Fr 15-11-19 Kohleausstieg

Worüber dürfte es noch Streit geben? Das 40-Milliarden-Paket für die Kohleausstiegs-Länder. Die Summe steht zwar, etwa zwei Milliarden werden es bis 2038 jährlich sein. Der Knackpunkt ist jetzt, wie das Geld verteilt wird.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage. Das erinnert doch ein wenig an das „Bahn-Management“ (vgl. »Di 12-11-19 Die Bahn«). Dort war es so, daß man nicht einmal weiß, wo man steht (fehlende »Ist-Analyse«). Hier ist es so, daß man nicht weiß, wo genau man eigentlich hin will (fehlende »Ziel-Definition«). Doch halt: Das läßt sich retten – und zwar, indem wir das „40-Milliarden-Paket“ bzw. dessen Verballerung als das eigentliche Ziel definieren. Ähnlich wie bei der Bahn hätte sich damit der Punkt »Check der Mittel« bereits im Vorfeld erledigt – und »Plan« würde in der Tat zum eigentlichen „Knackpunkt“. Ein hübsches Wort übrigens für einen circulus vitiosus.

Der Managementzirkel.

So richtig seriös ist das allerdings nicht – und durchdacht sowie nicht. Warum – das ist hier die eigentlich spannende Frage – gibt man Ziele als Ziele aus, die selbst bei oberflächlicher Betrachtung nur mit Mühe als „Ziele“ durchgehen können? Das einzige, was Bolle einleuchten würde: Immerhin kann man dann sagen: „Seht her – die Regierung tut was.“ Na toll. Und so lassen die Konsequenzen auch nicht lange auf sich warten.

Denn es hat einen Nachteil: Das Geld liegt dann zwar bereit, aber fließt es auch so ab wie gewünscht? […] Wie es langfristig weitergeht, ist offen.

Kiek ma eener an. So ist das nun mal, wenn es in der Projektplanung am »Plan« fehlt. „Wie gewünscht“ ist schlechterdings nicht definiert. Immerhin – und hier ist Bolle voll zufrieden: Das Ablauf-Modell funktioniert auch in absurderen Fällen aufs Feinste. Daran liegt es also nicht. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Do 14-11-19 Der Kommissar

Ursula von der Leyen und der Fall des fehlenden Kommissars

So einer der Aufmacher von Spiegel Online, dem Sturmgeschütz der Ochlokratie, heute. In der Kellerzeile erfahren wir dann, daß

Großbritannien [sich] weigert […], rechtzeitig zum geplanten Amtsantritt der neuen EU-Kommission einen Kommissar zu nominieren.

Warum sollten sie auch, die Briten? Bolle meint: Kein Mensch bewirbt sich um eine Projektleiter-Stelle, nachdem er längst schon gekündigt hat. Ist das jetzt schlimm?

Macht das die EU arbeitsunfähig?

– wie es in der Kellerzeile weiter heißt. Aus EU-Kreisen hört man:

Die Situation sei „komplex“, „außergewöhnlich“ und „beispiellos“.

Dabei ist „beispiellos“ nur ein anderes Wort für „außergewöhnlich außergewöhnlich“ – und „komplex“ ist nur ein Synonym für „wir blicken nicht mehr ganz durch“. Reine EU-Routine, also. Nach einigem Hin und Her heißt es in dem Beitrag schließlich,

[…] das EU-Recht schreibe lediglich die Zahl der Kommissare vor. „Es heißt dort nicht, dass jeder Mitgliedsstaat einen Vorschlag machen muss“ […]

So what?, fragt Bolle. Die Zahl der Kommissare hat demnach mit den Briten rein jar nüscht zu tun. Interessant wäre demnach allein die Frage, wie lange die verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten im EU-Soziotop brauchen werden, um sich zu einigen, welches Land gleich 2 Kommissare stellen darf. Das kann dauern, wahrscheinlich länger als der Brexit selbst – egal wie lange der noch dauern mag. Nach weiterem Hin und Her – und unter Verlust der Argumentationslinie – kommt schließlich noch das Sahnehäubchen:

Jeder neue Kommissar koste den Steuerzahler rund eine Million Euro für Umzug, Personal und lebenslange Rente – egal, wie lange er im Amt ist.

