Do 11-12-25 Das elfte Türchen: Hirnschmalz und Humor

Der Absatz vom Schuh vom Kanu vom Manitu.

Zugegeben: so richtig weihnachtlich ist auch unser heutiges Türchen nicht. Allerdings meint Bolle, ein bißchen was zum Kontemplieren, zumindest aber doch zum Reflektieren, könne wohl kaum schaden – auch nicht in der Weihnachtszeit.

Bolle hatte sich seit Oberstufenzeiten schon gefragt, woher es wohl kommen könne, daß exaktemente genau die Leute, die Bolle in durchaus etwas arroganter Manier – gleichwohl aber mit einem gerüttelt Maß an Demut, of course  –  für ein wenig denkbehindert hält, sich gleichzeitig durch eine augenfällige Humorlosigkeit auszeichnen. Gibt es womöglich einen verborgenen, nachgeradezu okkulten gar, Zusammenhang zwischen Hirnschmalz und Humor?

Wie das Leben so spielt, hat es Bolle neulich die Programmabkündigung für ›Das Kanu des Manitu‹ (D 2025 / Regie: Michael ›Bully‹ Herbig) – einem, wie soll man sagen, Aufguß von ›Der Schuh des Manitu‹ (D 2001) – in die Timeline gespült. Das Original gilt immerhin als einer der erfolgreichsten deutschen Filme seit 1945. Was den Humorgehalt der beiden Streifen angeht, möchte Bolle lieber stille schweigen, of course.

Ganz großes Kino dagegen ist das zu unserem Bildchen gehörige Statement der Betreiber. Dort heißt es, man nehme den Film aus dem Programm, da es sich dabei um eine kulturelle Aneignung handele, die im übrigen auch nicht mehr zeitgemäß sei. Bolle meint ja immer, ›nicht zeitgemäß‹ sei das neue ›nicht gottgefällig‹, mit dem Pfaffen aller Couleur ihre Schäfchen jahrhundertelang zur Ordnung gerufen haben. Auch entschuldige man sich für eventuelle emotionale Verletzungen, die sich womöglich bereits durch den Trailer oder das bloße Lesen des Filmtitels gar ergeben haben könnten.

Allen Ernstes. So steht das da. Bekanntlich ist das gemeine Hülsenfrüchtchen ja sowas von sensibel. Weiterhin heißt es, man verstehe sich als sicheren Raum – schon wieder so ein humoriges Highlight – in dem keine, so wörtlich, unbeaufsichtigte Pointen geduldet würden.

Eine ›unbeaufsichtigte Pointe‹. Da muß man erst mal drauf kommen. Ganz großes Kino, wie gesagt. Daß in der Abkündigung vom ›Kanu des Manitou‹ statt, wie der Filmtitel nun mal heißt, vom ›Kanu des Manitu‹ die Rede ist, sei nur am Rande erwähnt – kann Bolles Verdacht einer möglichen kognitiven Mangellage aber nur unterfüttern. Doch laßt uns nicht kleinlich sein. Irren ist nun mal menschlich.

Roger Köppel, der große Journalist der kleinen Schweizer Zeitung, hat in diesem Zusammenhang für einen Anstoß gesorgt, als er meinte, jedweder Humor benötige eine gewisse Fallhöhe. Wenn aber der Geist der Zeiten will, daß alles und ein jegliches (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) per se unterschiedslos gleich zu sein habe – Bolle würde das im Ergebnis glatt ›niveaulos‹ nennen –, dann sei es eben Essig mit Fallhöhen jedweder Art – und damit auch mit Humor. Das übrigens würde umstandslos erklären, warum auf die Spitze getriebener Sozialismus – hier im Sinne von ›Gleichmacherei‹ – notwendigerweise humorlos sein muß. Ob er daneben auch noch witzlos ist, sei hier mal dahingestellt.

