So 30-11-25 Der 1. Advent: Ich wär‘ so gerne auch mal wer

Sein oder Nichtsein …

So schnell kann’s gehen. Ist es doch gerade mal drei Wochen her, daß Bolle meinte, mit der Kunde aufwarten zu müssen, daß es wieder einmal weihnachte (vgl. dazu So 09-11-25 Es weihnachtet wieder). Mittlerweile allerdings dürfte auch dem letzten Christenmenschen aufgegangen sein, daß es in der Tat mal wieder soweit ist. Die Weihnachtsmärkte harren ihrer Kundschaft, die Poller stehen festvermauert in der Erden – oder doch zumindest so, daß möglichst alles für friedliche Weihnachten getan sein sollte. Kurzum: der Zauber kann beginnen.

Apropos Zauber: Eigentlich hat selbiger schon vor geraumer Zeit begonnen. Sagen wir 2015 – um dem ganzen mal einen Datumsstempel aufzudrücken. Seitdem ist eigentlich nur noch wenig, wie es einmal war. Und wer das nicht zu schätzen weiß – oder sich so ganz und gar nicht darauf freut – ist nazi, of course. Allerdings – das wollen wir nicht verhehlen – blättert hier der Lack allmählich doch ein wenig ab. Das entsprechende Labeling droht unter seiner eigenen Gravitation, verursacht durch langanhaltenden und völlig übermäßigen inflationären Gebrauch, allmählich in sich zusammenzufallen. Bolle meint ja: Wenn das Volk nur nicht immer so lange brauchen würde, um einzusehen, was einzusehen die Vernunft nun mal gebietet. All unsere Bestrebungen, Bolle klarzumachen, daß nun mal nicht jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) die schnellste Kerze auf der Torte sein kann, sind – wie soll man sagen – auf ein eher durchwachsenes Echo gestoßen. Im Kern sieht Bolle das ja ein – wenn auch nur eher nolens volens.

Das Volk folgt seinen Führern. Das leuchtet rein sozialpsychologisch ein. Was aber, wenn es sich bei den Führern – daß das Wort noch nicht verboten ist oder zumindest verpönt, wundert Bolle übrigens sehr – um ausgesprochene Egoshooter handelt? Leute also, die ach so gerne auch mal wer wären – und denen das Volk im engeren Sinne eigentlich so ziemlich am Allerwertesten vorbeigeht? Im Buch Jesus Sirach, Kapitel 3, Vers 22 (von der Demut) heißt es:

Strebe nicht nach dem,
was zu hoch ist für dich,
und frage nicht nach dem,
was deine Kraft übersteigt …

Eiseleins ›Sprichwörter und Sinnreden‹ (1840) übrigens hauen recht trefflich in die gleiche Kerbe:

Mancher auf Stelzen
ist für die Sache dennoch zu kurz.

Und Max Weber schließlich hält in seinem ›Politik als Beruf‹ (1919) die Eitelkeit für die größte Schwäche eines jeden, der sich zu Höherem berufen fühlt. Bolle meint ja, hierbei könnte es sich durchaus um ein Katz‘-und-Schwanz-Phänomen handeln.

Auch vermutet er, daß das Problem in einem dysfunktionalen Auswahlverfahren begründet liegen könnte. Die Möglichkeit nämlich, daß es sich bei dem, was es so an die Spitze spült, um das Beste handeln soll, was ein Volk im besten aristokratischen Sinne jeweils aufzubieten hat, will Bolle gar zu abwegig erscheinen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel. Jetzt ist erstmal Weihnachtszeit!

So 02-11-25 Plapper und Fallensteller

Vermintes Gelände …

Der Titel unseres heutigen Sonntagsfrühstückchens bezieht sich natürlich auf Zeiten, als Bolle noch Trappern und Fallenstellern wie etwa Sam Hawkens mit seiner tausendmal überflickten Weste nacheifern konnte, oder edlen Wilden wie Winnetou – ohne daß irgend jemand auch nur den geringsten Anstoß daran genommen hätte. Warum auch?

Heute scheint das alles ganz anders zu sein. Heutzutage ist es so, daß einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) zwar immer noch machen kann, was er will. Allerdings sollte er tunlichst darauf achten, bloß nicht in eines der oben skizzierten Fettnäpfchen zu tappen. Keinesfalls nämlich darf man rassistisch sein oder sexistisch beziehungsweise frauenfeindlich gar oder, oder, oder … Nicht einmal ›menschenverachtend‹ ist drin – obwohl es hierfür mehr als gute Gründe gäbe.

Bolle liebt es ja, die Dinge mit den Methoden der Mathematik präzise auf den Punkt zu bringen – und das ganze dann möglichst auch noch so darzustellen, daß es eigentlich jedem einleuchten sollte, sofern er nicht völlig vernagelt ist. Die Graphik oben ist übrigens bereits älteren Datums und hat bislang schon so manchen Studenten (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) zu einigem Nachdenken angeregt. Allerdings stand in den einzelnen Fettnäpfchen-Feldern bislang lediglich „Grrr!“–  als Ausdruck sozial verordneten Widerwillens.

Wenn wir uns also darauf verständigen, daß alles, was sich in den verschiedenen Feldern befindet, rein gar nicht geht, dann bleiben allein die dunkler unterlegten Felder am Rande. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein! Aber eben nur hier und nirgends sonst. Zugegeben: viel Spielraum bleibt da nicht.

Und genau so sieht sie denn auch aus, die dürftige und durchaus platte Debatte, die sich dem Volke hier und heute mit progressiver Tendenz darbietet. Da muß nur einer etwa ›Kleine Paschas‹ sagen oder ›Stadtbildoder ähnliches zum Besten geben – und schon ist wochenlang der Teufel los im Blätterwald. Da drängt sich doch die Frage auf: cui bono – wem zum Teufel soll das nützen?

Betrachten wir dazu das sozialpsychologische Muster, das hinter all dem stecken könnte, an einem historischen Beispiel. Dabei bietet sich jemand wie Luther geradezu an. Zum einen war justamente vorgestern erst Reformationstag – der den Jüngeren allerdings eher als Hallowe’en bekannt sein dürfte –, jener Tag also, an dem Luther 1517 seine 97 Thesen am Hauptportal der Schloßkirche zu Wittenberg angeschlagen haben soll. Zum anderen ist das alles so lange her, daß sich hier und heute wohl kaum einer übermäßig auf die Füße getreten fühlen dürfte.

Heider-Dreieck mit Ad-Hominem-Anwandlung (AHA).

Die Graphik zeigt ein sogenanntes Heider-Dreieck, von dem wir eigentlich nur wissen müssen, daß es genau dann stabil ist, wenn in ihm entweder gar keine oder genau zwei Minuszeichen vorkommen. Mehr noch: Wenn wir zwei Vorzeichen kennen – hier also die Beziehung von Luther zu seinem eigenen Argument (+) und die Beziehung von Antonius zu Luther (–), dann können wir auf die Ausprägung der dritten Beziehung (also Antonius zum Argument) schlußfolgern.

Luther hat ein Argument, egal welches (+). Und nun kommt sein Mitbruder Antonius oder – schlimmer noch – Papst Leo X (1475–1521), ein geborener Medici-Machtmensch, auf die Idee, Luther sei ja wohl ketzerisch – nachgeradezu häretisch also. Zwar hat der Einwand mit Luthers Argument im Kern rein gar nichts zu tun – aber bitteschön. Die dahinterstehende Logik: Weil (!) Luther Häretiker ist, sei folglich (⇒) sein Argument zu verwerfen (–). Allgemeiner, und lutherisch-derb auf den Punkt gebracht: Luther scheiße, also Argument scheiße. Der stilisierte rötliche Blitz soll dabei andeuten, daß das alles mögliche sein mag – nur eben keine Logik in einem wie auch immer gearteten Sinne. Darum wollen wir das auch nicht als Argument gelten lassen. Vielmehr wollen wir von einer Anwandlung sprechen – einem gedanklichen Konstrukt also, das sich nicht mit Luthers Argument auseinandersetzt (ad rem – auf die Sache bezogen), sondern mit Luther als Person an sich (ad hominem). In der Graphik haben wir es dementsprechend auch als Ad-Hominem-Anwandlung bezeichnet, kurz AHA.

Gleichwohl erfreut sich derlei – immerhin 500 Jahre nach Luther – ungebrochener Beliebtheit. Wer erst einmal als rassistisch, sexistisch, oder gar völkisch etc. pp. (siehe unser Bildchen oben) gelabelt ist, hat nach dieser Logik keine, wirklich gar keine Chance, irgend etwas vorzubringen, das auch nur im Entferntesten zustimmungsfähig wäre. Wie heißt es doch gleich in Faustens Studierzimmer, aus dem Munde des Mephistopheles? Spotten ihrer selbst – und wissen nicht wie.

Abschließend bleibt natürlich die Frage: wer labelt da? Wer hat ein Interesse daran, eine sachliche Auseinandersetzung (ad rem) durch sozialpsychologische Spielchen (ad hominem) zu ersetzen? Zuvörderst wohl jene, die sehr genau wissen, daß sie für eine offen und ehrliche Ad-Rem-Auseinandersetzung kein allzu gutes Blatt auf der Hand halten. Dann doch lieber die Ad-Hominem-Anwandlung (AHA) als Argumentationsersatz. Auch muß man hier nicht so viel denken – was manchem durchaus entgegenkommen mag. Einen der Dröhnsprechbegriffe von unserem Schildchen in die Diskussion geworfen – und schon ist man im Spiel. Nicht mal definieren muß man sie. Hauptsache laut und lärmend und langanhaltend. Neil Postman übrigens hat sich diesem Phänomen in seinem ›Wir amüsieren uns zu Tode – Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie‹ (1985) vor nunmehr 40 Jahren schon recht ausführlich gewidmet. Allein: Vergebens predigt Salomo … Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 19-10-25 Der Geist des Kapitalismus

Der Geist des Kapitalismus – mit postsozialistischem Einschlag.

Unser Bildchen heute zeigt original Ostberliner Industrie-Design, wie es sich nicht mehr allzu häufig findet in der Stadt. Vor zwanzig Jahren noch – ja damals – waren von Maschinengewehrfeuer gelöcherte Fassaden durchaus noch normal im Stadtbild. Immerhin: bei Bolle vor der Haustür gibt’s das noch.

Nun ist Bolle durchaus kein Architekturhistoriker. Aber da es sich hierbei erkennbar nicht um einen Plattenbau handelt, dürfte das Gebäude durchaus älter sein als die damalige DDR. Ob es aber im oder schon vor dem tausendjährigen Reich errichtet wurde, weiß Bolle nicht zu sagen. Die ästhetischen „Verfeinerungen“ an der Fassade allerdings dürften definitiv aus postsozialistischen Zeiten stammen.

Dabei sind am rechten Bildrand schon erste, zaghafte Modernisierungsbestrebungen zu erkennen: die Fenster wurden, so wie’s aussieht, durch energieeffizientere Plaste-Fenster ausgetauscht. Unter ästhetischen Gesichtspunkten wohl eher fraglich, findet Bolle. Aber wenn’s dem Fortschritt dient … Bolle – mit den hiesigen Verhältnissen durchaus einigermaßen vertraut –, vermutet, daß da einer den Energieeffizienz-Fördermitteln nebst Umlage-Möglichkeit auf die Mieter nicht widerstehen konnte.

