So 14-03-21 Licht am Ende der Trasse?

Licht am Ende der Trasse.

Dieser Tage wurde uns von höchster wissenschaftlicher Stelle verkündet, wir befänden uns, was Corönchen angeht, im letzten Drittel eines Marathons, und das sei bekanntlich das schwerste. Bolle meint: Na denn. Der Mann ist Wissenschaftler. Der muß es ja wissen.

Rechnen wir mal nach und gehen dabei davon aus, daß der „Marathon“ der Einfachheit halber ziemlich genau heute vor einem Jahr angefangen hat. Und nehmen wir an, daß das „letzte Drittel“ gerade eben erst begonnen habe. Sich „im letzten Drittel“ zu befinden, könnte ja durchaus auch heißen, daß man unmittelbar vor der Ziellinie steht. Aber das war sicherlich nicht gemeint von höchster Stelle. Demnach hätten wir also weitere sechs Monate „Marathon“ vor uns und würden die Ziellinie Mitte September erreichen. Na toll!

Dumm nur, daß Mitte September in unseren Breiten üblicherweise der Herbst beginnt: Grippezeit! Bolle findet es eher unwahrscheinlich, daß sich Corönchen ausgerechnet dann geschlagen geben wird. Aber wenn wir bis dahin doch alle „durchgeimpft“ sein werden? Vermutlich ist das gemeint. Von möglichen Mutanten, die nach dem „Hase und Igel“-Prinzip durchaus schneller sein könnten als die noch zu entwickelnden Vakzine, wollen wir hier einmal absehen. Reine Spekulation!

Schwerer wiegt folgendes: Es gibt Sportarten, die werden auf Zeit gespielt. So dauert ein Fußballspiel 90 Minuten, plus meist ein wenig Verlängerung und ggf. Nachspielzeit. Hier läßt sich also durchaus abschätzen, ob man sich „im letzten Drittel“ befindet oder nicht. Bei anderen Wettkampfarten, wie etwa Tennis, ist das aber nicht der Fall. Hier wird ergebnisorientiert gespielt – man braucht, um zu gewinnen, soundso viele Sätze Vorsprung vor dem Gegner. Das hat Konsequenzen. Das kürzeste offizielle Match, das Bolle bekannt ist, hat zum Erstaunen der Fachwelt nicht einmal eine halbe Stunde gedauert, das längste in einem Grand-Slam-Finale der Herren über 11 Stunden. Hier von irgendwelchen „Dritteln“ zu reden, in denen man sich befinden mag, ist demnach völlig sinnlos. Es dauert, solange es dauert.

Und? Wie ist es bei einem Marathon-Lauf? Hier wird sozusagen „auf Raum“ gespielt. Wir haben es weder  mit einer Spielzeit zu tun wie beim Fußball noch mit einem Spielstand wie beim Tennis. Es geht schlicht und ergreifend darum, die 42.195 Meter hinter sich zu bringen – und das möglichst schnell.

Und? Was hat Corönchen mit einem Marathonlauf zu tun? Nach allem rein gar nüscht. Es gibt keine Ziellinie – so sehr sich mancher die auch wünschen mag. Corönchen gleicht eher einem Tennismatch – und kann dabei, um im Bild zu bleiben, ein halbes Jahr dauern oder eben auch 11 Jahre. Aber laßt uns nicht hysterisch werden.

Was richtig schwer wiegt: Wir kennen aus der Sozialpsychologie den sogenannten »Halo-Effekt« als eine von mehreren möglichen Formen von Wahrnehmungsverzerrung. Der unmittelbare Eindruck, den eine Person (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf uns macht, umgibt die Person wie ein sozialpsychologisches „Kraftfeld“. Wer beim ersten Eindruck attraktiv wirkt, charmant ist und auch redegewandt, hat bei uns üblicherweise schon mal einen Stein im Brett und gute Chancen, mit allem, was er sonst so bringen mag, auf sprichwörtlich offene Ohren zu stoßen. Im Grunde ist das die Kernkompetenz aller Blender und Betrüger – was umgekehrt natürlich nicht heißen muß, daß jeder, der charmant rüberkommt, ein Blender oder Betrüger ist. Wichtiger ist die Feststellung, daß das „Kraftfeld“ auch nach hinten losgehen kann: Wer at first glance mit Unsinn um die Ecke kommt, hat’s schwer.