Vor allem der Umzug schlägt dabei wohl mächtig ins Kontor. Bolle meint: Leute, bewerbt Euch. Zumindest in der EU ist die Rente noch sicher. „Drah’ di net um […]  // Schau, schau, der Kommissar geht um […]“. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Di 12-11-19 Die Bahn

Viel helfe nicht viel, denn: Dem Bund fehlten Informationen über den tatsächlichen Zustand des eigenen und von der Bahn betriebenen Netzes. Richard Lutz als James Dean der Bahn AG: Denn sie wissen nicht, was sie tun.

Gefunden in Garbor Steingarts Morning Briefing. Dabei geht es …

… um die sogenannte „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III“, die der Bahn AG für ihre gebrechliche Infrastruktur ein Budget von gut 58 Milliarden Euro zur Verfügung stellen soll.

58 Milliarden Euro, offenbar einmalig auszuschütten: Das entspricht in etwa den jährlichen Kosten für die „Schutzsuchenden“ (vgl. Mo  11-11-19 Proportionen). Klarer Fall: Wir schaffen das, meint Bolle. Doch das nur am Rande. Interessanter scheint Bolle der folgende Punkt:

Der Managementzirkel.

Bolle ist immer wieder fasziniert, wie praktisch kleine, aber feine Systemdarstellungen doch sein können. Während üblicherweise die schiere Zieldefinition dem Volk bereits als „Durchbruch“ verkauft wird – ohne einen Hauch von »Plan« oder gar »Check der Mittel« (aktuell ist das bei der Grundrente so) –, verhalten sich die Dinge hier genau umgekehrt: »Check der Mittel« ist gebongt – 58 Milliarden eben. Dafür fehlen der »Plan« und sogar die »Ist-Analyse«. So wird aus Garbor Steingarts „Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen)“ unvermittelt: Denn sie wissen nicht, wo sie stehen. Eine erfrischende Variante im Management-Reigen. Bolle fragt sich zweierlei: (1) Wofür werden die eigentlich bezahlt? und, konstruktiv gewendet: (2) Könnte man sämtlichen Damen und Herren Entscheidern den Managementzirkel nicht einfach auf die Stirn kleben, auf daß sie sich in ihren langen „nächtlichen Verhandlungsrunden“ gegenseitig daran erinnern mögen, was genau ihr eigentlicher Job ist? Platz genug wäre ja. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mo 11-11-19 Proportionen

Bis zu 1,5 Millionen Menschen können künftig eine Grundrente erhalten, die höher liegt als die vom Sozialamt gewährte Grundsicherung. […] Die Gesamtkosten belaufen sich auf bis zu 1,5 Milliarden Euro.

