So 14-09-25 Wenn’s doch der Wahrheitsfindung dient

Wittgenstein und Wichtelein …

Leute brauchen Orientierung. Das bedeutet nicht zuletzt zu wissen, was wahr ist und was nicht. Dabei wird – zumindest Bolle scheint das so zu sein – das Wissen um die Wahrheit nach einem mehr oder weniger gründlichen Modellierungsprozeß anhand aller jemals gewonnenen Eindrücke (Welt II) als Weltbild (mappa mundi) abgelegt (Welt III) und ist fürderhin handlungsleitend. Wobei bereits die Einsicht, daß das Weltbild nur ein Bild ist und mitnichten die Welt an sich (Welt I), offenbar nur fortgeschritteneren Gemütern – Agnostikern etwa – vorbehalten ist.

Welt im Bild …

Alle anderen verbringen ihr halbes, wenn nicht gar ihr ganzes Leben damit, andere von ihrem Wirklichkeitsmodell zu überzeugen – notfalls auch mit Gewalt: „Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag‘ ich Dir den Schädel ein.“ (Bernhard von Bülow 1903 in einer Reichstagsrede).

Wer meint, Recht zu haben, sucht sich zuvörderst „Fakten“ – so will es der Zeitgeist. Je mehr Fakten, desto Recht – wie manche ja zu meinen scheinen. Zwar sind ›Fakten‹ kaum mehr als ›Wahrheit aus der Froschperspektive‹ oder, wie Don Quixote de la Mancha (1605/1615) es seinerzeit gefaßt hat: „Tatsachen, mein lieber Sancho, sind die Feinde der Wahrheit.“

Wer‘s noch etwas dicker mag, der stützt sich gern auf Studien – als so einer Art Fakten-Bazooka:  „Seht her, hier steht’s. Die Studie hat ergeben.“ Zweifel ausgeschlossen. Bolle meint nur: Amen! Dann wird es wohl so sein.

Neulich hat eine Tageszeitung, die sich selbst für ein Qualitätsmedium hält, getitelt, daß sich „Füße hoch“ doch nicht lohne, da das Einkommen selbst bei Mindestlohn deutlich höher sei als bei Bürgergeldbezug. In der Kellerzeile (Bolles Gegenstück zur Dachzeile) hieß es ausführend, dies habe eine „neue deutschlandweite Studie“ ergeben. Arbeiten sei also „immer attraktiver“ – man habe schließlich „bis zu 662 Euro“ mehr.

Da hegt und pflegt jemand (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) in seiner Welt III die Ansicht, daß sich Arbeiten für ihn nicht lohne, etwa weil es bei seiner bescheidenen Ausbildung und einer entsprechend kläglichen Einkommenserwartung unter den gegebenen Umständen einfach keinen Sinn mache. Doch halt: nun kommt die Studie und verkündet, daß es, tout au contraire, für ihn (!) eben doch Sinn mache. Wer hat Recht? Die Antwort ist müßig, of course.

Ob es „attraktiver“ ist, bis zu 662 Euro mehr im Monat zu haben, entscheidet allein der potentielle Arbeitnehmer – und nicht etwa die Autoren einer Studie. In Bolles Kreisen nennt man das Konsum/Freizeit-Präferenz: Der Arbeitnehmer – und nur der – entscheidet, wieviel seiner Lebenszeit ihm zusätzliche Konsummöglichkeiten wert sind.

Im übrigen bedeuten 662 Euro mehr – man beachte hier vor allem auch den Fleiß und die Gründlichkeit der Autoren: alles präzise auf den Euro genau durchstudiert – gerade mal 22 Euro pro Kalendertag. Die aber ließen sich – so könnte man das durchaus sehen – bei sorgfältiger, umsichtiger und methodischer Haushaltsführung (in Bolles Kreisen heißt das ›SUM‹) leicht und locker wieder einspielen – etwa, indem man selber kocht, selber backt, und überhaupt so manches selber macht.

Von all dem aber schweigt der Studie Bräsigkeit. Allein das ist höchst charakteristisch für Studien aller Art. Sie belichten und beleuchten irgendeinen isolierten Teilaspekt des Daseins und geben das dann als die wirkliche Wahrheit aus. Bolle meint nur: Pustekuchen! Augen auf beim Weltbild-Basteln. Mit Fakten fressen und Studien schlucken jedenfalls ist es wirklich nicht getan.

Übrigens: Von Kümmern um Kinder und so – Marx hat das seinerzeit ›Reproduktion‹ genannt – war hier überhaupt noch gar nicht die Rede. Wenn etwa Mutti (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) sich auf Arbeit vergleichsweise sinnlos und schlechtbezahlt plagt,  derweil die lieben kleinen Schlüsselkinder mangels Zuwendung und unter tüchtiger Beihilfe von so manchem TV-Format zuhause systematisch verblöden, dann ist das sicher auch nicht ganz im Sinne des Erfinders. Auch hierzu weiß die Studie nichts zu sagen. Kurzum: Es ist offenbar gar nicht so einfach, auch nur einen Zipfel der Wahrheit zu erhaschen – schon gar nicht, wenn es um Wahrheit für andere geht. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 15-06-25 Immer auffem Sprung

Immer auffem Sprung.

