Di 09-03-21 Die große und die kleine Welt

Die große und die kleine Welt.

Gestern hat uns eine Rückmeldung erreicht, die lobend hervorgehoben hat, daß sich unser kleiner Blog bemüht, nach Möglichkeit ein wenig die Tiefen auszuleuchten, statt immer nur stramm an der Oberfläche zu paddeln. Wir hatten das an anderer Stelle (Do 14-01-21 Derangierte Demokraten) einmal „Schwimmflügel-Journalismus“ genannt. Im Grunde wollen wir ja Journalismus überhaupt vermeiden, da der Begriff die Oberflächlichkeit ja schon im Namen trägt: »Journalismus« leitet sich ab von frz. journal ›jeden einzelnen Tag betreffend‹. Das kann ja nichts werden, meint Bolle – zumindest dann nicht, wenn man’s damit übertreibt. Danke also für die Blümis.

»Eduards Traum« übrigens ist eine kleine, aber feine Erzählung, die alle verwundern und vielleicht auch entzücken dürfte, die Wilhelm Busch sonst nur von »Max und Moritz« her kennen. Kann nicht schaden, sich das im Rahmen seiner agnostisch-kontemplativen Bestrebungen gelegentlich mal zu Gemüte zu führen – 39 Seiten sollten eigentlich zu schaffen sein.

Die „Masken-Mörder“ (viel fehlt ja nicht mehr bei der ganzen Uffregung) jedenfalls entwickeln sich zum tagesaktuellen Dauerbrenner – falls das kein Widerspruch in sich ist. Werfen wir einen kurzen Blick in die Schlagzeilen: Die ›Bild‹ macht damit auf, wie die „Masken-Raffkes“ weiter abkassieren. Die FAZ berichtet über einen geplanten „strengeren Verhaltenskodex“ für Abgeordnete. Bolle fragt sich: Warum jetzt erst – nach über 70 Jahren Herrschaft der Guten? Und auch die ›Süddeutsche‹, der ›Tagesspiegel‹ und ›Die Welt‹ sind mittenmang dabei – die ›taz‹ natürlich sowieso. „Eine Sau durchs Dorf treiben“, nennt man so etwas seit alters her. Bolle meint: Weckt mich, wenn’s was zu berichten gibt.

Der eigentliche Hintergrund vons Janze – den wir an dieser Stelle aber unmöglich ausleuchten können – scheint Bolle das Zeiterleben zu sein: Während sich ein mittelalterlicher Bauer die Zeit zyklisch vorgestellt hat – Frühling, Sommer, Herbst und Winter, das Kirchenjahr mit seinen immer wiederkehrenden Festen, Geburt, Taufe, Hochzeit, Tod – und immer wußte, was wann ansteht, stellen wir uns die Zeit heute eher linear vor. Statt also jahrein, jahraus das mehr oder weniger Gleiche zu machen, versuchen wir, auf ein Ziel zuzusteuern. Dumm nur, daß niemand zu wissen scheint, was dieses Ziel denn eigentlich sein mag. Mehr Wohlfahrt und mehr Wachstum? Mehr „weiter so“? (vgl. dazu auch etwa Mo 18-01-21 So sein — oder so sein …?). Bolles Vermutung: Viel zu dünn, um zu tragen. Doch davon später mehr …

Zum Schluß noch der Schluß von »Eduards Traum«: „Ein Buch, wenn es so zugeklappt daliegt, ist ein gebundenes, schlafendes, harmloses Tierchen, welches keinem was zuleide tut. Wer es nicht aufweckt, den gähnt es nicht an; wer ihm die Nase nicht grad zwischen die Kiefer steckt, den beißt’s auch nicht.“ Bolle meint: Kein Grund, es zugeklappt zu lassen. Nur eben auf die Nase achten. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 08-03-21 Wunsch und Wirklichkeit

Wunsch und Wirklichkeit.

Wünsche werden Wirklichkeit. Ein alter Menschheitstraum. Allein: Die Welt ist schlecht. Zumindest aus der Perspektive der Wunschbeseelten. Nie sind die Dinge so, wie sie sein sollen. Liegt das nun an der zu harschen Wirklichkeit – oder an den überschäumenden Wünschen? Die Frage ist müßig, weil längst entschieden.

