So 04-12-22 Das vierte Türchen – der zweite Advent …

Trial and error.

Gestern war Bolle einkaufen. Nur ganz kurz, of course. Immerhin hat es gereicht, um – wie alle Jahre wieder – ein paar vorweihnachtliche Eindrücke aufzufrischen. Von Kontemplation war da nicht allzu viel zu spüren – auch nicht im weiteren Sinne. Mehr so ein Gedrängele und Geschiebe. Bolle hatte den Eindruck, die Leute leben auf kurze Sicht so in etwa 10 Minuten in der Zukunft. An der Fleischtheke stehen? Wird gleich vorbei sein. An der Kasse stehen? Das gleiche Bild. Irgendwo stehen oder gehen? Dito. Immer sind die Leute nur fast da, wo sie eigentlich sein wollen. Als Gegenbild können wir uns vielleicht Kassiopeia vorstellen, Meister Horas Schildkröte in Michael Endes Momo. Die konnte zwar ein viertel Stündchen in die Zukunft sehen. Bewegt hat sie sich aber in der Gegenwart – und nur in der Gegenwart. Bolle meint: Das hat das deutlich höhere Kontemplationspotential. Auf mittlere Sicht ergibt sich nichts anderes. Jetzt steuern die Leute das Fest der Christenmenschen an. Sind aber nur fast da. Aber dann! Und so weiter, und so fort …

Ob man dagegen sein Leben rückwärts zumindest „verstehen“ kann, hängt natürlich schwer davon ab, was man unter ›verstehen‹ verstehen will. Aus agnostischer Sicht handelt es sich dabei vielleicht einfach nur um eine Form von sich das eigene Leben, bildlich gesprochen, gewissermaßen schönzusaufen – wobei »schön« hier nicht viel mehr als ›stimmig‹ bedeuten soll. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 03-12-22 Das dritte Türchen …

Fakt oder Fake? Oder was?

Auch unser drittes Türchen hat, zumindest am Rande, mit der Phibel, unserer Handreichung zum akademischen Schreiben, zu tun. Es findet sich dort im Abschnitt Lingua potentia est – Sprache ist Macht – was wiederum an Francis Bacons Wissen ist Macht anknüpft. Bacon sah sich seinerzeit – vor immerhin über 400 Jahren – veranlaßt, in seinen Meditationes sacrae (1597) darauf hinzuweisen, daß Wissen beileibe nicht allein der seelisch-geistigen Erbauung dienen mag, sondern daß man damit ganz lebenspraktisch etwas anfangen kann. Der Unterschied ist übrigens heute noch geläufig – etwa in dem Begriffspaar Know that versus Know how.

Wie dem auch sei. Unser heutiges Schildchen ist – in dieser oder ähnlicher Form – ein Netzfund. Einer hat es „gepostet“, viele andere haben es geteilt, und so ging es dann „viral“ – was natürlich die „Faktenchecker“ angezogen hat wie die sprichwörtliche Scheiße die Fliegen. Tenor: „Stimmt ja gar nicht, stimmt ja gar nicht. Alles Fake.“ Also voll das Kindergartenniveau. Dabei ergeben sich zumindest drei Fragen:

Erstens: Was stimmt ja gar nicht? Offenbar läßt sich der Spruch in der Tat nicht auf Dostojewski zurückführen. Zweitens: Warum sieht sich der ursprüngliche Poster veranlaßt, Dostojewski als Quelle anzugeben? Wollte der Poster ein wenig posen und sein Statement mit fremden Federn schmücken? Und schließlich drittens: Welche Rolle überhaupt spielt hier die Autorenschaft?

Wir finden, daß wir es hier mit einem sehr hübschen und ausgesprochen typischen Beispiel für das Niveau kontemporärer Auseinandersetzungen zu tun haben. Der Spruch an sich trifft einen Nerv – soweit scheint das klar. Vor allem bringt er den absurden Grundgedanken, dem Volk Toleranz mit Verboten eintrichtern zu wollen – und überdies zu Lasten von Vernunft und Wissenschaft (Mephistopheles kurz vor dem Auftritt des Schülers) –, aufs Feinste auf den Punkt. Wäre da nicht dieser Zuschreibungsfehler, der alles zu entwerten scheint und bei so manchem zum Gesamturteil „Fake“ führt. Das Beispiel scheint uns recht allegorisch für die um sich greifende Tendenz, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen zu wollen – und läßt sich umstandslos auf alles übertragen, was uns zur Zeit so plagt: Corönchen, Ukraine, Erderhitzung, oder was auch immer.

Nehmen wir an, der Spruch wäre uns im Rahmen der Phibel eingefallen. Wir hätten kühl und wahrheitsliebend mit Bolle als Autor unterschrieben und damit die Faktenchecker dieser Welt mit ihrem „Stimmt ja gar nicht“-Kernargument voll auflaufen lassen. Und dann? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 02-12-22 Das zweite Türchen …

So oder so kann’s gehen …

Wir haben gestern schon erwähnt, daß unsere Phibel ein wenig auf den diesjährigen Adventskalender abfärben könnte. Und schon geht das los. Unser kluger Professor aus Lima (vgl. Do 01-12-22 Das erste Türchen …) konnte oder wollte sich offenbar – aus welchen Gründen auch immer – weder für die erste noch für die zweite Technik literarischer Betätigung erwärmen. Das Ergebnis haben wir gesehen …

Zunächst aber sollten wir eine Übersetzung wagen – schon deshalb, weil das Bonmot gar nicht so einfach einzudeutschen ist, ohne seinen Bonmot-Charakter zu verlieren. Et voilà:

In meinen jungen Jahren – was nun schon ein Weilchen her ist –
gab es zwei Arten von Schriftstellern.
Die einen waren der Auffassung:
Mach dir zunächst klar, was du sagen willst
und versuche es dann in Worte zu fassen.
Die anderen meinten:
Fang einfach munter an zu schreiben
und mache dir dabei allmählich klar
was du eigentlich sagen willst.

Als Bolle das zum ersten mal gelesen hat – was nun ebenfalls schon ein Weilchen her ist – war er wie vom Donner gerührt. Er stand am Regale so vor sich hin, und nichts spezielles zu finden, das war sein Sinn. Und dann sowas! An die zweite Möglichkeit hatte Bolle noch nie gedacht. Nicht einmal an die Möglichkeit, daß es sich hierbei überhaupt um eine Möglichkeit handeln könnte.

Andererseits – auch das wurde Bolle schlagartig klar – erklärt das Aufbau, Diktion und Timbre von so manchem, was man so zu lesen kriegt. Drittens schließlich wurde ihm klar, daß er das durchaus hätte ahnen können. Hatte es doch Mephistopheles seinerzeit in der Hexenküche exaktemente auf den Punkt gebracht, als er Fausten gegenüber meinte:

Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

Allein es mangelte Bolle an der „Transferleistung“. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 01-12-22 Das erste Türchen …

So kann’s gehen …

Und schon ist es wieder Zeit für unseren virtuellen agnostisch-kontemplativen Adventskalender. Wir reden hier immerhin vom dritten Jahr in Folge. Und solche uralten Traditionen soll man natürlich nicht ohne Not verlottern lassen.

In den letzten Monaten waren wir voll und ganz mit der Phibel beschäftigt – unserer kleinen Handreichung zur Schreibwerkstatt. Hier und heute sind wir bei 286 Seiten – ohne Vorspann und ohne Literaturverzeichnis. Es ist doch immer wieder erstaunlich, was es alles zu berichten gibt. Und so müssen wir uns nicht wundern, wenn das ein wenig auf unseren diesjährigen Adventskalender abfärben könnte. Aber in einigen Monaten soll damit Schluß sein, of course.

Den klugen Professor aus Lima gibt es übrigens in der Tat. Bolle ist entfernt bekannt mit ihm. Er schreibt, und schreibt, und schreibt. Allein: nichts ist ihm gut genug. Und so hat er nach einem langen und entbehrungsreichen Leben am Schreibtisch fast gar nichts je veröffentlicht. Wieviel entspannter ist da doch der Weihnachtsrummel: Geschenke einkaufen, eintüten, abschicken. Was soll da groß schiefgehen? Außer vielleicht, daß die Post und ihre Derivate es nicht fertigbringen, die Sachen noch vor dem Feste faktisch auszuliefern. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.