Unser Bildchen heute zeigt eine Szene aus Bolles derzeitiger Vogelwarte, die sich praktischerweise direktemang auf dem Balkon befindet. Die Entfernung von A nach B – also von Amsel nach Bolle – beträgt dabei gerade mal 2 Meter Luftlinie.

Warum machen Amseln – und auch andere Gefiederte, also Drossel, Fink und Star und der ganze Rest der Vogelschar – sowas? Von eher kitschigen Erklärungen wie „Die mögen halt die Menschen“ einmal abgesehen, haben wir es hier wohl mit dem unabänderlichen Spannungsverhältnis zweier elementarer Bedürfnisse zu tun: dem physiologischen Grundbedürfnis nach Nahrung einerseits und dem Bedürfnis nach Sicherheit andererseits. Beides sind wohl Aspekte des – letztlich natürlich sinnlosen – Versuches zu überleben. Wenn das Bedürfnis nach Nahrung Überhand nimmt, dann muß man das schützende Nest eben vorübergehend verlassen. Gleichwohl bleibt man tunlichst immer auf der Hut – jederzeit bereit, die Prios anzupassen. Was nützt das schönste Futter, wenn man am Ende selber zu Selbigem wird? Daß Bolle keine Katze hat, kann Amsel ja nicht ahnen.

Wie friedlich und wie harmonisch aber könnte die Welt doch sein – ein alternatives Grundkonzept vorausgesetzt. So findet sich als Umschlagsillustration auf Bolles alter Kinderbibel eine Szene, die wohl das Paradies darstellen soll. Löwen und Gazellen liegen da friedlich und einträchtig Seit‘ an Seit‘ im Grase, zusammen mit manch Blümelein. Hosianna, Hallelujah, halt. Selbst in Bolles Kinderaugen schien das damals schon nicht das realistischste aller Konzepte – und zwar lange, bevor er je etwa von Ludwig Thomas ›Der Münchner im Himmel‹ (1911) gehört hatte: „Luja sog i.“

O nein, die Welt ist weiß Gott kein friedlicher Ort. Und das wird sich auch nicht ändern, solange Leute was zu futtern brauchen oder sonstige Interessen meinen verfolgen zu müssen: big fish eats small fish. Oder, wie Woody Allen in seinem ›Die letzte Nacht des Boris Gruschenko‹ (USA 1975 / Originaltitel: Love and Death) im Rahmen einer tiefschürfenden philosophischen Debatte über den Sinn des Lebens und den ganzen Rest zu seiner angehimmelten Sonja meinte: „Mir kommt das alles vor wie ein großes Restaurant.“

Allein auf diesen Umstand hinzuweisen kann einem in Deutschland allerdings schon mal leicht als Billigung eines Angriffskrieges ausgelegt werden und, wenn’s dumm läuft, bis zu 3 Jahren Knast einbringen (§§ 140 Nr. 2, 138 I Nr. 5 StGB i.V.m. § 13 VStGB). Dabei kann eine vergleichsweise harmlose Aufmunterung wie zum Beispiel „Bravo Putin“ – zumindest, wenn es nach dem LG München I gegangen wäre (Urteil vom 2. August 2023) – durchaus schon genügen, um ernstlich mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.

Interessant wird es indessen, wenn man anfängt, Parallelen zu ziehen – was nach Hülsenfrüchtchens Heuristik natürlich strikt verboten ist und gerne mit der Argumentationsattrappe ›Whataboutism‹ pariert zu werden pflegt. Parallelen zu ziehen, Dinge einzuordnen überhaupt, ist nach dieser Vorstellung tunlichst zu unterlassen – zumindest aber höchst unerwünscht. Derlei mache die Dinge nur unnötig „komplex“ – im Sinne von ›dann blick ich nicht mehr durch‹.

Beispiel gefällig? Eines für alles mag hier genügen. Da bombt seit längerem schon ein Land auf ein anderes ein – und Politik und Presse überschlagen sich förmlich und unaufhörlich mit „Kriegsverbrecher“-Krakeele. Nun bombt neuerdings ein anderes Land auf ein anderes ein, nur weil ihm dessen Politik nicht paßt – und schon heißt es, das sei schließlich vorbeugende Selbstverteidigung beziehungsweise, vornehmer formuliert, Präventivnotwehr. Schließlich habe man ein Existenzrecht zu verteidigen – und im übrigen sei das eine Demokratie. Bolle meint nur: Ach herrje!

