Sa 06-12-25 Das sechste Türchen – Nikolausi: Stiefelknechte

Stiefelknechte im Laufe der Zeit (Carl Spitzweg 1845).

So schnell kann’s gehen. Heute schon ist Nikolausi. Außerdem ist Wochenende. Letzteres kann im allgemeinen Weihnachtszauber ja durchaus schon mal untergehen. Eigentlich wollten wir heute was zu den Stiefelknechten in der hohen Politik sagen. Allerdings meinte Bolle in einem seltenen Anflug von Sensibilität, das sei ja wohl kaum das richtige für unseren Adventskalender: kaum kontemplativ und viel zu laut und lärmend. Im Grunde hat er Recht: das läuft uns nicht weg. Verschieben wir es also auf das nächste Jahr.

Heute morgen in aller Herrgottsfrühe hat Bolle den Sankt Nikolaus durch die heimischen Hallen huschen und – sind’s gute Kind, sind’s böse Kind? (Theodor Storm 1862) – Äpfel, Nuß und Mandelkern in die hoffnungsvoll bereitgestellten Stiefel tüten sehen. So etwas kann man natürlich nur beobachten, wenn Kinder im Hause sind und insofern man vor Tau und Tag schon froh und munter ist. Bei Bolles hochsittlichem Lebenswandel ist letzteres natürlich der Fall, of course.

Doch zurück zu den Stiefelknechten. Bei den ›Stiefelknechten‹ – da gibt es kein Vertun – handelt es sich definitiv um ein Teekesselchen. Einerseits können damit die praktischen Ausziehhilfen gemeint sein – gewissermaßen das Gegenstück eines Schuhlöffels als Anziehhilfe –, andererseits aber auch eine Arbeitsplatz- oder doch zumindest Tätigkeitsbeschreibung für weniger hochgestelltes Gesinde. Was die Herrschaften (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) halt so brauchen …

Unser heutiges Bildchen – bei dem es sich um eine Karikatur von Carl Spitzweg handeln soll: Bolle hält es eher für eine Auftragsarbeit als Werbegraphiker – zeigt beides: Im oberen Teil sehen wir die praktische Ausziehhilfe, wie es sie heute noch käuflich zu erwerben gibt, und im unteren Teil einen Stiefelknecht aus Fleisch und Blut bei der Arbeit. Falls das Bild nicht trügt, scheint das – zumindest „bis vor 1452“, wie Spitzweg meint – durchaus nicht die angenehmste aller Arbeiten gewesen zu sein – gutgemeinter hilfreicher Tritt in den Allerwertesten inklusive.

Ob auch Sankt Nikolaus sich eines Stiefelknechtes bedient – im Fleische oder im Holze, möglicherweise Knecht Ruprecht gar? – weiß Bolle unmöglich zu sagen. Und wie hält es Letzterer? Ist man sich womöglich gegenseitig Stiefelknecht? Fragen über Fragen. Wir wissen es nicht. Auch wär‘ das alles doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 05-12-25 Das fünfte Türchen: Parler, s’énerver, mais ne jamais écouter

Wahrlich, ich sage Euch …

Dieser Tage hat Bolle wieder mal kurz reingelauscht in die vorgebliche Herzkammer der Demokratie. Eigentlich kaum etwas, was man in der Weihnachtszeit unbedingt tun sollte, wenn einem sein Seelenfrieden (Pirsig 1974) lieb und teuer ist.

Dabei hatte Bolle Glück und offenbar eine der spannenderen Stellen erwischt. Statt endlos langer Reden von immer dem Gleichen – Quaak, quaak, quaak, wie Goethe das in Bolles phonologischer Abschleifung (vornehm: Elision) womöglich genannt hätte – gab es reichlich zugelassene Zwischenfragen und auch Kurzinterventionen.

Kurzinterventionen übrigens sind auf zwei Minuten begrenzte gegnerische Ausführungen im Anschluß an einen Redebeitrag, auf die der jeweilige Redner seinerseits erwidern kann. Kurzum: Eigentlich war alles dafür getan, Bolle bei der getreulichen Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflichten wenigstens halbwegs zu amüsieren – wobei, das sieht Bolle ein, das natürlich nicht der eigentliche Sinn der Übung ist.

Und doch. Wer nur selten schaut, sieht schärfer. Das ist so ähnlich wie mit der Großmutter (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), die – wenn schon nicht nur alle Jubeljahre, so aber doch nur gelegentlich, etwa zur Weihnachtszeit – der Enkel angesichtig wird und sich dabei regelmäßig veranlaßt sieht festzustellen: Kind, was bist Du groß geworden. Den Eltern, die ihre Kinder in aller Regel täglich sehen, wird derlei nicht weiter auffällig werden.

Und so ist es auch hier. Wer qua steter Übung an das Palaver – Bolle vermutet, Parlament kommt von Palaver, könnte sich aber auch irren – von Berufs wegen gewöhnt ist, wird kaum noch einen scharfen Blick dafür haben, was er da eigentlich tut. Effizient im engeren Sinne ist das sicherlich nicht. Bolle hält es eher für Polit-Folklore – Folklore, die im Gegensatz zu echter Folklore regelmäßig nicht einmal des Zuschauens oder auch nur des Hinhörens gewürdigt wird.

Daher auch der Titel unseres heutigen Türchens: Man redet, man regt sich auf, aber man hört kaum jemals zu. Darum heißt es wohl auch Parlament – und nicht Auditorium. So gesehen macht das Sinn, findet Bolle. Daß wir den Titel auf Französisch gesetzt haben, liegt vornehmlich darin begründet, daß sich in dieser Sprache fast alles reimt und damit Bolles ästhetischem Empfinden sehr entgegenkommt. Friedrich Zwo von Preußen (1712–1786) übrigens hat das seinerzeit recht ähnlich gesehen – Sprache der Dichter und Denker hin oder her. Treppenwitz am Rande: Madame de Staël (1766–1817), die Schöpferin dieser Wendung, war Französin – und hatte das mitnichten so élogieusement, so schmeichelhaft gemeint, wie die Deutschen das zu verstehen belieben sollten.

Zurück zum Punkt: Nicht zuzuhören hat sich, wie’s scheint, namentlich in den letzten Jahren nachgerade zu einer Kardinaltugend jener gemausert, die sich für die Gralshüter „unserer“ Demokratie zu halten pflegen. Die übliche Begründung: Warum auch hinhören? Wenn die doch eh nur Blödsinn reden? Das allerdings ist ein Argument, das ohne weiteres und trefflichst von beiden Seiten in Anschlag gebracht werden kann – und so geschieht es denn ja auch. Hört Euch um im Hohen Hause. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 04-12-25 Das vierte Türchen: Tempi passati

Tempi passati …

Manchmal wird Bolle von gänzlich unerwarteter Seite ganz weihnachtlich ums Herz. Neulich zum Beispiel hat er – in Ermangelung sonstiger brauchbarer Beiträge in den Öffis – eher zufällig in eine alte Folge von ›Liebling Kreuzberg‹ (mit Manfred Krug in der Hauptrolle) reingezappt. Die Szene spielt im Jahre 1990 – da war in Bolles Augen die Welt noch weitgehend in Ordnung – und zeigt eine ganz normale Kreuzberger, zumindest aber doch Berliner Geburtstagsparty. Seinerzeit war es noch völlig normal, daß sich Anwalt Robert Liebling eine Zigarre anzünden konnte – verbunden mit einer Rauchentwicklung, die zumindest temporär den freien Blick auf die Gastgeberin verstellt.

Was Bolle auch sehr gut gefallen hat, ist übrigens die klassische Sektflöte links im Bild neben der Kerze. Gibt es auch kaum noch – zumindest nicht in Bolles Kreisen. Aufgrund des recht hohen Schwerpunktes sind die zwar nicht wirklich funktional – das sollte jedem klar sein, dessen Sekt sich einmal über Tastatur oder, schlimmer noch, Laptop ergossen hat. Dafür aber sind sie très, très chic. Wenn Bolle am Rechner sitzt, bevorzugt er seitdem Sekt aus alten rezyklierten Senfgläsern. Sapienti sat: der Philosoph wird davon satt – im übertragenen Sinne, of course.

