So 12-10-25 Die Urständ der Urkonstruktivisten

Strafrechtliche Flurbereinigung.

Neulich hat Bolle im Netz in einem jener Magazine geblättert, die sich selber solide journalistisch finden, im Wesentlichen aber stramm aktivistisch sind. Der Unterschied in nuce: Die einen versuchen zumindest zu sagen, was ist. Die anderen camouflieren das, was ihrer Ansicht nach doch bitteschön zu sein habe – Ja, nachgeradezu sein muß –, als reinsten Journalismus. Nun ja: jeder, wie er kann. Ist ja auch am einfachsten.

In dem Beitrag ging es darum, ob es nicht weiterhin ›Bürgergeld‹ heißen solle beziehungsweise gar müsse, oder ob mit ›Grundsicherung‹ nicht nämliches hinreichend umschrieben sei. Dabei lege – so der Autor – der Begriff ›Bürgergeld‹ nahe, daß die Betroffenen zwar arm, aber deswegen mitnichten weniger bürgerlich seien. ›Grundsicherung‹ dagegen insinuiere, daß es sich um Leute handele, die nicht in der Lage seien, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft sicherzustellen.

Nun – letzteres ist zweifellos der Fall. Allein ersteres klingt natürlich besser, of course  – selbst wenn es sich bei einem Großteil der Betroffenen nicht einmal um Bürger – etwa im Sinne von ›Staatsangehörige‹ – handelt.

Ähnliches gelte unter anderem für Begriffe wie ›Zwangsbeiträge‹ für die an die Öffis  abzudrückenden Tribute, oder die Frage, ob vegetarische Schnitzel ›Schnitzel‹ heißen dürfen.

Allgemein: Darf ein Schraubenzieher ›Schraubenzieher‹ heißen, wo er doch mitnichten Schrauben zieht, sondern vielmehr dreht? Darf ein Zollstock ›Zollstock‹ heißen, wo er doch regelmäßig in Zentimeter unterteilt ist? Darf das Alte Testament so heißen? Oder könnte das – wie manche meinen – antijudaistische Assoziationen evozieren?

Dürfen die Deutschen ihre Handys hartnäckig ›Handy‹ nennen – wo es doch dieses Wort in dieser Bedeutung so sonst nirgendwo auf der Welt gibt?

Bolle geht diese ganze Dürfen-Debatte gehörig auf den Keks. Was dann? Bolle plädiert entschieden für alte Rechte. Wenn etwas jahrhundertelang gut genug war als Wort: warum dann plötzlich auf den Müll damit? Weil’s dem zivilisatorischen Fortschritt dient? Bolle bleibt da durchaus skeptisch.

Konnte James Tobin – nämlicher Tobin mit der Tobin-Tax, und im übrigen Wirtschaftsnobelpreisträger 1981 – im Jahre 1965 in einer amerikanischen Fachzeitschrift noch darüber nachdenken, wie sich die wirtschaftliche Lage der schwarzen Bevölkerung verbessern ließe (›On Improving the Economic Status of the Negro‹), wäre das heute, nur zwei Generationen später – ein Fanal zum Skandal. Warum eigentlich? Von etwaiger Abwertung des Negers kann in dem Beitrag wirklich keine Rede sein – im Gegenteil.

Auch hat sich Bolle bei seinem Lieblings-Pausenbrot nie von einem Neger geküßt gefühlt – oder auch nur im Entferntesten die Empfindung gehabt, einem Mohren den Kopf abzubeißen. Vor allem aber hat sich niemand – weder Bolle noch seine Peers –  beim Pennäler-Pausenbrot je moralisch über- oder unter- oder sonstwie gelegen gefühlt. Um es mit Gertrude Stein zu sagen: Ein Mohrenkopf ist ein Mohrenkopf ist ein Mohrenkopf – egal wie er nun heißen mag (vgl. dazu vor allem So 23-03-25 Konfuzius reloaded).

Ist es nicht vielleicht so, daß die Wirklichkeit nur sprachlich ins rechte Licht gerückt werden muß, um wirklich wahr zu werden? Das war immer schon der Traum aller Urkonstruktivisten – angefangen bei zum Beispiel Berger/Luckmann, die mit ihrer ›Gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit‹ (1966) nämliches für möglich hielten, wenn nicht gar für wahrscheinlich.

Ist also Sprache dazu da, die Wirklichkeit zu beschreiben? Oder soll sie dazu da sein, die Wirklichkeit zu gestalten? In Bolles Kreisen unterscheidet man soziale –, brachiale –, sowie juristische Normen. Ersteres meint das, was die Leute so ganz allgemein für richtig und für angemessen halten. Das zweite meint das, was der Journalismus 2.0 ganz im Geiste des Konstrukt­ivismus meint, den Leuten in die Köppe hämmern zu müssen – und zwar so lange, bis sie es, zumindest nolens volens, für richtig und für angemessen halten. Gesiegt hat das konstruktivistische Kalkül allerdings erst dann, wenn es gelingt, die brachiale Norm in den Rang einer juristischen Norm zu erheben. Fürderhin ist es nämlich regelrecht verboten (!), die Norm nicht zu beachten: aus Konstruktion wird Wirklichkeit.

Goethe übrigens, der alte Dichterfürst, der Princeps poetarum, meinte in seinen posthum herausgegebenen ›Gedichten‹ (1836) –

Die Sprache bleibt ein reiner Himmelshauch
Empfunden nur von stillen Erdensöhnen.

– wobei wir ›Erdensöhne‹ natürlich beider- bzw. allerlei Geschlechts verstanden wissen wollen, of course, und kommt dabei zu folgendem Schluß:

Wer fühlend spricht, beschwätzt nur sich allein …

Vielleicht müßte man heute präzisierend ergänzen: sich allein – und seine Bubble weltbewegter Bessermenschen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

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