Und schon wieder – und wie so oft. Ein altes Jahr ist um – ein neues fängt an. Der König ist tot – es lebe der König. Irgendwie muß man damit ja umgehen. Letztlich sind es doch immer wieder die gleichen Fragen:
Was haben wir gedacht?
Was davon gemacht, was angebracht?
Mitunter auch: was haben wir gelacht.
Und? Wie meinte Erich Kästner 1950 schon – also vor nunmehr 75 Jahren? Hier in der Bolle-Version:
„Wird’s besser? Wird’s schlimmer?“
fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich:
Leben ist immer
höchst ungefährlich.
Dabei soll mit ›ungefährlich‹ natürlich nicht ›frei von Gefahr‹ gemeint sein, sondern, ganz im Gegenteil, eine Adjektivierung des adverbiellen ›ungefähr‹. Soll heißen: Wir kennen die Zukunft, kaum anders als das Leben selbst, nur höchst ungefähr – wenn überhaupt. Nichts Genaues weiß man nicht – und wird man auch nie wissen können. Und vielleicht ist das auch ganz gut so.
Wenn man schon nichts wissen kann – so kann man doch was hoffen. Das ist zwar kein vollwertiger Ersatz – fühlt sich aber zumindest gut an. Und so meinte schon Cicero (106–43 v. Chr.) in einem seiner Briefe: Dum spiro spero (solange ich atme, hoffe ich) – was wir hier mit ›Die Hoffung stirbt zuletzt‹ frei übersetzen wollen. Und vielleicht ist auch das ganz gut so.
Unser Bildchen stammt übrigens aus dem Jubiläumsprojekt ›Lichtgrenze – 25 Jahre Mauerfall‹, das sich der Berliner Senat für das Jahr 2014 ausgedacht hatte. Damals sollten – und sind auch – knapp 7.000 leuchtende Luftballons gen Himmel aufgestiegen, um aller Welt zu zeigen, wo die Grenze zwischen Gut und Böse seinerzeit verlief – mitten durch die Stadt. Einem aufgeweckten jugendlichen Ossi kann man das heute kaum mehr vermitteln. Lieber wählt er, zum Entsetzen der Guten, die AfD. Doch das nur am Rande. Das alles ist nunmehr auch schon wieder 10 Jahre her. Dabei dient das Photo Bolle seitdem als Hintergrundbild auf allen seinen Geräten – und hat es, in Postergröße, auch schon in eine Photographie-Ausstellung geschafft. Eine klitzekleine Ausstellung zwar – aber immerhin. Es zeigt eine Mutter mit ihrem Sohn, wie sie gerade eine oder zwei der knapp 7.000 Luftballon-Abschußrampen, die entlang der alten Mauer aufgestellt waren, in räuberischer Absicht entwenden. Sie waren die einzigen nicht. Bolle sieht darin in reiner Form Hoffnung – oder zumindest Zukunftsgewandheit, vielleicht garniert mit einem Schuß Erwerbsfleiß – verkörpert. Bolle mußte seinerzeit hoch und heilig versichern, daß man auf dem Photo niemanden wird identifizieren können. Ehrensache, of course. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.