Berlin feiert heute seinen Weltfrauentag als regulären Feiertag. Totaler Lockdown in den Geschäften. Viel los ist also nicht. Aber Berlin ist ja auch nicht die Welt. Obwohl auch das einmal der Wunsch bestimmter Kreise war – dann aber doch an der Wirklichkeit zerschellt ist.

Was also war sonst noch so los? Greifen wir, weil thematisch naheliegend, noch einmal kurz auf Löbel und seine Freunde zurück (vgl. dazu So 07-03-21 Gut zerknüllt, Löbel). Die wollen ihr Mandat partout nicht hier und heute niederlegen. Müssen sie auch nicht. Da ist die Verfassung vor. Sollen sie aber, wenn es nach ihren Parteifreunden geht – von SPD und Opposition mal ganz zu schweigen. Was Bolle irritiert, ist, mit welcher Lässigkeit die bereit sind, selbstauferlegte Regeln – und die Verfassung ist eine selbstauferlegte Regel – über Bord zu werfen, wenn denn die Wünsche überschäumen. Selbst ein Untersuchungsausschuß ist im Gespräch. Als ob es da was zu untersuchen gäbe. Nun gut – es ist Wahlkampf-Auftakt. Das sieht Bolle ein. Lieber wäre es ihm indes, wenn sich einer der Empörten hinstellen würde und dem Volk reinen Wein einschenken: Die dürfen das! Und? Was macht der Journalismus 2.0? Blubbert von „mutmaßlichen“ Provisionen – als ob die in irgendeiner Weise strittig wären. Blubbert von „Unschuldsvermutung“, die schließlich für alle gelte, also auch für Parlamentarier. Als ob es hier um irgendein Vergehen ginge. Aber so ist das eben, wenn der Wunsch mit der Wirklichkeit wackelt.

Der Beispiele fänden sich noch viele. Allein, heute ist Weltfrauentag und Bolle hat noch einiges vor. Nur so viel: Da hätten wir zum einen den Wunsch nach dauerhafter Enteignung der Hohenzollern, obwohl die Wirklichkeit das nur schwerlich hergeben wird. Da hätten wir die „Katastrophenstimmung“ bei den Behörden an Amerikas Südgrenze wegen „papierloser Migranten“, wie es in der NZZ heißt, nur weil Joe Biden partout sein Trump-Trauma therapieren will. Da hätten wir die Taliban, die in Afghanistan so stark sind wie nie seit ihrem Sturz 2001. Und schließlich hätten wir da noch Ursula von der Leyen mit ihrer verträumten „EU-Impfallianz“. Bolle meint, frei nach Goethe: Der Wünsche sind genug gewechselt. Nun laßt uns endlich Wahrheit sehn! Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 07-03-21 Gut zerknüllt, Löbel

Auri sacra fames — verfluchter Hunger nach Gold.

Für alle, die es nicht mitgekriegt haben: Da macht sich ein demokratisch und überdies auch noch direkt gewählter Abgeordneter um die Volksgesundheit verdient und bestellt in China einen ganzen Haufen Masken. Da alle davon ihren Nutzen haben, sowohl der Lieferant als auch die deutschen Maskenträger, hat sich der Herr Abgeordnete seine Vermittlungsbemühungen mit einem, wie er selber sagt, „marktgerechten“ Corönchen-Provisiönchen von, wie er wiederum selber sagt, 250.000 Euro entlohnen lassen. Kann man so was bringen? Aber Ja doch. Zwar erhalten Abgeordnete in Deutschland nicht nur eine „Aufwandsentschädigung“, sondern eine sogenannte „Vollalimentation“ (Art. 48 III GG), die ihnen ihre Unabhängigkeit sichern soll und überdies eine Lebensführung ermöglichen, „die der Bedeutung des Abgeordnetenhauses entspricht“ (Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichtes). Etwaige sonstige Berufseinkommen sind dabei ausdrücklich nicht mitgemeint. Im Gegensatz zu Regierungsmitgliedern soll und darf ein Abgeordneter seine großen und kleinen Geschäfte also uneingeschränkt weiterlaufen lassen. Kurzum: Ein Abgeordneter soll ein Bürger sein wie Du und ich – aus der Mitte der Gesellschaft für die Mitte der Gesellschaft.

