Do 08-04-21 Notbremse — oder eher Tempomat?

Not kennt kein Gebot.

Bolle war gestern kurz unterwegs. Nur kurz: reinrocken, durchrocken, rausrocken. Total so! Nun ist es für einen wie Bolle völlig unmöglich, beim Anblick einer schicken ICE-Notbremse nicht sofort an die verschiedensten Corönchen-Notbremsen zu denken, mit denen Bund und Länder seit Wochen und Monaten mit schönster Regelmäßigkeit aufwarten. Was aber hat das eine mit dem anderen zu tun?

»Not« ist, man kann es kaum anders sehen, eine aufdringliche Form von Soll/Ist-Diskrepanz mit momentaner Transformationsbarriere – definitionsgemäß also ein Problem (vgl. dazu Mo 22-03-21 Plan, Prognose, Plausibilität). Gleichzeitig ist »Not« aber auch ein Teekesselchen – und zwar eines der tückischen Art, also mit hohem Konfusionspotential. So kann sich »Not« auf eine gegenwärtige, aktuelle Gefahr beziehen, oder aber auch auf einen bis auf weiteres andauernden Zustand.

Wir haben es hier mit einem Unterschied zu tun, der einen Unterschied macht – dem Unterschied zwischen Zeitpunkt versus Zeitraum (vgl. dazu Di 05-01-21 Gleichzeitig zeitgleichig?).

Wenn also zum Beispiel ein frühneuzeitlicher Bauer irgendwann zwischen 1618 und 1648, also mitten im 30-jährigen Krieg, von „großer Not“ gesprochen hat, dann ist das etwas völlig anderes als wenn jemand die Notbremse zieht, etwa weil er seinen Koffer aus Versehen auf dem Bahnsteig hat stehen lassen – oder gar seine Liebsten, wie Heiner Lauterbach in ›Charly & Louise‹, einer sehr niedlichen Neuverfilmung von Kästners ›Doppelten Lottchen‹ (D 1994 / R: Joseph Vilsmaier).

Auch der Gesetzgeber unterscheidet inhaltlich fein säuberlich zwischen Notstand im Sinne von andauernden Gefahrenlagen, etwa in Art. 35 GG oder Art. 91 GG, und Notfall im Sinne einer ›gegenwärtigen Gefahr‹, etwa in den §§ 34, 35 StGB – auch wenn er die Unterscheidung semantisch nicht sauber durchhält. Indes: nobody is perfect.

Wie verhält es sich nun mit der „Corönchen-Notbremse“? Wir haben es definitiv mit einer andauernden Gefahrenlage zu tun. Folglich macht es wenig Sinn, hier irgendwelche „Notbremsen“ zu ziehen. Gemeint ist im Grunde doch eher ein Tempomat – also eine Vorrichtung, die verhindert, daß man plötzlich, upps!, unbedacht zu schnell wird.

Ist das nicht nur Wortgeklingel? Mitnichten. Wenn wir darauf bestehen wollen, daß Sprache die Mutter des Gedanken sein soll, und nicht etwa dessen Magd (Karl Kraus), dann geht das ganze Durcheinander hier schon los – auch wenn es nicht gleich augenfällig wird. Nutzen wir die Sprache als Frühwarnsystem! Damit wäre schon einiges gewonnen. Bolle jedenfalls hatte seinen Koffer nicht vergessen. Er hatte gar keinen dabei. Und so konnte es angesichts der Notbremse beim Photo Shooting bleiben. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 07-04-21 Bridge over troubled water

Laschet, der Landesvater.

Es muß dringend was geschehen, sprach der Kommunikations-Berater. Sonst kacken wir ab und können die Kanzlerschaft knicken. Nur was? Hart muß es sein, um Führungsqualität zu zeigen. Und lichtvoll muß es sein, von wegen Ende des Tunnels. Grübel, grübel, grübel … Stunden später: Wie wär’s mit einer Brücke? Klingt doch ganz nach Kanzlerin.

Bolle kann sich das entsprechende Brain Storming lebhaft vorstellen. Jemandem eine Brücke bauen: Wie entgegenkommend ist das denn? Wir denken an den Überbrückungskredit von der Bank an unserer Seite. Die alteingesessenen Berliner denken bis heute an die Luftbrücke mit ihren Rosinenbombern, damals 1948. Und nicht zuletzt gibt es da auch noch die Bridge over troubled water – die Brücke über wilde Wasser. Kennen wa alle. Wie ging das gleich noch mal?