Kurzum: Macht alles platt, was sich in irgendeiner Weise abhebt: Nein, nein, nein – das darf nicht sein. Und wenn es schon nicht so ist, dann tut wenigstens so. Alles andere wäre schließlich diskriminierend (wörtlich – und entlarvend harmlos: ›unterscheidend‹) und könnte so manch Sensibelchen doch arg verdrießen in seiner durchplanierten Welt. Das durchzuhalten ist zwar wenig praktikabel – aber immerhin ist es humorlos. Und was tut man nicht alles für ein besseres Universum? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 10-12-25 Das zehnte Türchen: Langmut und Latenz

Hülsenfrüchtchens Hauptproblem − eines von ganz vielen …

Eigentlich sollte das heutige Schildchen ja schon in unseren agnostisch-kontemplativen Adventskalender vor zwei Jahren Eingang finden. Allein: ars longa vita brevis – lang ist die Kunst, kurz der Kalender. Diesmal aber paßt es aufs Feinste zu unseren Türchen der letzten Tage: Wer nicht schreit, der geit – wie wir uns veranlaßt gesehen hatten festzustellen. Zwar gilt lautes Lärmen nicht gerade als wissenschaftliche Kardinaltugend. Allein die Verhältnisse sind nun mal so.

Und soll nicht auch Martin Luther (1483-1546) schon, eine seiner vielen Reden einleitend, proklamiert haben: ›Mach’s Maul auf, tritt fest auf, hör bald auf‹? Namentlich die ersten beiden dieser Punkte scheinen sich bei manchem Wissenschaftler ins kollektive Credo eingefressen zu haben.

Bolle hatte sich als Oberstufenschüler schon gefragt, wie es sein kann, daß manche Wissenschaften, allen voran die Physik, von Erfolg zu Erfolge eilen, während andere Disziplinen – allen voran zum Beispiel Erziehungswissenschaften, Soziologie, und manches andere mehr – hilflos auf der Stelle oszillieren. Genderforschung und dergleichen – doch dies nur am Rande – gab’s damals noch nicht. Mehr als ephemere Moden vermochte Bolle in derlei schon damals nicht zu erkennen. Und daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: schlimmer geht immer.

Woran wird’s wohl liegen? Heute unterscheidet man in Bolles Kreisen streng zwischen Repro- und Non-Repro-Disziplinen. Dabei sind Repro-Disziplinen solche, in denen man so lange und so hartnäckig ein und dieselbe Frage an die Natur stellen kann, bis sie geneigt ist nachzugeben. Wenn also jemand – wie Galileo (1564–1642) das getan hat – eine Kugel so lange schiefe Ebenen verschiedener Neigungswinkel herunterrollen läßt, dann wird irgendwann klar, wie die Dinge sich verhalten. Und wer’s nicht glauben mag, der kann das gerne überprüfen. Kurzum: wir reden hier von kurzen Feedbackschleifen.

In den Non-Repro-Disziplinen ist das anders. Hier ist es praktisch unmöglich, ein und dieselbe Versuchsbedingung jemals wieder zu reproduzieren. Wenn also, um mal ein ausgesprochen tragisches Beispiel herauszugreifen, ein Karl Marx (1818–1883) meinte, wenn dies oder jenes geschehe, dann werde sich dies oder jenes ergeben. Kaum war die Tinte trocken, hatte sich die Welt schon weitergedreht – und alles war vergebens. Vanitas – eitler Schein! Alles, bis auf die Wirkungsmacht solcher Ideen. Heute, fast 200 Jahre später, meint so manches Hülsenfrüchtchen immer noch, da müsse doch was dran sein an der Lehre.

Natürlich soll Karl Marx nur exemplarisch sein, of course. Am Prinzip – tröten, ohne wirklich was zu wissen – ändert sich aber nichts, wenn zum Beispiel jemand behauptet, das Licht sei verantwortlich für die Insomnie bei Vollmond oder Ballaststoffe seien reiner Ballast. Das Prinzip ist gleich – nur die Wirkungsmacht ist nicht so drastisch.