Auch sind 250.000 Euro gemessen an den geschätzten jährlichen Corönchen-Kosten von vielleicht 80 Milliarden Euro ausgesprochene „Peanuts“ und vermutlich in der Tat „marktgerecht“ – schließlich sind Hersteller bzw. Händler ja freiwillig darauf eingegangen. Eine Hand wäscht die andere. Kennen wa ja.

Warum dann die Uffregung? Was Bolle einleuchten würde: Zum einen gilt in Corönchen-Zeiten: über Geld redet man nicht. Wat mutt, dat mutt. Voll bazooka-mäßig, whatever it takes. Zum anderen und vor allem aber könnte an einem so klar abgesteckten Einzelfall so manchem braven Erwerbstätigen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)  unangenehm auffallen, wie sehr sich seine Volksvertreter mittlerweile doch von ihm entfernt und sich in ihrem Raumschiff eingerichtet haben. „Gehobene Mittelschicht“, halt, wie Friedrich Merz das zu nennen beliebt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 06-03-21 Unfehlbar ist das Volk nicht. Aber es hat immer Recht …

Oh Zeiten, oh Sitten.

Gestern wollte Bolle die Nachrichten mal wieder zeit- und nervenschonend im Fast-Forward-Modus goutieren (vgl. dazu Sa 20-02-21 Fast forward …). Und dann so was. Bevor er zu den eigentlichen Nachrichten vorstoßen konnte, flashte ihm magenta-grell eine dieser „Eilmeldungen“ um die Ohren – die namentlich in jüngerer Zeit geradezu epidemisch werden. Allein seit Weihnachten haben wir das nicht weniger als vier mal angesprochen. Wer nachlesen möchte: vgl. ›Breaking News‹ (via Suchfunktion). Und wieder hat er sich gefragt: Wozu die Eile? Was, bitteschön, hat das mit mir und mit hier und heute zu tun? So was kann ich auch gelegentlich gemütlich zur Kenntnis nehmen. Und so scheint ihm das eher der Überraschung der Medienschaffenden 2.0 geschuldet als dem eigentlichen Nachrichtenwert.

Inhaltlich scheint das ganze unerwartet schnell zu einem regelrechten definitorischen Grabenkampf auszuarten: Wollen wir unter »Demokratie« die ›Herrschaft der Mehrheit‹ verstehen oder nicht doch lieber die ›Herrschaft der Guten‹? Auch dazu finden sich via Suchfunktion ›Herrschaft der Guten‹ seit Nikolausi 2020 mittlerweile nicht weniger als sechs Beiträge.

Bolles naives Demokratieverständnis sieht dabei folgendes vor: Das Volk wählt (Art 20 II GG) – viel mehr Möglichkeiten hat es ja nicht – und verleiht damit seiner Volkssouveränität Ausdruck, also seinem „Letztbestimmungsrecht über den Staatswillen“, wie das in Juristenkreisen heißt. Die vornehmste Aufgabe der Gewählten besteht dabei darin, eben diesen Staatswillen als solchen in praktische Politik zu verwandeln. Parlamentarier aller Länder – kommt damit klar. Wie Ihr das macht, bleibt Euch überlassen. Wenn dagegen, um ein Beispiel aus jüngerer Zeit herauszugreifen, eine Parlamentarierin eine Rede mit „liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien dieses Hauses“ eröffnet, dann zeugt das doch von einem recht bemerkenswerten Demokratieverständnis. Da zählt sich jemand offen und mit frecher Stirn zu den Guten – Exlusionsrecht inklusive.