Doch überhaupt: daß die Leute das damals überlebt haben …? Nun gut – Manfred Krug hat es nicht überlebt: Er ist 2016 im Alter von 80 Jahren verstorben. Ob er überlebt hätte, wenn er nicht geraucht hätte? Wir wissen es nicht. Wir können nur sicher sagen, daß so etwas wie ›überleben‹ auf lange Sicht ohnehin recht aussichtslos ist – um nicht zu sagen: völlig. Vom Erlöser der Christenmenschen wollen wir hier einmal absehen. Eine Ironie der Geschichte – oder doch zumindest der Überlieferung – will es, daß ausgerechnet der es eben nicht auf Überleben angelegt hatte. Erklärt das mal einem Hülsenfrüchtchen. Das Leben – so richtig zu Ende gedacht – scheint manchem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) offenbar dann doch wohl wirklich zu̅ komplex, wie’s scheint. Und insgesamt recht unvernünftig. Da hilft oft nur eine dicke Zigarre. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 03-12-25 Das dritte Türchen: Weihnachtswunder

Totschick …

Es gibt – das wollen wir nicht verhehlen, durchaus Weihnachtswunder der besonderen Art: Manchmal nämlich kann man sich einfach nur wundern. In Bolles Konsumtempel – das ist der mit den mickrigen Weihnachtsbäumchen (vgl. dazu Mo 01-12-25 Das erste Türchen: Früher war mehr Lametta) gibt es jetzt auch – wie soll man sagen? – Indoor-Poller. Zwar würden die keinen heranbrausenden LKW aufhalten können. Nicht mal einen PKW. Aber welches Kraftfahrzeug würde sich schon anschicken, eine Rolltreppe rauf (oder runter) düsen zu wollen? Bolle jedenfalls hat von derlei noch nie gehört.

Was soll das sein? Was soll das werden? Kurz: was soll das? Zunächst dachte Bolle ja, um vielleicht möglichen Gegenverkehr zu kanalisieren. Aber Gegenverkehr auf einer Rolltreppe? Unwahrscheinlich. Eher trifft man einen Geisterfahrer auf der Autobahn als einen Geistergeher auf der Rolltreppe. Um dicke Kundschaft von den höheren Etagen fernzuhalten? Das würde nur bei Treppauf-Pollern Sinn machen. Allerdings sind die Poller auch treppab installiert.  Das spricht – neben einigen anderen Erwägungen – gegen diese Vermutung.

Die Lösung – das hatte Bolle vergleichsweise flott eruiert – findet sich auf den ebenfalls recht schick gestylten – schrägen Pollerköpfen. Da heißt es nämlich in international verständlicher Bildersprache (neudeutsch: Piktogramm), man möge doch bitte weder mit Kinder- noch mit Einkaufswagen die Rolltreppe besteigen – weder auf noch ab. Aha! Und um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, hat ein fürsorgliches Konsumtempel-Management nun eben diese Poller angebracht. Sogleich kam Bolle Charly Chaplin in den Sinn. Der nämlich soll einmal gesagt haben: Ein Gag, der einmal ankommt, kommt immer an. Denkbar wär’s – in diesem bunten, wunderlichen Universum.

Nun hat Bolle noch nie – wirklich noch nie – erlebt, daß jemand derlei je hätte versucht zu unternehmen. Aber vielleicht mangelt es ihm ja einfach nur an gehöriger Erfahrung mit modernen Zeiten?

Und wie das Leben so spielt. Schon wenige Minuten nach der photographischen Dokumentation ergab sich ein kurzer Plausch mit einer Konsumtempel-Domestizitin, die meinte, das sei ja wohl voll diskriminierend – und sie werde sich beschweren. Ob damit jetzt Dickenfeindlichkeit, Kinderfeindlichkeit oder eine schlichte Einkaufswagenaversion gemeint sein sollte, hat sich Bolle nicht erschließen wollen. Wie gesagt: Es war ein kurzer Plausch. Im übrigen wär‘ das dann auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 02-12-25 Das zweite Türchen: Was müssen das für Leute sein …?

So isset brav …

Zugegeben: Unser heutiges Bildchen mutet wenig weihnachtlich an. Gleichwohl findet Bolle, das wolle endlich auch mal explizit erwähnt werden. Er hat es vor anderthalb Jahren – Kinder, wie die Zeit vergeht – irgendwo mal aufgeschnappt und getreulich dokumentiert. Wo genau? Darüber hat sich ein wohltuender Mantel des Vergessens ausgebreitet.