Obwohl: wenn Bolle die geradezu kultische Hingabe betrachtet, mit der manche – sagen wir: Veganer – im Labor angerührte Plempe goutieren oder weite Kreise meinen, ein Jahrmillionen altes Immunsystem mal eben flott „optimieren“ zu können, ist er sich da gar nicht mal mehr so sicher, was die Wirkungsmacht angeht. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 09-12-25 Das neunte Türchen: Himmel und Erde

Sachen gibt’s …

In gewisser Weise hält Bolle einen kleinen Nachtrag zu unseren letzten beiden Türchen für angebracht: Schlafforscher, die nächtliche Insomnie bei Vollmondenschein mit der Helligkeit im Schlafgemach zu erklären versuchen, Ernährungsphysiologen, die Ballaststoffe erst für überflüssig halten und dann in höchsten Tönen hypen. Bolle findet: Is doch nicht seriös.

Grundsätzlich gesehen ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, daß Wissenschaft nicht alles weiß. So etwas erwarten wohl nur bildungsfernere Schichten. Bei Lichte betrachtet nämlich ist Nicht-Wissen sogar eine ihrer Existenzbedingungen. Sogar das Bundesverfassungsgericht hatte 1973 schon Wilhelm von Humboldts Wahrheitsbegriff als „etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“ zitiert, um dann später (1994) noch einmal zu bekräftigen: „Konstitutiv ist die Wahrheitssuche und die prinzipielle Unabgeschlossenheit des Erkenntnisprozesses.“ Total so!

Eine alte Professoreneinsicht dagegen besagt: Wer schreibt, der bleibt! In der angelsächsischen Variante klingt das noch drastischer: publish or perish – schreibe oder gehe unter!

Die modernisierte Variante dieser Einsicht scheint dagegen zu lauten: Wer nicht schreit, der geit. Dabei übersetzt sich das norddeutsche ›geit‹ mit ›gehen‹, aber auch mit ›sterben‹ oder eben ›untergehen‹. Schreien statt schreiben, also. Ob das aber eine gottgefällige Entwicklung ist, wagt Bolle schwer zu bezweifeln. Heißt es doch bei Jesaja, dem ersten der prophetischen Bücher des Alten Testaments: Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. (Jes. 42, 2). In ›De Bibl auf Bairisch‹ klingt selbiges noch eindringlicher: Dös ist kain sölcherner Schreier, der wo auf dyr Straass umaynanderplerrt. Einen Vers zuvor heißt es dort: Siehe, das ist mein Knecht – ich erhalte ihn – und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat. (Jesaja 42, 1). Bolle meint, aus all dem sollte man durchaus schließen dürfen, daß der Herr (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) wenig Gefallen an Schreihälsen findet.

Kurzum: Ein bißchen mehr Dehybrierung – Bolles neue Wortschöpfung: von Hybris ›frevelhafter Stolz, Übermut, frevelnde Selbstüberhebung‹ (DWDS) – stünde manchem Wissenschaftler prächtig zu Gesichte. Genaugenommen dem ganzen System einschließlich des gesamten angekoppelten Journalismus 2.0. Bolle sagt da nur: Corönchen! Allein in diesem Jammertale ist so manches nicht so, wie es sollte. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel – und soll uns nicht die Weihnachtszeit verdrießen.

Mo 08-12-25 Das achte Türchen: Kein Franzos‘ frißt Faserstoffe

Zen und die Kunst, ein Baguette aufzuschneiden.

Gestern war es uns um die oft doch recht leichtfüßigen Erklärungen mancher Mediziner bestellt – die immer dann zur Anwendung kommen, wenn man sich am Ende fühlt mit seinem Latein. Statt einfach zu sagen: Nichts Genaues weiß man nicht, muß für womögliche Schlaflosigkeit in Voll­mond­näch­ten dann eben das helle Mondlicht herhalten. Licht leuchtet ein! Auch wenn es im Ergebnis noch so absurd werden mag: Verbleibende Ungereimtheiten werden mangels eigentlicher Argumente abgeräumt, indem man sich mächtig in die Brust wirft und – wenn alles nichts hilft – mit ›Fragt die Wissenschaft‹ oder Ähnlichem daherkommt. Heute vor fünf Jahren übrigens hatte man die Absurdität corönchenmäßig zum bislang Äußersten getrieben. 

