Heute wollen wir uns in aller Kürze einem britischen Klassiker zuwenden. Das Sprichwort ist so was von klassisch, daß man es heute nicht mal mehr bei Google finden kann – wenn wir von einem einzigen vereinzelten Eintrag, der überdies zu nichts weiter führt, einmal absehen wollen. Wie kann das sein? Wir wissen es nicht.
In der Entwurfsfassung des Art. 2 I GG heißt es sinngemäß: Jeder kann tun und lassen, was er will, solange er die Rechte anderer nicht verletzt … Das klingt doch wirklich freiheitlich. „Die Rechte anderer …“ – da liegt natürlich der Hase im Pfeffer. Wenn man nämlich eines der „Rechte anderer“, namentlich das Recht auf Leben (Art. 2 II GG), über alles stellt und jede mögliche Gefährdung (nicht etwa Verletzung), und sei sie noch so abstrakt und noch so mittelbar, absolut setzt, dann sieht es mit dem Recht, zu tun und zu lassen, was man will, denknotwendig ziemlich finster aus. Kurzum: Das Grundrecht läuft hohl.
So kann es kommen, daß folgendes passiert: Junge Leute feiern in der Bretagne eine Silvesterparty – unter weniger widrigen Umständen das normalste der Welt – und finden sich nach Ansicht einer Sprecherin des französischen Innenministeriums unversehens und allen Ernstes in der Kategorie „Straftäter“ wieder. Warum? „Weil sie die Regeln mißachten“. In entspannteren Zeiten mußte man, falls Bolle sich recht erinnert, sehr viel schwerere Geschütze auffahren als nur eine Silvesterparty zu feiern, um als „Straftäter“ zu enden. Aber genau so funktioniert „step by step“. Und keiner hat’s gemerkt. Auch versteht Bolle nicht, wieso unter diesen Umständen zum Beispiel Autofahren immer noch erlaubt sein soll. So richtig einleuchtend findet er das nicht. Aber das ist wohl ein anderes Kapitel.
Zu Corönchen kann man stehen, wie man will. Von „Killervirus“ bis „grippaler Infekt“ – alles ist möglich. Nachdem die Bundeskanzlerin schon im Mai von einer „Zumutung für die Demokratie“ gesprochen hatte – was auch immer damit gemeint sein soll – hat jetzt der Bischof von Limburg und Vorsitzende der katholischen deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, noch eins draufgesetzt und von einer „Gefahr für die Menschenwürde“ gesprochen.
Hier ist nicht der Platz, das Thema auszuloten. Weder wissen wir, was genau sich die Kanzlerin unter „Demokratie“ vorstellen mag, noch, was sich der Bischof unter „Menschenwürde“ vorstellt. Nur so viel: Offenbar bringt Corönchen eingefleischte Gewißheiten ins Wanken. Was gestern noch sicher schien, gerät heute ins Schleudern.
Ist Demokratie „gottgegeben“? Die Menschenwürde? Kann man alles so sehen – muß man aber nicht. Oder ist das alles Menschenwerk – und funktioniert nur so lange, wie nichts dazwischenkommt – Corönchen etwa? Oder ist es gar „Teufelswerk“? Damit wären wir unvermittelt bei der alten Frage nach der Allmacht Gottes. Wenn nämlich Gott (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) allmächtig ist, dann ist ihm Corönchen zuzurechnen. Falls er zwar allmächtig ist, dabei aber nicht übermäßig machtbesessen – indem er etwa dem Teufel oder auch den Menschen selbst einen gewissen Spielraum für allerlei Schabernack läßt – dann ist so etwas wie Corönchen zumindest nicht sonderlich entgegenkommend, was seine Schäfchen anbelangt. Möglicherweise wird er seine Gründe haben. Vorläufig bleibt festzuhalten: Vielleicht ist Corönchen ja nur so eine Art Weckruf – um uns anzuregen, echte Probleme von Luxusproblemen zu scheiden und fein säuberlich der Reihe nach anzugehen. So zumindest könnte ein Masterplan eines allmächtigen Gottes aussehen. Bolle würde das einleuchten. Das aber ist ein anderes Kapitel.