Ist das jetzt noch betreutes Denken? Oder schon betreutes Leben? Wir wissen es nicht. Bolle schätzt, daß, wenn man einer solchen Empfehlung getreulich Folge leisten würde, man locker auf etwa zwei Dutzend hygienische Handreinigungsrituale pro Tag käme. Bei geschätzten fünf Minuten pro Ritual – soviel Gründlichkeit muß sein – macht das etwa zwei Stunden täglich. Bolle würde sich hier rein zeitlich überfordert fühlen. Und selbst wenn: Nach seiner Schätzung würde es allerhöchstens einige wenige Wochen dauern, bis der Säureschutzmantel der Haut – der sich in Jahrmillionen aus sehr, sehr guten Gründen herausgebildet hat – restlos ruiniert wäre. Die Folge wären rissige Haut, Ekzeme, und weiß der Teufel was sonst noch alles. So richtig rundherum gesund will Bolle das nicht scheinen. Aber wenn’s doch dem zivilisatorischen Fortschritt dient …? Lautet denn die zweite Schlafschulweisheit aus dem ›ABC der Hygiene‹ in Huxleys ›Schöner Neuer Welt‹ (1932) nicht ganz ausdrücklich: ›Je zivilisierter, desto sterilisierter‹? Dann wird es wohl so sein. Bolle für sein Teil hält es dagegen eher mit alter Väter (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) Sitte und versucht, den gröbsten Unfug zu vermeiden  – ganz ähnlich wie beim Futter (vgl. dazu etwa So 20-07-25 Friß wie früher).

Besonders niedlich findet Bolle übrigens die Anweisung „und umgekehrt“ – auf daß bloß niemand vergessen möge, daß er (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ja schließlich zwei Hände habe, die es zu bedenken gilt. Bolle erinnert das sehr an Martin Perscheids Kartünchen ›Wenn Deppen duschen‹ (1999), wo sich auf einer unter der Dusche abzuhakenden Checkliste unter anderem die Anweisung „Achsel (2)“ befindet. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 01-12-25 Das erste Türchen: Früher war mehr Lametta

Früher war mehr …

Hier das erste Türchen unseres diesjährigen agnostisch-kontemplativen Adventskalenders. Immerhin handelt es sich dabei um den sechsten Selbigen in Folge. Insofern kann man eigentlich nicht meckern, findet Bolle.

Allein wie steht’s um den sonstigen Zauber? Daß mancher bei den Weihnachtsmärkten Fest und Festung ein wenig konfundiert zu haben scheint, hatten wir ja schon erwähnt. Aber nehmen wir Bolles Konsumtempel. Zwar ist der bislang völlig pollerfrei – was Bolle sehr zu schätzen weiß. Ansonsten aber – das wird man kaum anders sagen können – ist er in keinem sonderlich festlichem Zustande. Während selbiger früher – ja, früher – zwar nicht gerade besinnlich, aber doch wirklich festlich-schmuck herausgeputzt war, findet sich dieses Jahr nur noch das ein oder andere vereinzelte mickrige Bäumchen. Das mutet doch recht dürftig an – geradezu herzzerreißend für sensiblere Gemüter. Früher war mehr Lametta. Sagen wir so: Ein Konsumtempel, der es nicht fertigbringt, einen in Festtags- und damit in Konsumlaune zu versetzen, hat ja wohl irgendwie seine Kernaufgabe verfehlt. Immerhin dürfte es das ein oder andere Milligramm CO2 einsparen. Toll, findet Bolle. Toll im Sinne von Sancta Simplicitas, versteht sich, of course. Aber so kann’s gehen, wenn man die Wirtschaft – man ist neuerdings geneigt zu sagen ›Alle Jahre wieder‹ – lustvoll abkacken läßt. Wenn’s doch dem moralischen Fortschritt dient …?

Übrigens haben Loriots Erben 2019 – Loriot ist 2011 verstorben – für die Wendung mit dem Lametta urheberrechtlichen Schutz begehrt. Wir hätten demnach für unseren heutigen Titel Lizenzgebühren entrichten – oder aber in den Untergrund abtauchen müssen. So kann man das auch machen – anderen das Weihnachtsfest zu verdrießen. Und so weit zum moralischen Fortschritt. Zum Glück sind sie seinerzeit sowohl beim Landgericht als auch beim Oberlandesgericht München abgeblitzt. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.