Neulich ist Bolle eher zufällig über die Frage gestolpert, wieso Ballaststoffe eigentlich ›Ballast­stoffe‹ heißen. Bolle hätte es ahnen können: Wenn einer nur Nährstoffe kennt, dann muß alles, was nicht nährt, nun mal Ballast sein – und damit bestenfalls überflüssig. Leuchtete allen ein – damals. Die Tatsache dagegen, daß sich Verdauungsprozesse im Laufe von Jahrtausenden – von Jahrmillionen, muß man sagen, Abermillionen gar – evolutionär eingespielt haben und daß das alles im Großen und Ganzen schon seine Richtigkeit und seine Funktion haben wird, mußte man offenbar erst einmal einzusehen geruhen. Gegenwärtig sind Ballast­stoffe natürlich voll der heiße Scheiß, of course – um es mal salopp zu sagen. Wir hatten das Thema im Sommer schon mal gestreift (wer nachlesen mag: So 20-07-25 Friß wie früher).

Bolle zum Beispiel nimmt nie Vitamine zu sich – und erst recht keine Vitaminpräparate. Obwohl die doch so gesund sein sollen … Und kein Franzos‘ frißt Faserstoffe (ein ungefähres Synonym für Ballaststoffe, das wir in unseren heutigen Titel allein der Tripel-Alliteration halber eingesetzt haben). Man ißt Baguette. Das muß genügen! Und sollte sich der ein oder andere Ballast- oder Faserstoff darin befinden: Bitteschön! – da wollen wir nicht mäkeln. Aber die Idee, ein Baguette zu essen, um (final!) Ballast­stoffe zu sich zu nehmen, will Bolle nachgerade derangiert anmuten.

Unser Bildchen übrigens zeigt die – man ist versucht zu sagen – legendäre Szene aus dem damaligen Kultfilm ›Diva‹ (F 1981 / Regie: Jean-Jacques Beineix), in der ein ausgewiesener Lebenskünstler seinen Eleven in die Kunst, ein Baguette aufzuschneiden, einführt. In Bolles Augen hat das mehr mit Nahrungsaufnahme zu tun als alle Ballaststoffe der Welt. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 07-12-25 Das siebente Türchen – der 2. Advent: Vollmond

Vollmond im Dörfchen.

Heute ist Vollmond und die Nacht ruft nach mir // Komm mit mir tanzen, und ich küß dich dafür. So heißt es auf Nenas erstem Album (1983).

Zwar ist nicht gerade heute Vollmond – das war schon in der Nacht auf Freitag, unserem fünften Türchen. Auch hat Bolle niemanden rufen hören – und schon gar nicht die Nacht. Und tanzen? Küssen? Mädchen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) womöglich gar? Da sei Gott vor – sprach der Agnostiker.

Immerhin war es ein „Supermond“ – wie der Journalismus 2.0 marktschreierisch zu vermelden wußte. „Der letzte des Jahres“, wie es weiter hieß. Bolle meint nur: Ja, was denn sonst? Vollmond – egal ob super oder normal – ist nun mal nur alle gut vier Wochen. Angesichts der Jahreszeit bleibt da wohl nicht mehr allzu viel Spielraum.

Jedenfalls war Bolle nach zwei Stunden tiefen Schlafes kurz nach Mitternacht plötzlich putzmunter. Wegen Vollmond? Kann sein – kann Zufall sein. Bolle findet es durchaus nicht abwegig, ersteres ernstlich ins Auge zu fassen. Seit Jahrhunderten behauptet das Volk in seiner Weisheit ja, daß es einen Zusammenhang gebe zwischen Vollmond und Schlaflosigkeit. Und zumindest seit Jahrzehnten halten Mediziner – gestützt auf empirische Daten aus sogenannten Schlaflaboren – dagegen, das sei ja wohl alles Humbug, und ziehen sich auf das zurück, was zu verstehen ihnen nahe liegt: das Licht! Bei Vollmond – und erst recht bei Supermond – sei es nun mal heller in der Nacht, und damit auch im Schlafgemach. Daß die Leute heute Jalousien haben? Paßt nicht zur Theorie – kann demnach also auch nicht sein. Daß Bolle nie im Dunkeln schläft – die Beleuchtung seines Schlafgemaches dürfte auch den krassesten Supermond um ein Vielfaches übertreffen – auch das will ganz und gar nicht passen.