Bei Thomas Manns ›Buddenbrooks‹ (1901) hatte sich folgendes zugetragen: Tony Buddenbrook – höhere Tochter aus dem eher calvinistischen Norden – hatte es ehestandshalber ins katholische München verschlagen. Dort war man weniger ehrgeizig – und dafür umso gemütlicher. Und so mußte sich Tony, kurz nach der Hochzeit schon, von ihrem Göttergatten folgendes anhören:

„Tonerl“ – er nannte sie Tonerl – „Tonerl, mir war’s gnua. Mehr brauchen mer nimmer. I hab’ mi allweil g’schunden, und jetzt will i mei Ruh, Himmi Sakrament. Mer vermieten’s Parterre und die zwoate Etasch, und dahier hamer a guate Wohnung und können a Schweinshaxen essen und brauchen uns net allweil gar so nobi z’sammrichten und aufdrahn … und am Abend hab’ i ‘s Hofbräuhaus. I bin ka Prozen net und mag net allweil a Göld z’ammscharrn; i mag mei G’müatlichkeit! Von morgen ab mach’ i Schluß und werd’ Privatier!“

Privatier! Sein ›Tonerl‹ –zuhause bekannt als ›Tony‹ beziehungsweise eigentlich ›Antonie‹ – war entsetzt. Wie kann man nur mit einem solch eklatanten Mangel an Ehrgeiz durchs Leben laufen?

Sind nun die hanseatischen Großbürger die besseren Menschen? Oder nicht doch eher die Münchner? Natürlich ist die Frage sinnlos. Sie sind einfach nur anders drauf. Seinerzeit bedurfte es offenbar durchaus noch einer gewissen „interkulturellen Kompetenz“, um sich auch nur zwischen nördlicheren und südlicheren Gefilden des Deutschen Bundes zurechtzufinden.

Einer der ersten, die deutlich auf diesen Umstand hingewiesen haben, war wohl Max Weber mit seinem ›Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus‹ (1904/05), der meinte, daß es neben rein ökonomischen Aspekten durchaus auch eines gewissen religiös „fundamentierten“ innerweltlich-asketischen Berufsethos bedürfe.

Kurzum: Es kommt doch sehr darauf an, wie die Leute – als Population – ticken. Unter dem gegenwärtigen multikulturell-ultraintegrativen Einheitsbrei-Paratickma haben derlei Ideen derzeit allerdings keine Chance. Gleichwohl wird Bolle den Verdacht nicht los, daß eine Gesellschaft ohne ein gewisses Maß an Gruppenkohäsion (vulgo: Wir-Gefühl) nicht funktionieren kann und wird – nicht einmal wirtschaftlich. Allein: wer steckt’s den herrschenden Schichten – die ja zu meinen scheinen, daß es lediglich einer gehörigen Portion „Sondervermögens“ nebst einer nicht minder gehörigen Portion Propaganda bedürfe, und alles werde gut. Bei den Buddenbrooks jedenfalls wurde noch in ehrlichen Kuranttalern gerechnet. Und wenn die alle waren, dann war eben Schicht im Schacht – und man mußte „Bankeröttchen“ machen, wie es seinerzeit hieß. In Bolles Kreisen nennt man derlei ›Kurze Feedback-Schleife‹. Deren reine Existenz hat den unschätzbaren Vorzug, einen vor übertrieben optimistischen Ambitionen – man könnte auch sagen: Traumtänzereien – zu bewahren. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 30-03-25 Schnullologie

Eine Dose ist eine Dose ist eine Dose.

Wie das Leben so spielt, hatte Bolle dieser Tage rein umständehalber mit Schnullerflaschen zu tun – das erste mal seit einigen Jahrzehnten. Damals war die Welt noch „überschaubar“ – um es einmal in Hülsenfrüchtchens Terminologie zu fassen. Milch (oder was auch immer) in die Flasche, trinken – fertig. An sonderliche Probleme jedenfalls kann Bolle sich beim besten Willen nicht erinnern.

Heute dagegen – eine ellenlange Gebrauchsanleitung in nicht weniger als 30 Sprachen. Damit das alles auf den ohnehin schon mörderisch dimensionierten Beipackzettel paßt, hat der Hersteller eine Schriftgröße gewählt, an der Bolle sich seinerzeit glatt die Augen verdorben hätte. Im Wesentlichen heißt es dort, so eine Nuckelflasche sei ein durchaus gefährliches Ding. Man müsse höllisch aufpassen, daß Baby stets nur unter Aufsicht eines Erwachsenen mit der Flasche in Berührung komme. Das Glas könne splittern, auch könne sich Baby unter Umständen strangulieren oder aufgrund mangelnder Hygiene gar einen unbotmäßig frühen Tod erleiden. Folglich müsse man … et cetera bla, bla.

Nun – es dauerte nicht lange, bis Bolle sich der Terminus ›Schnullologie‹ hatte aufdrängen wollen. Einmal in der Welt, wurden Bolle stante pede die unabweisbaren Weiterungen bewußt. Wenn Baby sich so wild und gefährlich durch die ersten Wochen und Monate seines jungen Lebens kämpfen muß – stets „gefühlt“ bedroht von splitterndem Glas und üblen Keimen –, dann muß man sich nicht wundern, wenn aus Baby später eine rechte Bangbüchs wird – stets gewillt, sich helfen, retten, schützen zu lassen. Baby kann dann alles werden – nur kein Souverän. Unter „demokratietheoretischen“ (so das jüngste Modewort) Gesichtspunkten scheint Bolle das alles mehr als bedenklich.

Aber kann man die Schnullologie dermaßen hochhängen? Bolle meint, man kann. Durchaus. Nicht zuletzt bei Aldous Huxley heißt es ja: „Schöne neue Welt, die solche Bürger trägt!“ Eine solche Welt kann alles sein, nur – mangels souveränen Souveränen –, keine Demokratie.