Völkerrecht ist, allem gutgemeinten Gedusel zum Trotze, im Wesentlichen noch immer Faustrecht – mit Betonung auf Faust und weniger auf Recht. Das war eines der ersten Dinge, die Bolle beim Studium dieses Faches helle wurden. Und allen Bestrebungen, das zum Besseren zu wenden, war bislang nur höchst mäßiger Erfolg beschieden. Hinzu kommt: Recht ist, nach allem, im Wesentlichen ja kaum mehr als geronnene Macht. Folglich empfiehlt Bolle, lieber die Füße ein wenig stiller zu halten, gleichwohl aber auf dem Sprung zu bleiben. Klingt doch fast schon nach Zen – und damit vielleicht nicht ganz unrealistisch. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 01-06-25 Rauchen wie Gott in Frankreich

Twins – Zwillinge (1988).

Um es mal mit Obelix zu sagen: Die spinnen, die Franzosen. Aber nicht nur die. Bei Lichte betrachtet sind es wohl eher die Zeiten an sich, die spinnen. Bolle meint ja, wie so oft, als erstes: Definiere ›spinnen‹. Probieren wir es mit einer Umschreibung: Vielleicht ist ›Spinnen‹ ja nur so eine Art „Realitätsunwilligkeit“ – wie Roger Köppel, der große Journalist der kleinen Schweizer Zeitung, das neulich mal genannt hat.

Was ist passiert? Die Grande Nation hat sich zu der Idee verstiegen, Rauchen ab demnächst nicht nur mehr in geschlossenen Räumen verbieten zu wollen, sondern weitestgehend auch unter freiem Himmel – also in Parks und öffentlichen Gärten, aber auch an Bushaltestellen, bei Sport und Spiel auf den Tribünen, und natürlich in der Nähe von Schulen, of course.

Wo Kinder sind, da muß der Tabak weichen. Soweit die Argumentations-Attrappe. Es gebe nun mal ein Recht der Kinder auf saubere Luft. Im Freien! Hört, hört! Bolle meint, hier durchaus einen Hauch von Hysterie ausmachen zu können, und – let’s go crazy – auch einen Hauch von Filigran-Faschismus, der definitionsgemäß ja will, daß alle gleich sein wollen sollen. Von wegen liberté toujours. Die ganze Liberté-Idee scheint Bolle mittlerweile ja ohnehin so eine Art Auslaufmodell zu sein. Wie nur kann es möglich sein, daß die Grande Nation sehenden Auges im Kern zu einer Grande Imitation, also einem seelenlosen Abklatsch ihrer selbst, verkommt? Aber vielleicht hängt Bolle das alles auch einfach nur zu hoch. Wer weiß?

Im übrigen handelt es sich hier auch um einen Fall von ›Edel versus Eigentlich‹, also Bolles EvE-Theorem: Jedes eigentliche Vorhaben, und sei es noch so schändlich, läßt sich bei hinreichender konstruktivistischer Kreativität locker mit einem Zuckerguß edler Absichten glasieren. Alles für die lieben Kleinen. Und die Freiheit? Die stirbt natürlich unterm Zuckerguß.

Und wie schnell das alles ging und geht – zumindest in der Rückschau im Schnelldurchlauf. Unser Bildchen zeigt eine Szene aus ›Twins – Zwillinge‹ (USA 1988 / Regie: Ivan Reitman / mit Arnold Schwarzenegger, Danny DeVito, Kelly Preston und Chloe Webb). Dort hatten sich die beiden Zwillingsschwestern bei einem Einkaufsbummel im Supermarkt – also drinnen – noch ganz entspannt ein Zigarettchen brüderlich geteilt. Im Supermarkt! So weit hat es Bolle nie getrieben. Und das alles ist gerade mal knapp 40 Jahre her – also nur etwa gut eine Generation. Was nur mag da schiefgelaufen sein bei der Aufzucht der kleinen Racker (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)? Wie nur kann es sein, daß ›Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll‹ zu ›Veganismus, Laktose-Intoleranz und Helene Fischer‹ verkümmern konnten? (Womit natürlich mitnichten irgendwas gegen Helene Fischer gesagt sein soll, of course). Und wie kann es sein, daß sich Lucky Luke etwa – im Nachdruck der Hefte auch rückwirkend, versteht sich – mit einem Grashalm im Mäulchen begnügen muß statt mit ‘ner ehrlichen selbstgedrehten Ziggi?

Seinerzeit, das weiß Bolle noch ganz genau, gab es im ›Schwarzen Café‹ am Savignyplatz noch ein ›Schwarzes Frühstück‹ für Minimalisten (oder vielleicht auch Existentialisten) zu haben. Eine Tasse schwarzen Kaffees mit einer schwarzen Zigarette. Sapienti sat – Der Philosoph wird davon satt.

