Do 16-12-21 Das sechzehnte Türchen …

Recht so! zum zweiten …

Nachdem wir gestern mitten in den Gender Dynamics steckengeblieben sind, hier ein weiteres kleines weihnachtliches Überraschungs-Ei zum vor- und nachdenken.

Nehmen wir an, jemand (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), den wir hier Aurelius nennen wollen, habe einen 30-Stunden-Job, der ihm 2.500 Silbermuscheln im Monat einbringt. Wer sich mit „Aurelia“ besser identifizieren kann: bitteschön. Auf die genauen Zahlen kommt es hier ebensowenig an wie auf die Währung oder das Geschlecht.

Nehmen wir weiter an, Aurelius stünde vor der Wahl,
            a) seinen Job zu behalten oder
            b) einen 60-Stunden-Job anzunehmen, der ihm 5.000 Silbermuscheln pro Monat einbringen würde.

30 / 60 / 2.500 / 5.000. Das sind die nackten Fakten.

Nun? Was tun? Den alten Job behalten oder den neuen Job annehmen? Here’s a flash: Das läßt sich aufgrund der Faktenlage nicht entscheiden – jedenfalls nicht, soweit Bolle bekannt ist. Was dann?

Nun, Aurelius muß die Fakten bewerten. Das heißt, er muß sich überlegen, ob ihm ein zusätzliches Einkommen von 2.500 Silbermuscheln einen zusätzlichen Zeitaufwand von 30 Stunden wert ist. Falls Ja, dann wechselt er den Job – falls Nein, dann nicht.

Was hat das mit uns zu tun? Nun – falls jetzt irgendein, mit Verlaub, Klugscheißer daherkommt und behauptet, 5.000 Silbermuscheln sei doch deutlich mehr als nur 2.500, dann hat er faktisch recht. Das ist in der Tat so. Wenn er aber überdies behauptet, Aurelius sei folglich unvernünftig oder, je nach Sprachregister, irrational, wenn er den neuen Job nicht annimmt, dann ist er richtig schief gewickelt – trotz aller Fakten. Falls unser Klugscheißer darüber hinaus auf die Idee verfallen sollte zu meinen, Aurelius müsse überzeugt werden oder gar „mitgenommen“ auf dem Weg zu höherem Wohlstand, dann wird es in der Tat übergriffig – und Aurelius täte gut daran, „dergleichen Strolche“, wie Wilhelm Busch das nennt, nach Möglichkeit zu meiden.

Leider ist es so, daß solche Klugscheißer in aller Regel gleichzeitig auch noch „Gutscheißer“ sind. Sie wollen doch nur helfen (!) bei Aurelius’ Weg ins Glück. Bolle meint: Get lost – schert Euch zum Teufel.

Kurzum: Was Aurelius für richtig hält und was nicht, liegt im Bereich von Schwester Ethik, der zweiten Tochter der Philosophie (vgl. dazu kurz und bündig So 24-01-21 Dreschflegel). Was dagegen wahr ist und was nicht – die „Fakten“ also –  liegen in der Domäne von Schwester Logik, der ersten Tochter. Jemanden aufgrund seiner Präferenzen, wie es oft vornehm heißt, für „unvernünftig“ bzw. „irrational“ zu erklären, ist demnach im Kern so was von absurd, daß einem glatt die Spucke wegbleiben könnte – scheint aber dem gegenwärtigen Stand der Zivilisation zu entsprechen.

Bislang hatten wir unser Beispiel so gewählt, daß es nur um eine Zeit- / Einkom­mens­abwä­gung ging. Der Stundenlohn (knapp 20 Silbermuscheln) blieb dabei unverändert. Wie wäre es, wenn Aurelius eine dritte Option hätte, nämlich

            c) einen 30-Stunden-Job, der ihm 5.000 Silbermuscheln (statt nur 2.500) einbringen würde?

Wäre es wenigstens jetzt gerechtfertigt, Aurelius „irrational“ zu schelten, wenn er ablehnt? Denkt mal drüber nach, so Ihr Zeit und Muße findet. Was hat das mit Corönchen zu tun? Auch das ist womöglich eine agnostisch-kontemplative Mußestunde wert. Ansonsten aber ist das dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Mi 15-12-21 Das fünfzehnte Türchen …

Recht so!