Schiere Einbildung? „Heute ist Vollmond – und das heißt, die Nacht ruft nach mir“ will Bolle als wissenschaftliche Erklärung auch nicht so recht einleuchten. Im Grunde weiß er nicht einmal, ob er überhaupt mitgekriegt hat, daß gerade Vollmond ist. Bleibt die unbewußte Aufmerksamkeit: Irgendwie wird Bolle es schon gemerkt haben. Hier allerdings wird es allmählich recht windig mit den wissenschaftlichen Erklärungsversuchen.

Wie weiter? Bolle hält den Vollmond – und erst recht den Supermond – für ein höchst lebenspraktisches Beispiel für die Vorzüge der Agnostik. Statt nur in Kategorien wie ›Ist so / Ist nicht so‹ zu operieren, behält sich ein Agnostiker die Kategorie ›me‹ vor: „Wer bin ich, das zu entscheiden? Ich lasse das mangels hinreichender Datenlage einfach mal offen.“ (Wer kurz nachschlagen beziehungsweise auffrischen mag: vgl. etwa Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …).

Natürlich muß man sich das erst einmal trauen. Üblicherweise ist das Bedürfnis nach Klarheit ja sehr viel stärker ausgeprägt als das Bedürfnis nach Wahrheit – selbst dann, wenn sich die Wahrheit dem Suchenden hartnäckig zu verschließen beliebt. Ein schlichtes ›Wir wissen es nicht – ich zumindest nicht‹ ist durchaus nicht jedermanns Sache. Auch dann nicht, wenn sich damit hunderte von Fehlurteilen oder, ganz allgemein, eine gravierende Schräglage im Umgang mit der Welt vermeiden ließe. Wie heißt es doch gleich bei Mephistopheles: Spotten ihrer selbst und wissen nicht wie. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 06-12-25 Das sechste Türchen – Nikolausi: Stiefelknechte

Stiefelknechte im Laufe der Zeit (Carl Spitzweg 1845).

So schnell kann’s gehen. Heute schon ist Nikolausi. Außerdem ist Wochenende. Letzteres kann im allgemeinen Weihnachtszauber ja durchaus schon mal untergehen. Eigentlich wollten wir heute was zu den Stiefelknechten in der hohen Politik sagen. Allerdings meinte Bolle in einem seltenen Anflug von Sensibilität, das sei ja wohl kaum das richtige für unseren Adventskalender: kaum kontemplativ und viel zu laut und lärmend. Im Grunde hat er Recht: das läuft uns nicht weg. Verschieben wir es also auf das nächste Jahr.

Heute morgen in aller Herrgottsfrühe hat Bolle den Sankt Nikolaus durch die heimischen Hallen huschen und – sind’s gute Kind, sind’s böse Kind? (Theodor Storm 1862) – Äpfel, Nuß und Mandelkern in die hoffnungsvoll bereitgestellten Stiefel tüten sehen. So etwas kann man natürlich nur beobachten, wenn Kinder im Hause sind und insofern man vor Tau und Tag schon froh und munter ist. Bei Bolles hochsittlichem Lebenswandel ist letzteres natürlich der Fall, of course.

Doch zurück zu den Stiefelknechten. Bei den ›Stiefelknechten‹ – da gibt es kein Vertun – handelt es sich definitiv um ein Teekesselchen. Einerseits können damit die praktischen Ausziehhilfen gemeint sein – gewissermaßen das Gegenstück eines Schuhlöffels als Anziehhilfe –, andererseits aber auch eine Arbeitsplatz- oder doch zumindest Tätigkeitsbeschreibung für weniger hochgestelltes Gesinde. Was die Herrschaften (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) halt so brauchen …

Unser heutiges Bildchen – bei dem es sich um eine Karikatur von Carl Spitzweg handeln soll: Bolle hält es eher für eine Auftragsarbeit als Werbegraphiker – zeigt beides: Im oberen Teil sehen wir die praktische Ausziehhilfe, wie es sie heute noch käuflich zu erwerben gibt, und im unteren Teil einen Stiefelknecht aus Fleisch und Blut bei der Arbeit. Falls das Bild nicht trügt, scheint das – zumindest „bis vor 1452“, wie Spitzweg meint – durchaus nicht die angenehmste aller Arbeiten gewesen zu sein – gutgemeinter hilfreicher Tritt in den Allerwertesten inklusive.