Aber muß man denn unbedingt rauchen? Natürlich nicht. Ein jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) mag das halten, wie es ihm zu Nutz und Frommen scheinen mag. Auf die Frage einer Studentin, warum er denn rauche, ist es Bolle – ohne nachzudenken, also so richtig zenmäßig – in einer großen Pause einmal rausgerutscht: „Weil ich irgend etwas brauche im Leben, das völlig sinnlos ist.“ Ansonsten käme er sich vor wie der Arbeitsgaul ›Boxer‹ in Orwells ›Animal Farm‹ (1945) oder wie einer dieser deprimierend derangierten Borgs aus ›Star Trek‹. Bolle hatte sich immer schon gefragt, worin die wohl ihren Lebenssinn sehen mögen. Indes: am klügsten ist es wohl, wenn man erst gar nicht fragt. Immerhin: Bolles Begründung hatte, wie es schien, durchaus einiges an Überzeugungskraft – wie das mit Zen-Sprech ja öfters mal so ist. Jedenfalls war diesbezüglich Ruhe im Karton.

Übrigens: Frankreichs private Terrassen sollen „selbstverständlich“ von der Regelung ausgenommen bleiben, of course. Bolle meint, dann is ja jut. Kieken wa ma, was die Zukunft bringen mag. Beim Zeitgeist weiß man schließlich nie. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 20-04-25 Frohe Ostern, urbi et orbi!

Ei forbibbsch.

Kaum ist Weihnachten vorbei – die Menschwerdung des Heilandes der Christenmenschen –, da rüsten die Gläubigen auch schon zum Osterfeste – in Erinnerung an das Ereignis, da der Erlöser denen, die da glaubten, zugerufen hatte:

Zwar habt Ihr Menschen mich am Kreuze vom Leben zum Tode gebracht. Aber sehet: Hier stehe ich – voll unkaputtbar. So gehet denn hin in alle Welt und verkündiget die Frohe Botschaft.

Allerdings hatte der Heiland es vorgezogen, auch seinen Anhängern nur noch höchst ghostly zu erscheinen – um dann, am 40. Tage, endgültig vom Antlitz der Erde zu verschwinden. Leibhaftig in diesem Jammertale aufgetaucht ist er dann erst wieder in jüngerer Zeit – zumindest, wenn man David Safiers Roman ›Jesus liebt mich‹ (2008) Glauben schenken mag. Hier ein kleiner Auszug aus einem Dialog zwischen Joshua (Jesus‘ nom de guerre auf Erden) und Marie, einem höchst irdischen Wesen, in einer Kirche in Malente, einem Städtchen in Ostholstein. Jesus hatte berichtet, daß er es seinerzeit als Kind schon nicht leicht gehabt habe – zum Beispiel was seine Erziehung anging. Aus Maries Perspektive verlief das Gespräch wie folgt:

– „Wie erzieht man denn Jesus?“, fragte ich erstaunt.
– „Mit Strenge. Josef verbot mir eine Zeitlang, vor die Tür zu gehen.“
– „Was hast Du denn angestellt?“
– „Ich habe mit fünf Jahren am Sabbat zwölf Spatzen aus Lehm geformt.“
– „Und warum war das so schlimm …?“
– „Weil man am Sabbat so etwas nicht tun darf. Und weil ich die Spatzen zum Leben erweckt habe.“

So hat jeder seine Sorgen. Allein – Marie, dem höchst irdischen Wesen, war klar, daß es für Maria und Josef seinerzeit schon nicht ganz leicht gewesen sein dürfte, so etwas den Nachbarn zu erklären.

Bolle meint: Leute sind halt sonderbar. Vor allem aber sind sie sklerotisch. Kaum ist etwas auch nur etwas anders als gewohnt, werden sie rappelig. Das geht schon los, wenn die Aktienkurse mal ein bißchen hin und her hüpfen (vgl. dazu letzte Woche, So 13-04-25 Die sklerotische Gesellschaft). Bei zum Leben erweckten Spatzen setzt dann natürlich alles aus.

Was tun, sprach Zeus? Ein erster Schritt in die richtige Richtung könnte es sein, hin und wieder ein wenig in sich zu gehen und sich ernstlich zu fragen:

Um was kümmern? Um was nicht?

Dabei wird man – so jedenfalls Bolles Eindruck – sehr schnell feststellen, daß vieles – wenn nicht gar fast alles – mit dem man sich tagein, tagaus befaßt, durchaus belanglos ist. Vanitas. Eitler Schein. Das letzte Hemd hat nun mal keine Taschen – wie Bolle seit frühester Kindheit weiß. Was also, könnte man sich fragen, braucht es für eine veritable Auferstehung? Wenn schon nicht von den Toten – so vielleicht doch zumindest von den Tölpeln? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel. Frohe Ostern!

So 06-04-25 Wie bei Muttern

🎶 Always look at the bright side of life 🎶

Mel Brooks‘ Einsicht, daß einem vieles nicht mehr möglich ist, wenn man selber nicht mehr ist, findet sich in seiner Komödie ›Das Leben stinkt‹ (USA 1991), für die er in Tausendsassa-Manier das Drehbuch geschrieben, Regie geführt, das Ganze selber produziert und – zusammen mit Lesley Ann Warren – auch noch die Hauptrolle gespielt hat.

Man mag den Film finden, wie man will. An der Einsicht an sich führt aber wohl kein Weg vorbei – da beißt die sprichwörtliche Maus kein‘ Faden ab. Allerdings läßt sie sich durchaus auch umkehren – gewissermaßen ins Optimistische wenden: Kaum ein Ärgernis in diesem Jammertale, das sich nicht mit größter Nonchalance hinnehmen ließe.

Die Synthese – so kann man wohl meinen – findet sich in der höchst lebenspraktischen alten Indianerregel, daß man den Tod als Ratgeber annehmen möge, da auf diese Weise ungeheuer viel Belangloses von einem abfallen werde.

In Monty Pythons ›Das Leben des Brian‹ (UK 1979 / Regie: Terry Jones) heißt es dazu – und wohl nicht ganz unzutreffend:

For life is quite absurd
And death’s the final word
You must always face the curtain with a bow.
Forget about your sin – give the audience a grin
Enjoy it – it is your last chance anyhow.

Das ist mal wieder – wie wohl so vieles – ganz schlecht übersetzbar. Hier ein Versuch:

Das Leben? Recht absurd.
Der Tod? Die letzte Furt.
Verbeug Dich, wenn der Vorhang für Dich fällt.
Jetzt bloß nicht schwächeln – gönn uns ein Lächeln.
Was sonst mag bleiben einem Held?

Und so finden wir uns unversehens und stante pede im Agnostisch-Kontemplativen wieder. Vanitas – eitler Schein. Oder eben ›Eh scho Wuascht‹ – so heißt ein Würstelstand am Wiener Zentralfriedhof. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 05-01-25 Lieb Herzelein, magst stille sein

Herzelein, magst stille sein.

Es tut sich was auf der Welt. Schleichend zwar – im Zeitraffer aber doch recht deutlich. Und wann, wenn nicht um diese Jahreszeit, könnte man besser kurz innehalten und ein wenig Abstand nehmen, um sich Rechenschaft zu geben, wie man zu den Dingen stehen mag? Ist es nicht gerade das junge, das taufrische Jahr? Und wohnt nicht jedem Zauber auch ein Anfang inne?

Es ist fast auf den Tag genau 6 Jahre her, daß Greta Thunberg beim Weltwirtschaftsforum in Davos unter dem Beifall der Weltöffentlichkeit – vor allem aber natürlich der Medien dieser Welt (vgl. dazu Mi 18-12-24 Das 18. Türchen: Vox populi – vox quojus?) – verkündete, sie wolle, daß wir Panik schieben: I want you to panic!

Bolle war damals schon nicht wohl dabei. Steht das doch in krassem Gegensatz zur Grundaussage des Anhalters durch die Galaxis, wo es spätestens seit 1978 schon auf dem Buchdeckel geschrieben steht, und zwar in großen, freundlichen Lettern: Bloß keine Panik! Bolle kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß da mächtig was untergegangen ist im Laufe von nur gut einer Generation – auch, wenn es möglicherweise die letzte sein mag.

Vor allem will Bolle nicht einleuchten, daß man ein Problem – irgendein x-beliebiges Problem – besser, schneller, leichter oder überhaupt lösen kann, indem man Panik schiebt. Bolle war, vor Jahren schon, einmal Zeuge einer dieser Wie-nicht-bestellt-und-doch-abgeholt-Lektionen, mit denen das Universum nicht oft, aber doch gelegentlich, aus heiterem Himmel aufzuwarten beliebt. Bolle befand sich auf einer Party im kleinen Kreise in einem der sozialistischen Plattenbauten – die mit der herkömmlichen Berliner Traufhöhe (22 Meter) wenig am Hut hatten, und zwar in einem der obersten Stockwerke. Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, gab es plötzlich einen Wohnungsbrand: Lodernde Flammen und mächtig viel Rauch. Im Grunde war es wie im Kino: unverstellte, aber sichere Sicht auf das Malheur vis-à-vis. – Lalülala, of course. Und? Was haben die Feuerwehrleute (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) gemacht? Sie haben seelenruhig und gemessenen Schrittes die Lage gepeilt, ihre Ausrüstung ausgerollt und das Nötige in die Wege geleitet. Von Hektik – oder Panik gar – nicht die Spur. Bolle hatte fast den Eindruck, daß man eher schlendert als hetzt oder hechelt. Es gibt Momente im Leben, da bleibt es nicht aus, an den Anhalter durch die Galaxis samt seiner Buchdeckel-Weisheit denken zu müssen.

Auch war das wohl kein Ausnahme-Phänomen. Jahre später hat Bolle mal eine Doku über einen dieser Katastrophen-Helfer/Retter/Schützer-Vorabend-Filme gesehen. Da waren sowohl der Schauspieler als auch der „echte“ Retter im Gespräch – und man war sich völlig einig, daß es in real life eher so läuft wie in Bolles Beobachtung. Panik völlig fehl am Platze. Da man den Zuschauern aber ein gehöriges Maß an Action bieten will, werden solche Filme dann eben panisch aufgepeppt. Nun, denn.