Du fühlst Dich müde – paßt!
Fühlst Dich klein – aber holla! nach Monaten sozialer Deprivation!
Hast Tränen in den Augen – kein Wunder bei den vielen Masken!
Ich trockne sie und
Werde bei Dir sein – Bingo! klingt doch voll seriös nach Landesvater und Kanzlerkandidat.

Der Senior ist begeistert. Noch Einwände? Ein Junior Manager meldet sich zu Wort: Ist das Bild nicht doch etwas schief? Setzt eine Brücke nicht voraus, daß das andere Ufer wenigstens in Sicht ist? Daß man weiß, wohin man bauen will? Sollten wir nicht besser von einem Schlauchboot-Lockdown sprechen? Von wegen „irgendwie weiterkommen“?

Sachlich und fachlich völlig richtig, junger Freund, entgegnet der Senior wohlwollend. Weckt aber völlig falsche Assoziationen. Die können wir hier nicht gebrauchen. Schlecht für die Kommunikation. Noch weitere Einwände? Keine? Dann nüscht wie raus damit. Deadline in zwei Stunden. Und kümmere sich jemand um die Rechte am Song.

Und so kam es, daß der Brücken-Lockdown das Licht der Welt erblickt hat. Die Staatskanzlei in München ist highly amused – wenn auch nur in aller Stille. Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 06-04-21 Kompaß alle?

Leonardos Bilder.

Ab heute wollen wir ja Ostern hinter uns lassen und uns wieder weltlicheren Themen zuwenden. In allem Ernst. „In allem Ernst“ – diese Wendung hat Bolle allen Ernstes gestern abend in einer Qualitäts-Nachrichtensendung aufschnappen müssen. Machen wir uns nichts vor: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Bastian Sick wußte das schon 2004. Aber was will man machen in einer Welt unterschwelliger Analphabeten, die sich längst angeschickt haben, „barrierefreies“ Lesen und Schreiben zur Kardinaltugend zu erheben?  Und der Genitiv ist nun mal so was von ganz und gar nicht barrierefrei. Doch das nur am Rande.

Wenn Leonardo vom Menschen als Augenwesen spricht, der das Bild brauche, hat er das vermutlich wörtlich gemeint: Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. Daneben gibt es allerdings auch sprachliche Bilder – namentlich Topoi, Metaphern und nicht zuletzt auch Gleichnisse.

In jüngerer Zeit finden sich aber zunehmend auch sprachliche Zerrbilder. Bolle spricht hier gern von »Blubbersprech« und versteht darunter amorphe verbale Gebilde, deren vornehmste Eigenschaft es ist, völlig formbefreit und sinnentleert zu sein. Amorph eben.

Das vielleicht hübscheste Beispiel aus den letzten Tagen ist die Klage, man habe die Chance verpaßt, den Kompaß auf Zukunft zu stellen. Weder ist Bolle klar, was ein Kompaß mit Zeit zu tun haben soll, noch, seit wann Kompasse „gestellt“ werden. Uhren können gestellt werden, gegebenenfalls auch Weichen. Wobei eine Wendung wie „Weichen auf Zukunft stellen“ schon ins Grenzwertige lappen würde. Aber Kompasse? Geht gar nicht.

Allerdings ist nichts so dumm, daß es nicht doch zu etwas gut sein könnte – etwa als Anregung zu Bolles lustigem Blubbersprech-Generator. Eine handvoll Substantive – also etwa Kompaß, Batterie, Uhr, und Weiche –, und eine handvoll Verben – wie zum Beispiel allemachen, stellen, ausrichten – reichen für den Anfang völlig aus. Damit können wir nicht nur Kompasse stellen, sondern auch Uhren ausrichten, oder Weichen, oder all das schlichtweg allemachen – anstatt nur Batterien. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Bei Bedarf müssen wir einfach nur die Listen verlängern – und schon geht’s munter weiter mit dem Blubbersprech. Die Kombinatorik mit ihren schier unerschöpflichen Möglichkeiten ist auf unserer Seite.

Bolle findet übrigens, daß Blubbersprech als verbaler Überbau zu gefühlter Demokratie paßt wie die Faust aufs Auge. Vielleicht ist es daher so erfolgreich und beliebt. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Ostermontag 05-04-21 Auferstanden aus Vakzinen …

Alles ans Licht gebracht.

… „und der Zukunft zugewandt“ möchte man fast hinzufügen. Aber eben nur fast. Bleiben wir also bei Faust. Faust hatte, wie er selber erklärt, Philosophie, Juristerei und Medizin „und leider auch Theologie“ durchaus studiert – und kam sich trotz allem Bemühn im Grunde nach wie vor dumm vor. So ist das bei manchen Agnostikern: Sie glauben wirklich nichts – nicht mal, daß sie groß was wissen. Umgekehrt: sie glauben allenfalls, daß sie nichts wissen. Da war Sokrates (469–399 v. Chr.) übrigens schon weiter. Der glaubte nicht nur, daß er nichts weiß – nein, er wußte es sogar. Zumindest glaubte er es zu wissen. Doch zurück zu Faust. Seine Agnostik hatte ihn, ganz im Gegensatz zu seinem Famulus, dem in seinen Augen „trocknen Schleicher“, davor bewahrt, trotz seines Hochgelehrtentums übermäßig abzuheben. Und so konnte es ihm gelingen, im Gespräch mit Wagner den Bogen zu spannen von der himmelhohen Auferstehung des Herrn bis hin zur österlichen, kleinen Auferstehung des einfachen Volkes aus der Straßen quetschender Enge und der Kirchen ehrwürdiger Nacht.

Natürlich soll das nicht heißen, Wissenschaften in Bausch und Bogen verwerfen zu wollen. Wenn aber die Erwartung an die Wissenschaft schneller wächst als diese selbst bei „heißem Bemühn“ possibly mithalten kann, dann ist die Kacke am dampfen – rein sozialpsychologisch gesehen. Und ein ganz klein wenig sieht es Bolle zur Zeit danach aus.

Kästner erwähnt im Vorwort zu »Kurz und bündig«, einem 1950 erschienenen Bändchen voller kunstvoller Epigramme eines, das in seinen Augen vortrefflich ist. Es stammt vermutlich von einem Arbeitskollegen eines tödlich verunglückten „Holzknechtes“ und geht wie folgt:

Es ist nicht weit
zur Ewigkeit …
Um acht ging Martin fort,
um zehn Uhr war er dort.

Memento mori – bedenke, daß du sterblich bist. Die Tatsache an sich ist der Wissenschaft längst klar. Für Einsicht und Erwartung gilt das offenbar weit weniger. Aber das ist dann wohl doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Ostersonntag 04-04-21 Frohe Ostern, urbi et orbi!

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche.

Ostern ist die Zeit des Aufbruchs. Für die Juden steht es für den Aufbruch aus Ägypten. Nur daß es da nicht Oster-, sondern Pessach-Fest heißt. Das Christentum hat da noch eins draufgesetzt und feiert nicht weniger als den Aufbruch ins ewige Leben. So ganz geheuer scheint das den heutigen Christen dann aber doch nicht zu sein. Bolle jedenfalls meint deutliche Tendenzen erkennen zu können, lieber doch noch ein wenig am diesseitigen Leben kleben zu wollen. Die Kirchen jedenfalls trauen sich, das zweite mal in Folge, nicht so recht zu feiern. Zumindest halten sie die „Gläubigen“ aus den Gotteshäusern tunlichst fern. Selbst der Papst begrenzt im Petersdom die Zahl der „Aufzurichtenden“ auf gerade mal 200 Nasen. „Hiergeblieben“, heißt die Devise. „Auferstehen könnt Ihr später noch.“ Ansonsten rufen die Vertreter Gottes auf Erden allgemein zu „Zuversicht“ auf. Gefühlte Zuversicht im virtuellen Raum – mehr geht zur Zeit anscheinend nicht. Bolle meint: Wenn das man gutgeht auf die Dauer. Immerhin: auch der weltliche Aufbruch soll nicht zu kurz kommen. So stellt etwa der Gesundheitsminister den Aufbruch in ein, wenn schon nicht besseres, so doch zumindest „normaleres“ Leben in Aussicht – wenn auch nur für die Guten, die Geimpften. So ganz zuende gedacht scheint Bolle das alles noch nicht.

