So 01-01-23 Ein gutes Neues Jahr Euch allen!

Ode an die Leude …

So, Ihr Lieben. Wieder ist ein altes Jahr von hinnen geschieden. Hier zur Einstimmung auf das Neue Jahr ein Verschen für Euer virtuelles Poesiealbum. Der Text hat sich Bolle neulich regelrecht aufgedrängt zwischen einer Last-Minute-Weihnachtsgans und einer rein jahreszeitlich doch etwas deplazierten Geburtstagsfeier. Gesungen wird es nach der Melodie von „Was müssen das für Bäume sein …“, of course.

Das Jahr 2022 war ja nicht zuletzt wohl auch ein Jahr der Sprüche – namentlich was die Volksbeglückung seitens der Politik-Prominenz angeht. Wenn man schon nichts – oder doch nur wenig – kann, dann muß man den Leuten wenigstens versuchen einzureden, daß man im Grunde doch voll toll ist. Bei „63%“ – so der einschlägige Code auf Twitter – mag das sogar fruchten. Der Rest vom Volk muß dafür um so mehr leiden ob solcher leistungsfreien Anmaßungen.

Was den Text unseres Liedchens angeht, mußten wir im Interesse größtmöglicher Nähe zum Original einige harte Kompromisse eingehen. Aber was soll’s. Wobei die ›Zwiebelfische‹ übrigens gar nicht mal so unpassend sind, wie man auf den ersten und möglicherweise doch eher flüchtigen Blick hin vielleicht meinen könnte. Im engeren Sinne handelt es sich bei ›Zwiebelfischen‹ um unpassende Lettern, wie sie sich beim Bleisatz mitunter ergeben haben – etwa weil der Stift (so hießen die Lehrlinge früher) es beim Zurücklegen der einzelnen Lettern in die passenden Schachteln an der nötigen Sorgfalt hat mangeln lassen und dabei etwa ein kursives „s“ in der Schachtel für die normalen „esse“ gelandet ist – was dem Gesellen beim Setzen eines frischen Textes unmöglich auffallen konnte. Von der ursprünglichen Wortbedeutung her meint ›Zwiebelfisch‹ allerdings ›minderwertige Ware‹. Von hier aus aber ist es nicht allzuweit zur Übertragung auf ›Leute, vor denen man nicht allzu ehrerbietig den Hut zu ziehen braucht‹. Damit ist eine rein sachliche Feststellung gemeint, of course, und nicht etwa ein wie auch immer gearteter möglicher Mangel an „Wertschätzung“ per se im weitesten Sinne. Bolle ist schließlich altmodisch genug zu meinen, daß Wertschätzung etwas ist, das man sich erwerben muß – und nicht etwa leistungsfrei und mit frecher Stirn mal eben so „einfordern“ kann.

Und damit wären wir mittenmang beim ›Demokraten-Profil‹ (vgl. Mi 21-12-22 Das einundzwanzigste Türchen …). Dort hatten wir (1) Urteilsfähigkeit, (2) Souveränität und (3) Freiheit von übertriebener Bangbüchsigkeit als das Holz bestimmt, aus dem sich Demokraten schnitzen lassen. An dieser Stelle liegt – davon ist Bolle mehr denn je überzeugt – wohl doch noch einiges im Argen. Aber nächstes Jahr wird ja bekanntlich alles besser, of course.

Soviel für heute. Wir wünschen Euch ein gutes Neues Jahr. Auch werden wir, versprochen ist versprochen, in Bälde wieder voneinander hören – falls uns bis dahin nicht der Himmel auffen Kopp fallen sollte. Möglich wär’s sehr wohl – beim gegenwärtigen Zustand von Volk und Vaterland (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 24-12-22 Das vierundzwanzigste – und für dieses Jahr letzte – Türchen …

Die Welt von gestern …

So schnell kann’s gehen. Auch die längsten 24 Tage des Jahres – das gilt zumindest, wenn wir die Welt durch Kinderaugen betrachten – gehen einmal vorüber. Heute schon also feiern die Christenmenschen die Menschwerdung ihres Heilandes.