Aber sind die Guten wirklich so schlecht? Natürlich nicht. Bolle hat eher den Eindruck, daß sie in gewisser Weise hypnotisiert sind – und dabei fleißig sekundiert von einer nicht minder hypnotisierten Presse (vgl. dazu etwa Mi 03-02-21 Von Quatsch und Quark …) – und sich ihrer eigenen Job Description nicht wirklich voll bewußt. Wie meinte Bolle vorgestern erst: Wenn das mal gutgeht … Ein gelegentlicher Tritt in den Hintern, gegebenenfalls von Seiten der dritten Gewalt, der Judikative, kann da jedenfalls gar nicht schaden. Kieken wa ma …

Warum aber hat das Volk immer Recht, obwohl es nicht unfehlbar ist? Die Antwort: Weil wir uns darauf geeinigt haben, die Resultate der institutionellen Prozesse als verpflichtend zu akzeptieren. Das Argument findet sich wörtlich in der Neuen Zürcher Zeitung vom 18-03-17. Komplizierter ist es im Grunde nicht. Und was besseres ist uns bislang auch noch nicht eingefallen. Chaupeau, M. Rousseau. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 05-03-21 Und ewig schläft das Murmeltier

Und ewig schläft das Murmeltier.

Gelegentlich sagt ein Bild ja mehr als tausend Worte.  Bolle hat es in der Schaufensterauslage eines kleinen, überhaupt nicht „systemrelevanten“ Ladens gefunden. „Wir sehen uns wieder in 2021“. Bolle findet das nachgerade rührend – und mußte daran denken, daß bald schon wieder ein Viertel des Jahres rum sein wird. Dann eben später einkoofen gehen. Kieken wa ma …

Umgekehrt gilt: Corönchen never sleeps – und hat die nächste Stufe womöglich schon gezündet. Viren können nun mal schneller mutieren als Virologen. Eine neue (dieses mal brasilianische) Variante hat, wie man hört, die unangenehme Eigenschaft, auch solchen Leuten zuzusetzen, die „eigentlich“ schon längst immun sein sollten. Und so zieht Jair Bolsonaro, der brasilianische Oberhäuptling, vorsorglich schon mal die kommunikative Notbremse, indem er seinen Landsleuten erklärt, es müsse nun endlich mal genug sein mit dem Gejammer und den Tränen. Das sei ja nicht mehr auszuhalten. Augen zu und durch, also.

So weit sind wir hier noch lange nicht. Im Gegenteil: Hier hat das Parlament eben erst ein Gesetz beschlossen, demzufolge es der Regierung alle drei Monate erneut sein Go geben muß – sonst war’s das dann mit „weiter so“. Dumm nur, daß es sich – anders als etwa in den USA – bei der Parlamentsmehrheit und bei der Regierung regelmäßig um die gleichen Leute handelt. Entsprechend fallen die Abstimmungen dann ja auch aus. „Funktionenteilung“ statt „Gewaltenteilung“ heißt das in den inneren Zirkeln höchst euphemistisch hinter vorgehaltener Hand. Aber wenn’s doch dem parlamentarischen Wohlbefinden dient? Immerhin: Das Volk fängt an zu grummeln.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Schreibt die einzige auf exekutiver Ebene tatsächlich vorhandene Gewaltenteilung als „Flickenteppich“ oder auch „Bund/Länder-Hickhack“ nach Kräften in Grund und Boden. Nun ja: Jeder, wie er kann. Ist ja auch am einfachsten. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 04-03-21 Direkte Demokratie

Direkte Demokratie.

Viel los ist zur Zeit ja nicht – jedenfalls nüscht, was mehr wäre als ein tagesaktueller Uffreger. Mit derlei aber wollen wir uns im Rahmen unserer agnostisch-kontemplativen Bestrebungen nicht weiter beschweren. Wenden wir uns also Dingen zu, die auf mittlere Sicht echtes Knaller-Potential haben – auch wenn wir sie hier und heute nur anreißen können.

