nicht ganz falsch liegt: Wenn sich Freiheit ausdehnt, werden die Leute in aller Regel (1) dümmer und (2) cooler – ganz ähnlich wie Gase. Die Parallele ist frappierend. Glücklicher werden sie damit, so wie’s aussieht, allerdings nicht. Aber vielleicht ist das schon ein anderes Kapitel.

Fr 18-12-20 Das achzehnte Türchen …

Hier das 18. virtuelle Türchen …

Wenn man das Credo einer hybriden Gesellschaft auf den Punkt bringen wollte, dann wohl so: Alles ist möglich. Im Grunde ergibt sich das bereits aus dem Begriff – der sich aus gr. hybris ›Frevel, Anmaßung, Übermut‹ ableitet. Das war früher – als die Leute noch ernstlich an Götter glaubten und an gottgewollte Grenzen menschlichen Strebens. Nicht zuletzt in der Bibel, gleich in der Genesis, finden sich zahlreiche Beispiele: Von Evas Apfel im Paradies (1. Mose 3, 1 ff.) über den Turmbau zu Babel (1. Mose 11, 1 ff.) bis hin zu Sodom und Gomorra (1. Mose 18, 20 ff.; 19, 1 ff.) – um nur einige zu nennen. Ähnliche Geschichten finden sich in wohl allen Erzählungen aller Kulturen.

Und heute? Heute hält die hybride Gesellschaft »hybrid« für eine voll tolle Sache. Wir haben hybride Pflanzen, hybride Tiere, hybride Motoren, hybride Systeme – und weiß der Teufel, was noch. Von Zurückhaltung keine Spur.

Dabei sollte eigentlich klar sein, daß es völlig unmöglich ist, alles schaffen zu können. Allein die Vorstellung an sich ist frevelhaft. Es gibt nun mal so etwas wie Zielkonflikte. Jeder Entscheider weiß das. Aktuell zeigt sich das nicht zuletzt bei corönchen-bedingten möglichen Triage-Anforderungen. Viele Leute hegen allen Ernstes die Erwartung, daß die Wissenschaft bzw. die Medizin ja wohl in der Lage sein müsse, alles und jeden zu retten – egal wie alt oder wie vorerkrankt er auch sein mag. Und auch egal, wie aussichtslos das, auf längere Sicht, ohnehin sein wird.

Und so kommt es, daß sich hinter der hybriden Haltung kaum mehr verbirgt als Entscheidungsfaulheit bzw., klarer noch, Entscheidungsfeigheit: Wenn eben nicht alles möglich ist, dann müssen wir uns entscheiden, was aus vielerlei Möglichkeiten wir möglich machen wollen – und was wir einfach hinnehmen müssen. Um es auf den Punkt zu bringen: »Barrieren« – im Sinne von ›Hindernisse gegenüber menschlichem Streben‹, und sei das Streben noch so gut gemeint – gibt es und wird es vermutlich immer geben. Da nützt es auch nichts, wenn die demokratisch gesinnte hybride Mehrheit dagegen ist. Leute, kommt damit klar – und besinnt Euch. Aber das ist wohl schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 17-12-20 Das siebzehnte Türchen …

Hier das 17. virturelle Türchen …

Zugegeben: das ist kein wirklich weihnachtliches Thema. Gleichwohl: ist es nicht der Kern dessen, was uns plagt? Kaum schickt sich einer an, unsere »Friede, Freude, Eierkuchen«-Idylle zu stören, fühlen wir uns angepißt. Mächtig angepißt. Aber ist es nicht so, daß Werden und Vergehen untrennbar zusammengehören – zumindest in diesem Universum? Eigentlich ist das ja wohl auch klar. Warum tun wir uns dann so schwer damit? Warum wollen wir einfach nicht wahrhaben, daß wir vergängliche Wesen sind? Daß alles vergänglich ist? Selbst das Universum an sich ist nach allem, was wir wissen, vergänglich. Leute, kommt damit klar. Aber wenn man es so deutlich unter die Nase gerieben kriegt wie der Faust aus dem Munde des Mephistopheles, dann regt sich natürlich Widerspruch, wenn nicht gar Empörung. Aber gibt es ein brauchbares Argument dagegen? Nicht in diesem Universum. Ob indessen das, was entsteht, „wert“ ist, zugrunde zu gehen, wie Mephistopheles meint – oder ob das, völlig wertfrei, einfach so ist, scheint Bolle eine gänzlich andere Frage. Und damit auch ein anderes Kapitel.

Mi 16-12-20 Das sechzehnte Türchen …

Hier das 16. virtuelle Türchen …

Der erste Satz steht so in Art. 1 des Grundgesetzes. Der zweite Satz ist abgeleitet aus Art. 2. Beides also an recht exponierter Stelle. In Art 2 heißt es wörtlich: „Jeder hat das Recht auf Leben …“.

Nun sind Grundrechte im Kern Abwehrrechte gegen den aus historischen Gründen als im Zweifel übermächtig empfundenen Staat. Der Staat soll seine Bürger also nicht aktiv vom Leben zum Tode befördern, jedenfalls nicht ohne Not. Soweit ist das klar. Soll der Staat aber auch dafür sorgen (müssen), daß niemand – also auch Corönchen nicht – das Leben seiner Bürger „antastet“? Das zu meinen wäre erstens albern, zweitens hybrid, und drittens ohnehin nicht zu schaffen. Soll er also nicht. Warum tut er dann so, als müsse er in allererster Linie „Leben retten“? Wir wissen es nicht. Mit der Würde steht es ganz ähnlich: Natürlich ist sie nicht faktisch „unantastbar“ – das Grundgesetzt drückt sich gerne „würdig“ aus. Sie soll nur – im rechtsstaatlichen Ideal – als unantastbar angesehen werden. Der Staat soll also, ganz analog, nicht unnötig die Würde seiner Bürger mit Füßen treten. Auch das ist klar. Was aber, wenn es zwischen (dem nach allem ohnehin aussichtslosen) Lebensschutz und dem (durchaus möglichen) Schutz der Würde zum Zielkonflikt kommt? Die Antwort liegt – wie erfrischend ist das denn – bereits in der Fragestellung: Wer sich anschickt, um einer Unmöglichkeit willen das Mögliche zu unterlassen, hat es im Ansatz nicht verdient, ernstlich ernst genommen zu werden.

Was bedeutet das konkret? Macht hoch die Tür, die Tor macht weit – wie Christenmenschen seit dem 18. Jhd. in der Adventszeit zu singen pflegen. Laßt doch die Alten in den Pflegeheimen und die Kranken selber entscheiden, ob ihnen ihre Würde oder ihr Leben wichtiger ist. Ob sie lieber im Kreise ihrer Lieben sterben wollen oder vor den Keimen ihrer Lieben geschützt jämmerlich und einsam von hinnen scheiden? Falls die Meinungen auseinandergehen sollten: Jedem das Seine. Bolle denkt, es kann ja wohl kein Problem sein, die Betroffenen in Einrichtungen mit Schwerpunkt Würde und solche mit Schwerpunkt „möglichst lange leben“ umzuverteilen. Doch das ist wohl schon ein anderes Kapitel.

Di 15-12-20 Das fuffzehnte Türchen …

Hier das 15. virtuelle Türchen …

So kann’s gehen. Aus Abschnitts-Überschriften lassen sich Aphorismen schmieden, indem man sie verdichtet – wobei sich die Verdichtung aus die Hinzufügung der „Leute“ ergibt. Sprache ist wirklich nicht logisch. In Kästners »Fabian« heißt die entsprechende Überschrift einfach nur „Lernt schwimmen!“ Worum geht’s? Fabian, ein bekennender „Moralist“, kommt um beim Versuch, einen Jungen vor dem Ertrinken zu retten. Dummerweise konnte Fabian nicht schwimmen – der Junge schon. So kann es gehen, wenn das Herz größer ist als das Hirn. Auch versteht Bolle „schwimmen“ durchaus nicht wörtlich als „Technik, sich im Wasser zu bewegen“. Vielmehr meint er eine Technik, sich unter Irren zu bewegen. Frei übersetzt könnte man also ebenso gut sagen: „Leute, lernt denken!“ Ob das unter Irren wirklich hilft, sei dahingestellt. Aber gönnen wir auch Bolle seine Illusionen. Doch das ist wohl ein anderes Kapitel.

Mo 14-12-20 Das vierzehnte Türchen …

Hier das 14. virtuelle Türchen …

– Was ist, Bolle? Meinst Du, wir sollten das übersetzen?
– Unbedingt.
– Warum schreiben wir dann nicht gleich: „Keine Aktion ohne Reaktion“?
– Weil das Argument damit an Glanz verlieren würde.
– Wie das?
– Steht alles in Brechts »Leben des Galilei«.
– Wo?
– Auf Seite 45–49, im Disput zwischen Galileo und seinem Linsenschleifer mit einem Mathematiker und einem Philosophen. Damals ging es darum, ob Planeten a) an einer „Sphäre“ kleben oder sich nicht doch eher b) freischwingend im Raum bewegen. Aristoteles war für a), Galileos Fernrohr für b).
– Und? Wo stehen wir heute?
– Das mit dem Fernrohr ist geklärt. Ansonsten sind wir deprimierend dicht bei a).

Was, bitte, hat das alles mit „oberster Sozialdirektive“ zu tun? Die alte Regel: Von nüscht kommt nüscht. Man könnte auch sagen: Wer nicht will, der hat schon. Bolle lehnt es schlichtweg ab, mit Leuten zu tun zu haben, die nichts mit ihm zu tun haben wollen – oder sich zumindest so benehmen. Im Grunde aber ist das schon ein anderes Kapitel.

So 13-12-20 Das dreizehnte Türchen — der 3. Advent …

Hier das 13. virtuelle Türchen …

Jede Zeit braucht für an sich „immerwährende Wahrheiten“ offenbar ihre eigenen, jeweils zeitgemäßen Ausdruckformen. Eine dieser immerwährenden Wahrheiten ist die Tatsache, daß Menschen sich ihres Daseins bewußt sind – mit diesem Wissen aber noch nie so recht wirklich weitergekommen sind. Vom tat twam asi („Das bist Du“) des vedantischen Hinduismus – der sich bis ins Jahr 1750 vor der Zeitrechnung der Christenmenschen zurückverfolgen läßt – über Purusha und Prakriti („der Seher und das Gesehene“) aus der Samkhya-Philosophie (etwa 400 vor bis 700 nach) bis hin zum Ego („I am what I am“) – in unserer Zeit nicht zuletzt durch Baghwan Sri Rashneesh alias Osho popularisiert: Stets war den Leuten klar, daß es ein kleines Ich in einem großen Universum gibt. Die genaueren Zusammenhänge indes liegen bis heute eher im dunklen.

Hier ist Manfred Teufel in seinem Werk »Sprache und Zufall« die Formulierung eines erfrischend neuen Ansatzes gelungen: Das kleine Ich als immaterielle Rechenleistung in einem furchtbar großen Universum. Die Konsequenzen sind erheblich: Selbst Descartes’ unerschütterliche Grundwahrheit, cogito ergo sum („Ich denke, also bin ich“) gerät hier ins Wanken.

Fassen wir zusammen: jahrhundertelang haben die Menschen nach „Gottesbeweisen“ gesucht – allerdings ohne brauchbares Ergebnis. Auf die Idee, auch einen „Ich-Beweis“ zu finden, ist dabei, wie’s scheint, noch niemand gekommen. Teufel für sein Teil hat „nach langen Überlegungen“ zu einer „realistischeren Alternative“ gefunden: „Ich trinke, also bin ich.“ Wem das als letztes Wort nicht genügen will oder nicht weihnachtlich genug erscheinen mag: Manfred Teufel ist sich auch noch nicht wirklich schlüssig: Nutzen wir die Adventszeit also weiterhin zur Kontemplation. Vielleicht fällt uns ja etwas noch realistischeres ein – oder zumindest tröstlicheres? Oder aber wir finden es tröstlich: „Reine immaterielle Rechenleistung? Fein, dann kommt ja nüscht weg in diesem furchtbar großen Universum.“ Aber das ist ein anderes Kapitel.

Sa 12-12-20 Das zwölfte Türchen …

Hier das 12. virtuelle Türchen …

Die „Kreativen“ dieser Welt meinen ja oft, sie seien schon deshalb kreativ, weil sie Ideen haben. Andy Warhol dagegen meint, man sei erst dann kreativ, wenn man etwas verwirklicht hat – also buchstäblich geschaffen. Und? Wer hat Recht? Von der Wortbedeutung her natürlich Andy Warhol – wobei sich die Quelle, wie so manches Wesentliche – im Dunkel der Zeiten verliert. Schließlich leitet sich »Kreativität« ab von lat. creare ›schöpfen, schaffen‹. Formal gesehen haben wir es mit einem zweistufigen Prozeß zu tun: Die Idee ist notwendige Bedingung für die Schöpfung. Hinreichend ist aber erst das vollendete Werk – ein Zusammenhang, der übrigens erst in der hier vorliegenden Bolle’schen Fassung in Descartes’scher Manier klar und deutlich (clare et distincte) zum Ausdruck kommt. Aber das ist schon ein anderes Kapitel.