Und so wollen wir schwer hoffen, daß die letzten Wochen Euch in der Grundstimmung eher besinnlich waren denn übermäßig turbulent – auch wenn das wohl nicht immer ganz einfach sein mag. Aber so ist das nun mal mit dem Seelenfrieden. Er stellt sich nicht von alleine ein. Vielmehr muß man andauernd was dafür tun. Aber wir arbeiten ja dran.

Gestern jedenfalls war Bolle Ente essen – oder war es Gans? Der Unterschied hat sich ihm bislang nicht so recht erschließen wollen – wohl weil es bislang an einem Direktvergleich gemangelt hat und die Erinnerung, wie dieses gemundet hat und wie jenes, im Laufe der Monate in Bolles Hirn so sehr verblaßt, daß ihm eine klare Unterscheidung bislang noch nicht gelungen ist. Heute vormittag jedenfalls steht der traditionelle Weihnachtsbummel an: Hände tief in die Manteltaschen und dort belassen. Ohne jegliches Gepäck – und vor allem ohne jede Absicht, irgendwas zu tun – außer den Leuten dabei zuzusehen, wie sie last minute ihre letzten Besorgungen erledigen.

Wie dem auch sei. In erster Linie geht es Bolle um die Würdigung der Jahreszeit. Ähnlich wie er zumindest versucht, im Sommer wenigstens einmal Erdbeeren zu essen (mit Schlagsahne, of course, und nur mit Schlagsahne), im Herbst Zwetschgenkuchen nach dem Rezept seiner lieben guten alten Großmama – und so fort.

Wir wünschen Euch also frohe und besinnliche Weihnachten und allen Menschen auf Erden – gleich, was sie sonst so glauben mögen – ein Wohlgefallen.

Hier noch ein Hinweis in eigener Sache: Im abgelaufenen Jahr haben wir Euch neben dem agnostisch-kontemplativen virtuellen Adventskalender ja nur zweimal ein Frühstückchen serviert – einmal im Januar und einmal im April, zum Osterfeste. Das ist natürlich äußerst dürftig und soll keinesfalls so bleiben. Wir hoffen also, daß wir im kommenden Jahr – falls uns nicht der Himmel auf den Kopf fällt, of course – etwas öfter voneinander hören werden.

Übrigens: Das letzte mal, daß Bolle ›Die Welt von gestern‹ gelesen hat, muß wohl mindestens schon vorgestern gewesen sein. Aber darauf kommt es nicht wirklich an. Wichtiger ist es wohl, einen gewissen Abstand zum Gewühle der Welt zu pflegen und sich zu bewahren. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 23-12-22 Das dreiundzwanzigste Türchen …

Ein Unterschied, der einen Unterschied macht …

Zwar ist noch lange nicht Silvester – die guten Vorsätze können also noch warten. Gleichwohl kann es kaum schaden, über die besinnlichen Weihnachtstage hinweg agnostisch-kontemplativ nicht ganz untätig zu bleiben – falls das nicht ein Widerspruch in sich ist. Nicht umsonst unterscheiden sich seit alters her vita contemplativa und vita activa, das tätige Leben. Bolle allerdings meint: papperlapapp! die Unterscheidung ist ein reines Konstrukt – ohne dabei rasend konstruktiv zu sein. Und wer würde sich schon ausgerechnet zum Fest der Liebe mit Bolle anlegen wollen?

In jüngeren Jahren hatte Bolle einmal eine Disputation mit seiner Yoga-Schülerschar (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) über die Frage, ob es möglich sei, daß ein Yogi Manager sein könne. Bolle meinte seinerzeit: Wenn nicht der – wer dann? Die Geschichte endete damit, daß Bolle einen nicht unerheblichen Teil seiner Lebenszeit als selbiger verbracht hat – ohne seine Yoga-Schülerschar dabei zu vernachlässigen, of course.