»Demokratie« bedeutet wörtlich ›Herrschaft des Volkes‹. Das indes ist schon deshalb wenig trefflich, weil es „das Volk“ nun mal nicht gibt – und, zumindest in größeren Staatsgebilden, wohl auch gar nicht geben kann (vgl. dazu etwa Fr 08-01-21 Corönchen-Sendepause oder auch Do 14-01-21 Derangierte Demokraten). Bleibt die ›Herrschaft der Mehrheit‹ oder, wenn man es lieber etwas sonniger mag, die ›Herrschaft der Guten‹. Wenn in Bolles lästerlichem Lexikon von der ›Unterwerfung der Minderheit durch die Mehrheit‹ die Rede ist, dann ist das natürlich technisch gemeint und bezieht sich auf die Schwarz’schen Konfliktlösungsstufen, denen zufolge sich rein ethologisch außer Flucht, Vernichtung, Vertreibung, Unterwerfung, Delegation, Kompromiß und schließlich Konsens wenig Möglichkeiten bieten, Konflikte zu bereinigen bzw. zu entscheiden – also nichts, was man Bolle vorwerfen könnte. Wir werden darauf zu gegebener Zeit zurückkommen.

Dabei sind sich entwickeltere Länder spätestens seit Thomas Hobbes (1588–1679) überwiegend darin einig, daß das Volk sich einen Anführer bzw. seine Anführer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) wählen soll. Etwa 100 Jahre später kam die Einsicht dazu, daß es nicht schaden kann, dem Volk zu erlauben, seine Anführer regelmäßig wiederzuwählen oder aber abzuwählen, um übertriebene Abgehobenheit der herrschenden Schichten im Keime zu ersticken. Das hat sich im großen und ganzen auch recht gut bewährt. Keinesfalls aber soll das Volk sich erfrechen, sich direkt in politische Entscheidungen einmischen zu wollen. Das traut man ihm dann doch eher nicht zu – und vielleicht ist das auch gut so. Zwar heißt es in der Verfassung: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […] ausgeübt. (Art 20 II GG). Die Abstimmungen – also das Direkte an der Demokratie – wurde von der Zunft der Rechtsgelehrten allerdings rucki-zucki gleich wieder wegdiskutiert.

Kurzum: Die Demokratie braucht einen gewissen Schutz vor unqualifiziertem Volk. Bei inhaltlichen Entscheidungen ist das weithin anerkannt. Wie aber sieht es an der Quelle, also an der Wahlurne aus? Kann man hier nicht – muß man hier nicht – im Vorfeld versuchen zu verhindern, daß das Volk die Falschen wählt? Man kann – und man versucht es auch immer wieder, mit mehr oder weniger subtilen Mitteln. Ein unrühmliches Beispiel aus jüngerer Zeit wäre etwa der Versuch der amerikanischen „Demokraten“ (hört! hört!), einen längst ausgeschiedenen Präsidenten per Impeachement aus dem Amt zu kegeln – mit dem alleinigen erkennbaren Zweck, dem Volk in vier Jahren eine entsprechende unqualifizierte Entscheidung zu ersparen. Das ist nach Bolles liederlichem Lexikon direkte Demokratie: Sicherstellung der ›Herrschaft der Guten‹, indem die weniger Guten gleich im Vorfeld ausgemustert werden – und zwar voll am Volk vorbei. Ähnliches ereignet sich zur Zeit gerade auch hierzulande. Wir können und wollen an dieser Stelle nicht auf Einzelheiten eingehen. Aber die stärkste Oppositionspartei zum Auftakt eines „Superwahljahres“ als potentiellen Hort politisch Krimineller darzustellen, die dringend der Aufsicht durch die Guten bedarf, ist bei Lichte betrachtet schon ein starkes Stück. Bolle meint: Wenn das mal gutgeht …

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Ganz überwiegend Schweigen im Walde – wenn nicht gar „klammheimliche Freude“. Da muß Bolle erst auf die Neue Zürcher Zeitung zurückgreifen, um zu erfahren, daß Verfassungsschützer keine Meinungsmacher im Wahlkampf sein sollen, bzw. daß der Inlandsgeheimdienst die Verfassung schützen soll – und nicht die etablierten Parteien. Immerhin: Auch Gabor Steingart findet es anscheinend irritierend, auf diese Weise eine Partei anzugehen, die „mancherorts die stärkste parlamentarische Kraft“ ist. Bolle meint: Wenn’s aber doch der Herrschaft der Guten dient? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 28-02-21 Demokratischer Sozialkredit?