Kurzum: Jedem, der beruflich mit sowas zu tun hat, ist klar, daß Panik das letzte ist, was hilft. Daß sich jemand wie Greta Thunberg gleichwohl ein gehöriges Maß selbiger wünscht, mag ihrer jugendlichen und auch ihrer professionellen Unerfahrenheit geschuldet sein. Daß aber die Medien dieser Welt derlei Unsinn hysterisch hochgehyped haben – und selbiges noch immer tun, und zwar unvermindert – egal, ob es ums Klima geht, um Kriege oder Katastrophen aller Art, mag da schon bedenklicher stimmen. Und so kommt Bolle nicht umhin, sich zu wünschen, daß mehr gedacht werden möge. Gedacht – und dann gemacht. Das Herzelein mag derweil stille schweigen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 05-12-24 Das 5. Türchen: Würde oder Würmchen?

Sic crustula friatur – Da geht er hin, der Keks …

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. So steht es in der Verfassung, gleich im 1. Artikel und dort auch gleich im 1. Absatz. Damit steht sie an ähnlich prominenter Stelle wie das „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ des alten Testaments der Christen- und vor allem auch der Judenmenschen (1. Mose 1, 1). Auch hier haben wir es einmal mehr mit einem Fall von ›Helfen, retten, schützen‹ zu tun – was wenig Gutes ahnen läßt. In der Tat handelt es sich bei ›Würde‹ um das, was die Juristen einen ›unbestimmten Rechtsbegriff‹ nennen: Nichts Genaues weiß man nicht. Zur Zeit jedenfalls macht sich im deutschen Strafrecht eine Tendenz breit, die Würde dermaßen hochzuhängen, daß keiner mehr drankommt. Das ist zwar rechtsdogmatisch ärgerlich – hat für interessierte Kreise aber den Vorzug, daß man alles, wirklich alles, was beliebt, darunter fassen kann. Gegenwärtig jedenfalls muß der arme Art. 1 GG dafür herhalten, die Bösen von den Guten zu scheiden. Du bist frauenfeindlich? – was immer das heißen soll: Klarer Fall von Verfassungsfeindlichkeit. Sexistisch? Nicht minder. Antisemitisch? Dito. Es ist unschwer zu erkennen, daß hier die unbestimmten Rechtsbegriffe Ringelreihen tanzen – was der Auslegung beziehungsweise, allgemein gesagt, dem jeweils herrschenden Zeitgeist ungeahnte Spielräume eröffnet. Das Ergebnis ist Rechtswissenschaft, wie’s grade paßt. Und wenn das erst mal losgetreten ist, gibt es kaum ein Halten mehr. Bolle kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß wir uns gerade in einer solchen Phase befinden. Übel, übel – aber muß man wohl durch.

Versucht man dennoch, die ›Würde‹ halbwegs begrifflich zu fassen – was wir hier und heute unmöglich tun können – landet man ganz schnell beim ›Kantischen Moralprincip‹ (Schopenhauer), wonach die Würde auf der Moralität des Menschen beruht und die Moralität auf der Würde. Na toll. Und so kommt Schopenhauer auch zu dem Schluß, daß es eigentlich nur ironisch gemeint sein kann, weihevolle Worte wie Würde auf „ein am Willen so sündliches, am Geiste so beschränktes, am Körper so verletzbares und hinfälliges Wesen, wie der Mensch ist“, anzuwenden. Vielmehr solle man, so Schopenhauer, die Würde nicht aus der Großspurigkeit der Menschen ableiten wollen (Homo sapiens oder Homo sapiens sapiens, gar), sondern vielmehr, ganz im Gegenteil, aus seiner Minderbemitteltheit. Das allein führe zu einer Haltung sublimierter Menschenliebe, agápē, zu der schließlich auch das Evangelium der Christenmenschen aufrufe.

Daß das Ganze schwer selbstwertbeschädigend sein mag, versteht sich. Aber ist es nicht erquicklicher, mit einer soliden Ent-Täuschung zu leben als sich dauerhaft in die eigene Tasche zu lügen? Bolle findet, auch und vor allem die Adventszeit bietet sich geradezu an, derlei mal zu kontemplieren. Tut ja nicht wirklich weh. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 01-12-24 Das 1. Türchen – der 1. Advent: Last Christmas …?

Es weihnachtet wieder …

So, Ihr Lieben. Es weihnachtet wieder – schon wieder. Bei Bolle ist es vorausschauenderweise ja so, daß die Weihnachtszeit mit Hallowe’en beginnt – also mit rund einem Monat Extra-Vorlauf. Das entspannt die Dinge doch sehr. Dabei haben wir es dieses Jahr mit dem eher seltenen Fall zu tun, daß 1. Advent und 1. Dezember auf den gleichen Tag fallen. Das erleichtert die Orientierung ganz erheblich.

Unseren agnostisch-kontemplativen Adventskalender gibt es heuer (wie man in Österreich sagt) immerhin das fünfte Jahr in Folge. Mehr Weihnachtsgruß geht kaum. In England gibt es – oder gab es zumindest – die Sitte, an alle, die man kennt, ein Weihnachtskärtchen zu verschicken. Damit das Ganze nicht zu teuer wird, ist (oder war) es Sitte, daß die Weihnachtsindustrie eigens Low-Budget-Kärtchen auf den Mark wirft, die sich auch weniger begüterte Teenager leisten können.

Bei dem Bildchen heute handelt es sich um eine Rückmeldung unserer geneigten Leserschaft: Ein herkömmlicher Lichterbogen (oder auch Schwibbogen), der noch mit echten in Reihe geschalteten Glühbirnchen funktioniert – und nicht etwa mit LEDs. Dabei liegt an jedem Lichtlein eine Spannung von etwa 30 Volt an – von wegen 220 geteilt durch 7. Wem das nicht auf Anhieb einleuchten will: das soll uns die Weihnachtsstimmung nicht verdrießen. Über die Leistungsaufnahme ist nichts bekannt. Auf jeden Fall werden die Birnchen warm genug, um sich glatt die Finger daran leicht verbrennen zu können. Wie hat man das früher gehalten? Bolle meint ja immer: Wer zu doof ist, den bestraft das Leben. Vielleicht waren die Kinder seinerzeit ja noch nicht ganz so doof. Falls doch: so lernt man’s. Trial and error, eben. Der Rest ist eine Frage der natürlichen Auslese. So etwas aber – das sieht Bolle ein – ist heutzutage durchaus nicht mehr „zeitgemäß“. Sich die Finger verbrennen und dabei was lernen – das geht gar nicht. Sprach das Hülsenfrüchtchen.

Zum heutigen Titel: „Last Christmas“ kann ja zweierlei bedeuten: Erstens ›Weihnachten letztes Jahr‹, wie in dem Lied der englischen Pop-Band Wham! aus dem Jahre 1984. Es kann aber auch bedeuten: Das letzte Weihnachten überhaupt.

Nun ist Bolle mitnichten der hysterische Typ. Indes hatten wir schon letztes Jahr (vgl. Mi 13-12-23 Das dreizehnte Türchen …) daran erinnert zu bedenken:

Keine Macht der Welt kann dir garantieren,
daß du noch eine Minute länger leben wirst.

Ist es nicht schön, daß wir in Zeiten leben, wo man nicht leichtfertig sagen kann: „Ja, ja, schon klar. Red‘ Du nur.“ Daß wir vielmehr in agnostisch-kontemplativ hochwertigen Zeiten leben, wo das jederzeit und sehr, sehr plötzlich richtig real werden kann? Bolle meint ja immer – in Abwandlung seiner Standard-Aufmunterung: Genießt der Zeit – wer weiß, wie sehr die spinnen … Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 24-11-24 Denken, wem Denken gebührt

Mathematiker-Schnelltest.

Kinder, wie die Zeit vergeht! Heute ist der 24. November. Zumindest bei den protestantischen Christenmenschen ist das der Totensonntag, an dem man, passend zur Jahreszeit – das Jahr ist nunmehr zu 90 Prozent von hinnen geschieden – versucht, der letzten Dinge zu gedenken. Die letzten Dinge, das sind Tod, Gericht und Himmel oder Hölle – je nachdem.

So weit wollen wir hier und heute nicht gehen. Immerhin kann es nicht schaden, sich klarzumachen, daß am kommenden Sonntag bereits der 1. Advent der Christenmenschen ist. Gleichzeitig – und das hat man wahrlich nicht jedes Jahr – ist das der 1. Dezember, an dem die kleinen und auch manch größere Kinder das erste Türchen an ihrem Adventskalender öffnen. Auch für unseren virtuellen agnostisch-kontemplativen Kalender – den es dieses Jahr das fünfte mal in Folge geben soll – ist es dann wieder soweit.

Was haben wir gedacht?
Was davon gemacht, was angebracht?
Mitunter auch: was haben wir gelacht.

Natürlich ist vieles liegengeblieben. Noch viel mehr ist noch am Reifen. Schließlich soll es mitnichten unser Ansinnen sein, dem Zeitgeschehen hinterherzuhecheln. Dem Zeitgeist zu begegnen ist sicherlich Anspruch genug.

So wollen wir das Jahr gemütlich ausklingen lassen und nicht versäumen, Euch einen – wie Bolle das nennt – Mathematiker-Schnelltest vorzustellen. Die Aufgabe, um die es geht, lautet wie folgt: Gegeben sei eine normale Telephon-Tastatur. Was kommt raus, wenn wir alle Ziffern miteinander multiplizieren? Ende vom Test.

Ein wahrlicher Schnelltest, also. Manche unter uns werden sagen: Wie – das war’s schon? Manch andere dagegen werden Unrat wittern und geheime Tücken suchen – und womöglich sogar finden. Kurzum: Der Test hat es in sich – wenn auch nicht unbedingt auf der mathematischen Ebene.