Aber all das soll heute nicht unser Thema sein. Vielmehr wollen wir ein weihnachtliches Lichtlein auf die kleinen Shit-happens-Momente werfen, wie sie etwa die allfälligen Besorgungen mit sich bringen können.

Daß es Menschen gibt, die ihrer Zeit am liebsten immer in etwa 10 Minuten voraus wären, hatten wir schon erwähnt (vgl. dazu So 04-12-22 Das vierte Türchen – der 2. Advent …). Von solchen Anfängerfehlern einmal abgesehen, kann man gleichwohl einiges erleben – auch im Weihnachtstrubel.

Dieses Jahr zum Beispiel hat sich die Post nebst ihrer Späti-Derivate recht unvorteilhaft hervorgetan. Da sollte etwa ein Päckchen, das an Herrn „Dipl.-Ing. Müller“ adressiert war, an „Ina Mühler“ ausgeliefert werden. Aus dem „Ing.“ wurde also „Ina“ – und was man bei „Müller“ falschmachen kann, wollte sich Bolle rein gar nicht erschließen. Obwohl – das läßt sich toppen: So wurde ein Päckchen, daß nach „Glinde“ in Schleswig-Holstein gehen sollte, nach „Indien“ verschickt. Zumindest fast. Irgendein Postler muß dann doch noch geschnallt haben, daß Glinde kaum in Indien liegen wird – auch wenn es rein phonetisch eine gewisse Ähnlichkeit geben mag. Auch war das Päckchen ganz regulär mit Inlandsporto versehen.

Über derlei könnte man sich amüsieren – wäre es nicht so, daß man sich doch wünschen würde, daß die Weihnachtsschoki spätestens zum Feste ihren Bestimmungsort erreicht und nicht etwa unter der heißen Sonne Indiens dahinschmilzt.

Ein dritter Vorfall – bleiben wir bei der Post als vorweihnachtlichem Abenteuer-Spielplatz: Bolle stand in einer (langen) Schlange, als vor ihm am Schalter ein rechter Rüpel seinen Unmut laut vernehmlich in die Schalterhalle ergoß. Der Grund: „aus technischen Gründen“ sei eine Bezahlung mit Bargeld „heute leider nicht möglich“. So stehe es auch auf einem Schild am Eingang. Man könne aber gerne mit der Bankkarte bezahlen. Natürlich hatte auch Bolle nur Bargeld dabei – zum Glück aber seine Weihnachtsgrüße in Heimarbeit schon ausreichend frankiert. Das war noch einmal gutgegangen. Knapp verfehlt ist schließlich auch getroffen.

Beim Rausgehen hatte Bolle in der Tat besagtes Schild gefunden. Man konnte es klar erkennen – sofern man wußte, daß es da hängt. Laßt uns also froh und munter sein bei den letzten Weihnachtsvorbereitungen und uns in der Kunst der Kontemplation im richtigen Leben üben. Im Detail wär das dann aber doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 19-12-22 Das neunzehnte Türchen …

Seelenfrieden …

Wir hatten gestern ja angedeutet, daß alles – oder jedenfalls sehr vieles – letztlich auf etwas so altmodisch oder gar schon mystisch klingendes wie ›Seelenfrieden‹ hinausläuft. Dabei ist Seelenfrieden – wie wohl alle tiefergehenden Begriffe – ein Teekesselchen. Damit kann einmal die Stimmung gemeint sein, mit der man sich einer Sache – egal welcher – zuwendet. Zum anderen kann damit das Ergebnis ebendieser Zuwendung gemeint sein – also die Stimmung, in der man sich befindet, wenn ein System funktioniert und man weiß warum. Das würde also dem Fall #1 unseres gestrigenTürchens (So 18-12-22 Das achtzehnte Türchen – der vierte Advent …) entsprechen.