Ob auch Sankt Nikolaus sich eines Stiefelknechtes bedient – im Fleische oder im Holze, möglicherweise Knecht Ruprecht gar? – weiß Bolle unmöglich zu sagen. Und wie hält es Letzterer? Ist man sich womöglich gegenseitig Stiefelknecht? Fragen über Fragen. Wir wissen es nicht. Auch wär‘ das alles doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 05-12-25 Das fünfte Türchen: Parler, s’énerver, mais ne jamais écouter

Wahrlich, ich sage Euch …

Dieser Tage hat Bolle wieder mal kurz reingelauscht in die vorgebliche Herzkammer der Demokratie. Eigentlich kaum etwas, was man in der Weihnachtszeit unbedingt tun sollte, wenn einem sein Seelenfrieden (Pirsig 1974) lieb und teuer ist.

Dabei hatte Bolle Glück und offenbar eine der spannenderen Stellen erwischt. Statt endlos langer Reden von immer dem Gleichen – Quaak, quaak, quaak, wie Goethe das in Bolles phonologischer Abschleifung (vornehm: Elision) womöglich genannt hätte – gab es reichlich zugelassene Zwischenfragen und auch Kurzinterventionen.

Kurzinterventionen übrigens sind auf zwei Minuten begrenzte gegnerische Ausführungen im Anschluß an einen Redebeitrag, auf die der jeweilige Redner seinerseits erwidern kann. Kurzum: Eigentlich war alles dafür getan, Bolle bei der getreulichen Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflichten wenigstens halbwegs zu amüsieren – wobei, das sieht Bolle ein, das natürlich nicht der eigentliche Sinn der Übung ist.

Und doch. Wer nur selten schaut, sieht schärfer. Das ist so ähnlich wie mit der Großmutter (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), die – wenn schon nicht nur alle Jubeljahre, so aber doch nur gelegentlich, etwa zur Weihnachtszeit – der Enkel angesichtig wird und sich dabei regelmäßig veranlaßt sieht festzustellen: Kind, was bist Du groß geworden. Den Eltern, die ihre Kinder in aller Regel täglich sehen, wird derlei nicht weiter auffällig werden.

Und so ist es auch hier. Wer qua steter Übung an das Palaver – Bolle vermutet, Parlament kommt von Palaver, könnte sich aber auch irren – von Berufs wegen gewöhnt ist, wird kaum noch einen scharfen Blick dafür haben, was er da eigentlich tut. Effizient im engeren Sinne ist das sicherlich nicht. Bolle hält es eher für Polit-Folklore – Folklore, die im Gegensatz zu echter Folklore regelmäßig nicht einmal des Zuschauens oder auch nur des Hinhörens gewürdigt wird.

Daher auch der Titel unseres heutigen Türchens: Man redet, man regt sich auf, aber man hört kaum jemals zu. Darum heißt es wohl auch Parlament – und nicht Auditorium. So gesehen macht das Sinn, findet Bolle. Daß wir den Titel auf Französisch gesetzt haben, liegt vornehmlich darin begründet, daß sich in dieser Sprache fast alles reimt und damit Bolles ästhetischem Empfinden sehr entgegenkommt. Friedrich Zwo von Preußen (1712–1786) übrigens hat das seinerzeit recht ähnlich gesehen – Sprache der Dichter und Denker hin oder her. Treppenwitz am Rande: Madame de Staël (1766–1817), die Schöpferin dieser Wendung, war Französin – und hatte das mitnichten so élogieusement, so schmeichelhaft gemeint, wie die Deutschen das zu verstehen belieben sollten.