Und? Was bleibt uns aufrechten Agnostikern? Erich Kästner etwa sieht das so:

Wenn im Turm die Glocken läuten,
kann das vielerlei bedeuten.
Erstens: daß ein Festtag ist.
Dann: daß du geboren bist.
Drittens: daß dich jemand liebt.
Viertens: daß dich’s nicht mehr gibt.
Kurz und gut, das Glockenläuten
hat nur wenig zu bedeuten.

Frohe Ostern also allen, die da glauben. Was genau einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) dabei glauben mag, ist Bolle aus Prinzip egal. Und Frohe Ostern natürlich auch denen, die gar nichts glauben wollen, und sich mit einem regelkonformen Osterspaziergang begnügen. AHA! Mögen sie zumindest an den Aufbruch in eine freundlichere Jahreszeit glauben. Vermutlich fällt Ostern ja nicht umsonst auf den Frühlingsanfang. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Ostersonnabend 03-04-21 Eier mit Senf

Etwas Senf dazu. Ein Körnchen reicht.

Da hat der Meister, zur Verblüffung und Beschämung seiner Entourage, mal wieder so richtig vom Leder gezogen. Hintergrund ist ein Vater, der sich von den Jüngern Heilung für seinen kranken Sohn erhofft hatte. Allerdings ohne Erfolg. Alles muß man selber machen, grummelte der Meister, und der Knabe ward gesund zur selben Stund’ (vgl. Matth. 17, 18). Natürlich wollten die Novizen wissen, was genau es mit dem Trick auf sich habe. Also ward ihnen der Spruch mit dem Senfkorn.

Um aber seine Jünger nicht über Gebühr zu verdrießen, sah sich der Meister veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß der Glaube allerdings mitnichten an Bäumen wachse oder gar vom Himmel falle, sondern sich vielmehr aus Beten und Fasten ergebe.

Was hat das mit uns zu tun? Nun, wer hat schon Zeit zum Beten? Bei manchen reicht es ja nicht mal für ein wenig Kontemplation. Und Fasten? Hat jeder fast schon mal geschafft. Wir hatten gestern die Frage aufgeworfen, ob, was, wie und wie tief die Kirchgänger glauben mögen – namentlich in Zeiten von Corönchen. Die Bangbüchsigkeit zieht sich immerhin bis in die höchsten Kreise in Rom. Gibt es nicht auch hierzu eine passende Geschichte? Aber ja doch. Sie findet sich ebenfalls bei Matthäus. Die Jünger waren mal wieder in existentieller Not: Großes Ungestüm im Meer, das Schiff wohl gar in Seenot. Jesus schlief. Da  traten die Jünger zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf uns, wir verderben! Da sagte er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Stand auf, beendete den Spuk – und es ward ganz stille (vgl. Matth. 8, 24 ff.).

Kurzum: Etwas mehr Commitment oder zumindest Ausrichtung an der Job Description würde sich Bolle von den Vertretern des Himmels auf Erden schon wünschen. Daß ausgerechnet Agnostiker – im Kern also Leute, die sich weigern zu glauben – dem Senfkorn näher sein sollen als die Schäfchen nebst ihrer Hirten (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) zusammen, scheint ihm dann doch ein wenig paradox. Aber das ist vielleicht schon wieder ein anderes Kapitel.

Karfreitag 02-04-21 Immer feste feiern?

Unselige Agnostiker? Da ist die Logik vor.

Worum geht es den Christenmenschen im Kern an diesem Tage, dem Karfreitag? Die Schlüsselszene findet sich bei Johannes im 19. Kapitel. Dort sprach Pilatus, der Statthalter der römischen Provinz Judäa, zu dem auf Sturm gebürsteten Volke: „Nehmet ihr ihn hin und kreuzigt ihn; denn ich finde keine Schuld an ihm.“ Ein Punkt, den die, so wörtlich, „Juden“ indes ganz anders sehen wollten: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben; denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht.“ Und in der Tat läßt sich, zumindest mit etwas Phantasie, ein entsprechendes Gesetz finden. So lautet die Regel: Welcher des Herrn Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen (3. Mose 24, 16). Nun wirft der Sachverhalt zumindest zwei juristische Fragen auf. Lästert man, rein tatbestandlich, des Herren Namen, nur weil man sich zu seinem Sohn erklärt? Und was die Rechtsfolge angeht, so wäre ja eigentlich eine Steinigung angesagt gewesen – und nicht etwa eine Kreuzigung. Kurzum: Hier geraten das, zumindest seinerzeit, moderne römische Recht und das auch damals schon eher archaische Recht in einer für Gottes Sohn eher ungünstigen Weise über Kreuz. Und so endet die Geschichte dann ja auch: über Kreuz.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Verabschiedet sich im Rahmen einer Qualitäts-Nachrichtensendung von seinen Zuschauern allen Ernstes mit den Worten: „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Karfreitag.“ Bolle meint: Geht’s noch? Wenn überhaupt, gläubig oder nicht, irgend etwas so rein gar nicht zum Karfreitag der Christenmenschen passen will, dann ja wohl die Erwartung, „angenehm“ sein zu sollen. So Ihr’s nicht glauben wollet: Fraget den Herrn.

Übrigens feiern in jüngerer Zeit die „Gläubigen“ fröhlich Urständ in den Medien. Man könnte geradezu, der Jahreszeit entsprechend, von einer massenmedial vermittelten Wiederauferstehung reden. Bolle will gar nicht so genau wissen, ob, was, wie und wie tief die glauben mögen. Gerade in Corönchenzeiten wäre das durchaus eine Frage wert. Sein Vorschlag zur Güte: Laßt uns diese Leute im Interesse sprachlicher Abrüstung doch schlicht und ergreifend einfach als „Kirchgänger“ (jedweder Konfession, of course) bezeichnen.  Das täte in den Ohren eines aufrechten Agnostikers weniger weh. Muß ja nicht jeder leiden heute. Wahrer wäre es vermutlich ohnehin. Allerdings ist das dann doch schon wieder ein anderes Kapitel. Im übrigen verweisen wir gerne auf Fr 26-02-21 Sprache als Handwerk?

Do 01-04-21 Von Henne, Has‘ und Ei

Dann wird das wohl so sein.

Bolle ist ja weiß Gott kein Freund von Dialektik. Schon der Begriff ist, trotz über 2.000-jähriger Geschichte und allen Bemühungen Hegels zum Trotze, nach wie vor nicht ganz klar. In neckischen Momenten denkt Bolle nicht zuletzt an Mephistopheles: „Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, // es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.“ Allerdings wird auch umgekehrt ein Schuh draus: Wenn nämlich Russell nicht ganz falsch liegt, dann kann uns gerade die Dialektik den Weg zu ganz erstaunlichen Schlüssen eröffnen.

Das aber soll hier nicht unser Thema sein. Vielmehr wollten wir klären, wie der Osterhase zum Osterei gekommen ist (vgl. Di 30-03-21 Osterruhe — jetze aber). Abschließend wird uns das nicht gelingen, und so wollen wir uns mit einem vorläufigen Ansatz begnügen – einem Gedicht von Eduard Mörike. Dort geht es darum, daß ein Liebender, vielleicht auch nur der Ehemann, seinem „Schatz“ als nachträgliche Aufmerksamkeit zu Ostern ein Gedicht verehrt hat. In den letzten Zeilen heißt es dort:

Die Sophisten und die Pfaffen
stritten sich mit viel Geschrei:
Was hat Gott zuerst erschaffen
wohl die Henne, wohl das Ei?
Wäre das so schwer zu lösen?
Erstlich ward das Ei erdacht,
doch, weil noch kein Huhn gewesen,
Schatz, so hat’s der Has’ gebracht.

So also geht Dialektik. Wir haben es mit einer These zu tun: „die Henne war zuerst“ und einer dem widersprechenden Antithese: „im Gegenteil, zuerst war das Ei“. Was tun? Easy. Wir zaubern uns vermittels einer schwungvollen Synthese ein Häschen aus dem Hut und lösen den Widerspruch damit in Wohlgefallen auf. Problem gelöst.

So einfach kann’s also gehen. Aber ist es auch wahr? Die Frage führt uns schurstracks zum nächsten Betätigungsfeld quasi-sophistischer Dialektik. These: Ja, Antithese: Nein. Synthese: Wenn’s doch den Kindern Freude macht? Und so weiter, und so fort. Immerhin können wir jetzt erahnen, warum es Bolle nicht so sehr mit Dialektik hat. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.