Gefunden in Garbor Steingarts Morning Briefing. Gleich oder ähnlich lautend findet sich die Meldung allerdings im gesamten Blätterwald. Aber bei Steingart liest es sich nun mal am amüsantesten. Überschlagen wir die Proportionen: 1,5 Milliarden bei 1,5 Millionen Rentnern macht, easy, 1.000 Euro pro Rentner und Jahr – mithin also 83 Euro pro Monat. Na toll, meint Bolle. Voll der „Meilenstein“ bei der Bekämpfung der Altersarmut. Da wir schon mal bei Proportionen sind: Vergleichen wir die abgehängten Rentner mit einer anderen schwer diskriminierten Gruppe – den Flüchtlingen bzw., wie es neuerdings heißt, den „Schutzsuchenden“. Bolle fragt sich: Welche Sprach-Designer sind hier eigentlich am Werk? Und vor allem: Wer bezahlt die? Aber das ist ein anderes Kapitel. Der Vergleich von „abgehängten Rentnern“ und „Schutzsuchenden“ bietet sich schon deshalb an, weil sie größenordnungsmäßig gaanz vorsichtig geschätzt in etwa gleich stark sind: etwa 1,5 Millionen. Das erleichtert den Vergleich. Deren jährliche Kosten allerdings belaufen sich nach mehreren mehr oder weniger übereinstimmenden Quellen auf etwa 50 Milliarden jährlich – mithin also auf das über 30-fache (!). Bolle sieht das ganz pragmatisch, wenn er meint, daß er der seinerzeit ausgegebenen Losung „Wir schaffen das“ mehr Glauben würde schenken können, wenn die Proportionen nicht derart unproportioniert wären. Entweder wir sind „ein reiches Land“, wie es in diesem Zusammenhang immer heißt. Oder wir sind ein dann doch nicht ganz so reiches Land, das es nötig hat, seine „abgehängten Rentner“ mit 83 Euro pro Monat abzuspeisen und das dem Volk als „sozialpolitischen Meilenstein“ zu verkaufen – vor allem vor dem Hintergrund solcher Proportionen. In diesem Zusammenhang muß Bolle oft an die Geschichte vom barmherzigen Samariter denken (Lukas 10, 25-37). Was wäre gewesen, fragt er sich, wenn „die Mörder“ nicht nur einen, sondern zehn, oder hundert – oder noch viel mehr – hätten „halbtot liegen lassen“? Irgendwann, so sein vorläufiger Schluß, wird sich auch der warmherzigste Samariter entscheiden müssen, ob er seinem ethischen Impuls („alle retten“) oder seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten wird folgen wollen oder müssen. Im Bibel-Beispiel ging es um „zwei Groschen“ (plus der Option auf Begleichung weiterer Auslagen des zur Pflege eingespannten Wirtes, Lukas 10, 35). Somit – und das ist Bolles zweiter Schluß – dreht sich die gesamte Kontroverse, die Deutschland seit nunmehr mindestens vier Jahren quält, im Kern um die Frage: Schaffen wir das – oder schaffen wir das dann doch eher doch nicht? Wenn ich abgehängter und abgespeister Rentner wäre, so Bolle, würde ich wohl eher auf letzteres tippen – und mich dabei schwer dagegen verwahren, allein deswegen von bessergestellten Kreisen als „Nazi“ oder zumindest „Fremdenhasser“ diffamiert zu werden. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mo 11-11-19 Logik vs Ethik

Gerade in einer Zeit, in der mehr und mehr Fakten ignoriert werden, ist es wichtiger denn je, dass sich die Wissenschaft zu Wort meldet und sich in Debatten einmischt.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage unter „Zitate“. Wer hat’s gesagt? Forschungsministerin Anja Karliczek. Bolle meint: Da hat jemand auf ganz grundsätzliche Weise mißverstanden, was die Aufgabe „der Wissenschaft“ ist – Forschungsministerin hin oder her. Aufgabe der Wissenschaft ist es erstens, Kenntnis von Tatsachen zu erlangen (zum Beispiel „Leute haben eine Leber“ oder „Es gibt Ethanol“) sowie zweitens Wissen um Zusammenhänge (zum Beispiel „Wenn eine Leber mit zu viel Ethanol in Kontakt kommt, dann tut ihr das nicht gut“). Wir hatten das übrigens schon mal (vgl. »Do 17-10-19 Homöopathie«). Ob es dagegen jemand in Anbetracht der wissenschaftlichen Erkenntnisse vorzieht, a) ein nüchternes, im Zweifel sozial ausgegrenztes, dafür aber leberfreundliches Leben zu leben, oder aber b) dem einen oder anderen Gläschen zuzusprechen (oder auch einem ganzen Faß), hat mit Wissenschaft rein gar nichts zu tun. Es handelt sich hierbei um eine Frage der Entscheidung. Der Unterschied könnte nicht grundsätzlicher sein. Wissenschaft, bzw., in klassischer Diktion, Logik fragt: Was ist / was ist nicht? Ethik dagegen fragt: Was soll / was soll nicht? Seins-Aussagen und Sollens-Aussagen miteinander zu vermengen ist dabei ebenso daneben wie verbreitet. Aus Entscheider-Sicht hat es ja auch einen gewissen Charme: (1) Die Wissenschaft hat festgestellt, […]. (2) Also müssen wir […]. Damit ist man der Entscheidung enthoben. Wenn’s schief geht, ist dann eben jemand anderes schuld. Na toll. Dumm nur, daß diese Logik aus Sicht der »Logik« ganz und gar unzulässig ist: Aus einer Seins-Aussage läßt sich unter keinen Umständen („never ever“) eine Sollens-Aussage ableiten.

Graphisch gestaltet sich das ganze wie folgt. Auch das hatten wir übrigens schon mal (vgl. »Fr 04-10-19 Klimabremse«) – aber man kann es offenbar nicht oft genug wiederholen.

Der Managementzirkel.

Die Gesellschaft bzw. deren designierte Entscheider legen fest, wo sie hin wollen: »Ziel-Definition«. Die Wissenschaft versucht dann zu ergründen, wie man (beim gegebenen Stand der Technik) da hin kommen kann bzw. was zu tun ist, um das Ziel zu erreichen: »Plan«. Dabei kann es passieren, daß die Wissenschaft im Rahmen von »Check der Mittel« (ein unverzichtbarer Bestandteil jeglicher Planung) zu dem Schluß kommt, das in der Aufgabenstellung zu viele Zielgrößen vorkommen und zu wenige Aktionsgrößen – daß das Problem also überbestimmt ist. Zum Beispiel: (1) Wir wollen unseren CO2-Ausstoß bis dann und dann halbieren – und zwar so, (2) daß sich niemand auch nur im geringsten einschränken muß. Natürlich würde kein Entscheider das so platt formulieren. Wenn wir uns aber umgucken auf der Welt, läuft es zur Zeit exaktemente darauf hinaus. In diesem Fall bleiben einem aufrechten Wissenschaftler nur zwei Optionen. Er kann sagen: „Überdenkt Euer Ziel und meldet Euch dann noch mal bei mir“, Pfeil a). Oder er kann sagen: „Laßt uns uns anderen Problemen zuwenden. Das hier kriegen wir vorläufig nicht gelöst“, Pfeil b). Auch hier würde kein Wissenschaftler das so platt formulieren. Aber auch hier läuft es exaktemente darauf hinaus. Kurzum: Von der Wissenschaft zu erwarten, daß sie uns „ausrechnet“, was wir wollen, geht nach allem rein gar nicht. Aus Entscheider-Sicht (»Ethik«) ist das natürlich eine ultra-charmante Lösung – weil sie sich dann nicht entscheiden müssen (obwohl sie genau dafür bezahlt werden). Aus Wissenschaftler-Sicht (»Logik«) dagegen ist das aber leider voll „unlogisch“ (siehe oben) und somit im Ansatz und damit auch als Ansatz unbrauchbar. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Do 07-11-19 Thüringer Brandmauer

Noch hält die Brandmauer

So titelt Spiegel Online heute unter der Dachzeile »Verhältnis von CDU und AfD im Osten«. Bolle fragt sich: Wieso eigentlich „Brandmauer“? Brennt’s denn im Osten?

Was ist da bloß los in Thüringen? Und, genereller: Was ist da los bei der Ost-CDU?

Generell, genereller, am generellsten. Na toll! „Qualitätsjournalismus“, eben. Das hat man davon, wenn man einen ganzen Berufsstand für alle öffnet, die meinen, hinreichend ambitioniert zu sein und dabei in der Lage, ein paar Zeilen zu Papier bringen zu können. Garbor Steingart meinte kürzlich, und zwar völlig zutreffend: „Aus Journalisten sind Aktivisten geworden.“ Großes Herz – nicht ganz so großes Hirn. Na toll, zum zweiten.

Immer mehr Politiker an der Basis versuchen, Steine gegen die Brandmauer zu werfen, die die CDU gegenüber der AfD errichtet hat.

„Steine gegen die Brandmauer werfen“. Soll das ein Topos sein? Dazu kommt es zu selten vor – eigentlich überhaupt nicht, bislang. Eine Metapher? Dazu ist es erstens nicht ausdrucksstark genug und zweitens viel zu schräg. Eine Brandmauer ist keine Burgmauer, die man mit Steinen zu Fall bringen könnte. Was dann? Wir wissen es nicht. Aber geschenkt. Wichtiger ist die Frage: Wer eigentlich soll das sein –  „die CDU“? Die „Funktionäre“ – also „die da ohm“ bzw., in ostdeutscher Diktion, „die Bonzen“ – oder nicht doch eher „die Basis“. Werfen wir einen Blick in die Verfassung. Das Demokratieprinzip verlangt in einer repräsentativen Demokratie eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den staatlichen Organen. Zwar ist eine Partei kein „staatliches Organ“. Gleichwohl gelten hier die gleichen Regeln: „Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen“ (Art. 21 I S. 3 GG). Das bedeutet im Kern die Mißbilligung eines „Führerprinzips“ bzw., positiv gewendet, eine Willensbildung „von unten nach oben“. Kurzum: „die CDU“, verstanden als „Club der Funktionäre“ hat genau das zu tun, was „die Basis“ will – und nicht etwa „Brandmauern“ gegen ihre eigene Basis zu errichten. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Kennen wa ja seit 1961, meint Bolle. Also haltet Euch dran, Ihr aufrechten Demokraten. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Di 05-11-19 Thüringer List

Die CDU in Thüringen strebt ins Anti-Autoritäre: Von der CDU-Vorsitzenden und ihrem Vorstand will man sich Gespräche mit der AfD nicht untersagen lassen. So fordern mehrere Christdemokraten aus dem ostdeutschen Bundesland, „sich aktiv am Gesprächsprozess mit ALLEN demokratisch gewählten Parteien im Thüringer Landtag zu beteiligen“ (Hervorhebung im Original).

Gefunden in Garbor Steingarts Morning Briefing. Der wesentliche Punkt scheint Bolle nicht die gewählte Hervorhebung zu sein („allen“), sondern vielmehr die listige Unterscheidung zwischen der bisherigen Wendung „mit allen demokratischen Parteien“ und der neuen Fassung „mit allen demokratisch gewählten Parteien“. Über die Frage, ob die AfD eine „demokratische“ Partei ist, läßt sich trefflich und wohl bis zum jüngsten Tage streiten – zumindest aber so lange, bis das Bundesverfassungsgericht, und nur das Bundesverfassungsgericht und nicht etwa die Exekutive oder gar der „politische Gegner“, ein Machtwort spricht (Art. 21 II S. 2 GG). Daß die AfD aber eine „demokratische gewählte“ Partei ist, wird auch der überzeugteste „demokratische AfD-Hasser“ nicht leugnen können. Das Problem liegt natürlich tiefer: Wollen wir unter »Demokratie« schlicht und ergreifend eine Staatsorganisationsform verstehen – also einen Staat mit einer Volksvertretung, die die Regierung zumindest kontrollieren soll und sich regelmäßigen Wahlen zu stellen hat – oder wollen wir »Demokratie« auf die „Gemeinschaft der Guten“ einengen? Definiere »Die Guten«. In der politischen Auseinandersetzung hält sich natürlich jeder für „die Guten“. Was denn sonst? Verfassungsrechtler – oft sehr viel nüchterner als der jeweilige „politische Gegner“ – verstehen darunter im wesentlichen (und naturgemäß etwas vage) nicht mehr als die „Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten“, und das auch nur unter dem „Vorbehalt des Möglichen“ (BVerfG in ständiger Rechtsprechung). Deutlich konkreter wird die Verfassung in Art. 20 II GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […] ausgeübt.“ Das zu ignorieren ist im Kern „undemokratisch“ bzw. geradezu verfassungsfeindlich – auch wenn man sich selber noch so sehr zu den „Guten“ zählen mag. So gesehen gebührt den Thüringer „Anti-Autoritären“ (Gabor Steingart) höchstes Lob für ihre List. Aber das ist ein anderes Kapitel.

So 03-11-19 Die Quadratur des Kreises

Die »Quadratur des Kreises« steht sprichwörtlich für ein unlösbares Problem – so ähnlich wie vielleicht „die Quellen des Nils suchen“ aus der Römerzeit (caput Nili quaerere) oder „einen Pudding an die Wand nageln“. Und? Handelt es sich hierbei in der Tat um ein „unlösbares Problem“ – oder liegt der Hase ganz woanders im Pfeffer?

Man nehme einen Kreis und mache sich bewußt, daß er über seinen Radius vollständig definiert ist: Ein gegebener Kreis kann sich von einem anderen Kreis allein über seinen Radius unterscheiden. Dann nehme man eben diesen Radius und multipliziere ihn mit einer ebenso handlichen wie eleganten Zahl wie der Wurzel aus Pi und schwupps – schon hat man die Seitenlänge des gesuchten Quadrates. Noch einfacher geht’s nicht.