Wie sich die Bilder gleichen! Bolle ist immer wieder entzückt. Offenbar war das vor 100 Jahren nicht anders als heute. Was sich geändert hat: Heute müßte man die Zeilen ein wenig umschreiben – etwa wie folgt:

„Seine oder ihre Meinung ist die rechte,
wenn er oder sie spricht, müßt ihr verstummen,
sonst erklärt er oder sie euch für Schlechte […]“

Das trübt zwar etwas den ästhetischen Gesamteindruck – aber bitteschön …  Selbst Bolles High-End-Formel zu Gender Dynamics kann hier nicht mehr viel raushauen:

„Seine (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) Meinung ist die rechte, […]“

Immerhin dürfen sich hier die Non-Binären mitgemeint fühlen. Das allerdings ist kein ästhetisches Kriterium im engeren Sinne.

Bolle findet es ja immer wieder höchst erfrischend, wenn jemand ganz genau weiß, was richtig ist und was falsch, wo vorne ist und wo hinten (vgl. dazu auch Di 07-12-21 Das siebte Türchen …), und es dabei gleichzeitig (nicht: „zeitgleich(ig)“, vgl. dazu Di 05-01-21 Gleichzeitig zeitgleichig?) fertig bringt, sich noch für richtig klug zu halten und die anderen – folgt man Wilhelm Busch – aus inbrünstiger Überzeugung Dummchen zu nennen, die überzeugt und „mitgenommen“ werden müssen auf dem Pfad alleinseligmachender Erkenntnis.

Eigentlich sollte das gar nicht unser Thema sein für heute. Aber man weiß ja kaum noch, wo man anfangen soll in diesen Zeiten. Nicht, daß unsere agnostische Kontemplation noch in agnostische Konfusion ausartet …  Das wäre schließlich glatt ein Fall von Zweckverfehlung.

Zum Glück hat Wilhelm Buschs Gedicht »Rechthaber« (So heißt es im Original, und nicht etwa, wie bei uns, „Recht so!“) zwei Strophen. Wir können also morgen munter weitermachen. Bis dahin bleibt das allerdings ein anderes Kapitel …

Di 14-12-21 Das vierzehnte Türchen …

Banal exponential.

Bolle hat jüngst erfahren, daß sich die Ansteckungen mit Corönchen in der Spielart ›Omikron‹ im Vereinigten Königreich (UK) alle zwei bis drei Tage verdoppeln würden – versehen mit dem Zusatz: „So etwas haben wir noch nie beobachtet.“ Natürlich hat Bolle nachgerechnet.

Wenn wir seriösen Schätzungen folgen und von aktuell 1.000 bis 2.000  Corönchen-Positiven ausgehen (auf die genaue Zahl kommt es überhaupt nicht an), dann würde es bei einer Verdopplungszeit von drei Tagen nur etwa 45 Tage dauern, bis auch der letzte Brite corönchen-positiv ist – mithin also schon Ende Januar! So schnell kann kein Politiker folgen – und selbst dem Journalismus 2.0 bliebe da glatt die Spucke weg.

Dabei sind mit ›Corönchen-Positiven‹ nach Bolles jüngster Definition Leute gemeint, bei denen aus medizinischer Sicht irgendwas nachweisbar ist – was aber weder mit Symptomatik noch mit Spreader-Potential auch nur das geringste zu tun haben muß. Bolle findet nämlich, daß an dieser Stelle allmählich etwas mehr Klarheit dringend geboten ist.

Betrachten wir unsere Graphik: Auf der Abszisse (x-Achse) findet sich die Zeit und auf der Ordinate (y-Achse) der Anteil der Positiven in Prozent. Dabei beschreibt die blaue Kurve eine „echte“ Exponentialfunktion, die wir den gegenwärtigen Verhältnissen im UK nachgebildet haben: Nach 45 Tagen sind wir demnach bei 100%. Ja, und dann? Da unmöglich mehr als 100% der Briten corönchen-positiv sein können, kann die Funktion so nicht stimmen. Corönchen vermehrt sich eben nicht exponentiell – jedenfalls nicht lange.

In Bronstein’s Taschenbuch der Mathematik – der Bibel der Mathematiker – heißt es dazu lakonisch:

Prozesse mit konstanter Wachstumsgeschwindigkeit
sprengen im Laufe der Zeit jede Schranke
und führen bereits nach relativ kurzer Zeit
zu einer Katastrophe.