Wenn also einer herkommt und Corönchen mit einem Marathonlauf vergleicht statt mit einem Tennismatch, so führt das, zumindest bei Bolle, sofort und unmittelbar zu schwerem Punktabzug. Bolle glaubt so einem erst mal gar nichts mehr und wittert allenthalben Unrat. Das mag bei vertiefter Betrachtung unhaltbar sein und ungerecht, ist aber erst mal so – und letztlich auch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 02-03-21 Schreibblockade im Wissenschaftsgetriebe?

Schreibblockade im Wissenschaftsgetriebe.

Wir müssen noch mal auf den Wissenschaftsbetrieb zurückkommen. Gestern ging es darum, daß das akademische Jungvolk vom System getrieben wird, viel zu schreiben, wenn es nicht im Gewusel untergehen will. Im Zweifel also Masse statt Klasse. Das war übrigens nicht immer so. So hatte sich Carl Friedrich Gauß, einer der produktivsten Mathematiker aller Zeiten – der übrigens schon zu Lebzeiten Princeps Mathematicorum, also Fürst der Mathematiker, genannt wurde – folgendes zum Wahlspruch gemacht: Pauca, sed matura (Weniges, aber Reifes). Kann man sich einen Gauß mit Schreibblockade vorstellen? Schwerlich. Nun kann natürlich nicht jeder ein Gauß sein. Aber es muß ja auch nicht jeder seinen Senf dazugeben wollen zum Fortschritt der Wissenschaften. Schon Cato der Ältere (234–149 v. Chr.) hat es auf den Punkt gebracht: Rem tene – verba sequentur. Halte Dich an die Sache. Die Worte werden dann schon folgen. Bolle sieht das übrigens ganz ähnlich, wenn er seinen Studenten die Trias »Idee/Plot/Resümee« nebst Gedankenskizze nahelegt. Für Schreibblockaden bleibt da wenig Raum. Wenn man aber keine Idee hat? Dann gibt’s auch nichts zu schreiben. Komplizierter ist es an dieser Stelle wirklich nicht.

Wenn man aber schreiben muß – und zwar möglichst viel –, um im Getriebe weiterzukommen? Dann stimmt was mit dem Getriebe nicht – oder mit den Rädchen, die sich darin befinden. Bolle hat es immer wieder erlebt, daß Studenten (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), die in Klausuren eine durchaus gute Figur gemacht haben, bei Seminar- und Abschlußarbeiten richtig abgekackt haben. Wie kann das sein? Anfangs war Bolle ratlos. Dabei liegt die Antwort nahe: Für eine Klausur zu lernen ist im Grunde konsumtiv – man muß sich den Stoff einfach nur in den Kopp kloppen. Einen sowohl gehaltvollen als auch geschmeidigen Text zu verfassen ist dagegen produktiv – ein schöpferischer Akt –, den man bestenfalls üben, aber niemals auswendig lernen kann.

Dazu kommt allerdings noch ein weiteres, ganz anders gelagertes Problem. Die Rädchen im Wissenschaftsgetriebe kommen oft überhaupt nicht dazu, Ideen zu entwickeln, weil man dafür einen freien Kopp braucht – und vor allem auch Zeit, einiges an Zeit. Und wer hat die schon, wenn pausenlos jemand mit der sprichwörtlichen Stoppuhr neben einem steht und auf die Erledigung des jeweils nächsten aktuellen „Projektes“ drängt? Hier schimmert sie übrigens unangenehm durch, die „Alles ist möglich“-Hybris (vgl. dazu etwa Fr 18-12-20 Das achzehnte Türchen …). Kurzum: „Man kann die Kreativität nicht aufdrehen wie einen Wasserhahn. Man muß in der richtigen Stimmung sein“, wie Calvin einmal deklamiert hat. In welcher Stimmung?, wollte Hobbes wissen.  „Torschlußpanik.“ Das ist natürlich auch eine Möglichkeit – allerdings dann doch schon wieder auch ein anderes Kapitel.

Mo 01-03-21 Keine Besserung in Sicht?

Keine Besserung in Sicht.

Was meinst Du, Bolle? Wollen wir darauf eingehen? Oder besser jar nich ignorieren? Zwei Gründe sprechen für eine kurze Einlassung. Erstens kam es heute morgen richtig dicke, und zweitens hat sich, wie’s scheint, in den letzten 20 Jahren wenig zum Besseren gewendet – eher im Gegenteil.

Auf ›Wissen Drei‹, der Online-Hochschul-Plattform der ZEIT, findet sich ein Beitrag zum Thema „Besser promovieren“. Da geht’s schon los. Nein: man „promoviert“ nicht – man wird promoviert. Passiv! Vielleicht erhellt sich das besser, wenn wir ›promovieren‹ ausnahmsweise mal eindeutschen, statt umgekehrt. Nun, ›promovieren‹, von lat. promovere ›vorwärts bewegen‹, heißt schlicht und ergreifend ›befördern‹. „Befördert“ aber wird man – und zwar von seiner Fakultät – aufgrund nachgewiesener Leistung in Form einer Dissertation nebst, im Regelfall, Verteidigung derselben im Rahmen eines Fachgespräches (vornehm: Disputation). Das ist das einzige, was ein armer Doktorand aktiv zu seiner Promotion beitragen kann.

Weiter erfahren wir an gleicher Stelle von der „schlechten Betreuung“ der Doktoranden. Bolle meint: Hey Leute, Ihr seid erwachsen! Ihr wurdet ein ganzes Studium lang mehr oder weniger gut „betreut“. Eine Doktorarbeit soll dem Nachweis der Fähigkeit zu eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit dienen. Is nix mit „Betreuung“ – jedenfalls nicht im Regelfall, vom allfälligen wissenschaftlichen Austausch mit dem Doktorvater (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einmal abgesehen.

Schließlich wird „hoher Publikationsdruck“ angemeckert. Bolle meint: Ihr wolltet’s doch nicht anders. Wer sich darauf einläßt, seine wissenschaftliche „Exzellenz“, wie es immer so schön hochtrabend heißt, über die schiere Menge seiner Veröffentlichungen messen zu lassen, der muß sich nicht wundern, daß der Publikationsdruck steigt. Wir haben es hier einmal mehr mit einem Nash-Gleichgewicht zu tun: Jeder muß auf Teufel komm raus publizieren, weil die anderen exaktemente das gleiche tun. Das absehbare Ergebnis? Goethe meinte, im West-östlichen Divan: „Getretner Quark // Wird breit, nicht stark.“ Bolle meint: So isset.

Dazu paßt, daß wir – immer noch an gleicher Stelle – erfahren, daß die Universität in Liverpool vorgesehene Entlassungen von Wissenschaftlern von deren Publikationsstärke (bzw. eher Publikationsschwäche) abhängig machen will – und das vornehm „Bibliometrie“ nennt. Bolle meint: Ja, was denn sonst? Wenn ein entsprechendes, im übrigen voll pseudo-objektives Kriterium für die Qualität der Forschung erst mal eingeführt ist, dann wird es früher oder später auch ge- bzw. mißbraucht.

Hätte man die Entwicklung wenigstens absehen können? Leider Ja. Wer mag, mag dazu den Text »Professorenbesoldung« lesen (Professorenbesoldung / Leistungsbewertung). An der Oberfläche geht es dabei um Besoldungsstrukturen – im Kern aber um Leistungsbewertung. Wohl kein ganz uninteressantes Thema in einer „Leistungsgesellschaft“. Der Text stammt aus der Frühzeit der Fehlentwicklung und ist nunmehr satte 20 Jahre alt. Die Ultra-Kurzfassung von nur 1 Seite findet sich in tabellarischer Form am Ende des Textes. Viel Spaß bei der Lektüre.

Und? Was machen die Betroffenen – also diejenigen, für die es sich demnächst ausgeforscht haben dürfte? Schreiben einen Protestbrief. Bolle meint: Erst denken, dann forschen. Und immer schön den Tellerrand im Blick behalten. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 27-02-21 Wahrheit ohne Klarheit

Wahrheit ohne Klarheit.

Neulich hat Bolle gehört, daß Corönchen in den USA jetzt schon mehr Tote „gefordert“ hat als der 2. Weltkrieg insgesamt. Krass. Ein glattes Faktum, das. Aber ist es auch „wahr“? Nun, nach Angabe des US-Veteranenministeriums belaufen sich die Weltkriegs-Toten auf 405.399. Die Corönchen-Toten dagegen belaufen sich auf bislang 507.800. Also wahr. Aber sind die 405.399 Weltkriegs-Toten wahr? Möglich, aber unwahrscheinlich. Warum? Nun, je genauer eine Zahlenangabe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß irgendein Statistiker an irgendeiner Stelle irgendein Häkchen falsch gesetzt hat. Also „Fake News“? Strenggenommen Ja. Aber kommt es darauf überhaupt an? Natürlich nicht. Das aber ist keine Frage der Fakten – es ist eine Frage der Einordnung.