In Pirsigs ›Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten‹ ist Phaidros (gewissermaßen der Protagonist und Ich-Erzähler) mit anderen zu Gast bei einem befreundeten Künstler. Phaidros schreibt zum Broterwerb technische Handbücher und Gebrauchsanleitungen. In einem früheren Leben, das er umständehalber aufgegeben hat, war er Hochschullehrer für das Fach Englisch. Phaidros hat ein Anliegen und wirft es als Thema in die Runde:

„Ich wollte nur sagen“, fange ich nochmal an, als ich mich endlich durchsetzen kann, „daß ich zu Hause eine Anleitung habe, die ungeahnte Möglichkeiten zur Verbesserung technischer Texte erschließt. Sie beginnt mit den Worten: ›Die Montage japanischer Fahrräder erfordert großen Seelenfrieden.‹“

Damit erntet er natürlich als erste Reaktion einen freundschaftlichen Lacher. Gleichwohl spürt die Runde, daß dahinter sehr viel mehr stecken könnte als nur ein guter Joke, und er erweckt ernstliche Aufmerksamkeit. Einer der Freunde fordert den „Herrn Professor“ auf, das Gesagte näher zu erläutern, und Phaidros hebt an:

„Seelenfrieden ist genaugenommen überhaupt nichts Oberflächliches“, erläutere ich. „Es ist das einzige, was zählt. Was ihn fördert, ist gute Mechanikerarbeit; was ihn stört, ist schlechte Mechanikerarbeit. Was wir als die Brauchbarkeit einer Maschine bezeichnen, ist nur eine Objektivierung dieses Seelenfriedens. Der letzte Prüfstein ist immer unsere eigene Gemütsruhe. Wenn man die nicht hat, wenn man beginnt, und sie sich nicht während der Arbeit bewahrt, dann läuft man Gefahr, seine eigenen persönlichen Probleme buchstäblich in die Maschine einzubauen.“

Hier finden sich also, in bestmöglicher Verdichtung, die beiden Begriffsinhalte des Teekesselchens. Einerseits die Stimmung, mit der man an eine Sache herangehen sollte – etwa wenn man ein „japanisches Fahrrad“ montieren will, und andererseits die Stimmung, in die „gute Mechanikerarbeit“ – also etwa das fertig montierte Fahrrad – einen versetzt.

Für heute wollen wir uns damit bescheiden – bis auf einen kleinen Hinweis in eigener Sache, vielleicht. Bolle liebt ja ganz grundsätzlich Selbstbezüglichkeit – wenn also etwa die Dinge, über die man redet, plötzlich im richtigen Leben in Erscheinung treten. So war es auch hier. Nach einem System-Update, das nicht wirklich zwingend nötig gewesen wäre, sah sich Bolle unversehens mit einer ganzen Reihe von Fall #4-Konstellationen konfrontiert und hatte reichlich Gelegenheit, das Dozierte – Wie bewege ich mich möglichst geschmeidig in der 4-Felder-Tafel, ohne einen Knall zu kriegen? – ganz lebenspraktisch anzuwenden. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 18-12-22 Das achtzehnte Türchen – der vierte Advent …

Murphy totalmente …

Bekanntlich gibt es immer zwei Möglichkeiten. Zumindest in einer dichotomen Welt ist das so. Gleichzeitig bedeutet das, daß es in einer zweidimensionalen dichotomen Welt immer vier Möglichkeiten gibt. So auch hier. ›Etwas‹ – in der 4-Felder-Tafel etwas hochtrabend ›System‹ genannt – kann entweder funktionieren oder nicht funktionieren. Und es ist möglich, daß man weiß, warum es funktioniert oder nicht funktioniert. Oder man weiß es eben nicht.

Wenn etwas funktioniert und man weiß warum (Fall #1), ist alles fein. Der Fall, daß etwas nicht funktioniert, man aber weiß, warum das so ist (Fall #2), ist weniger schön. In diesem Fall muß man den Fehler halt beheben, das System reparieren. Wenn etwas nicht funktioniert und man weiß nicht warum (Fall #4), dann ist die sprichwörtliche Kacke am Dampfen. So etwas führt unmittelbar zu innerer Unruhe. Hier hilft es nur, solange zu insistieren, bis man weiß, warum es nicht funktioniert. Rücke vor zu Fall #2, sozusagen. Oft genug allerdings reichen die eigenen Fähigkeiten nicht aus und man ist auf fremde Hilfe angewiesen. Immerhin ist das allemal besser als mit nicht-funktionierenden Systemen zu arbeiten – was ja schließlich per se sinnlos wäre.