Kurzum: Prozesse mit konstanter Wachstumsgeschwindigkeit (Prozesse, die Exponentialfunktionen folgen), haben in der Natur keinen Bestand. Sie haben eine ausgesprochene Neigung zur Selbstzerstörung – was Bronstein mit „Katastrophe“ umschreibt.

Was dann? Die Corönchen-Positivität folgt vielmehr der grünen Kurve. Dabei handelt es sich um eine von Bolle didaktisch geschmeidig angepaßte Sigmoid- bzw. Schwanenhalsfunktion. Das Ansteckungsgeschehen geht hier laangsam, gaanz langsam los, nimmt dann richtig Fahrt auf, um sich schließlich wieder zu beruhigen und der 100%-Grenze anzunähern. Mehr als 100% ist nämlich nicht zu schaffen – auch nicht für das mieseste und fieseste Corönchen.

Heißt das, wir können uns entspannen? Natürlich nicht. Schließlich erreicht auch die grüne Kurve die 100%-Marke, nur eben auf anderem Wege. So let’s go crazy: Warum steht in der Meldung „Verdoppelung alle zwei bis drei Tage“ – und nicht zum Beispiel: „Ende Januar sind alle Briten tot“ – und dann irgendwo im laufenden Text: „ … oder zumindest infiziert oder ganz zumindest corönchen-positiv“? Vielleicht noch versehen mit dem aufmunternden Spruch aus dem Anhalter durch die Galaxis: „Don’t panic“ – in großen, freundlichen Lettern, of course (vgl. dazu auch Do 03-12-20 Das dritte Türchen …). Das wäre doch viel zeitgemäßer und würde auch aufs feinste zu anderen Überschriften passen wie etwa: „Im Kampf gegen Omikron hoffen die Briten auf das zweite Impfwunder“. „Wunder“ – das klingt doch wirklich wunderbar weihnachtlich. Fehlt nur noch der „Impfzauber zur Heiligen Nacht“. Allerdings ist das dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel …

Mo 13-12-21 Das dreizehnte Türchen …

Vox populi.

Das „Trotz- und Klagelied“ ist ein Epigramm von Oscar Blumenthal und stammt aus dem Jahre 1880. Bolle findet es immer wieder faszinierend, wie sich die Bilder gleichen – auch über längere Zeiträume hinweg. Wir reden hier von immerhin 140 Jahren. Allerdings heißt es bei Blumenthal nicht „Trotz- und Klagelied eines Impfskeptikers“, sondern »Vox populi«, also „Stimme des Volkes“. Wenn da nur die Volksvertreter nicht wären …  Ganz kürzlich erst hat ein Exemplar dieser Spezies zur besten bildungsbürgerlichen Sendezeit im Rahmen der corönchen-induzierten „Meine Freiheit, Deine Freiheit“-Debatte zum wiederholten male ernstlich argumentiert, man dürfe ja schließlich auch nicht Auto fahren ohne Führerschein. Der Führerschein als legitime staatliche Freiheitseinschränkung für Autofahrer und solche, die es werden wollen. Daß das so sein muß bzw. zumindest nicht ganz unvernünftig ist, versteht schließlich jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course). Aber was soll uns das sagen? Der Impfnachweis als „Bürgerschein“, ohne den man nicht mehr auf die Straße gehen darf? Mehr noch. Man dürfte sich ja – so man dem Argument folgen will – nicht mal mehr in der eigenen Wohnung aufhalten ohne Bürgerschein. Damit erhält  der Bürgerschein den Rang einer Allgemeinen Existenzberechtigungsplakette. Schließlich kann es ja wohl wirklich nicht angehen, daß Leute in dieser verhagelten Schönwetter-Demokratie einfach wild existieren. So ist ja auch etwa wild campen nicht erlaubt. Wir dürfen gespannt sein, was da noch so alles kommen mag an kreativem Überschwange. Wie meint Bolle immer? Wo ein Wille ist, da ist auch ein Argument. Oder zumindest etwas, das so tut als ob. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

So 12-12-21 Das zwölfte Türchen — der dritte Advent …

Weniger ist mehr.

Neulich hat Bolle in einem der vielen Berater-Heftchen geblättert. Dort war zu lesen, wie wichtig doch gesunde Ernährung für den Klimaschutz sei. Folglich müsse gesundes Essen billiger werden – etwa durch die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse.

Bolles Befürchtung: Nach der „Friß Dich gesund“-Welle könnte nun eine „Friß die Welt gesund“-Welle über uns hereinschwappen. Als ob der Wellen nicht bereits genug gewoget wären – namentlich in Corönchen-Zeiten.