Im übrigen gilt seit heute mal wieder die Sommerzeit. Was hatte man sich damals (1980) nicht alles davon versprochen? Energieersparnis ohne Ende – im Namen der Wissenschaft, of course. Heute, anderthalb Generationen später, weiß man, daß man eher nichts weiß – beziehungsweise noch immer nichts. Schnullologie, eben. Immerhin ist eines klar: Eine Dose ist eine Dose ist eine Dose (Bolle featuring Gertrude Stein). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 23-02-25 De ratione belli

Wie sich die Bilder gleichen …

De ratione belli? Vom Sinn des Krieges? Ja, kann ein Krieg denn sinnvoll sein?

Soweit Bolle das überblicken kann, würden die meisten – namentlich die sogenannten einfachen Leute – ein ruhigeres und friedliches Leben, gern auch mit kleineren Höhen und Tiefen, einer aufregenden beziehungsweise aufreibenden Existenz als Kriegsheld durchaus vorziehen.

Natürlich gibt es auch ganz andere. Als ebenso prominentes wie klassisches Beispiel mag uns Achilleus dienen. Vor die freie Wahl gestellt, ein kurzes, aber ruhmreiches Leben zu leben oder aber ein langes ohne sonderliche Fährnis und Gefahr, hatte er sich seinerzeit in jungen Jahren schon ausdrücklich für ersteres entschieden. Und so kam es dann auch. Obschon – ähnlich wie Sigfried in der Nibelungensage – praktisch unverwundbar, traf ihn vor den Toren von Troja der Pfeil des Paris – und zwar ausgerechnet an seiner sprichwörtlichen Achillesferse. Exitus. Heldentod.

Andererseits: Hätte Achilleus sein Leben in seiner thessalischen Heimat in ruhigen Bahnen verlebt, so wüßten wir heute rein gar nichts von ihm. Von hinnen geschieden wäre er, Stand hier und heute, allerdings so oder so.

Hatte also Bob Dylan nicht ganz Unrecht, als er 1963 seine Frage nebst sibyllinischer Antwort in die Welt geworfen hatte?

Yes, and how many times must the cannonballs fly
Before they’re forever banned?
The answer, my friend, is blowin‘ in the wind.
The answer is blowin‘ in the wind.

Nur wenig später – in den 1970er Jahren – kam Jane Goodall, eine britische Ethologin, dann aber mit ihren Schimpansenkriegen. Schimpansen bekriegen sich unter bestimmten Umständen kaum weniger mies und fies als wir Menschen in unserer Rolle als deren entwicklungsgeschichtliche Nachfahren. Einer von Goodalls Kollegen hat das wie folgt auf den Punkt gebracht: Wenn die Gewehre hätten – sie würden sie benutzen.

Unser Bildchen haben wir übrigens in Steingarts Morning-Briefing gefunden. Es ist offenkundig angelehnt an das „historische“ Bild der Jalta-Konferenz gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Für alle, denen das Original nicht unmittelbar vor Augen stehen sollte – hier ist es:

Jalta 1945 — mit Churchill, Roosevelt und Stalin.

Das Bild zeigt die seinerzeit wesentlichen Akteure Churchill, Roosevelt und Stalin. Von den Franzosen wollen wir hier stille schweigen. Vor allem aber Adi, der große Diktator, war damals ganz und gar nicht  dabei. Und so – genau so – ergeht es jetzt dem, wie die Yanks das neuerdings sehen, kleinen ukrainischen Diktator. Möglicherweise haben sie damit sogar Recht. Oder, wie Bolle manchmal zu bemerken pflegt: Augenhöhe gibt es nur unter gleichen.

Krieg ist Streit. Und Streite wollen entschieden sein. Alles andere führt zu einem nicht-enden-wollenden Hickhack. Dabei gibt es, grosso modo, rein sozialpsychologisch drei beziehungsweise vier Ebenen für einen Streit-Entscheid –

Streit-Entscheid-Ebenen.

… wobei die Ebenen in dieser Reihenfolge Wirkung entfalten. Wenn also zum Beispiel einer einen Streit argumentativ beziehungsweise kognitiv austragen will, der andere aber mit einer Tracht Prügel droht: Wer wohl wird sich durchsetzen?

Ist das schön? Oder gerecht? Natürlich nicht. Immerhin ist es klar. Und darin mag ein großer und nicht zu unterschätzender Vorzug liegen. Nichts anderes wohl hat Karl von Clausewitz gemeint mit seinem Diktum:

Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

An dieser Stelle wäre einiges zu vertiefen. Beschränken wir uns auf das Unverzichtbare: Wenn man es mit jemandem zu tun hat, der einem (um im Bild zu bleiben) eine Tracht Prügel (oder schlimmeres) androht, dann macht ein Rücksprung auf eine der höheren Ebenen so rein gar keinen Sinn. „Ich akzeptiere aber nicht, daß Du mich prügeln willst.“ Das wäre einfach nur lächerlich – und nichts als lächerlich.

Natürlich kann man ankündigen, den großen Bruder zu rufen, und der haut Dich dann. Das allerdings funktioniert, wenn überhaupt, nur dann und nur solange man einen großen Bruder zur Hand hat, der wirklich groß und stark ist und überdies aufgeschlossen mitzuspielen.

Hier hat sich, vergleiche unseren Beitrag letzte Woche (So 16-02-25 Die Erwachsenen sind zurück) über Nacht ganz Entscheidendes getan. Wieso und warum läßt sich vorläufig nur erahnen. Zeitgeist, vielleicht? Bei Clausewitz liest sich das so:

„Wir sehen also, wie von Hause aus das Absolute, das sogenannte Mathematische, in den Berechnungen der Kriegskunst nirgends einen festen Grund findet …“. Mit anderen Worten: Shit happens, mitunter.

Seit 1879 übrigens schon ist der folgende, meist fälschlicherweise Bismarck zugeschriebene Spruch belegt: Es wird nie mehr gelogen als vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd. Von ›Nach der Jagd‹ weiß Bolle wenig zu berichten. Von ›Während des Krieges‹ so einiges – und zwar seit 2008. Von ›Vor der Wahl‹?  Sagen wir so: Die professionellen Seelenmasseure (siehe die Übersicht ›Streit-Entscheid‹) sind rührig unter uns. Auf die Gefahr hin, uns zu wiederholen: Wählt weise – zumindest aber wohlbedacht. Die Fakten liegen sämtlich auf dem Tisch – wenn auch gelegentlich durch eine Serviette mehr oder minder geschickt verdeckt. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 02-02-25 Akkulturationsformen

Akkulturationsformen.

Alle reden von Integration. Alle? Natürlich nicht. Bolle etwa hat da so seine Zweifel.

Der erste Punkt – wie so oft: Definiere ›Integration‹. John W. Berry, ein kanadischer Sozialpsychologe, hatte dazu 1970 schon sein Konzept des ›Acculturative Stress‹ vorgestellt. Dabei hat er mögliche Ausprägungen in einer 4-Felder-Tafel mit den Dimensionen ›Ist es wünschenswert, daß die Zugereisten ihre kulturelle Identität bewahren?‹ und ›Ist es wünschenswert, daß die Einheimischen Kontakt zu den Zugereisten herstellen bzw. halten?‹ dichotomisiert.

Dabei hat er den Fall Ja/Ja – also ›Die Zugezogenen sollen ihre kulturelle Identität bewahren‹ und ›Die Einheimischen sollen Kontakt zu ihnen herstellen bzw. halten‹ als ›Integration‹ bezeichnet. Und nur das.

Kontakt zu halten, während die Zugereisten ihre kulturelle Identität aufgeben, hat er ›Assimilation‹ genannt. Wir kennen das von den Borg aus StarTrek: „Sie werden assimiliert. Widerstand ist zwecklos.“ Auch das ist eine Form der Akkulturation, of course.

Daneben gibt es noch die ›Separation‹ mit der Botschaft: „Du darfst so bleiben wie Du bist – allerdings wollen wir nichts mit Dir zu tun haben“ und, last but not least, die ›Marginalisation‹: „Paß Dich gefälligst an. Zu tun haben mit Dir wollen wir trotzdem nichts.“

Und? Wie sieht’s in der real existierenden Wirklichkeit aus?

Nachdem Deutschland – gemeint ist natürlich die vom Volk inaugurierte Polit-Prominenz – jahrzehntelang mit sich gehadert hatte, ob D denn nun ein „Einwanderungsland“ sei oder nicht, hat sich, so zumindest will es Bolle scheinen, die Jellinek’sche normative Kraft des Faktischen (vgl. dazu Mo 09-12-24 Das 9. Türchen: Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze) Bahn gebrochen – wie immer, wenn man handelt (oder gewähren läßt), ohne einen Plan im engeren Sinne zu haben.

In den 1960er Jahren wurden die damals für das Wirtschaftswunder in der Tat dringend benötigten Hilfskräfte – von Facharbeitern zu sprechen, wäre wohl durchaus übertrieben – noch verschämt oder vielleicht auch naiv als „Gastarbeiter“ bezeichnet. Gäste zum Arbeiten einzuladen fand Bolle damals schon zumindest sprachlich schief. Wie sich sehr schnell zeigen sollte, war es durchaus auch inhaltlich schief.

So richtig gerappelt im Karton hat es dann aber erst in jüngerer Zeit, nämlich 2015, als es hieß, was und wie auch immer, wir würden das schon schaffen. Deutschland sei schließlich … bla, bla, bla. Besonnenere – und wohl auch durchaus klügere – Ganz-Fast-Zeitgenossen wie etwa Peter Scholl-Latour (1924–2014), die meinten, wer halb Kalkutta aufnehme, werde nicht etwa Kalkutta retten, sondern selber zu Kalkutta werden, wurden dabei verlacht, verspottet und verhöhnt – zumindest aber blieben sie ungehört.

Während sich die gewählten Vertreter des Deutschen Volkes – sonst immer bei jeder popeligen Kleinigkeit auf das Ansehen des „Hohen Hauses“ bedacht – dieser Tage in aller Welt-Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgeben, brillieren Teile der Polit-Prominenz mit vielsagenden Buchtiteln wie etwa ›Mein Bach‹ oder ›Freizeit‹ – oder so ähnlich. Ist Deutschland also am sprichwörtlichen Arsch? Fast könnte es einem so scheinen. Allein: Bolle mit seinem agnostischen Optimismus will nicht mal an das Verderben glauben. Schließlich habe sich Deutschland schon öfters mal aus der sprichwörtlichen Scheiße rausgeritten. Daß sich die Deutschen jedesmal vorher überhaupt erst reingeritten hatten, ist natürlich Teil der Wahrheit – und soll hier nicht geleugnet werden.

Im übrigen läßt sich Berrys Modell recht gut mit Harris‘ ›Ich bin o.k. – Du bist o.k.‹ (1976) verknubbeln – vergleiche dazu den kleingedruckten Text in den vier Feldern. Dabei zeigt sich, wenn man es zu Ende modelliert, sehr leicht und recht mühelos, was von alledem funktionieren könnte – und was never ever. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 18-12-24 Das 18. Türchen: Vox populi – vox quojus?

Vox populi – vox quojus? Volkes Stimme – wessen Stimme?

Die Wendung ›vox populi vox Dei‹ war das ganze Mittelalter hindurch geläufig – und erfreut sich bei manchen heute noch einer ungebrochenen Beliebtheit. Nicht zuletzt bei Elon Musk, wenn er meinte: „44 Milliarden Dollar – das war nicht der Preis für Twitter. Das war der Preis für die Wiederherstellung der Redefreiheit.“ (vgl. dazu So 10-11-24 Die freiere Zeit).

Mit derlei Aussagen stößt man natürlich nicht bei allen und auch nicht zu allen Zeiten auf Gegenliebe. Schon Alkuin, ein britischer Mönch und Berater Karls des Großen, meinte seinerzeit, man solle nicht auf jene hören, die behaupten, daß Volkes Stimme Gottes Stimme sei, weil, so die Begründung, die Neigung des Volkes aufzubrausen oft dem Wahnsinn nahekäme.

Ist das nicht herrlich? Heute würde man das nur etwas anders formulieren und sagen: das Volk neigt zu „Haß und Hetze“. Und da einfach weghören nicht mehr ganz so einfach ist wie noch damals, um 800 n. Chr. herum, ist es womöglich das Beste, dem Volk im Keime schon das sprichwörtliche Maul zu stopfen. Entsprechende Bestrebungen gibt es derzeit ja zur Genüge.

Warum aber halten nicht alle einfach die Klappe – statt zu riskieren, bei der Obrigkeit anzuecken oder schlimmeres? Bleiben wir sachlich und stellen nüchtern fest, daß Kommunikation nicht weniger ist als ein Systemerfordernis. Ohne Austausch kann kein System funktionieren. Das ist auf der rein biologischen Ebene so – und es ist auf der anthropologischen Ebene nicht anders. Wenn die Zellen eines Lebewesens nicht mehr vernünftig kommunizieren, ist das Lebewesen tot. Exitus!

Auf anthropologischer Ebene – und übrigens noch viel früher – ist es nicht anders. Hier nur ein Beispiel: Bolle hatte seinerzeit Jahre gebraucht, um zu kapieren, wozu in alles in der Welt so etwas wie Klatsch und Tratsch gut sein mag. Die Antwort: es hält die Gruppe zusammen. Ohne Klatsch und Tratsch kein Zusammengehörigkeitsgefühl – und damit auch keine Gruppe. Exitus! Konrad Lorenz übrigens hat dem seinerzeit mit seinem ›Das sogenannte Böse‹ (1963) ein ganzes gut und recht anschaulich lesbares Buch gewidmet.

Bei dieser Konstellation ist es natürlich nachgerade „tödlich“, wenn ein N:N-Austausch (jeder kann im Prinzip mit jedem reden) durch den 1:N-Austausch (einer redet, alle anderen hören zu) der sogenannten „Leitmedien“ verdrängt wird. Formen wie zum Beispiel TwitteX dagegen ermöglichen einen echten N:N-Austausch. Übrigens redet Bolle schon lange nicht mehr von „sozialen“ Medien – sondern eben von N:N-Medien. Daß ein N:N-Austausch manchen ganz und gar nicht recht ist, versteht sich. Unkontrollierte Kommunikation? Bei der Neigung im Volke zu „Haß und Hetze“? Wo kommen wir da hin? Laßt uns lieber „helfen, retten, schützen“. Bolle könnt‘, wie immer an der Stelle, glatt kotzen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 13-10-24 Die beste Lösung

Der Problemlösungszirkel oder De arte solvendi.

Nun streiten sie wieder. Oder noch. Oder immer noch. Was kann es Schöneres geben als in einer Schnatterrunde (Neudeutsch: Talkshow) hinter einem süffigen Schlückchen Wasser zu sitzen und – zu streiten? Streiten ist nachgerade und überhaupt das Wesensmerkmal „unserer Demokratie“, möchte man meinen. Und? Um was streitet man? Um die beste Lösung, of course. Da ist man rührig bestrebt, den jeweiligen politischen Gegner mit dem jeweils „besseren Argument“ zu „stellen“ und – so womöglich die Idee – eines Besseren zu belehren bzw. gar zu bekehren.

Allein, es will nicht wirklich fruchten. Der jeweilige politische Gegner neigt nämlich dazu, das Bessere am vermeintlich besseren Argument einfach nicht einsehen zu wollen. In der Folge verhärten sich regelmäßig zusehends die Fronten – die Gesellschaft ist, wie es immer so schön heißt, „gespalten“. Da hilft wohl nur unterhaken – beziehungsweise ein Aufstand der Anständigen gar. Das Argument indes, erst recht das bessere, bleibt derweil auf der Strecke.

Und? Wo bleibt das Positive? Sagen wir so: Bolle findet es immer wieder höchst erfreulich, wieviel Unsinn bzw. wieviel Belangloses von einem abfällt, wenn man sich nur befleißigt, ein geeignetes Modell zu bemühen. Nun – haben vor lachen. Aber daran soll es weiß Gott nicht scheitern. Nehmen wir unser Modell aus dem Schildchen oben. Es beschreibt direktemang den Weg von einem gegebenen, im Zweifel unerfreulichen Ist-Zustand zu einem angestrebten Soll-Zustand. Wir wollen es hier nicht weiter durchkauen. Nur so viel:

Wenn ich nicht weiß, wo ich stehe – Ist-Analyse –, wird es schwierig zu wissen, in welche Richtung ich mich bewegen muß, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Man kann sich das ganz praktisch klarmachen: Nehmen wir an, wir wollten nach Berlin Mitte. Wenn wir uns zum Beispiel in Prenzlauer Berg befinden, sollten wir uns tunlichst Richtung Süden bewegen. Wenn wir uns dagegen in Kreuzberg befinden, wäre, tout au contraire, der Norden die richtige Richtung. Es gibt also keinen unter allen Umständen richtigen Weg. Selbst so etwas muß man, wie’s scheint, so manchem Wassersüffler (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) in so mancher Schnatterrunde erst mühsam erklären.

Sehr viel dramatischer noch verhält es sich mit der Ziel-Definition. In Bolles Kreisen heißt es oft scherzhaft: Wenn Du nicht weißt, wo Du hinwillst, mußt Du dich nicht wundern, wo Du ankommst.

Begnügen wir uns mit einem einzigen, dafür aber strikt kontradiktorischen Beispiel: Die einen wollen mehr Zugereiste – egal ob Einwanderer, Asylberechtigte oder Flüchtlinge –, die anderen weniger. Was will man da „argumentieren“? Sie wollen es einfach. Und was jemand will, hat mit Argumenten nichts, aber auch rein gar nichts zu tun – so wahr Schwester Logik und Schwester Ethik in verschiedenen Universen leben (vgl. dazu etwa unser Frühstückchen letzte Woche: So 06-10-24 Propaganda). Ersatzweise wirft man sich dann wechselseitig vor, schlechte Menschen zu sein, für die man sich zu schämen habe, Nazis oder gar Verfassungsfeinde – oder eben Wolkenkuckucksheimer. Na toll! Die Schnatterrunden sind voll davon.

Ist das denn alles völlig aussichtslos? Nicht ganz. Bevor ich aber mit dem besseren Argument aufwarten kann, muß ich zwingend erst einmal dafür sorgen, daß der andere das will, was ich selber auch will. Zum Beispiel könnte ich versuchen, ihn zu überzeugen, daß seine Rente – die er ja auch will – ohne Zugereiste in Gefahr gerät. Seine Krankenhausversorgung (Ärzte, Pflegekräfte) nicht minder. Daß es dann nur noch Schweinsbraten mit Kartoffelknödel und Sauerkraut gibt – und keine Pizza mehr und auch keinen Döner. Falls das alles aber nicht überzeugen sollte, komme ich gar nicht erst bis zum Feld ›Plan / Check der Mittel‹ und kann mir jedes weitere Argument ersparen.

Dann nämlich erst, und wirklich erst dann, macht es Sinn, sich über einen möglichen Plan (im Modell das grüne Feld) Gedanken zu machen. Hier, und wirklich erst hier, käme das bessere Argument zum Tragen. Allerdings würde an dieser Stelle auch klar, was absehbar geht und was eben nicht. Aber macht das mal einem rechten Glühwürmchen (heißes Herz, hinkendes Hirn) klar. Schließlich gilt, wie’s scheint, in jenen Kreisen offenbar das heimliche und wohl mangels kognitiver Kapazität durchaus nicht mitgedachte Motto:

Wir glühen, bis die ganze Welt
an der Wirklichkeit zerschellt
und in sich zusammenfällt.

Möglicherweise sind wir – allem Optimismus eines überzeugten Agnostikers zum Trotze – gar nicht mehr allzu weit entfernt davon. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 06-10-24 Propaganda

Wie uns die Alten sungen …

Hier ein kleiner Beitrag aus unserer Historischen Reihe. Es handelt sich dabei möglicherweise um einen TV-Spot, der im amerikanischen Fernsehen wohl während der sogenannten McCarthy-Ära (etwa 1947–1956) ausgestrahlt wurde. Nichts genaues weiß man nicht. Gleichwohl hält Bolle den Beitrag für höchst instruktiv und nicht minder up to date. Der Text, den der jung-dynamisch-aufgeschlossene Yank in bester Märchenonkel-Manier vorträgt, geht wie folgt:

„Im Jahr 1943 wurde von der Parteizentrale folgende Direktive an alle Kommunisten in den Vereinigten Staaten herausgegeben. Sie lautete:
Wenn bestimmte Quertreiber zu lästig werden, bezeichne sie nach einem geeigneten Aufbau als Faschisten oder Nazis oder Antisemiten und nutze das Ansehen der antifaschistischen und der Toleranzorganisationen, um sie in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.
Assoziieren Sie in der öffentlichen Meinung diejenigen, die gegen uns sind, ständig mit Begriffen, die bereits ein schlechtes Image haben. Diese Assoziationen werden, wenn sie oft genug wiederholt werden, in der öffentlichen Meinung zu einer Tatsache werden.“

Soweit der Vortrag unseres aufrechten Yanks.

Warum ist das aufschlußreich? Gehen wir zunächst davon aus, daß das alles wirklich wahr ist, daß es also in der Tat eine entsprechende Direktive seitens der Parteizentrale gegeben habe. Bezüglich der (wie man heute sagen würde) nackten Fakten wollen wir also weder meckern noch mäkeln.

So gesehen handelt es sich bei dem Beitrag um eine echte Nachricht – und nicht etwa um Propaganda. Dabei wollen wir unter ›Nachricht‹ die Übermittlung von etwas verstehen, was ist. Unter ›Propaganda‹ dagegen wollen wir die Übermittlung von etwas verstehen, was der Empfänger nach Ansicht des Senders für „richtig“ (i.S.v. ›wünschenswert‹) halten soll. Vermutlich deshalb spricht man heute auch von „Haltungs-Journalismus“. Ohne hier weiter darauf eingehen zu wollen: Der Unterschied ist ähnlich evident wie der zwischen Schwester Logik  und Schwester Ethik – also durchaus elementar.

Die drei Töchter der Philosophie.

Dabei kommt Propaganda oft indirekt um die Ecke. Statt zu sagen: „Wir sind die Guten“ – was so ja auch meist nicht stimmt bzw. zumindest schwierig zu begründen ist – verlegt man sich lieber auf „Die sind die Bösen“. Schmähkritik sticht Selbstkritik.

Was unseren Beitrag angeht: „Faschisten“, „Nazis“ und „Antisemiten“ haben sich erstaunlich gut gehalten und erfüllen – nach immerhin etwa 80 Jahren bzw. knapp drei Generationen – heute durchaus noch ihren Zweck. Hinzugekommen sind allerdings Sexismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit ganz allgemein.

Wenn die Leute das erst mal sprichwörtlich gefressen haben, lebt es sich doch sehr viel entspannter als Teil der Guten. Was das Böse angeht: Wenn man es schon nicht ausrotten kann, so könnte man es doch wenigstens versuchen zu verbieten. Sancta simplicitas. Bolle meinte ja neulich schon: Sitten wie in Hollywood (vgl. dazu So 22-09-24 Opinio et Reactio).

Ansonsten meint er ja immer: Wenn es dann doch so etwas wie eine Spaltung der Gesellschaft geben sollte, dann ja wohl die durchaus medien-inszenierte Spaltung in Gut und Böse. Das wiederum kann nur funktionieren, wenn man eine gewisse Schlichtheit im Geiste unterstellt – sowohl bei den Medien-Schaffenden als auch bei einem erheblichen Teil ihrer Rezipienten. Und? Wer ist schuld? Natürlich niemand. Verweisen wir einmal mehr auf Arachs ›Mensch, lern das und frag nicht!‹. Wer, namentlich in der Oberstufe, so sozialisiert wird, wächst nachgerade naturgemäß in den Kreis der geistig Armen. Möge das Himmelreich ihrer sein (Matth. 5, 3). Hier auf Erden richten sie eher allerlei Schabernack an. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 22-09-24 Opinio et Reactio

Dem scheint das so zu sein …

Die Geschmäcker sind verschieden – und waren es wohl auch schon immer. De gustibus non est disputandum – Über Geschmack läßt sich nicht streiten. Das ist, wenn wir genauer hinschauen, spätestens seit Aristoteles (384–322 v. Chr.), also seit etwa zweieinhalbtausend Jahren klar. Das gleiche gilt für Meinungen, of course, da es sich hierbei ja nur um kognitive Geschmacksfragen handelt. Dabei wollen wir unter Meinung hier nur die mal eben hingehauene Ansicht, opinio, verstehen. Bolle unterscheidet das von doxa, einer durchdachten und wohlbegründeten Sicht auf die Dinge.

Betrachten wir unser Schildchen: Es beschreibt den Blick zweier Personen – hier Anton (A) und Bolle (B) – auf ein und dieselbe Sache, die wir hier Gegebenheit (X) genannt haben. Soweit sozusagen die nackten Fakten. Nehmen wir nun an, Anton fände die Gegebenheit „voll toll“, Bolle dagegen fände die gleiche Gegebenheit „ungut“.

Kann so etwas sein? Aber Ja doch. Es ist sogar der absolute Regelfall. So heißt es etwa in einem der Meinungsmacher-Blättchen dieser Tage: Seit Corona ist meine Schwester total abgedriftet, wir können gar nicht mehr über Politik reden. Dabei ist der Grund laut Blättchen schnell erkannt: Die Menschen im eigenen Umfeld haben sich „radikalisiert“. Selber liegt man natürlich völlig richtig mit seiner Opinio. Vielleicht aber haben sie sich gar nicht radikalisiert. Vielleicht sehen sie einfach nur wenig Nutzen und Frommen in einer Diskussion über Geschmacksfragen – und halten das, nicht ganz zu Unrecht, für reine Zeitverschwendung.

Schließlich läßt sich mit keiner Bolle bekannten Methode entscheiden, ob eine Gegebenheit X „voll toll“ ist oder eher „ungut“. Das hat Konsequenzen (Reactio). Auf der interpersonalen Ebene wird Anton Bolle (zumindest im Modell) aus rein konsistenztheoretischen Gründen „übel, übel“ finden – beziehungsweise zumindest nicht mögen und als Person (!) ablehnen.

In der Tat zeigt sich eine Tendenz, aggressive Argumentations-Attrappen geradezu zu kultivieren (falls man hier überhaupt von „Kultur“ sprechen kann).

Neben Radikalinski ist man nach dieser Ansicht schnell Sexist, Rassist, Stalinist – und was dergleichen Schubladen mehr sein mögen. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich auch der Verfassungsfeind – als wäre die Verfassung dafür da, bestimmte Ansichten zu schützen und andere zu verfemen. Als wäre die Verfassung überhaupt dazu da, den Umgang der Bürger untereinander zu regeln.

Gleichwohl: Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansichten – ein bißchen sozialer Kitt muß dann wohl doch sein, wenn eine Gesellschaft einigermaßen gedeihlich funktionieren soll.

Eine von ganz oben runtergejubelte Aufforderung, sich doch bitteschön unterzuhaken – als wären wir im Dauerfasching –  und die Dinge „gemeinschaftlich“ anzupacken, wird da sicherlich nicht allzu viel nützen. Das nämlich liegt einfach zu sehr über Kreuz mit elementarer Sozialpsychologie.

Bolle sieht zur Zeit nur einen einigermaßen erfolgversprechenden Weg. Statt jeden, der anderer Ansicht ist, als „übel, übel“ einzustufen, könnte man es mit Epiktets (ca. 50 bis ca. 138 v. Chr.) stoischer Haltung probieren: „Dem scheint das so zu sein“.

Das allerdings würde voraussetzen, daß die lieben Mitbürger überhaupt erst einmal wieder ernstlich die Möglichkeit ins Auge fassen, daß es zu ein und derselben Gegebenheit gleich mehrere mögliche Ansichten geben kann. Und hier sieht es im Moment wirklich nicht allzu gut aus. In seinem durchaus lesenswerten Buch ›Mensch, lern das und frag nicht‹ zeigt Hauke Arach anhand einer Untersuchung von Schulbüchern, wie den lieben Kleinen das Denken in Möglichkeiten systematisch ausgetrieben wird. Eine Wahrheit muß genügen! Mehr hält man ja im Kopp nicht aus! Bolle meint: Von das kommt das, und Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.

Im übrigen sind heute Wahlen im Osten – schon wieder. Auch dieses mal geht es offenbar um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, Demokraten versus Verfassungsfeinde, Mitte gegen Extremisten. Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.