Demokratischer Sozialkredit?

Neulich hat Bolle am Rande in einen Wilsberg-Krimi reingehört: »Überwachen und belohnen« (1. Folge der 8. Staffel / die kommenden 12 Monate in der ZDF-Mediathek verfügbar / reinkieken lohnt). Dabei ging es darum, daß in Münster, dem üblichen Schauplatz der Serie, auf freiwilliger Basis ein Sozialkreditsystem eingeführt wurde, bei dem man, anders als etwa in China, mitmachen konnte oder auch nicht. Und? Haben die Leute mitgemacht? Aber Ja doch. Zum einen, weil sie meinten, daß sie sich ja schließlich nichts vorzuwerfen hätten – warum sich das dann nicht ganz nebenbei in Punkten entlohnen lassen? Zum anderen aber, weil sich herumgesprochen hatte, daß ein erfreulicher Punktestand sich durchaus günstig auf die eigene Karriere auswirken kann.

Kurzum: in einem Sozialkreditsystem kriegt man für alles, was man tut, umgehend die Rechnung präsentiert – oder eine Gutschrift. Was Bolle on second thought wirklich irritiert hat: Ist das nicht der „Markenkern“ des „Kapitalismus“? Brauchen wir dafür die Chinesen?

Steven Landsburg hat es bereits 1993 gleich zum Einstieg in sein Bändchen »The Armchair Economist« auf den Punkt gebracht: „Most of economics can be summarized in four words: ›People respond to incentives.‹ The rest is commentary.“ Übersetzen wir das besser: Der Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften kann im wesentlichen mit vier Wörtern zusammengefaßt werden: ›Leute reagieren auf Anreize‹. Der Rest ist Kommentar.

Den Spruch könnte man ohne Bedenken zum Motto eines Sozialkreditsystems machen. Warum dann der Uffriß? Bolle meint, hier kommt wirklich einiges durcheinander, namentlich die Themenfelder »Freiheit und Verantwortung«, »Demokratie vs. Diktatur«, »Demokratie und Kapitalismus«, und nicht zuletzt auch »Sozialisation« an sich – also definitiv mehr, als wir uns für heute auf den Sonntag zumuten sollten.

Und überhaupt. Was ist mit der Wizarding World, also J. K. Rowling’s Welt der Zauberer? Da begegnet uns ganz offenkundig ein Sozialkreditsystem par excellence – geradezu ein Sozialisationssystem. Soweit Bolle sehen kann, hat das bislang noch keinen irritiert. Weil es hier nur um Fantasy geht? Oder weil es, von gelegentlichen Entgleisungen des Severus Snape einmal abgesehen, im großen und ganzen recht gut funktioniert? Fragen über Fragen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 25-02-21 Le Waldsterben

Le Waldsterben.

Ganz am Rande, und voll von Corönchen und islamistischen oder sonstigen Übeltätern überschattet, hat es das Waldsterben als zartes Pflänzchen dann doch mal wieder bis in die bildungsbürgerlichen Medien geschafft. Bolle gratuliert.

Bolle hat, was Form und Inhalt angeht, bekanntlich einen ausgesprochen Sinn für das Knappe und Grundsätzliche – und in diesem Rahmen vor einiger Zeit eine lose Liste angelegt mit den drängendsten Problemen, die uns plagen. Hier und heute finden sich darin genau zwei Dutzend Einträge. Sollte also eigentlich noch „überschaubar“ sein, wie das auf neudeutsch neuerdings heißt – zumal es deutliche Querbezüge gibt: Die Lösung von so manchem Problem A würde so manches Problem B absehbar obsolet machen.