Wenn man das Credo einer hybriden Gesellschaft auf den Punkt bringen wollte, dann wohl so: Alles ist möglich. Im Grunde ergibt sich das bereits aus dem Begriff – der sich aus gr. hybris ›Frevel, Anmaßung, Übermut‹ ableitet. Das war früher – als die Leute noch ernstlich an Götter glaubten und an gottgewollte Grenzen menschlichen Strebens. Nicht zuletzt in der Bibel, gleich in der Genesis, finden sich zahlreiche Beispiele: Von Evas Apfel im Paradies (1. Mose 3, 1 ff.) über den Turmbau zu Babel (1. Mose 11, 1 ff.) bis hin zu Sodom und Gomorra (1. Mose 18, 20 ff.; 19, 1 ff.) – um nur einige zu nennen. Ähnliche Geschichten finden sich in wohl allen Erzählungen aller Kulturen.
Und heute? Heute hält die hybride Gesellschaft »hybrid« für eine voll tolle Sache. Wir haben hybride Pflanzen, hybride Tiere, hybride Motoren, hybride Systeme – und weiß der Teufel, was noch. Von Zurückhaltung keine Spur.
Dabei sollte eigentlich klar sein, daß es völlig unmöglich ist, alles schaffen zu können. Allein die Vorstellung an sich ist frevelhaft. Es gibt nun mal so etwas wie Zielkonflikte. Jeder Entscheider weiß das. Aktuell zeigt sich das nicht zuletzt bei corönchen-bedingten möglichen Triage-Anforderungen. Viele Leute hegen allen Ernstes die Erwartung, daß die Wissenschaft bzw. die Medizin ja wohl in der Lage sein müsse, alles und jeden zu retten – egal wie alt oder wie vorerkrankt er auch sein mag. Und auch egal, wie aussichtslos das, auf längere Sicht, ohnehin sein wird.
Und so kommt es, daß sich hinter der hybriden Haltung kaum mehr verbirgt als Entscheidungsfaulheit bzw., klarer noch, Entscheidungsfeigheit: Wenn eben nicht alles möglich ist, dann müssen wir uns entscheiden, was aus vielerlei Möglichkeiten wir möglich machen wollen – und was wir einfach hinnehmen müssen. Um es auf den Punkt zu bringen: »Barrieren« – im Sinne von ›Hindernisse gegenüber menschlichem Streben‹, und sei das Streben noch so gut gemeint – gibt es und wird es vermutlich immer geben. Da nützt es auch nichts, wenn die demokratisch gesinnte hybride Mehrheit dagegen ist. Leute, kommt damit klar – und besinnt Euch. Aber das ist wohl schon wieder ein anderes Kapitel.
Eigentlich dachte Bolle ja immer, Demokratie sei die Herrschaft des Volkes. Da ist er wohl, wie’s scheint, seiner humanistischen Grundausbildung auf den Leim gegangen. Da lernt man zwar die ein oder andere altgriechische Vokabel – wie etwa demos ›Volk‹ und kratein ›herrschen‹ – aber leider nicht allzu viel über formale Logik und auch nicht über praktische Plausibilität. Was, wenn das Volk „gespalten“ ist? Was, wenn es ausländischer Propaganda auf den Leim geht? Oder inländischer? Verschwörungstheorien? Was, wenn es überhaupt das „falsche Bewußtsein“ hat? Kann alles nicht sein? Kann es wohl! So geht es also nicht. Schon deshalb nicht, weil es „das Volk“ in dieser Klarheit nun mal ohnehin nicht gibt. Da war Rousseau, einer der Vordenker der französischen Revolution, 1755 (also vor stolzen 265 Jahren) schon weiter, als er fein säuberlich zwischen „allgemeinem Willen“ (volonté générale), der „Summe der Einzelinteressen“ (volonté de tous) und dem „Willen der Mehrheit“ (volonté de la majorité) unterschieden hat.