Auch lappt er ein wenig ins pragmatisch-philosophische. So hieß es – auch, aber beileibe nicht nur in diesem Jahr – zuweilen, man müsse für dieses oder jenes Vorhaben nur soundso viele Milliarden „investieren“ – dann werde alles gut. Bolle dagegen meint in Anlehnung an einen gelungenen Werbespruch: Geld ist wie Beton. Es kommt drauf an, was man draus macht. Sagen wir so: Wer sich mit dem Mathematiker-Schnelltest schwertut – oder zumindest nicht ganz leicht –, wird, tout au contraire, nicht die geringste Mühe haben, die eine oder andere Milliarde mal eben schnell im Orkus der Geschichte zu versenken. Die Zeitgeschichte wimmelt nur so von Beispielen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 15-09-24 Volk unter Strom

Krass krank.

Plärr. Schepper. Peng. Auf Bolles Handy war die Hölle los. „Aus! Aus! Mach aus! Braav …“. Das kennt Bolle noch aus seiner Zeit als peripherer Hunde-Dompteur. Hier war es im Prinzip nicht anders. Für den eigentlichen Inhalt des Getöses bleibt da naturgemäß recht wenig Raum und Sinn. Wozu auch? Was kann schon so wichtig sein, einen Schentelman (Kurt Tucholsky 1930) beim Tee – oder bei was auch immer – so rüde zu belästigen? Und was sollte da schon kommen? „Atomraketen am Himmel über Berlin. Begeben Sie sich in Ihren nächsten Bunker. Sie haben 2 Minuten 30 Sekunden Zeit.“ Na toll!

 Bolle hält es hier, wie auch sonst, mit Natsume Sôseki (1867−1916):

Ein wahrer Mönch wahrt seine Mittagsruhe.
Auch wenn draußen die Welt untergeht.

Auch hatte Bolle vor geraumer Zeit schon versucht, all diesen Unsinn nach Kräften zu deaktivieren.

Alles AUS. Und?

Allein es hat nicht wollen fruchten. Alarme der sogenannten „Warnstufe 1“ sind einfach nicht abschaltbar. Jeder, wirklich jeder, wenn er nicht gerade ein Uralt-Handy hat, soll in den Genuß des vollen „Weckeffektes“ – wie es beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe heißt – kommen.

Immerhin – eine handyschonende Möglichkeit gibt es doch. Einfach ausschalten oder zumindest in den Flugmodus gehen. Dann nämlich ist Ruhe. Ein kleiner Klick für den Menschen – aber ein Riesenschritt für die Menschlichkeit.

Manche meinen ja, der Nachteil dieser Methode sei, daß man auch für andere Nachrichten vorübergehend nicht erreichbar sei. Ach was? Sag bloß. Wer sein Leben so eingerichtet hat, daß ihm 10 Minuten, oder weniger, Handy-Abstinenz ernstlich Kummer bereiten, der sollte sowieso mal gründlich in sich gehen. Bolle empfiehlt hier einen Grundkurs Kontemplation.

Davon mal ganz abgesehen. Wieso muß der „Weckeffekt“ so laut und so ätzend sein, daß man sich ernstlich Sorgen um seinen Lautsprecher machen muß? Eine mögliche Erklärung wäre, daß die Verantwortlichen davon ausgehen, daß das Volk im großen und ganzen regelmäßig im Tiefschlaf ist – aus dem man es wirklich nur mit drastischen Mitteln aufwecken oder schrecken kann. Denkbar wär’s.

Eine andere Erklärung wäre, daß es schlechterdings Leute gibt, die es einfach klasse finden, das Volk unter Dauerstrom zu halten. Wahrlich, wir sagen Euch: Die Welt ist ein wilder, wüster und wahnsinnig gefährlicher Ort. Aber seid unbesorgt: Wir helfen, retten, schützen Euch und all die Schäfchen drumherum. Bolle könnt‘ kotzen, of course.

Solche Formen von obrigkeitlichem Paternalismus haben wir ja während der Corönchen-Hysterie hinreichend einüben dürfen. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) versteht darunter übrigens eine autoritäre Herrschaftsform, bei der der Herrschende sich Vormundschaft gegenüber dem Beherrschten anmaßt; vermeintlich väterlich wohlwollende, jedoch bevormundende, autoritäre Haltung einer Regierung gegenüber den Bürgern […]. Bolle meint, das paßt wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer.

Vor gut hundert Jahren übrigens hieß die Mode-Diagnose für Leute, denen die Welt zu laut und zu lärmend war, und die sich nicht dagegen zu wehren wußten, Neurasthenie (wörtlich Nervenschwäche). Spötter meinten seinerzeit:

Raste nie und haste nie, sonst haste die Neurasthenie.

Die Empfehlung könnte ja glatt von Bolle sein. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.