Was Bolle damit sagen will: Selbst auf der Ebene schlichter, unverbundener Zahlen kommen wir ohne Einordnung nicht aus. Die „nackten Fakten“ vermitteln allenfalls eine erste, ungefähre Orientierung – und bedürfen dringend der Interpretation. Interpretation aber ist eine höhere kognitive Funktion, eine Kunst geradezu, und mit keinem Taschenrechner der Welt zu bewältigen. Die Wahrheit läßt sich nun mal nicht ausrechnen.

Noch bedenklicher wird es, wenn wir nicht auf der Ebene schlichter, unverbundener Zahlen bleiben, sondern zum Beispiel den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen absoluten vs. relativen Zahlen einführen. Hier ergibt sich, daß bislang nur (?) 1,5 Promille der Amerikaner wegen Corönchen verschieden sind (507.800 geteilt durch 328 Millionen). Dem 2. Weltkrieg dagegen sind doppelt so viele, nämlich 3,0 Promille, zum Opfer gefallen (405.399 geteilt durch damals 132 Millionen). Wahr oder nicht wahr? Offenkundig wahr – paßt aber nicht zu unserem Ergebnis von oben. Was nun? Was tun? Wir kommen nicht drum rum: Schon wieder müssen wir einordnen bzw. interpretieren.

Mit den reinen „Fakten“ kommen wir keinen Schritt weiter. Und dabei haben wir erst die Ebenen „schlichte, unverbundene Zahlen“ bzw. „absolute vs. relative Zahlen“ abgehandelt – also voll die Froschperspektive.

Wie steht es um die „nackten Fakten“, wenn wir Attribution ins Spiel bringen – also die Neigung des menschlichen Gehirns, den Tatsachen Ursachen zuzuschreiben? Auch hierfür hat Bolle ein passendes Beispiel gefunden. In einem Beitrag einer an sich seriösen Zeitung heißt es, der Corönchen-Overkill, also der Zeitpunkt, da die Corönchen-Toten die Weltkriegstoten überschritten haben, sei justamente auf den Amtsantritt von Joe Biden gefallen. Fakt oder Fake? Könnte man als Fakt durchgehen lassen. Allerdings müßte man dann alles, was wir bislang gesehen haben, nonchalant ausblenden. Umgekehrt könnte man es also auch als subtile Form von Trump-Bashing durchgehen lassen. Das wäre nicht weniger wahr.

Richtig dumm wird es indes, wenn wir, viertens, „interessengeneigte Wahrheit“ ins Spiel bringen. Auch das ist alles andere als neu. Francis Bacon hat sich schon 1620, also vor nunmehr 400 Jahren, einschlägig geäußert: „Intellectus humanus luminis sicci non est; sed recipit infusionem a voluntate et affectibus, id quod generat Ad quod vult scientias.“ Übersetzen? Übersetzen. „Der menschliche Intellekt leuchtet nicht aus sich heraus. Vielmehr wird er von Wünschen und Leidenschaften gespeist – was dazu führt, daß wir es mit ›Wissenschaft ganz nach Wunsch‹ zu tun haben.“ Kurz und knapp: Wissenschaft wie’s g’rade paßt. Entsprechend können wir „Ad quod vult veritas“ (wörtlich: Wahrheit, wie man’s gerne hätte) knapp mit: „Wahrheit ohne Klarheit“ übersetzen.

Kurzum: Die nackten Fakten könnt Ihr knicken. Nice to have und als Grundlage unverzichtbar – aber ohne Einordnung bzw. Interpretation in keiner Weise zielführend. Warum dann das ganze doch eher unreflektierte „Fakten eintakten“? Nun, jeder tut, wie er kann, meint Bolle. Die solidere Erklärung: Menschliches Orientierungsbedürfnis, eines der kognitiven Grundbedürfnisse. Lieber irgendeinen Plan haben als gar keinen. Wer mag, mag dazu den kurzen Beitrag unter Sa 16-01-21 Wirklich wahr? nachlesen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 22-02-21 Von Wissenschaft, Wahrheit und Wirkung

Von Wissenschaft, Wahrheit und Wirkung.

Heute gönnen wir uns mal wieder was leichteres zur Entspannung  – auch als praktischen Nachtrag zu unserem Thema von neulich (vgl. Sa 16-01-21 Wirklich wahr?). Aber es gibt nun mal Themen, die einen geradezu anspringen. Bei der heutigen Morgenlektüre hat Bolle erfahren, daß „alle zwölf Berliner Amtsärzte“ geschlossen darauf hingewiesen haben, daß die gemessenen „Inzidenzen“ nicht nur davon abhängen, wie viele Leute sich frisch infiziert haben, sondern auch davon, wie viele Leute sich testen lassen – und damit lange nicht so aussagekräftig sind, wie wir das gerne hätten. Kiek ma eener an. Als Donald Trump sich vor einiger Zeit ganz ähnlich geäußert hatte, war voll der Teufel los. Warum dann tagtäglich die tagesgenaue massenmediale Vermittlung der Werte? Bolle meint: Das soll so wirken, als habe man, wenn schon nicht Corönchen an sich, so doch zumindest „die Daten“ im Griff. Und dann so was. Das zieht dem Orientierungsbedürfnis – einem der vier kognitiven Grundbedürfnisse und damit essentiell für das seelische Wohlbefinden – doch glatt den Boden unter den Füßen weg. Ja, dürfen die das denn?

Wir hätten diesen Punkt vielleicht gar nicht erwähnt – hätte da nicht ein Hamburger Wissenschaftler ein 105-seitiges Thesenpapier veröffentlicht, das einen Laborunfall in Wuhan als Ursache der Corönchen-Pandemie nahelegt. Ja, darf man das denn als Wissenschaftler? Eine abweichende Meinung vertreten und damit das Orientierungsbedürfnis der Leute erschüttern? Die Leute erwarten von der Wissenschaft die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Dumm nur, daß Wissenschaft so nicht funktioniert. Wissenschaft ist, auf den Punkt gebracht, ein Wettbewerb um Wahrheit (neudeutsch: ein Trial-and-Error-Prozeß), der naturgemäß mehr Versuch und mehr Irrtum hervorbringt als abschließende Wahrheiten. Und? Was kommt pressevermittelt beim Volk an? „Hört auf die Wissenschaft“ – die haben die Weisheit mit Löffeln gefressen. Bolle meint: Hört, hört. Und so wird auch unverzüglich die unzureichende „Wissenschaftskommunikation“ der Uni Hamburg angemeckert. Im Grunde läuft das auf das Ansinnen hinaus, dem Volk nur wirkliche, abschließende Wahrheiten zu servieren – möglichst mainstream-kompatibel. Allerdings liegt es im Wesen der Wissenschaften, daß damit bis auf weiteres nicht zu rechnen ist. Dumm, das.

Das letzte Beispiel für heute: Die Energie-Effizienzklassen, etwa von Kühlschränken, sollen von inflationären A + + + für die beste Einstufung auf eine Skala von A bis G umgestellt werden – wobei A für die schlechteste und G für die höchste Energie-Effizienz stehen soll. Bolle meint: Ist aber auch verwirrend. Wo sind eigentlich die Marketing-Experten und Sprach-Designer, wenn man sie mal braucht? Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 17-02-21 Na, und denn — ?

Na, und denn — ?

Die Textstelle stammt aus Kurt Tucholskys bitter-süßem Gedicht »Danach«. Das ist auch schon wieder 90 Jahre her bzw. für alle, die kleine Zahlen und große Einheiten lieber haben, drei Generationen. Ja, passiert denn nie was wesentliches auf der Welt? Und so endet Tucholskys Gedicht auch recht nüchtern:

Der olle Mann denkt so zurück:
wat hat er nu von seinen Jlück?
Die Ehe war zum jrößten Teile
vabrühte Milch und Langeweile.
Und darum wird beim happy end
im Film jewöhnlich abjeblendt.

Vabrühte Milch und Langeweile. Herrlich. Bolle liebt es, wenn Dichter die Dinge auf den Punkt bringen. Zur Zeit tun wir so, als sei Corönchen – ein Begriff, der vielen nur als Determinativ-Kompositum und ohne Diminutiv, also ›Corona-Pandemie‹ über die Lippen gehen will – eine Ausgeburt des Leibhaftigen. Also nüscht wie weg – und zwar so schnell wie möglich.

Auch über den Weg zum „weg“ herrscht Einigkeit. Wir haben das an anderer Stelle einmal »Humans go Borg« genannt (vgl. Sa 09-01-21 Und? Wie geht’s weiter?). Na, und denn – ? Denn kieken wa ma. „Back to normal“ heißt die Devise. Which normal?, fragt sich Bolle. Aus den corönchenbedingten Staatsschulden wollen wir, wenn man den Verlautbarungen Glauben schenken darf,  mir nichts dir nichts mal eben „rauswachsen“. Na toll. Die Umwelt läßt grüßen – und Perspektive geht irgendwie anders.