Eine sehr eigenartige Konstellation ist Fall #3. Etwas funktioniert, wir haben aber keine Ahnung, warum. Hier scheiden sich die Geister. Während die einen froh sind, daß es überhaupt funktioniert und die Gründe hierfür Gründe sein lassen, gibt es andere, die so etwas schier in den Wahnsinn treibt. Es soll so mancher schon bei der Erklärungssuche so lange am System rumgefummelt haben, bis es schließlich nicht mehr funktioniert hat. Immerhin wußte er (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) dann, warum und fühlte sich gleich besser. So weit würde Bolle – bei aller Aversion gegen Fall #3 – dann allerdings lieber doch nicht gehen wollen. Manchmal muß man eben einfach ganz pragmatisch die sprichwörtlichen Fünfe gerade sein lassen.

Natürlich gibt es im richtigen Leben oft doch noch mehr Möglichkeiten als in der binären Logik. So kann es etwa sein, daß etwas nicht funktioniert und man weiß nicht, daß es nicht funktioniert. Die Warum-Frage stellt sich hier also gar nicht erst. Genau das ist uns vorgestern abend passiert. Die Ankündigungs-Email war geschrieben, ins System eingetütet – und tschüß. Sollte man meinen. Daß sie aber nicht ankommen würde wie vorgesehen, hatte sich erst am nächsten Morgen herausgestellt. Und schon waren wir wieder in vertrauten Bahnen – in diesem Falle Fall #4. Nach ein bißchen Insistieren sind wir dann über Fall #2 zu Fall #1 gekommen: es funktioniert und wir wissen, warum. Zumindest wollen wir davon bis zum Erweis des Gegenteiles ausgehen.

Was das alles mit der Adventszeit, der Ankunft des Heilands der Christenmenschen zu tun hat? Nun, wenn wir uns zu Weihnachten nicht zuletzt auch ›Frieden‹ wünschen, sollten wir nicht vergessen, daß es beim Navigieren durch die 4-Felder-Tafel auch um eine Art von Frieden geht, die wir aus rein kontemplativen Gründen niemals geringschätzen sollten: Den Seelenfrieden – wie ihn unseres Wissens Robert M. Pirsig in seinem ›Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten‹ (1974) präsentiert und popularisiert hat. Wir werden morgen oder in den nächsten Tagen darauf eingehen. Für heute aber wär das dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 17-12-22 Das siebzehnte Türchen …

Das kann man so sehen – oder so …

Wir haben uns in diesem Jahr hier in unserem agnostisch-kontemplativen Adventskalender noch nicht ein einziges mal dem Thema ›Corönchen‹ zugewendet. Und das soll auch so bleiben. Schließlich hat sich die Lage – von gewissen Resterscheinungen etwa in den Öffis sowie wackeren „Get vaccinated“-Appellen seitens offizieller Stellen einmal abgesehen – ja auch wieder weitestgehend beruhigt. Man kann wieder ohne Negativ-Nachweis und ohne Maskenmätzchen auf den Weihnachtsmarkt – ja, man darf dort sogar wieder einen Glühwein trinken.

Aus der Distanz betrachtet stellt sich Bolle der ganze, völlig unweihnachtliche Zauber letztlich als Ausfluß des Weltbildes oder zumindest des Körperbildes dar. Für Bolles lieben guten alten Yogalehrer ist der Körper der Tempel, den seine Eleven – nicht anders als andere Leute auch – nun mal brauchen, um sich auf und in der Welt bewegen zu können. In dieser Welt sind Viren schlechterdings nicht definiert. Was aber, wenn trotzdem einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einen Schnupfen kriegt? Dann ist das halt so. Schließlich hat auch der schönste Tempel von Zeit zu Zeit einen gewissen Renovierungsbedarf. Und wenn er daran sogar stirbt? Auch dann ist das halt so. So ein bißchen sterben kann einen echten Yogi nicht umhauen – wie der Meister stets, wenn auch mit rechtem Schalk im Auge, betont hat. Wieder eine Episode im ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens abgeschlossen.

Ganz anders die kontemporär-modernistische medizinisch-wissenschaftliche Sicht. Hier leben wir in einer Welt voller Widrigkeiten. An jeder Ecke lauern tödliche Gefahren. Ein mal nicht aufgepaßt, einmal die Impfung versemmelt – und zack, schon ist man tot. Wie furchtbar! Nicht einmal der Wetterbericht, der Bolle mehrmals täglich auf sein Handy flattert, kommt ohne dauernde „Warnungen“ aus. Da wird vor Hitze gewarnt, vor Kälte, vor Glätte, vor Regen, vor Sturm … Kurzum: vor dem Wetter an sich. „Volk unter Strom“ hat Bolle das an anderer Stelle einmal genannt.

Aber ist das nicht alles reichlich zynisch? Das wiederum hängt, wie so oft, schwer davon ab, was wir uns unter ›zynisch‹ vorstellen wollen. Ursprünglich, bei Diogenes und den anderen Kynikern – also den Vorläufern der Stoa – hatte man darunter die Einsicht verstanden, daß es keinen Sinn macht, sich das Leben mit der Angst vor dem Tode zu vermiesen. Und da ist durchaus was dran. Die moderne Deutung nebst pejorativem Beiklang (›Gefühllosigkeit gegenüber den Leiden anderer‹) kam jedenfalls erst sehr viel später auf – was unter den gegebenen Umständen natürlich nicht weiter verwundern kann. Gleichwohl bleibt es dabei: Hier haben die Kyniker bzw. die späteren Stoiker durchaus einen Punkt (wie man so etwas heutzutage zu nennen pflegt).

Die kontemplative Grundeinsicht – nämlich daß wir sterbliche Wesen sind und daß es uns ohnehin nicht vergönnt ist, uns mehr als nur eine sehr, sehr kurze Spanne auf dieser Wonderful World (Satchmo 1967) zu tummeln, und daß wir folglich nicht allzu viel Wind um das eigene Dasein machen sollten – vor allem dann nicht, wenn wir damit das Leben verfehlen – kann da schon mal leicht ins Hintertreffen geraten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 16-12-22 Das sechzehnte Türchen …

Das wahr’s dann wohl …

Ich muß Euch sagen, es weihnachtet sehr! So hat es Theodor Storm trefflich auf den Punkt gebracht – und so paßt es auch aufs Feinste zur Jahreszeit – und hoffentlich auch zu Eurer Stimmung. In unserem Bestreben, es etwas ruhiger angehen zu lassen auf die letzten Tage, hier ein kleiner Schnipsel Epiktet.

Epiktet wurde etwa 50 oder 60 Jahre nach dem Heiland der Christenmenschen geboren und konnte, als es für ihn Zeit wurde zu gehen, auf ein langes Leben von etwa 80 oder 90 Jahren zurückblicken. Selber geschrieben hat er – wie vor ihm auch schon Sokrates – rein gar nichts. Aber wofür hat man tüchtige Schüler, die fleißig Mitschriften anfertigen? So also hat wenigstens sein ›Handbüchlein der Moral‹ die Jahrhunderte überdauert und dabei mal mehr und mal weniger Einfluß auf die Sinn- und Wahrheitssucher dieser Welt gehabt. Ganz weg vom Fenster war es nie.

Der letzte Satz des Schildchens – der das ganze auf den Punkt bringt – lautet in den Bolle vorliegenden Fassungen „Er meint, recht zu handeln“ oder „Es schien ihm eben richtig so“. Sehr verständnisvoll, das – für Bolles Dafürhalten aber auch etwas zu passiv und viel zu brav. Möglicherweise schimmert hier der freigelassene Sklave durch. Darum hier die „freche Fassung“ – wie sie Bolle seit jungen Jahren schon bekannt ist. Die Quelle allerdings ist alles andere als bekannt. Jedenfalls ergibt auch eine Google-Volltext-Suche genau Null Treffer – was nicht allzu häufig vorkommt.