Entfernt erinnert die Darstellung übrigens an eine auf das geometrisch unverzichtbare runtergebrochene Version von Leonardo da Vincis »Mensch«. Doch das nur am Rande.

Was hat es also mit der sprichwörtlichen Unlösbarkeit auf sich? Es sei nun mal, hört Bolle immer wieder, unmöglich, mit Zirkel und Lineal (also geometrisch) ein flächengleiches Quadrat zu konstruieren. Na und?, fragt Bolle. Ein Problem ist doch nicht schon deshalb „unmöglich“ zu lösen, weil es nicht mit jedem beliebigen Mittel zu lösen ist. So würde ja auch niemand auf die Idee kommen, einen Nagel mit einem Stück Emmentaler als Faustkeil-Ersatz in die Wand hauen zu wollen. Ist es deshalb „unmöglich“, einen Nagel in die Wand zu hauen? Natürlich nicht – zumindest solange man nicht versucht, damit einen Pudding an die Wand zu nageln. Was mit den Mitteln der Geometrie nicht geht, geht dann eben mit den Mitteln der Algebra. Wir erinnern uns: Kreativität ist die Kunst, nichtvorhandene Probleme zu ignorieren. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Fr 01-11-19 Klima-Souveränität

„Ich halte nichts von dieser Konsumdebatte, weil die Wurzel der Probleme woanders liegt. Der Konsument kann das Klima nicht retten. Das können nur Politik und Wirtschaft.“

Gefunden unter „Zitate“ in der Tagesspiegel Morgenlage. Wer hat’s gesagt? Sarah Wagenknecht – die nach Bolles Ansicht ja sehr oft sehr, sehr richtig liegt. Hier aber muß Bolle scharf widersprechen: Der Konsument ist an allem „schuld“ – und zwar immer. Wie das? Nun, in seiner Eigenschaft als Konsument entscheidet er, was „die Wirtschaft“ tut. Würde er plaste-verpacktes Gemüse im Regal liegen lassen, dann gäbe es binnen kürzester Zeit kein plaste-verpacktes Gemüse mehr. Würde er es affig finden, mit einem SUV durch die Gegend zu brettern, dann gäbe es keine SUVs. Würde er es geschmacklos finden, mal eben übers Wochenende nach Malle (oder sonstwo hin) zu düsen (und zurück, of course), dann gäbe es solche „Billig-Fliegerei“ nicht. Kurzum: Wo Nachfrage ist, da ist auch Angebot. In dieser Hinsicht ist auf den Kapitalismus Verlaß. Das gleiche gilt für Mädchenhandel, Drogenhandel, Waffenhandel und Organhandel.

Mehr noch: In seiner Eigenschaft als „Souverän“ entscheidet er, was die Politik tut: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus (Art. 20 II S. 1 GG) – ein Prinzip, das in Deutschland sogar mit „Ewigkeitsgarantie“ ausgestattet ist (Art. 79 III GG). Zwar funktioniert dieser Zusammenhang nicht ganz so flott und sehr viel indirekter als in der ökonomischen Sphäre – das Prinzip aber ist das gleiche. Warum überschlagen und überbieten sich denn zur Zeit alle Parteien (mit Ausnahme der AfD vielleicht) mit „Maßnahmen zum Klimaschutz“? Weil sie der Wähler, bildlich gesprochen, ansonsten im Regal liegen läßt. Umgekehrt: Vor 5 oder 10 oder gar 50 Jahren wäre eine solche Ausrichtung politisches Harakiri gewesen. Die Grünen werden wissen, was Bolle meint (5 Mark für einen Liter Benzin, Magdeburg 1998) oder „Veggie Day“ (2013) bzw., ganz allgemein, das Image als „Verbotspartei“. Von so was muß man sich erst mal wieder erholen.

Kurzum: Wir haben es sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik mit einer „Diktatur des Konsumenten“ zu tun dem kapitalistischen Gegenstück zur „Diktatur des Proletariates“. Was nun, sprach Zeus? Im Grunde sieht Bolle zwei polare Optionen: a) Wir bejubeln das als Ideal. In der ökonomischen Sphäre heißt das Zauberwort in der Tat „Konsumentensouveränität“ – und in der politischen Sphäre wollen wir uns „unsere“ Demokratie erst recht nicht nehmen lassen („Ewigkeitsgarantie“, siehe oben). Oder aber, b) wir räumen der Möglichkeit, daß das böse in die Hose gehen kann, wenn wir so weiter machen, eine ernstliche Chance ein. China läßt grüßen.

