Di 16-12-25 Das sechzehnte Türchen: Das hält ihn frisch, den Babelfisch

Der Born des Babelfisches (1978).

Babelfische – den meisten wird das durchaus klar sein – gibt es seit geraumer Zeit. Erdlingen bekannt sind sie seit spätestens 1978, als die nachgeradezu legendäre Hörspielserie ›Per Anhalter durch die Galaxis‹ das erste mal durch den britischen Äther flimmerte – oder zumindest rauschte.

Babelfische sind höchst nützlich, weil sie dafür sorgen, daß sich die verschiedensten intergalaktischen Lebensformen mühelos miteinander verständigen können. Man steckt sich einen solchen einmalig ins Ohr – in welches, ist egal. Zwar fühlt sich das etwas glitschig an. Allein der Babelfisch richtet sich umgehend häuslich ein im Gehörgang und bedarf – im Gegensatz zu manchem Hörgerät – keinerlei Pflege. Dabei transferiert er jede wie auch immer geartete verbale Äußerung einer jeden beliebigen galaktischen Lebensform unmittelbar in verständliches Deutsch – oder was auch immer – ohne daß man sich, nach nur kurzer Eingewöhnung, einer womöglichen Übersetzungsleistung auch nur im geringsten bewußt sein würde: Man versteht sich einfach – zumindest akustisch. So gesehen handelt es sich bei dem Babelfisch einfach nur um die Überwindung göttlichen Mißmutes angesichts unbotmäßiger Schäfchen, der sich dereinst in folgendem Plan verwirklichen sollte: Wohlauf, lasset uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe! – wie es in der Genesis im Vers 11, 7 heißt.

Ohne Babelfisch dagegen gestalten sich die Dinge sehr viel komplizierter. Wie das Leben so spielt, ging es justamente und in der Tat rein zufällig – man mag es glauben oder nicht – heute vor genau drei Jahren (vgl. Fr 16-12-22 Das sechzehnte Türchen …) um eine Textstelle aus dem Werk des Epiktet (etwa 50–138 nach der Weihnachtsgeschichte) – die Bolle damals aus dem Kopf zitieren beziehungsweise paraphrasieren mußte, da seine eigentliche Quelle schlechterdings unauffindbar war: perdú – einfach wegg. Dort hieß es:

Wer die Wahrheit nicht erkennt,
schadet nicht der Wahrheit,
sondern vor allem sich selbst.
Wenn Dir also einer dummkommt,
bleibe gelassen und sprich zu Dir selbst:
Dem scheint das so zu sein.

Untertitelt war das seinerzeit mit ›Epiktet (in Bolles frecher Fassung)‹. Auf der Suche nach der Quelle hatte Bolle im Laufe der Zeit immerhin zwei verschiedene Ausgaben von Epiktets ›Handbüchlein der Moral‹ käuflich erworben – einmal übersetzt von Kurt Steinmann und einmal von Schultheß & Enk. Bei ersterem hieß es: ›Es schien ihm eben richtig so, bei letzteren ›er meint, recht zu handeln‹.

Und wie das Leben weiterhin so spielt, hat es sich gefügt, daß Bolles originäre Ausgabe unter Bergen von höchst Belanglosem plötzlich wieder aufgetaucht ist. Dort nämlich heißt es: ›dem scheint es so zu sein‹. Bolle meint: Na also – geht doch!

Nun reichen Bolles Altgriechisch-Künste bei weitem nicht aus, um auch nur im Ansatz beurteilen zu können, welche Fassung dem am nächsten kommt, was Epiktet seinerzeit gemeint haben mag. Was Bolle aber sicher sagen kann, ist, daß die beiden alternativen Übersetzungen ganz eigentümlich saft- und kraftlos sind. Niemals hätte Bolle sich je veranlaßt gefühlt, sich derart Laues auch noch merken zu wollen. In seinen Sprüche-Speicher eingegangen ist dagegen die obige Fassung. Die einzige Verfremdung: aus dem „es“ wurde ein „das“: ›Dem scheint das so zu sein.‹

Nun müssen wir uns natürlich fragen: Was hätte ein Babelfisch gemacht? Kraftvoll übersetzen oder lieber windelweich? Vermutlich läßt sich eine Sprache in ihren Feinheiten – auf die es letztlich aber ankommt – nur verstehen, wenn man die dazugehörige Primärsozialisation durchlebt hat. Nun ist es aber kaum zu schaffen, in mehr als einer Sprache Kind zu sein – noch dazu, wenn ebenjene Kindheit, wie das bei Epiktet der Fall ist, 2.000 Jahre zurückliegt. Damit bleiben einem im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Einen Text schlecht zu verstehen, weil man die Sprache nicht mit der sprichwörtlichen Muttermilch (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) aufgesogen hat, oder einen Text schlecht zu verstehen, weil ihn möglicherweise der Übersetzer schon nicht verstanden hat. Tricky! Der naheliegende – und vielleicht einzige – Ausweg: sapere aude – benutz‘ Dein Gehirn! Vielleicht verhält es sich mit altehrwürdigen Sprüchen ja wie sonst nur mit Beton: Es kommt drauf an, was man draus macht. Selber denken macht schlau – und nimmt nun mal kein Ende! Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

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