Bolles lieber guter alter Großpapa hat das noch ganz anders gesehen: FDH – so sein Motto. Friß die Hälfte. Die alten Ägypter waren da noch konsequenter – mit Lebensweisheiten wie etwa: „Ein fünftel essen wir für uns – vier fünftel für die Ärzte.“

Nun ist es aber so – und nicht etwa erst seit entwickelteren Formen des Kapitalismus – daß man „weniger“ weniger gut verkaufen kann. Also bleibt es erst mal beim manischen Mehr. Die Frage ist nur, wie lange noch der Globus so weiterquietscht und ächzet, bis ihm vielleicht dann doch der Geduldsfaden reißen könnte.

Daß dieses „Gib mir mehr, gib mir mehr, gib mir mehr davon“-Konzept in the long run nicht aufgehen kann und wird, ist letztlich natürlich jedem klar. Spätestens seit Ciceros »De officiis« („Von den Pflichten“ / 44 v. Chr.) gilt „Mäßigung“ manchem als regelrechte Kardinaltugend. Nur – wie die Kurve kriegen im entwickelten Kapitalismus? Zumal ja nie die Unternehmen „schuld“ sind, sondern immer nur das Volk (in diesem Falle also die Konsumenten, die den ganzen, mit Verlaub, Scheiß ja schließlich haben wollen).

Soll uns das jetzt den Weihnachtskeks vergällen? Natürlich nicht. Ein Keks zur Kontemplation hat noch niemandem geschadet – auch nicht dem Globus oder dem Klima. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Sa 11-12-21 Das elfte Türchen …

Sand alle.

So die Losung, die der Herr (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) sehr frühzeitig an seine Schäfchen ausgegeben hatte (1. Mose 1, 28). Heute wissen wir: Das war damals schon alles andere als „nachhaltig“. Zwar hatten die Schäfchen sich vermehrt, waren aber bei weitem nicht so wohlgeraten, wie der Herr in seiner Allmacht sich das vorgestellt hatte. Und so sah er sich veranlaßt, so eine Art Welt-Notbremse zu ziehen, seine Schöpfung mit Mann und Maus zu ersäufen und mit Noah und allerlei lebendigem Getier eine Schöpfung 2.0 (wie wir das heute nennen würden) zu initiieren. Die Losung indessen war unverändert geblieben – und die Schäfchen vermehrten sich plangemäß fort und fort. Und so sah Bolle sich veranlaßt, in einer Art Beipackzettel auf Risiken und Nebenwirkungen hinzuweisen. Im Grunde erinnert das an einen alten Kapitalisten-Witz:

– Was passiert, wenn die Wüste sozialistisch wird?
– Dann passiert erst mal fünf Jahre lang nüscht …  Und dann wird der Sand knapp.

Vor wenigen Jahrzehnten war das in der Tat noch witzig. Heute wird es zunehmend Realität: der Sand wird knapp. Während also der Erlöser der Christenmenschen, dessen Ankunft manche dieser Tage ja feiern, gegen Ende seiner Bergpredigt noch davor warnen wollte, sein Haus auf Sand zu bauen (Matth. 7, 24 ff.), stellt sich das Problem heute in völlig neuer Form. Wir laufen zunehmend Gefahr, nicht mal mehr genug Sand zu haben, auf den wir bauen könnten – von Wasser und Luft mal ganz zu schweigen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …

Glauben und Wissen.

Heute wollen wir nicht mehr tun als uns mit einem kleinen agnostisch-kontemplativen Verwirrspiel vertraut zu machen. Sinn vons janze ist natürlich, wie immer, ein Lichtlein anzuzünden, statt über die Finsternis zu klagen. Und das paßt doch aufs feinste zur Adventszeit der Christenmenschen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course).

Hier unser Spielbrett:

Wirklich wahr?

Ein kleiner Hinweis: Wir ersetzen »Glauben« durch ›subjektiv wahr‹ und »Wissen« durch ›objektiv wahr‹ und gehen davon aus, daß es jeweils nur zwei Möglichkeiten gibt: ›Ist so‹ oder ›ist nicht so‹, also „true“ oder „false“, was den Glauben angeht, bzw. „pos“ oder „neg“, was das Wissen angeht. Und schon sind wir einen Schritt weiter.