Der „Wille der Mehrheit“ ist klar – auch wenn er hin und wieder alberne Züge annehmen kann. Wenn eine handvoll Leute mehr für den Brexit sind, dann heißt es, „die Briten“ hätten „für den Brexit“ gestimmt. Wenn eine handvoll Leute mehr für „Sleepy Joe“ sind, dann heißt es, „die Amerikaner“ hätten „Donald Trump abgewählt“. Kann man so sehen – muß man aber nicht. Auf keinen Fall aber sollte man dem Volk den „Willen der Mehrheit“ als den „Willen des Volkes“ verkaufen. Etwas komplizierter ist das schon. Die „Summe der Einzelinteressen“ dagegen ist schon rein mathematisch nicht definiert. Excusez-moi, M. Rousseau.
Beim volonté générale schließlich, dem dritten Begriff aus Rousseaus Dreifaltigkeit, wird es endlich richtig weihnachtlich – oder doch zumindest richtig religiös. Der Begriff stammt aus der katholischen Gnadenlehre. Damals – 100 Jahre vor der Französischen Revolution – ging es um die Frage, ob ein allmächtiger Gott seine Schäfchen mit „absolutem Willen“ (volonté absolue) im Griff habe – was jegliche Willensfreiheit besagter Schäfchen per se ausschließen würde – oder ob sich der allmächtige Gott nicht vielmehr mit einem „allgemeinen Willen“ (volonté générale) bescheiden würde – was den Schäfchen immerhin einen gewissen Spielraum in puncto Willensfreiheit ließe.
Übertragen auf die weltliche Bühne würde das bedeuten, daß das Volk seiner Regierung einen gewissen Spielraum in ihrer Willensbildung einräumt. Nicht weiter brauchbar, aber durchaus raffiniert. Chaupeau, M. Rousseau. Bei so viel Entgegenkommen können wir auch gleich auf Bolles Umschreibung zurückgreifen: Demokratie ist die Herrschaft der Guten. Und wer die Guten sind, entscheidet … die Regierung, of course. So wird ein Schuh draus. Viel Spaß beim Nüsseknacken.
Hier Bolles trichotomisierter Wahrheitsraum. Alles drinne — von Verschwörungsopfern über Verblödungsopfer — die sich ihre fehlerhafte Sicht der Dinge teilen – bis hin zu Gläubigen und Ungläubigen, die sich mit Fug und Recht ihren Hochmut teilen. Mehr dazu in Kürze …
Hier vorab „die oberste Direktive der Organisationslehre“. Mr. Trumps „America first“ scheint in diesem Lichte gar nicht mal so unangebracht. Mehr dazu später …
Hinweis für den geneigten Leser (beiderlei Geschlechts, of course). Dieser Text ist, dem Thema geschuldet, leider etwas trocken geraten. Wer also die folgenden Zeilen nebst zweier Tabellen – obwohl nach Kräften didaktisch-geschmeidig aufbereitet – zu kompliziert / zu unverständlich / zu wenig „selbsterklärend“ / zu lang oder zu sonstwas findet, sollte sich womöglich ernstlich fragen, ob er sich seiner Rolle als Teil des Wahlvolkes wirklich gewachsen fühlt – oder demnächst nicht doch lieber einfach zuhause bleiben möchte oder gleich selber Parlamentarier werden. Just a thought …
Der Bundestag hat am Donnerstag, 8. Oktober 2020, den Entwurf von CDU / CSU und SPD zur Änderung des Bundeswahlgesetzes mit 362 Ja-Stimmen, 281 Nein-Stimmen und acht Enthaltungen angenommen.
So läßt der Deutsche Bundestag auf seiner Internetz-Seite verlauten. Ziel ist – nach jahrelangem Hin und Her – eine Verkleinerung des Hohen Hauses. Die Deutschen leisten sich nämlich, nach China, das zweitgrößte Parlament der Welt. Tendenz steigend – zumindest in Deutschland. Wie das? Deutschland – traditionell ein „Flickenteppich“ – ist in 299 Wahlkreise unterteilt. In jedem dieser Wahlkreise darf sich das Volk einen Vertreter ins Parlament wählen (Direktwahl per sog. „Erststimme“). Weiterhin soll die Sitzverteilung im Parlament den Stimmanteilen der einzelnen Parteien entsprechen (Verhältniswahl per sog. „Zweitstimme“). Insgesamt kommen wir so im Regelfall auf 2 x 299, also 598 Abgeordnete. Das mag dem einen oder der anderen an dieser Stelle schon zu kompliziert erscheinen. Aber so ist das eben, wenn man das „The winner takes it all“-Wahlrecht der Yankees für unangemessen hält.