Für unsere jüngeren Leser: Das Waldsterben ist alles andere als neu. Spätestens in den frühen 1980er Jahren gab es in Deutschland eine regelrechte Waldsterben-Welle. Nun waren die Deutschen ihrem Wald schon immer aufs innigste verbunden. Wo war das doch gleich noch mal, wo Hermann der Cherusker (die Römer nannten ihn Arminius) 9 n. Chr. Varus’ Legionen vernichtend geschlagen hatte? Im Teutoburger Wald.  Der war den Römern viel zu dunkel, zu morastig, kurzum: zu unübersichtlich. Nicht so den Germanen. Die Liebe zum Wald geht den Deutschen so weit, daß Elias Canetti in seinem (übrigens höchst lesenswerten) philosophisch gehaltenen Opus »Masse und Macht« (1960) den Wald als das „Massensymbol“ der Deutschen identifizieren konnte. Das Massensymbol zum Beispiel der Franzosen – also das, was im Kern verbindet – sei dagegen ihre Revolution. Und so kam es, daß die Franzosen das deutsche Waldsterben zunächst belächelt haben – nur um es dann als Lehnwort, „Le Waldsterben“, zu übernehmen. Bolle lieebt der Franzosen Feingefühl für Sprache.

Zwar wurde der Wald in den 1980er Jahren nicht wirklich „gerettet“. Vielmehr wurden die kranken Bäume geschlagen – was sich selbstredend erfreulich auf die Schadensstatistik ausgewirkt hatte. Auch hat die Post 1985 eine Briefmarke mit dem Aufruf „Rettet den Wald“ herausgebracht –  graphisch untermalt mit einer Uhr, die auf etwa drei Minuten vor zwölf steht. Immerhin.

Was hat das mit uns hier und heute zu tun? Nun, die frühen 1980er Jahre sind mittlerweile 40 Jahre her. Passiert ist seitdem – nüscht. Auch war das keineswegs der Anfang. Ansätze zu einer vernünftigen (neudeutsch: „nachhaltigen“) Forstwirtschaft lassen sich bis mindestens 1884 zurückverfolgen. Damals hieß das noch „Dauerwald“ – wobei „Dauer“ im semantischen Netz nicht allzu weit von „nachhaltig“ entfernt ist.

Kommen wir zum Punkt: Bolle befürchtet, daß die Staatsorganisationsform ›Demokratie‹ für die Lösung schwelender Probleme alles andere als erste Wahl ist. Solange es nur schwelt, neigen Demokraten zu einer „Kieken wa ma“-Einstellung. Erst wenn die Hütte brennt – oder gar die Jacke – beginnt das große Flattern. Corönchen ist da wohl das beste Beispiel. Bolle meint: So kann man zwar Symptome bekämpfen, aber keine Probleme lösen – und verweist kühl auf unseren Beitrag von gestern nebst dem Verweis auf Tobin (Di 02-02-21 Von Gänseblümchen und Brennesseln). Also, was tun? Demokratie abschaffen? Das wohl lieber nicht. Aber eine gewisse Feinjustierung kann vielleicht nicht schaden. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 24-02-21 Wahlkrampf

Wahlkrampf.

Wenn das stimmt, dann wird’s jetzt heftig. Schließlich steuern wir auf ein sogenanntes „Superwahljahr“ zu mit einer Bundestagswahl plus nicht weniger als sechs Landtagswahlen. Neulich (Do 04-02-21 Höret auf den Herrn …) hatte Bolle deren Zahl noch auf nur fünf geschätzt. Aber erstens neigt er nicht zur Übertreibung, und zweitens kommt es darauf auch nicht wirklich an. Eines der Probleme einer Demokratie ist ja bekanntlich, daß es für einen Politiker (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) nicht nur darauf ankommt, das richtige zu tun – was übrigens unmittelbar die Frage aufwirft, was das denn sein mag, das richtige. Nein, er muß auch noch das Wahlvolk überzeugen, daß das richtige auch wirklich das richtige ist. Selbst wenn es ihm „an Wahrheit und an Kräften“ nicht gebricht, kann er durchaus doch an mangelnder Einsicht des Volkes in die Wahrheit scheitern. Das kann zum Beispiel einen Anton Hofreiter und sein „Häuschen im Grünen“ treffen – weil er diesen Lebensstil, aus trivial-guten Gründen übrigens, für klimaschädlich hält. Menschen an sich sind bekanntlich klimaschädlich. Oder zum Beispiel auch den Gesundheitsminister, der sich mit sich selbst bislang nicht hat einigen können, ob er nun zu viel oder zu wenig Impfstoff hat – bzw. „Impfstoff, den keiner will“. Oder es kann den Berliner Senat mit seiner Mietpreisbremse treffen, die nach Ansicht einiger nur dazu geführt habe, daß es erstens weniger und zweitens nur teureren Wohnraum gebe. Ist das jetzt wahr? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, daß seinerzeit bei der Einführung des Mindestlohnes recht ähnlich argumentiert wurde.