Bolle hat es vor einiger Zeit unternommen, eine Liste zu erstellen mit allem, was uns seit längerem schon plagt, und ist dabei auf schlanke 19 Punkte gekommen. Auf zwei, drei Punkte mehr oder weniger kommt es hier nicht an. Das klingt im Grunde noch beherrschbar – geht aber wohl nicht ohne Plan. Hier Bolles abgespeckte Liste, gekleidet in drei grundlegende Fragen:

Erstens: Wie kann es sein, daß die Weltbevölkerung in toto so wenig kreislaufkritisch ist?  Die hervorstechendsten Punkte sind hier vor allem der Atommüll und, weit abgeschlagen, der Plaste-Müll. Zweitens: Wie kann es sein, daß die Weltbevölkerung in toto ernstlich glauben kann, daß dieser Planet Platz für 8 Milliarden Erdenbürger bietet? Und drittens: Wie können wir glauben, daß sich die zu lösenden Probleme auf dem Wege von Mehrheitsentscheidungen werden lösen lassen – wo uns doch die Nash-Gleichgewichte (übrigens ein weiterer Punkt auf Bolles Liste) regelrecht ins Gesicht springen? Wir werden darauf zurückkommen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 29-01-21 Humor und Haltung

Humor und Haltung.

Ich war zu meiner Zeit ziemlich berühmt. Manche haben sogar meine Bücher gelesen. Diese Mischung aus Humor und Haltung bringen vorzugsweise Briten auf den Punkt. Zum besten gegeben hat das Stephen Hawking in einer von der BBC frisch ausgestrahlten Version vom »Anhalter durch die Galaxis«. (Ja, ja – der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Schon klar …). Das war am 8. März 2018 – sechs Tage vor Hawking’s Tod, by the way. Was soll man da sagen? Kult meets Kult, vielleicht. Der »Anhalter« selbst konnte 2018 seinen 40. Geburtstag feiern. And still going strong. Selbst Bolles Studenten haben eine zumindest vage Vorstellung davon.

Wie aber erlangt man eine solche Popularität? Und vor allem: Wie bringt man Leute dazu, sogar die Bücher zu lesen, die man schreibt? Hawking selbst soll im Vorwort seiner »Kurzen Geschichte der Zeit« angemerkt haben, daß ihn sein Verleger gewarnt habe: Jede Formel im Buch würde die Leserschaft glatt halbieren. Das muß vor 1988 gewesen sein. Allerdings hätte Hawking das wissen können. Schon 1951, also über 30 Jahre zuvor, hatte ein nicht weniger prominenter Kollege aus der OxCam-Connection, Bertrand Russell, in einer kleinen Ansprache zu »The Use of Books« die Befürchtung geäußert, daß zu viele Formeln wirklich zu viele abschrecken. Dabei ging es allerdings ausgerechnet um die »Principia Mathematica« (Russell / Whitehead 1910-1913). Aber Russell ahnte schon, was fehlt: Zu wenig „moral uplift“, also moralische Erbauung, im Standardwerk der Mathematik.

Und?, fragt sich Bolle. Was hat das mit mir zu tun? „Terror, Ficken, Hitler“ (so das Känguru in Marc-Uwe Klings einschlägigen Chroniken) einschließlich entsprechender Inhalte kann’s dann wohl ja auch nicht sein.

Das führt uns zu der Gretchenfrage für heute. Lesen Leute überhaupt noch? Oder sind sie vollauf damit beschäftigt, ihre Emails zu checken, Follower zu beglücken oder selber brav zu „folgen“ – oder auch nur die nächsthöhere Stufe in irgendeinem Daddel-Ding zu erklimmen? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 16-01-21 Wirklich wahr?

Wirklich wahr?

Nach den doch etwas härteren Beiträgen der letzten Tage hier was zur Entspannung. „Wahrheit“ entsteht regelmäßig als konsistenztheoretisches Bild im Kopf – und hat mit einer Ansammlung von „Fakten, Fakten, Fakten“ so gut wie gar nichts zu tun. Cervantes hat das vor nunmehr 500 Jahren trefflich auf den Punkt gebracht. Aber auch in jüngerer Zeit und aus streng wissenschaftstheoretischer Perspektive klingt das kaum anders – etwa bei Bertrand Russell in seiner ›Philosophie des Abendlandes‹ (1945):

Einfache Regeln nach der Formel „A ist die Ursache von B“ sind in der Wissenschaft wohl niemals zulässig, es sei denn in Form einer ersten Andeutung während der Anfangsstadien. Die Kausalgesetze, die in gut entwickelten Wissenschaften an die Stelle solcher einfachen Regeln treten, sind so kompliziert, daß niemand annehmen kann, sie seien durch Wahrnehmung gegeben; […] Sätze wie „A ist die Ursache von B“ sind immer unzulässig, und unsere Neigung, sie gelten zu lassen, erklärt sich aus Gewohnheits- und Assoziationsgesetzen.

Soweit zu „hört auf die Wissenschaft“. Ein wirklicher Wissenschaftler kriegt da glatt schlechte Laune. Um so erstaunlicher die Vehemenz, mit der sich die verschiedenen „Bilder im Kopf“-Fraktionen nach Art der Frösche (unterste Schublade, also) gegenseitig ihre „Fakten“ um die sprichwörtlichen Ohren hauen. Und? Was macht die Presse 2.0? Immer mittenmang dabei – wie Bolle (nicht unser Bolle, of course) seinerzeit in Pankow: Klare und unkaputtbare Vorstellungen, wie die Welt zu sein hat – darum spricht Bolle ja gerne auch von „Hypno-Presse“ – flankiert durch eine „überschaubare“ Zahl eingeschworener „Experten“, die uns in bester Berger/Luckmann-Manier beteuern, daß wir wohl die wirklichste aller möglichen Welten bewohnen – Wahrheit inklusive.

Hinzu kommt das voluntative Element: Das Sein (und nicht etwa die „Fakten“) bestimmt das Bewußtsein  – und damit auch das Wahrheitsempfinden. Aber das – wie könnte es auch anders sein? – ist schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 15-01-21 Von Tischen und Stühlen

Von Tischen und Stühlen.

Versuchen wir es zunächst mit höchst trivialen, weil definitorischen Aussagen – bei denen eigentlich nichts schief gehen kann. Ein Stuhl ist ein Stuhl. Ein Tisch ist ein Tisch. Ist das so? Definitiv. Kann man das so sagen? Man kann nicht nur – man muß. Ansonsten stünde es finster um den Fortschritt der Wissenschaften. Darf man das so sagen? Diese Frage hat mit Wissenschaft – also mit Ist-Aussagen – rein gar nüscht zu tun. Was dann? Hierbei handelt es sich um eine Frage der Ethik im weiteren Sinne – also um eine Soll-Aussage. Und Soll-Aussagen sind mit Ist-Aussagen definitiv inkompatibel. Allein, daß man im 21. Jhd. – also 280 Jahre nach David Hume’s Treatise of Human Nature – eigens darauf hinweisen muß, ist bei Lichte betrachtet ein Skandal an und für sich.

Nun wird sich sein Stuhl kaum wegen „Diskriminierung“ beschweren, wenn man ihm die Eigenschaft, ein Tisch zu sein, abspricht. Legen wir also sozialpsychologisch ein wenig nach und postulieren: Ein Schwarzer ist schwarz. Ein Weißer ist weiß. Hierbei handelt es sich immer noch um rein definitorische Aussagen, die wissenschaftlich gesehen überhaupt nicht falsch sein können – es sei denn, man wollte um vermeintlich höherer Ziele willen die Wissenschaften in Bausch und Bogen über Bord werfen. Was nun, wenn sich ein Schwarzer deswegen „rassistisch diskriminiert“ fühlt? Oder ein Weißer? Daß sich da jemand finden wird, kann als sicher gelten. Obwohl: einen kleinen Bias sieht Bolle schon: Wenn ein Weißer sich „rassistisch diskriminiert“ fühlt, macht er sich lächerlich. Wenn ein Schwarzer das gleiche verlautbaren läßt, gilt er als Vorkämpfer für eine bessere Welt. Doch das nur am Rande. Nun – falls sich jemand diskriminiert fühlen sollte, müßten wir uns entscheiden, ob wir der Logik (wahr oder nicht wahr?) oder der Ethik (darf man oder darf man nicht?) den Vorrang einräumen wollen. Der Zeitgeist steht auf Ethik – zu Lasten der Wissenschaft.

Was hat das alles mit uns zu tun? Nun – Martin Sonneborn, einer der beiden einzigen Vertreter der Partei „Die PARTEI“ im EU-Parlament, wurde dieser Tage „Opfer“ der Ethik-Präferenz. Anscheinend hatte er darüber gewitzelt, daß Asiaten kein „R“ aussprechen können. Bolle meint: Na und? Ick selber kann ooch keen „R“ aussprechen – jedenfalls keen spanisches. Falls jemand darauf hinweist – muß ick mir dann rassistisch diskriminiert fühlen? Der einzige weitere Abgeordnete der PARTEI, der Kapuziner-Komiker Nico Semsrott, jedenfalls fühlte sich – wenn auch nur stellvertretend – rassistisch betroffen. So betroffen, daß er meinte, umgehend aus der PARTEI austreten zu müssen – und ihre Repräsentanz im Hohen Hause damit glatt zu halbieren. Maximale Konsequenz bei minimalem Anlaß, also – und eine klare Ethik-Präferenz zu Lasten der Wahrheit. Noch konsequenter indessen hätte Bolle es gefunden, wenn er sein Mandat – und damit super-leicht verdientes Geld –  gleich mit niedergelegt hätte. Aber so weit ging die Empörung dann offenbar doch nicht.

Und? Was macht Sonneborn? Abschwör’n, abschwör’n – ganz wie im späten Mittelalter (Galileo, Luther, jeweils nur fast, und noch viele andere mehr …).

Und was macht die Presse? Jubelt das ganze zum „Sonneborn-Eklat“ hoch – und wundert sich, daß sie niemand mehr ernst nehmen mag. No sence of science no sense of humor – no sense of political awareness. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 12-01-21 Jedem Böhnchen sein Corönchen

Jedem Böhnchen sein Corönchen.

Bei der heutigen Überschrift handelt es sich offenkundig um eine Melange aus „Jedem Tierchen sein Pläsierchen“ und „Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen“. Zugegeben – ein wenig gaga ist das schon. Indes: Bolle gefällt’s. Und überhaupt: gilt das nicht für das gesamte Themenfeld?

Da werden uns seit mittlerweile fast einem Jahr Tag für Tag alarmistische Meldungen um die Ohren gehauen – stets garniert mit dem Hinweis, daß es schwierig sei, die Daten zu interpretieren. Ähnliches – und ähnlich überflüssiges – kennt man sonst nur von der Arbeitslosenstatistik und von den allabendlichen Börsenkursen. Hört, hört!

Halten wir es also mit Carl Friedrich Gauß und verzichten wir auf eine übertrieben genaue Rechnung. Wie stehen die sprichwörtlichen Aktien?

Zur Zeit gibt es, falls die Daten überhaupt irgendeinen Taug haben,  weltweit 2 Millionen Tote, die Corönchen zugeschrieben werden („durch oder mit“) – bei 91 Millionen „Fällen“. Das entspricht einer Letalität von 2/91, mithin also 2,2% bzw. beachtlichen 22‰. Bezogen auf die Weltbevölkerung bedeutet das: 2 Millionen durch 8 Milliarden, mithin also (nur) 2,5‰. Das ist gerade mal ein hundertstel! Wie läßt sich eine solch krasse Abweichung – die jeden ambitionierten Wissenschaftler unversehens in akademische Aus katapultieren würde – erklären? Eigentlich nur dadurch, daß – weltweit gesehen – nur jeder hundertste „Fall“ als solcher auch in der Statistik auftaucht. Und der Rest? Symptomlose bzw. harmlose Krankheitsverläufe, die nie ein Arzt zu Gesicht bekommt, und die folglich auch nie als solche erfaßt werden.

In Deutschland übrigens haben wir es mit 40.000 Toten bei etwa 80 Millionen Leuten zu tun. Das entspricht einer Letalität von 0,5‰. Sie liegt damit in etwa doppelt so hoch wie die weltweite Letalität. Liegt das nun daran, daß es sich in Deutschland leichter stirbt – oder liegt es nicht doch eher daran, daß in Deutschland mehr „Fälle“ erfaßt werden – einfach deshalb, weil die Möglichkeit und die Bereitschaft, zum Arzt zu rennen und sich testen zu lassen, sehr viel größer ist? Bolle würde letzteres durchaus einleuchten.

Oder nehmen wir Belgien. Hier liegt die gemessene Letalität bei 1,7‰ – also mehr als drei mal so hoch wie in Deutschland. Liegt das nun daran, daß übertriebener Pommes-Konsum das Immunsystem dann doch übermäßig schwächt? Oder liegt es nicht doch auch hier wieder an der überdurchschnittlichen Möglichkeit und Bereitschaft, sich testen zu lassen? Bolle würde wiederum letzteres einleuchten wollen.

Kurzum: So, wie’s aussieht, sagen die Daten mehr über den Zustand der jeweiligen Gesundheitssysteme aus als über die jeweilige Corönchen-Lage. Fazit? Solange Ihr so wenig Durchblick habt: bleibt uns doch bitteschön mit Eurer Himpfstoff-Hysterie vom Halse. Mag ja sein, daß man so das Volk verschüchtern kann. Aber jemanden wie Gauß? Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.