„Dem scheint das so zu sein“ – auch noch unterfüttert mit „sprich zu Dir selbst“ – legt es weniger darauf an, den Anderen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) zu verstehen, sondern ihn vielmehr ganz stoisch da stehenzulassen, wo er offenbar nun mal steht. Man muß schließlich nicht alles mit allen erörtern können. Vielleicht ist die freche Fassung einfach nur Bolles jugendlichem Hoch- bzw. Übermut entsprungen. Als praktische Verhaltensregel aber hat sie sich stets und allezeit bewährt.

Was aber ist, falls sich herausstellen sollte, daß man es selber war, der mit seiner Wahrheit danebenlag? Kein Problem: Hier hilft die nötige Portion Agnostik. Man muß ja schließlich nicht alles glauben, nur weil man selber es so sieht. Im übrigen ist der Kopf rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 06-12-22 Das sechste Türchen  – Nikolausi …

Genießen oder nutzen – das ist hier die Frage.

Und schon sind wir bis Nikolausi vorgerückt – und haben damit bereits ein Viertelchen unseres virtuellen agnostisch-kontemplativen Adventskalenders hinter uns gebracht. Was uns natürlich nicht davon abhalten muß, gelegentlich in das eine oder andere vergangene Türchen reinzulinsen. Heute wollen wir – weil auch das irgendwann einmal gesagt werden muß – einen kurzen Blick auf das altehrwürdige und meist schwer mißverstandene ›Carpe diem‹ werfen.

›Carpe diem‹ ist – sozusagen als Tüchtigkeits-Tugend – bis weit in Kreise vorgedrungen, die mit Latein ansonsten eher weniger am Hut haben. Da sind konzeptionelle Mißverständnisse durchaus nicht auszuschließen. So wird die Wendung in aller Regel mit „Fasse den Tag“ übersetzt – wobei „fassen“ soviel heißen soll wie ›ergreife ihn, nutze ihn, mach was draus – sei tüchtig‹.

Genau das meint die Wendung aber nicht. Carpe ist der Indikativ 2. Person Singular von carpere ›pflücken, necken‹. ›Fassen, fangen, ergreifen‹ dagegen heißt im lateinischen captare – wie zum Beispiel in dem Sinnspruch aquila non captat muscas – ›ein Adler fängt keine Mücken‹.

›Fasse den Tag‹ müßte demnach also zumindest cape diem heißen – also ohne „r“. Allerdings heißt es in der 2. Person Singular Präsens Imperativ Aktiv capta (und nicht cape). Damit würde ›Fasse den Tag‹ capta diem heißen müssen – und keinesfalls carpe diem.

Was hat das mit uns zu tun? Nun – carpe diem hat wohl mehr mit „verbringe den Tag im agnostisch-kontemplativen Gleichgewicht“ zu tun als mit irgendwelchen Tüchtigkeitsregeln: Springe nicht über jedes Stöckchen, das dir irgendein Dösbaddel vor die sprichwörtlichen Füße hält. Verbringe Deine Tage nicht damit, unentwegt 10 Minuten in der Zukunft zu leben (vgl. dazu So 04-12-22 Das vierte Türchen – der 2. Advent …) . Lebe Dein Leben nach Deiner Fasson. Tüchtig sein kannst Du nebenbei immer noch – weil das eine das andere natürlich nicht ausschließen muß bzw. sogar bedingen kann. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 04-12-22 Das vierte Türchen – der zweite Advent …

Trial and error.

Gestern war Bolle einkaufen. Nur ganz kurz, of course. Immerhin hat es gereicht, um – wie alle Jahre wieder – ein paar vorweihnachtliche Eindrücke aufzufrischen. Von Kontemplation war da nicht allzu viel zu spüren – auch nicht im weiteren Sinne. Mehr so ein Gedrängele und Geschiebe. Bolle hatte den Eindruck, die Leute leben auf kurze Sicht so in etwa 10 Minuten in der Zukunft. An der Fleischtheke stehen? Wird gleich vorbei sein. An der Kasse stehen? Das gleiche Bild. Irgendwo stehen oder gehen? Dito. Immer sind die Leute nur fast da, wo sie eigentlich sein wollen. Als Gegenbild können wir uns vielleicht Kassiopeia vorstellen, Meister Horas Schildkröte in Michael Endes Momo. Die konnte zwar ein viertel Stündchen in die Zukunft sehen. Bewegt hat sie sich aber in der Gegenwart – und nur in der Gegenwart. Bolle meint: Das hat das deutlich höhere Kontemplationspotential. Auf mittlere Sicht ergibt sich nichts anderes. Jetzt steuern die Leute das Fest der Christenmenschen an. Sind aber nur fast da. Aber dann! Und so weiter, und so fort …

Ob man dagegen sein Leben rückwärts zumindest „verstehen“ kann, hängt natürlich schwer davon ab, was man unter ›verstehen‹ verstehen will. Aus agnostischer Sicht handelt es sich dabei vielleicht einfach nur um eine Form von sich das eigene Leben, bildlich gesprochen, gewissermaßen schönzusaufen – wobei »schön« hier nicht viel mehr als ›stimmig‹ bedeuten soll. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 20-01-22 Bolles Dichotom

Die Geschmäcker sind verschieden …

Bolle hätte es ja nie für möglich gehalten, daß er auf seine alten Tage rein vernunftvermittelt noch mal richtig gläubig werden würde. Insbesondere einem Agnostiker steht das schließlich schlecht zu Gesichte.

Auf die Frage „Glaubst Du an Gott?“ sollte jede auch nur halbwegs entwickelte Seele (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) unvermittelt mit „Definiere Gott“ antworten müssen. Alles andere macht wirklich wenig Sinn – um nicht zu sagen: gar keinen.

Die Frage hingegen „Glaubst Du an Studien?“ würde nolens volens jede noch so niedrig liegende Latte intellektuellen Anstandes reißen. Hier wird es allen Ernstes wirklich albern. Aber genau das passiert zur Zeit – zumindest wenn man dem, was in kontemporären Talk Shows Abend für Abend verbraten wird, auch nur einen Hauch von Glauben schenken mag.

Da wird von „Faktenverdrossenen“ schwadroniert bzw., als stilistische Variante, von Leuten, die „keine Lust auf Fakten“ hätten. Man muß sich das mal klar vor Augen führen: Was, bitteschön, haben „Fakten“ denn mit „Lust“ zu tun? Wie es scheint, hat da so mancher (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) jegliche Distanz zu bzw. jegliche Einsicht in „Blubbersprech“ verloren. Was bleibt, ist arrogante Attitüde – die Wahrheit für andere. Die aber manifestiert sich konsequenterweise um so vehementer. Irgendwas muß einem ja bleiben im Leben …

Soll man denn gar nichts mehr glauben dürfen? Natürlich nicht. Allerdings man sollte, falls die Frage das erfordert, die Kurve zum „me“ nicht verfehlen: Wer bin ich, darauf zu antworten? (vgl. dazu, einmal mehr, unsere Grundlagen-Graphik bzw., zuletzt, Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …).

Wirklich wahr?

Also lieber ein bescheidener, demütiger Agnostiker als ein arroganter, besserwisserischer und hochmütiger Klugscheißer – stets redlich bestrebt, andere mit der eigenen Wahrheit zu beglücken. Bolle jedenfalls sieht das so.

Zugegeben: Es hat schon finsterere Zeiten gegeben – mit noch sehr viel durchgeknallteren Potentaten, die – egal ob im demo- oder autokratischen Gewande – von vaterlandskonformen Zeitgenossen sehr viel mehr als nur einen „Pieks“ erwartet und gefordert haben. Aber erstens sollte uns derlei nicht unbedingt als Vorbild dienen und zweitens wäre das dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel …