
Heute ist Vollmond und die Nacht ruft nach mir // Komm mit mir tanzen, und ich küß dich dafür. So heißt es auf Nenas erstem Album (1983).
Zwar ist nicht gerade heute Vollmond – das war schon in der Nacht auf Freitag, unserem fünften Türchen. Auch hat Bolle niemanden rufen hören – und schon gar nicht die Nacht. Und tanzen? Küssen? Mädchen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) womöglich gar? Da sei Gott vor – sprach der Agnostiker.
Immerhin war es ein „Supermond“ – wie der Journalismus 2.0 marktschreierisch zu vermelden wußte. „Der letzte des Jahres“, wie es weiter hieß. Bolle meint nur: Ja, was denn sonst? Vollmond – egal ob super oder normal – ist nun mal nur alle gut vier Wochen. Angesichts der Jahreszeit bleibt da wohl nicht mehr allzu viel Spielraum.
Jedenfalls war Bolle nach zwei Stunden tiefen Schlafes kurz nach Mitternacht plötzlich putzmunter. Wegen Vollmond? Kann sein – kann Zufall sein. Bolle findet es durchaus nicht abwegig, ersteres ernstlich ins Auge zu fassen. Seit Jahrhunderten behauptet das Volk in seiner Weisheit ja, daß es einen Zusammenhang gebe zwischen Vollmond und Schlaflosigkeit. Und zumindest seit Jahrzehnten halten Mediziner – gestützt auf empirische Daten aus sogenannten Schlaflaboren – dagegen, das sei ja wohl alles Humbug, und ziehen sich auf das zurück, was zu verstehen ihnen nahe liegt: das Licht! Bei Vollmond – und erst recht bei Supermond – sei es nun mal heller in der Nacht, und damit auch im Schlafgemach. Daß die Leute heute Jalousien haben? Paßt nicht zur Theorie – kann demnach also auch nicht sein. Daß Bolle nie im Dunkeln schläft – die Beleuchtung seines Schlafgemaches dürfte auch den krassesten Supermond um ein Vielfaches übertreffen – auch das will ganz und gar nicht passen.
Schiere Einbildung? „Heute ist Vollmond – und das heißt, die Nacht ruft nach mir“ will Bolle als wissenschaftliche Erklärung auch nicht so recht einleuchten. Im Grunde weiß er nicht einmal, ob er überhaupt mitgekriegt hat, daß gerade Vollmond ist. Bleibt die unbewußte Aufmerksamkeit: Irgendwie wird Bolle es schon gemerkt haben. Hier allerdings wird es allmählich recht windig mit den wissenschaftlichen Erklärungsversuchen.
Wie weiter? Bolle hält den Vollmond – und erst recht den Supermond – für ein höchst lebenspraktisches Beispiel für die Vorzüge der Agnostik. Statt nur in Kategorien wie ›Ist so / Ist nicht so‹ zu operieren, behält sich ein Agnostiker die Kategorie ›me‹ vor: „Wer bin ich, das zu entscheiden? Ich lasse das mangels hinreichender Datenlage einfach mal offen.“ (Wer kurz nachschlagen beziehungsweise auffrischen mag: vgl. etwa Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …).
Natürlich muß man sich das erst einmal trauen. Üblicherweise ist das Bedürfnis nach Klarheit ja sehr viel stärker ausgeprägt als das Bedürfnis nach Wahrheit – selbst dann, wenn sich die Wahrheit dem Suchenden hartnäckig zu verschließen beliebt. Ein schlichtes ›Wir wissen es nicht – ich zumindest nicht‹ ist durchaus nicht jedermanns Sache. Auch dann nicht, wenn sich damit hunderte von Fehlurteilen oder, ganz allgemein, eine gravierende Schräglage im Umgang mit der Welt vermeiden ließe. Wie heißt es doch gleich bei Mephistopheles: Spotten ihrer selbst und wissen nicht wie. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