Werfen wir zur Erhellung einen Blick auf Wahlergebnis nebst Sitzverteilung der letzten Bundestagswahl:
In Spalte A findet sich die Stimmverteilung, wie sie sich aus den Zweitstimmen ergibt. Dabei steht „Zonst“ für sonstige Parteien, die den Einzug in den Bundestag verfehlt haben. Daß wir in der Summe nur auf 99,9% kommen, ist der Rundung geschuldet und soll uns hier nicht weiter bekümmern. Genau genug, meint Bolle. Im Zweifel hält er es mit Carl Friedrich Gauß. Spalte B bereinigt die Stimmverteilung, indem die „zonstigen“ Stimmen, die ja ansonsten wegen der 5%-Hürde verfallen würden, den anderen Parteien anteilig zugeschlagen werden. Ob das unbedingt nötig ist, sei dahingestellt. Allerdings ließen sich ohne diese „Bereinigung“ schon 5% (A7) von 598, also immerhin 30 Abgeordnete ersatzlos streichen – und zwar ohne daß die Demokratie dabei erkennbar Schaden nehmen würde. Aus den bereinigten Stimmanteilen ergibt sich in Spalte C die Verteilung der insgesamt 598 Sitze (der in C8 fehlende Sitz ist wieder der Rundung geschuldet). Demnach hätte die CDU / CSU laut Verhältniswahl (Spalte C) 208 Sitze errungen, die SPD 129, usw. So weit, so gut. Jetzt kommen die Direktmandate (Erststimmen) ins Spiel. Hier kommt zum Beispiel die SPD auf 58 Sitze (D2). Den Rest auf 129, also 71, kann und darf sie mit sog. „Listenkandidaten“ auffüllen. Das gleiche gilt für alle anderen Parteien – mit zwei Ausnahmen: Die CDU hätte laut Verhältniswahl (Zweitstimmen) nur 208 Sitze (C1), verfügt aber über 231 direkt gewählte Kandidaten (D1). Mit „auffüllen“ ist es hier also nicht getan. Was tun? Bolle hält zwei einfache Regeln (nebst einer Priorisierungsregel bei Zielkonflikten) für hinreichend:
Regel #1: Die Verteilung der Sitze soll dem Verhältnis der Zweitstimmen entsprechen.
Regel #2: Wer via Erststimme direkt ins Parlament gewählt wird, soll auch direkt ins Parlament einziehen dürfen.
Wie wir in der Tabelle sehen können, kommen sich die beiden Regeln in der Regel nicht in die Quere. Eine Ausnahme machen allein die beiden parteilosen Direktkandidaten (D7) und vor allem die CDU / CSU mit „an sich“ nur 208 Sitzen, dabei aber 231 direkt gewählten Kandidaten. Was tun? In diesem Falle muß die Anzahl der Direktkandidaten, also Regel #2, Vorrang haben. Wir kommen damit auf 23 „echte Überhangmandate“ für die CDU / CSU (G1) – zusammen mit den beiden parteilosen Direktmandaten („Zonst“) also auf insgesamt 25 (G8). Statt der regulären 598 Mandate ergeben sich somit 598 + 25 = 623 Mandate (F8). Damit bleiben wir, was die Größe des Parlamentes angeht, in einem erträglichen Rahmen. Ende der Überlegung.
Und? Was machen unsere Volksvertreter? Sie verrechnen mit mehr oder minder zweifelhaften Verfahren die Überhangmandate mit sog. „Ausgleichsmandaten“ und kommen so auf weitere 86 Mandate („Überhangmandate“ i.w.S. / Spalte I) und damit auf die gegenwärtige Parlamentsgröße von stattlichen 709 Mandaten (Spalte H).
Ist das – wie auch immer gerechnet – „gerecht“ oder auch nur angemessen? Bolles Regeln legen etwas anderes nahe. Betrachten wir dazu den relativen Unterschied zwischen Bolles Sitzverteilungsplan (Spalte A bzw. oben Spalte F) und dem gegenwärtigen Ist-Zustand (Spalte C bzw. oben Spalte H).