Wir hatten das Thema neulich schon mal gestreift und dabei festgehalten: „Die Malaria wurde in erster Linie durch das Trockenlegen der Sümpfe zurückgedrängt – und nicht etwa durch Chinin. Ganz ähnlich verhält es sich mit ökonomischen Ungleichgewichten. Wenn es nicht gelingt, die Probleme an der Wurzel zu packen, dann wird sich für jedes einzelne Problem, das wir erfolgreich lösen, ein ganz ähnlich gelagertes Problem an irgendeiner anderen Stelle einstellen. Darum ist es so wichtig, auf das gesamtwirtschaftliche Klima zu achten.“ (James Tobin 1965, vgl. dazu Di 02-02-21 Von Gänseblümchen und Brennesseln).

Wie wir leicht erkennen können: Die Probleme ähneln sich – um nicht zu sagen, es sind immer die gleichen. Und? Wer ist schuld? Die Demokraten? Ihre Wähler? Hier schweigt des Sängers Höflichkeit. Im übrigen wäre das dann auch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 23-02-21 Wo bleibt denn da das Positive?

Wo bleibt denn da das Positive?

Nichts liegt Bolle ferner als übertriebener Zynismus. Und das, obwohl in seinem semantischen Netz »Zynismus« lange nicht so abwertend („negativ“) besetzt ist wie der Geist der Zeiten das gegenwärtig sehen mag. Wir hatten diesen Punkt neulich schon mal gestreift (vgl. So 07-02-21 Shit happens). Wer mag, mag dort nachlesen.

Wo zeigt sich nun das Positive? Womöglich nur im Corönchen-Test. Wirklich aufbauend ist das nicht – das sieht Bolle ein. Nun gibt es, um einen „positiven“ Corönchen-Test zu vermeiden, im Grunde genau zwei Möglichkeiten: a) sich nicht infizieren oder b) sich gar nicht erst testen lassen. Auf Dauer aber – auch das sieht Bolle ein – wird sich letzteres wohl kaum vermeiden lassen. Nicht in Urlaub fahren dürfen mangels „negativem“ Testergebnis? Geschenkt. Bolle entspannt sich regelmäßig bei der Arbeit und ist demnach wenig urlaubs-affin. Nicht in den Klub dürfen aus gleichen Gründen? Ebenfalls geschenkt. Spätestens dann aber, wenn man ohne „negativem“ Testergebnis nicht mal mehr in den Supermarkt darf, wird’s eng. Genau das aber wird kommen. Zwar traut sich bislang noch kein einziger der demokratischen Würdenträger, das offen auszusprechen. Aber der Journalismus 2.0 arbeitet erkennbar und mit Fleiß daran, das Volk auf ebendieses einzustimmen. Bürgerliche Freiheitsrechte? Selbstverständlich – wir leben ja schließlich in einem demokratischen Rechtsstaat. Aber bitteschön doch nur für „gute“ Bürger – und nicht für jeden Lumpi, der verantwortungslos „sich und die anderen“ gefährden tut. Demokratie ist schließlich, wie wir bereits gesehen haben, ›die Herrschaft der Guten‹ (siehe So 06-12-20 Das sechste Türchen — Nikolausi …). Nur brauchen die Guten manchmal eben ein Weilchen, bis sie einsehen, was gut ist und was nicht: „Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum“ (Ihr werdet sein wie Gott und Gut und Böse unterscheiden können). Das hat ausgerechnet Mephistopheles dem jugendlichen Schüler in sein „Stammbuch“ geschrieben (Faust I, Zeile 2048) – nicht ohne hinzuzufügen: „Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!“ (Zeile 2050). Im Grunde war das – obschon nicht ganz neu – der Anfang demokratischer Rechthaberei. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.