Zurück zum Punkt: Nicht zuzuhören hat sich, wie’s scheint, namentlich in den letzten Jahren nachgerade zu einer Kardinaltugend jener gemausert, die sich für die Gralshüter „unserer“ Demokratie zu halten pflegen. Die übliche Begründung: Warum auch hinhören? Wenn die doch eh nur Blödsinn reden? Das allerdings ist ein Argument, das ohne weiteres und trefflichst von beiden Seiten in Anschlag gebracht werden kann – und so geschieht es denn ja auch. Hört Euch um im Hohen Hause. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 04-12-25 Das vierte Türchen: Tempi passati

Tempi passati …

Manchmal wird Bolle von gänzlich unerwarteter Seite ganz weihnachtlich ums Herz. Neulich zum Beispiel hat er – in Ermangelung sonstiger brauchbarer Beiträge in den Öffis – eher zufällig in eine alte Folge von ›Liebling Kreuzberg‹ (mit Manfred Krug in der Hauptrolle) reingezappt. Die Szene spielt im Jahre 1990 – da war in Bolles Augen die Welt noch weitgehend in Ordnung – und zeigt eine ganz normale Kreuzberger, zumindest aber doch Berliner Geburtstagsparty. Seinerzeit war es noch völlig normal, daß sich Anwalt Robert Liebling eine Zigarre anzünden konnte – verbunden mit einer Rauchentwicklung, die zumindest temporär den freien Blick auf die Gastgeberin verstellt.

Was Bolle auch sehr gut gefallen hat, ist übrigens die klassische Sektflöte links im Bild neben der Kerze. Gibt es auch kaum noch – zumindest nicht in Bolles Kreisen. Aufgrund des recht hohen Schwerpunktes sind die zwar nicht wirklich funktional – das sollte jedem klar sein, dessen Sekt sich einmal über Tastatur oder, schlimmer noch, Laptop ergossen hat. Dafür aber sind sie très, très chic. Wenn Bolle am Rechner sitzt, bevorzugt er seitdem Sekt aus alten rezyklierten Senfgläsern. Sapienti sat: der Philosoph wird davon satt – im übertragenen Sinne, of course.

Doch überhaupt: daß die Leute das damals überlebt haben …? Nun gut – Manfred Krug hat es nicht überlebt: Er ist 2016 im Alter von 80 Jahren verstorben. Ob er überlebt hätte, wenn er nicht geraucht hätte? Wir wissen es nicht. Wir können nur sicher sagen, daß so etwas wie ›überleben‹ auf lange Sicht ohnehin recht aussichtslos ist – um nicht zu sagen: völlig. Vom Erlöser der Christenmenschen wollen wir hier einmal absehen. Eine Ironie der Geschichte – oder doch zumindest der Überlieferung – will es, daß ausgerechnet der es eben nicht auf Überleben angelegt hatte. Erklärt das mal einem Hülsenfrüchtchen. Das Leben – so richtig zu Ende gedacht – scheint manchem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) offenbar dann doch wohl wirklich zu̅ komplex, wie’s scheint. Und insgesamt recht unvernünftig. Da hilft oft nur eine dicke Zigarre. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 03-12-25 Das dritte Türchen: Weihnachtswunder

Totschick …

Es gibt – das wollen wir nicht verhehlen, durchaus Weihnachtswunder der besonderen Art: Manchmal nämlich kann man sich einfach nur wundern. In Bolles Konsumtempel – das ist der mit den mickrigen Weihnachtsbäumchen (vgl. dazu Mo 01-12-25 Das erste Türchen: Früher war mehr Lametta) gibt es jetzt auch – wie soll man sagen? – Indoor-Poller. Zwar würden die keinen heranbrausenden LKW aufhalten können. Nicht mal einen PKW. Aber welches Kraftfahrzeug würde sich schon anschicken, eine Rolltreppe rauf (oder runter) düsen zu wollen? Bolle jedenfalls hat von derlei noch nie gehört.

Was soll das sein? Was soll das werden? Kurz: was soll das? Zunächst dachte Bolle ja, um vielleicht möglichen Gegenverkehr zu kanalisieren. Aber Gegenverkehr auf einer Rolltreppe? Unwahrscheinlich. Eher trifft man einen Geisterfahrer auf der Autobahn als einen Geistergeher auf der Rolltreppe. Um dicke Kundschaft von den höheren Etagen fernzuhalten? Das würde nur bei Treppauf-Pollern Sinn machen. Allerdings sind die Poller auch treppab installiert.  Das spricht – neben einigen anderen Erwägungen – gegen diese Vermutung.

Die Lösung – das hatte Bolle vergleichsweise flott eruiert – findet sich auf den ebenfalls recht schick gestylten – schrägen Pollerköpfen. Da heißt es nämlich in international verständlicher Bildersprache (neudeutsch: Piktogramm), man möge doch bitte weder mit Kinder- noch mit Einkaufswagen die Rolltreppe besteigen – weder auf noch ab. Aha! Und um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, hat ein fürsorgliches Konsumtempel-Management nun eben diese Poller angebracht. Sogleich kam Bolle Charly Chaplin in den Sinn. Der nämlich soll einmal gesagt haben: Ein Gag, der einmal ankommt, kommt immer an. Denkbar wär’s – in diesem bunten, wunderlichen Universum.

Nun hat Bolle noch nie – wirklich noch nie – erlebt, daß jemand derlei je hätte versucht zu unternehmen. Aber vielleicht mangelt es ihm ja einfach nur an gehöriger Erfahrung mit modernen Zeiten?

Und wie das Leben so spielt. Schon wenige Minuten nach der photographischen Dokumentation ergab sich ein kurzer Plausch mit einer Konsumtempel-Domestizitin, die meinte, das sei ja wohl voll diskriminierend – und sie werde sich beschweren. Ob damit jetzt Dickenfeindlichkeit, Kinderfeindlichkeit oder eine schlichte Einkaufswagenaversion gemeint sein sollte, hat sich Bolle nicht erschließen wollen. Wie gesagt: Es war ein kurzer Plausch. Im übrigen wär‘ das dann auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 02-12-25 Das zweite Türchen: Was müssen das für Leute sein …?

So isset brav …

Zugegeben: Unser heutiges Bildchen mutet wenig weihnachtlich an. Gleichwohl findet Bolle, das wolle endlich auch mal explizit erwähnt werden. Er hat es vor anderthalb Jahren – Kinder, wie die Zeit vergeht – irgendwo mal aufgeschnappt und getreulich dokumentiert. Wo genau? Darüber hat sich ein wohltuender Mantel des Vergessens ausgebreitet.

Ist das jetzt noch betreutes Denken? Oder schon betreutes Leben? Wir wissen es nicht. Bolle schätzt, daß, wenn man einer solchen Empfehlung getreulich Folge leisten würde, man locker auf etwa zwei Dutzend hygienische Handreinigungsrituale pro Tag käme. Bei geschätzten fünf Minuten pro Ritual – soviel Gründlichkeit muß sein – macht das etwa zwei Stunden täglich. Bolle würde sich hier rein zeitlich überfordert fühlen. Und selbst wenn: Nach seiner Schätzung würde es allerhöchstens einige wenige Wochen dauern, bis der Säureschutzmantel der Haut – der sich in Jahrmillionen aus sehr, sehr guten Gründen herausgebildet hat – restlos ruiniert wäre. Die Folge wären rissige Haut, Ekzeme, und weiß der Teufel was sonst noch alles. So richtig rundherum gesund will Bolle das nicht scheinen. Aber wenn’s doch dem zivilisatorischen Fortschritt dient …? Lautet denn die zweite Schlafschulweisheit aus dem ›ABC der Hygiene‹ in Huxleys ›Schöner Neuer Welt‹ (1932) nicht ganz ausdrücklich: ›Je zivilisierter, desto sterilisierter‹? Dann wird es wohl so sein. Bolle für sein Teil hält es dagegen eher mit alter Väter (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) Sitte und versucht, den gröbsten Unfug zu vermeiden  – ganz ähnlich wie beim Futter (vgl. dazu etwa So 20-07-25 Friß wie früher).

Besonders niedlich findet Bolle übrigens die Anweisung „und umgekehrt“ – auf daß bloß niemand vergessen möge, daß er (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ja schließlich zwei Hände habe, die es zu bedenken gilt. Bolle erinnert das sehr an Martin Perscheids Kartünchen ›Wenn Deppen duschen‹ (1999), wo sich auf einer unter der Dusche abzuhakenden Checkliste unter anderem die Anweisung „Achsel (2)“ befindet. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.