Dabei ergeben sich zunächst genau vier Möglichkeiten: Wir können richtig liegen (konsistent), „true / pos“ bzw. „false / neg“, oder wir können falsch liegen (fehlerhaft), „true / neg“ bzw. „false / pos“.

Wem das noch nicht reicht, der mag das Spielfeld erweitern um die Möglichkeiten „me“ bzw. „mu“. Dabei steht „me“ für individuelle Agnostik: „Wer bin ich, diese Frage zu beantworten?“, und „mu“ steht für universelle Agnostik: Das Universum höchstselbst traut sich nicht so recht eine Antwort zu.

Kann sowas sein? Aber ja doch. Bei Schrödingers Katze, zum Beispiel. Aber das ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel …

Do 09-12-21 Das neunte Türchen …

Hört auf die alten Meister …

Hier also, wie versprochen – oder wie zumindest angedeutet –, ein deutlicher Schritt Richtung weihnachtlich. Das gilt zumindest dann, wenn wir uns nicht unbedingt auf ein doch etwas hochtrabendes „Fest der Liebe“ kaprizieren wollen und uns dafür mit einem ebenso schlichten wie agnostisch-kontemplativen „Memento an das Mitgefühl“ bescheiden. That’s a start, isn’t it?

Und? Wer hat’s gesagt? Adam Smith, of course, der uns neben seinen „ethischen Gefühlen“ auch noch den „Wohlstand der Nationen“ hinterlassen hat – und damit vornehmlich die Zunft der Ökonomen in höhere Sphären der Verwirrung katapultiert hat. Wie kann man denn erst über Mitgefühl schreiben und kurz darauf einen Catch-as-Catch-Can-Kapitalismus propagieren? Die ebenso schlichte wie ergreifende Antwort: Hat er gar nicht. Seine „unsichtbare Hand“ als durchschlagende Metapher für die angeblich sensationelle Überlegenheit des freigelassenen Marktes liest sich bei ihm wie folgt:

Alle, die jemals vorgaben, ihre Geschäfte dienten dem Wohl der Allgemeinheit, haben meines Wissens niemals etwas Gutes getan.

Das klingt doch gleich ganz anders – wenn nicht gar umgekehrt …

Und? Wie geht es weiter mit unserem Zitat?

Man mag den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.

So heißt es gleich im allerersten Satz. Wie kommen wir darauf? Kürzlich hat Joachim Bauer, seines Zeichens Arzt, Neurowissenschaftler und Psychotherapeut und überdies gleich zweifach habilitiert, ein Buch vorgelegt mit dem Titel: »Das empathische Gen« sowie dem Untertitel »Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen«. Darin heißt es unter anderem, daß Gutes tun schon nach kurzer Zeit den Cocktail der Körpersäfte einmal gründlich aufmischt. Frech gefaßt und wohl doch nicht ganz daneben könnte man vielleicht sagen: „Tu Gutes und profitiere davon.“ Das Netz tobt – jedenfalls auf den hinteren Rängen.

Wirklich überraschend ist das natürlich nicht. Denken wir nur an Ebenezer Scrooge in Charles Dickens’ »A Christmas Carol« (1843), der sein Wohlbefinden buchstäblich von heute auf morgen dramatisch steigern konnte, nachdem er – nach gehöriger Heimsuchung gleich dreier Geister in einer einzigen Nacht – seine harsche Haltung gegenüber seinen Mitmenschen ad acta gelegt und sich zum fröhlichen Erdenbürger gemausert hatte.

Bauers Verdienst besteht vor allem darin, daß uns die Vorzüge einer gewissen Empathie nicht länger einfach nur einleuchten müssen. Nein – jetzt haben wir es strikt biochemisch schwarz auf weiß. Fragt die Wissenschaft! Wem das hilft, der mag es für sich nutzen.

Übrigens: Dickens’ Weihnachtsgeschichte gibt es für Einsteiger in einer sehr niedlichen Fassung mit den Muppets (USA 1992 / Regie: Brian Henson / mit Michael Caine in der Hauptrolle). Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Mi 08-12-21 Das achte Türchen …

Bolle zu Statistik und Sterblichkeit.

Wir würden es ja wirklich gerne langsam weihnachtlicher angehen lassen. Doch die Verhältnisse, sie sind leider nicht so …  (Brecht’s Dreigroschenoper).

Nach formaler Logik (So 05-12-21 Das fünfte Türchen — der 2. Advent …) und Vorschlägen zur Verfeinerung der Verfassung (Mo 06-12-21 Das sechste Türchen — Nikolausi …) hier ein Grundsatzbeitrag zur Statistik – mit dem wir die Trilogie hoffentlich vorläufig abschließen können.

Das Risiko zu versterben liegt bei etwa 100 Prozent. Ein erfreulicheres Ergebnis hat sich Bolle, aller statistischen Raffinesse zum Trotze, nicht darstellen wollen. Umgekehrt bedeutet das: Die Chance, an dieser Stelle etwas zum besseren zu wenden, liegt ziemlich genau bei Null.

Das Risiko, als würdeloses Würmchen zu verenden, läuft derzeit in der Tendenz in exaktemente die gleiche Richtung – ein Punkt, der Bolle durchaus mit Sorge erfüllt. Die gute Nachricht: An dieser Stelle könnte man durchaus etwas reißen.

Wir haben also die Wahl: Wir könnten versuchen, ein potentiell unlösbares Problem zu lösen, oder wir können darauf hinwirken, wenn schon nicht das Leben, so doch zumindest die Würde zu retten (oder was davon in einer im Kern wenig kontemplativen Gesellschaft noch übrig sein mag) – und unsere Lieben nicht isoliert und einsam unter einem Berg von Plaste-Müll, umringt von undurchsichtigen Helfergestalten in Vollkörper-Kondomen verscheiden zu lassen. Zwar wird das nicht in jedem Fall gelingen: Rechtzeitig in Würde mit seinem Leben abzuschließen ist nun mal nicht jedem gegeben. Der sprichwörtliche Kapitalismus hält manche einfach zu sehr beschäftigt. Keine Zeit für Kontemplation – never ever. Das rächt sich natürlich irgendwann, of course. Aber zumindest ergeben sich hier die weitaus besseren Erfolgsaussichten. Größer Null geht praktisch immer. Vor allem aber dürfte sich das für die Dahinscheidenden sehr viel besser anfühlen als letztlich witzlose medizinische Rundum-Vollversorgung. Last-minute-Kontemplation auf der letzten Meile, sozusagen. Früher hat man so etwas schlicht und ergreifend „Trost spenden“ oder auch einfach „Abschied nehmen“ genannt.

Und nun? Was tun? Lasset uns besinnen. Besser spät als nie. Übrigens: gegen unnötig unangenehmes Ableben gibt es Happy Pills. Wir wollten diesen Punkt an dieser Stelle nur pointieren und zu ernstlicher Kontemplation anregen. Professor Dumbledore hat es in »Harry Potter and the Philosopher’s Stone« auf den Punkt gebracht: „After all, to the well-organised mind, death is but the next great adventure.“ (Für kontemplativ ausgerichtete Wesen ist der Tod nichts weiter als das nächste große Abenteuer). Soweit das. Alles weitere wäre dann definitiv doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 07-12-21 Das siebte Türchen …

Schwester Ethik in Hochform.

Heute wollen wir uns zur Abwechslung und zur Entspannung mit einem „kleineren“ Schildchen begnügen. Hart genug, aber nicht zu hart, wie wir mal schwer hoffen wollen. Es geht, einmal mehr, um die Drei Töchter der Philosophie (vgl. dazu etwa So 24-01-21 Dreschflegel).

Gibt es auch einen tagesaktuellen Bezug? Aber ja doch. Justamente hier und heute erklärt uns einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler, ein „Zurückdrehen“ von Hartz IV sei „problematisch“, weil wir damit „hinter die Reformen von Gerhard Schröder zurückspringen“ würden. Bolle ist immer wieder fasziniert, mit welcher Klarheit und Überzeugung die Leute wissen, wo „vorne“ ist und wo „hinten“. Erkläre das einer mal dem Kanarienvogel, daß er einen wertvollen Beitrag zu Katzens Frühstück leistet.

Kurzum: Wo „vorne“ ist und wo „hinten“, hängt schwer von der Perspektive ab. Wo aber bleibt die Wahrheit? Spielt hier keine Rolle. Schwester Ethik hat mit „Wahrheit“ nichts, aber wirklich rein gar nichts am Hut – und auch noch nie gehabt.

Übrigens läßt sich das alles bei allem Respekt nahtlos auf eine Regierung übertragen, die „mehr Fortschritt wagen“ will. Klingt erst mal gut. Wir werden sehen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …