So 13-07-25 Sicilia est insula

Reif für die Insel …

Nachdem unsere letzten Sonntagsfrühstückchen mitunter doch ein wenig haarig ausgefallen waren, wollen wir uns heute einem höchst harmlosen Sujet zuwenden. Dabei handelt es sich um die allerersten Sätze aus Bolles erster Latein-Fibel seinerzeit. Autor und Verlag haben sich mittlerweile im Dunkel der Zeiten verloren. Aber Bolle bleibt natürlich dran, of course.

Sizilien ist eine Insel.
Sardinien ist eine Insel.
Sizilien und Sardinien sind Inseln.

Bolle findet, das ließe sich möglicherweise selbst bei rudimentären beziehungsweise gar nicht vorhandenen Lateinkenntnissen durchaus noch erfassen. Sein erster Gedanke damals jedenfalls war: krass – ich kann Latein! Das dickere Ende sollte erst sehr viel später kommen, of course. Das dickere, wohlgemerkt, nicht etwa das dicke. Im Kern ist Latein ja durchaus logisch – was Bolle seinerzeit sehr entgegenkommen sollte.

Nun hat sich Bolle die Mühe gemacht, selbiges in eine gendergerechte beziehungsweise nachgerade woke Version zu transformieren. Am Informationsgehalt – der Tatsache nämlich, daß es sich sowohl bei Sizilien als auch bei Sardinien um Inseln handelt – ändert sich dabei nichts, und zwar rein gar nichts. Bolle wollte lediglich korrekterweise berücksichtigt wissen, daß auch die männliche Version gegebenenfalls „mitgedacht“ beziehungsweise mitberücksichtigt sein will. Und so kommen wir auf die alternative Version, die sich in manch jung-modern-aufgeschlossenen Kreisen ja durchaus einer gewissen Beliebtheit erfreuen dürfte – falls man dort überhaupt Latein sprechen würde.

Nun, bei der Kontemporärisierung hat sich der Text leider, leider, von ursprünglich 72 Zeichen auf 135 Zeichen aufgebläht – also auf fast das Doppelte. Bolle meint, wenn das damals schon so Sitte gewesen wäre, hätte er sicherlich nie Latein gelernt – und frühzeitig schon das Handtuch geworfen. Zum Glück waren das diesbezüglich seinerzeit deutlich weniger ambitionierte Zeiten.

Die Tatsache, daß sowohl Sizilien als auch Sardinien auch gegengeschlechtlich „gelesen“ werden können, beziehungsweise möglicherweise gar müssen, ist natürlich auch eine Information, of course – spielt aber im vorliegenden Falle keine, und zwar wirklich rein gar keine Rolle. Keinesfalls jedenfalls sollte derlei Blubbersprech eine Verdoppelung des Textumfanges rechtfertigen können. Wir hatten das vor langer Zeit schon mal thematisiert und dabei auf Schopenhauers § 287 in seinem ›Über Schriftstellerei und Stil‹ (1851) verwiesen und das mit ›Deutlich denken‹ unterschrieben (vgl. dazu So 06-09-20 Laber Rhabarber).

Der leitende Grundsatz der Stilistik
sollte seyn, daß der Mensch nur einen
Gedanken zur Zeit deutlich denken kann;
daher ihm nicht zuzumuthen ist,
daß er deren zwei, oder gar mehrere,
auf ein Mal denke. –

Bolle würde ja mitnichten meckern wollen – wenn das Ganze nicht allmählich pandemische Ausmaße angenommen hätte. Dabei handelt es sich hierbei nicht einmal um Redundanz – was als stilistisches Mittel ja durchaus seine Berechtigung haben mag. Vielmehr handelt es sich schlicht und ergreifend um thematischen Overflow: ruinierte Stilistik ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn bei verdoppeltem Textvolumen. Aber wie heißt es in Bolles Kreisen doch gleich so schön: Irren ist menschlich – wirren ist wöklich. Oder – auch das kursiert als Kurzformel: Gestern irre – heute wirre.

In jüngerer Zeit ist Bolle der Begriff ›suggestive Desinformation‹ untergekommen. Das mag auf den ersten Blick recht geschmeidig klingen. Wenn wir aber bedenken, daß wir ›Information‹ als ›entscheidungsrelevantes Wissen‹ aufzufassen haben, dann haben wir es hier nicht einmal mit Information zu tun – und folglich auch nicht mit Desinformation. Also sollte womöglich besser von ›manipulativer Null-Information‹ die Rede sein: Rüber kommt rein gar nichts – jedenfalls nichts Entscheidungsrelevantes. Allerdings soll, wie es scheint, auf die Einstellung – im weiteren Sinne: die mappa mundi – der Empfänger (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) Einfluß genommen werden – und zwar möglichst, ohne daß sie es überhaupt merken. Damit aber berühren wir den Wesenskern der Manipulation – und befinden uns mittenmang auf einem ergiebigen Tummelplatz woker Weltenrichter. Wobei vorläufig offenbleiben muß, ob wir ›richten‹ hier im Sinne von ›geraderücken, in Ordnung bringen‹ oder nicht eher doch im Sinne von ›beurteilen‹ beziehungsweise gar ›verurteilen‹ auffassen wollen oder gar müssen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 22-06-25 Der Faschismus ist tot – Es lebe der Schafismus!

🎶 Allons moutons de la folie // Le jour de noir est arrivé … 🎶

Der Faschismus ist tot. Mausetot. Substantiell war ihm ja ohnehin nur eine äußerst bescheidene Lebenspanne auf Erden beschieden. So nämlich hatte Benito Mussolini ab 1922 seine – wenn man das so sagen kann – Reformbewegung genannt. Was das mit einem Bündel, un fascio, zu tun haben sollte, war wohl schon damals nicht ganz klar. Auch war rund zwanzig Jahre später schon wieder Schluß mit der Reformbewegung und mit Mussolini überhaupt. Ursächlich dafür waren seinerzeit kommunistische Partisanen, die des Duce del Fascismo arg überdrüssig waren.

Allein, als hohle Hülle hat der Begriff dann spektakulär Karriere gemacht. Totgesagte leben nun mal länger. Wohl alles eine Frage des Brandings. Und so kam der amerikanische Politologe Paul Gottfried nach gründlicher Sichtung des Forschungsstandes in seinem ›Fascism – The Career of a Concept‹ (2016) auch zu dem Ergebnis, daß ›Faschismus‹ im Grunde ja wohl alles meine, was einem gegebenen Paragonisten als „tief abstoßend“ aufstoßen mag. In einer der jüngsten Observanzen, die Bolle neulich erst zu Ohren gekommen ist, heißt es dann auch, so gesehen durchaus konsequent: Konservativ ist gleich rechts ist gleich Faschismus. So kann’s gehen, wenn Forscher abheben, kreisen, und niemals wieder landen – um hier mal ein Bonmot von Wassily Leontief (1905–1999), einem wirtschaftsweisen Nobelpreisträger, zu bemühen. In Bolles Kreisen spricht man auch vom Reziprozitätsgesetz der Sprachwissenschaften: Je vager und je platter ein Begriff (Intention), desto reichhaltiger seine potentielle Verwendungsfülle (Extention).

Bolle dagegen hat unter ›Faschismus‹ schon immer kaum mehr verstanden als eine Staatsorganisationsform, die dem Motto ›Alle sollen gleich sein wollen‹ huldigt. Dabei geht es also nicht nur darum, daß alle gleich sind – nein, sie sollen es auch wollen. Trefflich auf den Punkt gebracht hat das übrigens George Orwell in seinem finsteren ›Nineteen Eighty-Four‹ (London 1949), wo der Protagonist Winston Smith von seiner Renitenz, seinem Überhaupt-nicht-gleich-sein-Wollen, zunächst vollständig geheilt und dann erst gnaden- und einsichtsvoll erschossen wurde. Schließlich sollen alle mitgenommen werden – niemand soll zurückbleiben müssen.

Übrigens sind damit, in einem Abwasch gewissermaßen, auch alle angeblichen Unterschiede zwischen Rechts- und Linksfaschismus vom Tisch. Mit dem ganzen Lechts/Rinks-Gedöns (Bolle featuring Ernst Jandl 1966) konnte Bolle ja bekanntlich noch nie sonderlich was anfangen.

Auch ist der finstere Orwell’sche Faschismus ohnehin „sowas von 20. Jahrhundert“ – um es mal jugendsprachlich auszudrücken. Heute sind wir deutlich weiter, of course. Einen modernen, zeitgemäßen Faschismus hat Bolle sich schon immer eher so vorgestellt wie in Huxleys ›Schöne Neue Welt‹ (1932) – also lange nicht so verkniffen und auch längst nicht so letal. Schließlich gibt es mildere Mittel, die Schäfchen bei der Stange zu halten. Um sie auf dem rechten Weg zu führen, reicht es ja oft schon aus, ihnen gegebenenfalls die Scheckkarte oder das Handy wegzunehmen oder selbiges auch nur vage als Möglichkeit im Raume schweben zu lassen. Und wer partout nicht gleich sein will, wird (bei Huxley) eben auf irgendeine einsame Insel abgeschoben, auf daß er dort nach seiner Fasson glücklich werden möge – solange er nur die Harmonie der Schönen Neuen Welt, das Gleichgewicht der Gleichen, nicht länger stört. Noch ist es allerdings so, daß wir uns im richtigen Leben in der Tendenz mit Warnhinweisen begnügen müssen: „Die Lektüre dieses Buches kann Ihrem gesunden Gleichsein-Wollen schaden“ – oder so ähnlich.

Kurzum: das alles schreit nach einem trefflicheren Worte. Und so hatte es Bolle in Ermangelung eines besseren Einfalles zunächst mit ›Filigran-Faschismus‹ probiert. Allerdings hat sich das als noch längst nicht knackig genug erwiesen. Außerdem, findet Bolle, wird es nach einhundert Jahren allmählich hohe Zeit, sich endlich des leidigen Grundbegriffes endgültig zu entledigen. Des Bla-Bla ist genug gewesen …

Daher also der ›Schafismus‹. Schafismus statt Faschismus. Inspirieren lassen hat sich Bolle hier vom Verlan – einer französischen Jugendsprache, die neue Wörter produziert, indem sie Silben (oder andere Elemente) gegebener Wörter gekonnt und durchaus künstlerisch verdreht. So wurde eben aus ›l’envers‹ (das Umgekehrte) ›Verlan‹, die Jugendsprache. Bolle lieebt die Dichtkunst der Franzosen.

Einmal im Schwunge, hat sich auch gleich ein passender Text zum Thema einfinden wollen – passenderweise mitten in der Marseillaise: 🎶 Allons moutons de la folie // Le jour de noir est arrivé … 🎶 – wobei Bolle seine Adaption ausdrücklich als Hommage an aufbruchsfrohere Zeiten verstanden wissen will. Der Rest der Hymne sei berufeneren Bänkelsängern überlassen.

Beim Umdichten der ersten Zeilen mußte Bolle lediglich ›enfants‹ (Kinder) durch ›moutons‹ (Schafe) ersetzen, ›Patrie‹ (Vaterland) durch ›folie‹ (Wahnsinn), und ›jour de gloire‹ (Tag des Ruhmes) durch ›jour de noir‹ (schwarzer Tag). Französisch ist einfach eine herrliche Sprache, wenn es dezidiert um Dichtkunst geht. Und so wird aus ›Auf, auf, Ihr Kinder dieses Landes // Der Tag des Ruhmes bricht heut‘ an‹ frei übersetzt – Französisch muß man frei übersetzen –  ›Auf, auf, Ihr derangierten Schafe // Von nun an geht es steil bergab‹.

Und schon paßt das alles auf deren Schöne Neue Zeit wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer. Viva il schafismo! Ob sich das aber – nicht zuletzt auch im Italienischen – begrifflich wird durchsetzen können, bleibt natürlich abzuwarten. Immerhin weiß Bolle jetzt, was zu tun und was zu erwidern ist, wenn ihm das nächste mal einer dieser Ewiggestrigen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), womöglich nach dem dritten Bier, mit historisch heillos abgedroschenen, einhundert Jahre alten Etikett-Aufklebern (in Bolles Kreisen kurz ›Etas‹) kommt und dabei auch noch meint, damit was auch immer aussagen zu können. „Faschist!“ – „Selber Schafist!“ So entstehen geistreiche Gespräche – zumindest nach dem dritten Bier. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 27-04-25 Lurchtalg

Is doch wahr, ey …

Bolle kann sich zunehmend des Eindruckes nicht entbehren (Vorsicht Gaga, of course), daß es in gewissen Kreisen durchaus unüblich beziehungsweise geradezu verpönt ist, sich klar auszudrücken. Bolles Vermutung: Würde man das tun, dann würde sehr schnell sehr klar werden, daß man bei Lichte betrachtet nichts – aber wirklich rein gar nichts – zu sagen hat. So etwas wäre natürlich schwer selbstwertbeschädigend. Da der Schutz des Selbstwertgefühles aber eines der vier kognitiven Grundbedürfnisse ist, die dringend, wenn nicht gar zwingend erfüllt sein wollen, kann hier nicht sein, was nicht sein darf. Also wird munter weitergeblubbert. Zumal es das soziale Umfeld hergibt – beziehungsweise gar verlangt. Im Grunde ist es wie bei Andersens ›Kaisers neue Kleider‹ (1837). Nur, daß es hier kein Happy Ending gibt. Im Gegenteil: Das Phänomen zieht konzentrische Kreise und hat dabei längst weite Kreise der sogenannten beziehungsweise selbstempfundenen Eliten durchdrungen. Bolle meint ja immer: Einbildung is ooch ne Bildung. Mit solchen Sprüchen übrigens ist er aufgewachsen – da kannste nüscht machen.

Der Lurchtalg, um den es uns heute gehen soll, heißt im Original natürlich ›Lunch Talk‹, of course. Allerdings, meint Bolle, macht das die Sache mitnichten besser. Was, bitteschön, soll das sein? Vermutlich sowas wie ›Futtern und Blubbern‹ – oder ›Schmaus und Graus‹? Wir wissen es nicht.

Auch können wir nicht wissen, ob Lurche jemals durch die Furche talgen, oder jemals ihr Gefieder walken. Ja, wir wissen nicht einmal, ob so ein Lurch überhaupt ein Gefieder hat. Was wir uns aber vielleicht fragen sollten: Was ist absurder? Das Epigramm in unserem Schildchen – oder das, was es thematisiert?

Daß einer schlecht Englisch kann: geschenkt. Viele aus Bolles sozialem Umfeld können ohnehin besser Russisch als Englisch. Daß einer schlecht Deutsch kann: schon bedenklicher. Wer aber meint, zwei Sprachen schlecht zu können sei allemal besser als eine richtig, ist – da ist sich Bolle mit sich selber völlig einig – durchaus ein Fall von Denkste. Also: im Zweifel lieber Lurchtalg statt Lunchtalk.

Wittgenstein übrigens meinte in seinem ›Tractatus‹ (1921): Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt. So gesehen handelt es sich wohl um eine recht wunderliche – und vor allem auch recht enge – Welt, in die sich unserer Tage so viele mit so gehöriger Verve reingequasselt haben – und das mit einigem Eifer auch weiterhin tun. Richtig übel aber wird es, wenn solche Leute – also namentlich die Polit-Prominenz und ihre Freunde vom Pressewesen – meinen, professionell Wahrheit für andere absondern zu müssen. Denken wir nur an Meister Kong, den Ehrwürdigen (vgl. dazu So 23-03-25 Konfuzius reloaded).

Was ist das wichtigste?
Das wichtigste sind klare Begriffe.
Ohne klare Begriffe kein klares Denken.
Ohne klares Denken kein klares Handeln.
Und ohne klares Handeln ist alles nichts.

So gesehen wäre Meister Kong wohl eher für einen Lurchtalg zu haben gewesen als an einem Lunchtalk teilzunehmen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 15-12-23 Das fünfzehnte Türchen …

Witz vergeht, Humor besteht …

Neulich ist Bolle ein kommerzieller Weihnachtsgruß auf den Schreibtisch geflattert. Als bildungsbürgerlichen Einstieg hatte man eines der berühmteren Bonmots von Werner Heisenberg gewählt:

Bildung ist das, was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt hat.

Das klingt natürlich geradezu zen-mäßig. Zumindest aber wirft es die Frage auf, wozu dann überhaupt jemand jemals irgend etwas lernen sollte, wenn doch nach Abzug des Gelernten – gleichviel, wieviel es war – ohnehin Bildung übrigbleibt? So allerdings wird Heisenberg das sicherlich nicht gemeint haben. Schließlich stammt der Spruch aus einer Rede zu einer 100-Jahrfeier eines Gymnasiums.

Im Kleingedruckten des Weihnachtsgrußes heißt es dann: „Die Herausforderungen unseres Alltags werden komplexer und wandeln sich immer schneller.“ Was ist davon zu halten? Nun, übersetzen wir ›Herausforderungen‹ nach alter Väter Sitte (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) durch ›Probleme‹ und definieren wir ›Problem‹ mit Dietrich Dörner als ›Soll/Ist-Diskrepanz mit momentaner Transformationsbarriere‹ (vgl. dazu etwa Mo 22-03-21 Plan, Prognose, Plausibilität). Etwas ist nicht so, wie es sein soll, und wir haben keine Ahnung, wie wir das auf die Schnelle ändern könnten. So hat das ganze gleich mehr Witz. Umschreiben wir schließlich ›komplex‹ noch mit ›Ich blicke nicht mehr durch‹, dann macht das alles auch noch richtig Sinn.

Auch sind Wendungen wie „unser Alltag“ (als womöglich lieb gemeinter Pluralis communitatis bzw. Gemeinschaftsplural) rein stilistisch natürlich immer etwas bedenklich. Bei Bolle jedenfalls regt sich da sofort ein gewisser Reaktanz-Reflex. Das äußert sich so, daß er ganz humorlos meint: Mich wollt ihr damit ja wohl nicht meinen. Laßt mich doch mit Eurem Alltag in Frieden. Macht das bitteschön mit Euch selber aus. Von manchen Konzepten nämlich hält sich Bolle tunlichst fern. Und Alltag ist eines davon.

Weiter heißt es im Text: Bildung hört nie auf. Das paßt jetzt aber wirklich rein gar nicht mehr zu Heisenbergs Umschreibung. Versteht man unter ›Lernen‹ einen Prozeß (im Sinne von ›Veränderung in der Zeit‹), dann kann hier nur „Lernen hört nie auf“ gemeint sein. Alles andere wär‘ wirklich witzlos.

Was will Bolle damit sagen? Wenn man dermaßen liederlich mit Wörtern umgeht, dann muß man sich nicht wundern, wenn die Welt, in der man sich befindet, in der Tat immer „komplexer“ wird und man immer mehr das Gefühl entwickelt, überhaupt nicht mehr durchzublicken. ›Überhaupt nicht mehr‹ heißt dann gemeinhin „hochkomplex“. Das aber liegt womöglich nicht vornehmlich an der Welt, sondern eher am Zustand des eigenen Hirns. Womit wir bei den Glühwürmchen (Homines candentes vulgares) wären. Aus der Sicht des Homo cogitans ein äußerst betrüblicher Zustand. Völlig witzlos, das – und wohl wirklich nur noch mit Humor zu nehmen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 06-04-21 Kompaß alle?

Leonardos Bilder.

Ab heute wollen wir ja Ostern hinter uns lassen und uns wieder weltlicheren Themen zuwenden. In allem Ernst. „In allem Ernst“ – diese Wendung hat Bolle allen Ernstes gestern abend in einer Qualitäts-Nachrichtensendung aufschnappen müssen. Machen wir uns nichts vor: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Bastian Sick wußte das schon 2004. Aber was will man machen in einer Welt unterschwelliger Analphabeten, die sich längst angeschickt haben, „barrierefreies“ Lesen und Schreiben zur Kardinaltugend zu erheben?  Und der Genitiv ist nun mal so was von ganz und gar nicht barrierefrei. Doch das nur am Rande.

Wenn Leonardo vom Menschen als Augenwesen spricht, der das Bild brauche, hat er das vermutlich wörtlich gemeint: Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. Daneben gibt es allerdings auch sprachliche Bilder – namentlich Topoi, Metaphern und nicht zuletzt auch Gleichnisse.

In jüngerer Zeit finden sich aber zunehmend auch sprachliche Zerrbilder. Bolle spricht hier gern von »Blubbersprech« und versteht darunter amorphe verbale Gebilde, deren vornehmste Eigenschaft es ist, völlig formbefreit und sinnentleert zu sein. Amorph eben.

Das vielleicht hübscheste Beispiel aus den letzten Tagen ist die Klage, man habe die Chance verpaßt, den Kompaß auf Zukunft zu stellen. Weder ist Bolle klar, was ein Kompaß mit Zeit zu tun haben soll, noch, seit wann Kompasse „gestellt“ werden. Uhren können gestellt werden, gegebenenfalls auch Weichen. Wobei eine Wendung wie „Weichen auf Zukunft stellen“ schon ins Grenzwertige lappen würde. Aber Kompasse? Geht gar nicht.

Allerdings ist nichts so dumm, daß es nicht doch zu etwas gut sein könnte – etwa als Anregung zu Bolles lustigem Blubbersprech-Generator. Eine handvoll Substantive – also etwa Kompaß, Batterie, Uhr, und Weiche –, und eine handvoll Verben – wie zum Beispiel allemachen, stellen, ausrichten – reichen für den Anfang völlig aus. Damit können wir nicht nur Kompasse stellen, sondern auch Uhren ausrichten, oder Weichen, oder all das schlichtweg allemachen – anstatt nur Batterien. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Bei Bedarf müssen wir einfach nur die Listen verlängern – und schon geht’s munter weiter mit dem Blubbersprech. Die Kombinatorik mit ihren schier unerschöpflichen Möglichkeiten ist auf unserer Seite.

Bolle findet übrigens, daß Blubbersprech als verbaler Überbau zu gefühlter Demokratie paßt wie die Faust aufs Auge. Vielleicht ist es daher so erfolgreich und beliebt. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.