Die relative Sitzverteilung – und nur darauf kommt es bei Abstimmungen an – nach Bolle ergibt sich aus Spalte B, die aktuelle Sitzverteilung aus Spalte D (jeweils gelb unterlegt). Der absolute Unterschied der Stimmgewichte (∆ PP) findet sich in Spalte E. Demnach hat die CDU / CSU einen um 2,4 Prozentpunkte geringeren Stimmenanteil (34,7% – 37,1%) als nach Bolles Regeln (E1 / braun unterlegt) – offenbar so eine Art „negative Direktmandat-Dividende“. Die anderen Parteien teilen diese 2,4 PP unter sich auf – und kommen dabei auf einen im Null-Komma-Bereich erhöhten Stimmanteil. Peanuts, also. Für die politische Meinungsbildung und vor allem auch bei den Abstimmungsergebnissen dürfte das wirklich gar keine Rolle spielen.
Kurzum: Das aktuelle Sitzverteilungsverfahren hat gegenüber Bolles Regeln keinen Einfluß auf die politischen Machtverhältnisse, der auch nur im Ansatz der Rede wert wäre. Der einzige und eigentliche Unterschied: Es sichert 86 Parlamentariern ihren Job. Dazu kommen die weiteren 30 aufgrund der „Bereinigung“ der Sitzverteilung (siehe oben). Zu „mehr Demokratie“ trägt das wohl eher nichts bei. Zu „mehr Wahlgerechtigkeit“ auch nicht. Kann also bedenkenlos weg. Wenn man nun bedenkt, daß ein Abgeordneter monatlich rund 10 TEO (tausend Euro) an sog. „Diäten“ (ursprünglich als Aufwandsentschädigung für minderbemittelte Abgeordnete gedacht) einnimmt, zusätzlich eine „Kostenpauschale“ von 4,4 TEO erhält und auch sonst eine Menge an Kosten verursacht (Raumkosten, Bürokosten, Reisespesen, sonstige Spesen, etc. pp.), dann kommen wir selbst bei nur 86 demokratietechnisch überflüssigen Abgeordneten auf etwa 60 Mio Euro pro Legislaturperiode allein für Diäten und Kostenpauschale. Wiederum peanuts, einerseits – namentlich in Zeiten von Corönchen-Dimensiönchen, was das Verballern von Steuergeldern angeht (vgl. hier nur die Olaf Scholz’sche „Bazooka“). Gleichwohl – oder gerade deswegen – meint Bolle, daß es nicht ganz unangemessen wäre, dem Deutschen Bundestag für seine Berechnungen ein Anerkennungshonorar von bescheidenen 10% dieses Betrages einmalig in Rechnung zu stellen – ganz nach seinem Motto: „Wahr, wohlfeil und in Windeseile“. Kieken wa ma … Die geplante „Reformkommission“ als weiterer Auswuchs der „Bundesvertager“ könnte dann übrigens auch gleich mit weg. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Pflegeversicherung dürfte bis 2050 erheblich teurer werden
So hat das Spiegel Online, das Sturmgeschütz der Ochlokratie, dem interessierten Volke heute unter der Dachzeile »Studie« verkündet. Bolle hält das für eine ausgemachte „Null-News“. Ebenso gut hätte man verkünden können: „Bis 2050 geht die Sonne im Osten auf.“ Nur zum Vergleich: „Pflegeversicherung dürfte bis 2050 erheblich billiger werden“ – das wäre eine Nachricht gewesen. Aber so? Auch fragt sich Bolle: Wieso, um alles in der Welt, braucht man für Selbstverständlichkeiten eigens eine „Studie“? Im folgenden erfahren wir:
Bereits jetzt kommt die gesetzliche Pflegeversicherung nur für
einen Teil der Pflegekosten auf. Mehr als die Hälfte müssen Betroffene oftmals
bereits selbst für Unterkunft oder Verpflegung im Pflegeheim tragen.
Das geht deutlich klarer – auch ohne „Studie“. Die „Pflegekosten“ teilen sich im wesentlichen auf in (1) medizinische Betreuung, (2) Unterkunft und (3) Verpflegung. Die Leiterin eines Pflegeheimes hat es Bolle vor einiger Zeit offen ins Gesicht gesagt: In den Kosten für ein Pflegeheim seien schließlich die „Hotelkosten“ inbegriffen. Stimmt ja wohl auch. Trotzdem: Na toll. Bolle fragt sich: Warum sind dann die absehbar anfallenden „Hotelkosten“ in den Beiträgen zur Pflegeversicherung nicht „eingepreist“? Gegenwärtig läuft das Spiel wie folgt: Stationäre Pflege im sog. „Pflegegrad 2“ kostet (bei „Buchung“ eines Doppelzimmers) 94,61 Euro pro Tag. Bei mittleren 30,42 Tagen pro Monat macht das 2.878 Euro pro Monat. Davon „leistet“ die Pflegekasse 770 Euro. Der Rest, also 2.108 Euro pro Monat, ist der sog. Eigenanteil des „Bewohners“ – man könnte auch sagen: des „Hotelgastes“. Die Pflegeversicherung kommt also gerade mal für etwa ein viertel der anfallenden Kosten auf (770 / 2.878 = 27%). Umgekehrt gewendet: Wenn die Pflegeversicherung die Kosten der Pflege abdecken soll – dafür ist eine Versicherung im Grunde ja da –, dann müßte der Beitrag vier mal so hochliegen wie bislang. Bolle fragt sich: Welcher Rentner aus unteren oder mittleren Schichten ist in der Lage, bei einer schmalen Rente (oft genug in Nähe des Hartz-IV-Niveaus) monatlich 2.108 Euro aufzubringen? Die Antwort: wenige – sehr wenige. Also zahlt das Sozialamt. Zunächst aber ist der „Pflegebedürftige“ bzw. seine Angehörigen darauf verwiesen, seine oder ihre letzten ihre Spargroschen (falls vorhanden) zu verwenden. Falls sich das jemand immer noch nicht vorstellen kann: Bei 20 Jahren Pflegeheim kommen wir auf gut eine halbe Million Euro Pflege- und „Hotel“-Kosten. So viel hat mancher in seinem ganzen Leben noch nicht verdient.
Die Bertelsmann Stiftung verlangt einen „Generationenausgleich“
innerhalb des bestehenden Systems der Pflegeversicherung.
Mit „Generationenausgleich“ – da ist sich Bolle sicher – hat das alles nichts zu tun. Die betroffenen „Pflegebedürftigen“ bzw. deren Angehörigen gehen auch so pleite – ganz ohne „Studie“ und, wenn es denn sein muß, auch ohne Pflegeversicherung. Wir erinnern uns: Die Pflegeversicherung wurde 1995 eingeführt (und im SGB XI kodifiziert), um die Kosten der Krankenversicherung optisch geringer zu halten. Jetzt, so scheint es, wird die Pflegeversicherung dazu mißbraucht, die Kosten der Pflege – inklusive „Hotelkosten“, versteht sich – optisch gering zu halten. Ein Spiel der „aufrechten Demokraten“, das natürlich nicht aufgehen kann und wird. Was tun, sprach Zeus? Happy Pill ? Mehr rauchen, vielleicht, um sich 20 Jahre rumdümpeln im Pflegeheim zu ersparen – eine „proaktive“ Maßnahme für „sozialverträgliches Frühableben“ (Karsten Vilmar / Unwort des Jahres 1998) sozusagen? Aber das ist ein anderes Kapitel.
So titelt Spiegel Online heute unter der Dachzeile »Verhältnis von CDU und AfD im Osten«. Bolle fragt sich: Wieso eigentlich „Brandmauer“? Brennt’s denn im Osten?
Was ist da bloß los in Thüringen? Und, genereller: Was ist da
los bei der Ost-CDU?
Generell, genereller, am generellsten. Na toll! „Qualitätsjournalismus“, eben. Das hat man davon, wenn man einen ganzen Berufsstand für alle öffnet, die meinen, hinreichend ambitioniert zu sein und dabei in der Lage, ein paar Zeilen zu Papier bringen zu können. Garbor Steingart meinte kürzlich, und zwar völlig zutreffend: „Aus Journalisten sind Aktivisten geworden.“ Großes Herz – nicht ganz so großes Hirn. Na toll, zum zweiten.
Immer mehr Politiker an der Basis versuchen, Steine gegen die
Brandmauer zu werfen, die die CDU gegenüber der AfD errichtet hat.
„Steine gegen die Brandmauer werfen“. Soll das ein Topos sein? Dazu kommt es zu selten vor – eigentlich überhaupt nicht, bislang. Eine Metapher? Dazu ist es erstens nicht ausdrucksstark genug und zweitens viel zu schräg. Eine Brandmauer ist keine Burgmauer, die man mit Steinen zu Fall bringen könnte. Was dann? Wir wissen es nicht. Aber geschenkt. Wichtiger ist die Frage: Wer eigentlich soll das sein – „die CDU“? Die „Funktionäre“ – also „die da ohm“ bzw., in ostdeutscher Diktion, „die Bonzen“ – oder nicht doch eher „die Basis“. Werfen wir einen Blick in die Verfassung. Das Demokratieprinzip verlangt in einer repräsentativen Demokratie eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den staatlichen Organen. Zwar ist eine Partei kein „staatliches Organ“. Gleichwohl gelten hier die gleichen Regeln: „Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen“ (Art. 21 I S. 3 GG). Das bedeutet im Kern die Mißbilligung eines „Führerprinzips“ bzw., positiv gewendet, eine Willensbildung „von unten nach oben“. Kurzum: „die CDU“, verstanden als „Club der Funktionäre“ hat genau das zu tun, was „die Basis“ will – und nicht etwa „Brandmauern“ gegen ihre eigene Basis zu errichten. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Kennen wa ja seit 1961, meint Bolle. Also haltet Euch dran, Ihr aufrechten Demokraten. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Die CDU in Thüringen
strebt ins Anti-Autoritäre: Von der CDU-Vorsitzenden und ihrem Vorstand will
man sich Gespräche mit der AfD nicht untersagen lassen. So
fordern mehrere Christdemokraten aus dem ostdeutschen Bundesland, „sich aktiv
am Gesprächsprozess mit ALLEN demokratisch gewählten Parteien im Thüringer
Landtag zu beteiligen“ (Hervorhebung im Original).
Gefunden in Garbor Steingarts Morning Briefing. Der wesentliche Punkt scheint Bolle nicht die gewählte Hervorhebung zu sein („allen“), sondern vielmehr die listige Unterscheidung zwischen der bisherigen Wendung „mit allen demokratischen Parteien“ und der neuen Fassung „mit allen demokratisch gewählten Parteien“. Über die Frage, ob die AfD eine „demokratische“ Partei ist, läßt sich trefflich und wohl bis zum jüngsten Tage streiten – zumindest aber so lange, bis das Bundesverfassungsgericht, und nur das Bundesverfassungsgericht und nicht etwa die Exekutive oder gar der „politische Gegner“, ein Machtwort spricht (Art. 21 II S. 2 GG). Daß die AfD aber eine „demokratische gewählte“ Partei ist, wird auch der überzeugteste „demokratische AfD-Hasser“ nicht leugnen können. Das Problem liegt natürlich tiefer: Wollen wir unter »Demokratie« schlicht und ergreifend eine Staatsorganisationsform verstehen – also einen Staat mit einer Volksvertretung, die die Regierung zumindest kontrollieren soll und sich regelmäßigen Wahlen zu stellen hat – oder wollen wir »Demokratie« auf die „Gemeinschaft der Guten“ einengen? Definiere »Die Guten«. In der politischen Auseinandersetzung hält sich natürlich jeder für „die Guten“. Was denn sonst? Verfassungsrechtler – oft sehr viel nüchterner als der jeweilige „politische Gegner“ – verstehen darunter im wesentlichen (und naturgemäß etwas vage) nicht mehr als die „Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten“, und das auch nur unter dem „Vorbehalt des Möglichen“ (BVerfG in ständiger Rechtsprechung). Deutlich konkreter wird die Verfassung in Art. 20 II GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […] ausgeübt.“ Das zu ignorieren ist im Kern „undemokratisch“ bzw. geradezu verfassungsfeindlich – auch wenn man sich selber noch so sehr zu den „Guten“ zählen mag. So gesehen gebührt den Thüringer „Anti-Autoritären“ (Gabor Steingart) höchstes Lob für ihre List. Aber das ist ein anderes Kapitel.