Ist das bitter? Aber Ja doch! Klingt ein wenig nach „Teufel und Beelzebub“. Formal gesehen haben wir es hier mit einem schlichten Nash-Gleichgewicht zu tun: Wenn jeder das tut, was für ihn hier und jetzt das beste ist, dann kommt auf mittlere und längere Sicht für niemanden das beste bei raus – ganz im Gegensatz zur herrschenden Meinung in den Wirtschafts- und Politikwissenschaften. Bolle meint: Könnte sein, daß das noch nicht ganz zuende gedacht wurde. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mi 30-10-19 Wie kann das sein?

63% der Deutschen glauben, man müsse sehr aufpassen, wenn man seine Meinung öffentlich äußert.

Das ist der Aufmacher der ZEIT No 45 von heute. Das beste kommt dabei in der Kellerzeile: „Wie kann das sein?“ Bolle vermutet, daß die 37 restlichen Prozent entweder (1) gar keine Meinung haben – übrigens eine recht aparte Form von „Meinungsfreiheit“ –, (2) von Haus aus eher introvertierter Natur sind und ohnehin nie was sagen würden oder (3) sich in Chomsky’s „Korridor der erlaubten Meinungen“ sicher und geborgen fühlen (vgl. dazu auch »Fr 25-10-19 Besorgte Demokraten«). Genau so, liebe ZEIT, kann das sein. Im „Streitinterview“, einem neueren ZEIT-Format, gibt es auf Seite 12 folgendes zum Thema zu vernehmen:

„Sie haben eine Partei gegründet, die heute einen rechtsextremen Weg geht“

Die Aussage stammt von Katharina Fegebank, Wissenschaftssenatorin in Hamburg und Grüne, und richtet sich an ihren „Streitpartner“ Bernd Lucke, Gründer der AfD und gegenwärtig um den Wiedereintritt in die universitäre Umlaufbahn bemüht. Dabei wurden die ersten beiden Vorlesungsversuche von marodierenden Studenten niedergebrüllt und mußten abgebrochen werden. Bolle fragt sich: Was hat das alles mit „Meinungsfreiheit“ zu tun? Ein ordentlicher Professor an einer Hochschule sollte nicht meinen. Er sollte idealerweise wissen und dieses Wissen an seine Studenten weitergeben. Das ist der Job. Von daher ging es also weniger darum, was er weiß – und auch nicht darum, was er meint. Was dann? Es geht hier offenbar um das, was er seinerzeit, 2013, mit der Gründung der AfD getan hat. Früher nannte man so etwas „Lebensführungsschuld“. Verschärfend kommt hinzu, daß die gegenwärtige AfD mit der seinerzeit von Bernd Lucke gegründeten AfD außer dem Namen nicht mehr viel gemein hat. Das gleiche Muster kennen wir von der „SED / PDS / Die Linke“-Metamorphose. Immerhin hat es Die Linke mittlerweile geschafft, sich bei vielen – nicht allen – einen Platz innerhalb des zulässigen Meinungskorridores zu erobern. Eine ähnliche Metamorphose hatten seinerzeit übrigens auch die Grünen durchlaufen müssen – was der Sache eine gewisse Pikanterie verleiht. Kurzum: Solange wir es nicht fertigbringen, Wissen, Meinen, schlichtes Nicht-Wissen, Glauben und selbst schieres Tun auseinanderzuhalten, sieht es für die Sozialprognose dieser Gesellschaft nicht allzu günstig aus. Solange wir „Kampfbegriffe“ im Bestreben um mediale Aufmerksam so lange inflationieren, bis auch der sensibelste Zeitgenosse abgestumpft ist, solange wir jede Ablehnung (kognitiv) gleich zum „Hass“ (affektiv) hochjazzen und solange wir meinen, Fakt oder Fake stets sauber voneinander scheiden zu können – als läge die Wahrheit nicht allzu oft im Auge des Betrachters –  gilt selbiges. Aber das ist ein anderes Kapitel.