So 14-09-25 Wenn’s doch der Wahrheitsfindung dient

Wittgenstein und Wichtelein …

Leute brauchen Orientierung. Das bedeutet nicht zuletzt zu wissen, was wahr ist und was nicht. Dabei wird – zumindest Bolle scheint das so zu sein – das Wissen um die Wahrheit nach einem mehr oder weniger gründlichen Modellierungsprozeß anhand aller jemals gewonnenen Eindrücke (Welt II) als Weltbild (mappa mundi) abgelegt (Welt III) und ist fürderhin handlungsleitend. Wobei bereits die Einsicht, daß das Weltbild nur ein Bild ist und mitnichten die Welt an sich (Welt I), offenbar nur fortgeschritteneren Gemütern – Agnostikern etwa – vorbehalten ist.

Welt im Bild …

Alle anderen verbringen ihr halbes, wenn nicht gar ihr ganzes Leben damit, andere von ihrem Wirklichkeitsmodell zu überzeugen – notfalls auch mit Gewalt: „Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag‘ ich Dir den Schädel ein.“ (Bernhard von Bülow 1903 in einer Reichstagsrede).

Wer meint, Recht zu haben, sucht sich zuvörderst „Fakten“ – so will es der Zeitgeist. Je mehr Fakten, desto Recht – wie manche ja zu meinen scheinen. Zwar sind ›Fakten‹ kaum mehr als ›Wahrheit aus der Froschperspektive‹ oder, wie Don Quixote de la Mancha (1605/1615) es seinerzeit gefaßt hat: „Tatsachen, mein lieber Sancho, sind die Feinde der Wahrheit.“

Wer‘s noch etwas dicker mag, der stützt sich gern auf Studien – als so einer Art Fakten-Bazooka:  „Seht her, hier steht’s. Die Studie hat ergeben.“ Zweifel ausgeschlossen. Bolle meint nur: Amen! Dann wird es wohl so sein.

Neulich hat eine Tageszeitung, die sich selbst für ein Qualitätsmedium hält, getitelt, daß sich „Füße hoch“ doch nicht lohne, da das Einkommen selbst bei Mindestlohn deutlich höher sei als bei Bürgergeldbezug. In der Kellerzeile (Bolles Gegenstück zur Dachzeile) hieß es ausführend, dies habe eine „neue deutschlandweite Studie“ ergeben. Arbeiten sei also „immer attraktiver“ – man habe schließlich „bis zu 662 Euro“ mehr.

Da hegt und pflegt jemand (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) in seiner Welt III die Ansicht, daß sich Arbeiten für ihn nicht lohne, etwa weil es bei seiner bescheidenen Ausbildung und einer entsprechend kläglichen Einkommenserwartung unter den gegebenen Umständen einfach keinen Sinn mache. Doch halt: nun kommt die Studie und verkündet, daß es, tout au contraire, für ihn (!) eben doch Sinn mache. Wer hat Recht? Die Antwort ist müßig, of course.

Ob es „attraktiver“ ist, bis zu 662 Euro mehr im Monat zu haben, entscheidet allein der potentielle Arbeitnehmer – und nicht etwa die Autoren einer Studie. In Bolles Kreisen nennt man das Konsum/Freizeit-Präferenz: Der Arbeitnehmer – und nur der – entscheidet, wieviel seiner Lebenszeit ihm zusätzliche Konsummöglichkeiten wert sind.

Im übrigen bedeuten 662 Euro mehr – man beachte hier vor allem auch den Fleiß und die Gründlichkeit der Autoren: alles präzise auf den Euro genau durchstudiert – gerade mal 22 Euro pro Kalendertag. Die aber ließen sich – so könnte man das durchaus sehen – bei sorgfältiger, umsichtiger und methodischer Haushaltsführung (in Bolles Kreisen heißt das ›SUM‹) leicht und locker wieder einspielen – etwa, indem man selber kocht, selber backt, und überhaupt so manches selber macht.

Von all dem aber schweigt der Studie Bräsigkeit. Allein das ist höchst charakteristisch für Studien aller Art. Sie belichten und beleuchten irgendeinen isolierten Teilaspekt des Daseins und geben das dann als die wirkliche Wahrheit aus. Bolle meint nur: Pustekuchen! Augen auf beim Weltbild-Basteln. Mit Fakten fressen und Studien schlucken jedenfalls ist es wirklich nicht getan.

Übrigens: Von Kümmern um Kinder und so – Marx hat das seinerzeit ›Reproduktion‹ genannt – war hier überhaupt noch gar nicht die Rede. Wenn etwa Mutti (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) sich auf Arbeit vergleichsweise sinnlos und schlechtbezahlt plagt,  derweil die lieben kleinen Schlüsselkinder mangels Zuwendung und unter tüchtiger Beihilfe von so manchem TV-Format zuhause systematisch verblöden, dann ist das sicher auch nicht ganz im Sinne des Erfinders. Auch hierzu weiß die Studie nichts zu sagen. Kurzum: Es ist offenbar gar nicht so einfach, auch nur einen Zipfel der Wahrheit zu erhaschen – schon gar nicht, wenn es um Wahrheit für andere geht. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 24-08-25 Wissenschaft, die Wissen schafft

Die drei Daseins-Domänen.

Da sind sie wieder, unsere drei Daseins-Domänen – die Bolle ja meist zärtlich, aber wohl nicht weniger treffend, ›Die drei Töchter der Philosophie‹ nennt. Zuletzt verwendet hatten wir sie vor kurzem erst (vgl. So 03-08-25 Eritis sicut Deus, scientes veritatem et falsitatem) und davor vor knapp einem Jahr (vgl. So 06-10-24 Propaganda). Mittlerweile neigt Bolle ja der Ansicht zu, daß sich der allergrößte Teil des alltäglichen Unsinns, der tagein, tagaus so über einen kommt, durchaus vermeiden ließe, wenn man nur ein etwa halbes Dutzend – Bolle hat nachgezählt – Modelle beachten würde. Non multa, sed multum (lieber viel als vielerlei), also – eine Ansicht, die schon der römische Rhetoriklehrer Quantilian (ca. 35 bis ca. 96 n. Chr.) vertreten haben soll, und die Goethe, unser Dichterfürst, in seinem ›West-oestlichen Divan‹ (1819) auf seine ureigenste, geradezu idiosynkratische Weise epigrammatisch wie folgt gefaßt hat:

Getretner Quark
Wird breit, nicht stark.

Allein: Vergebens predigt Salomo. // Die Leute machen’s doch nicht so. (Wilhelm Busch).

Nun ist Wissenschaft – also die erste der drei Töchter – gegenwärtig schwer en vogue. Nüchtern betrachtet handelt es sich bei ›Wissenschaft‹ um ein gesellschaftliches Subsystem, das bestrebt ist, Gegebenheiten beziehungsweise Zusammenhänge zu erkennen. Das geschieht entweder (zumindest vordergründig) absichtslos oder aber zweckgerichtet. Ersteres nennen wir Grundlagenforschung, letzteres anwendungsorientierte Forschung. Dabei ist das, was wir ›Technik‹ nennen – zu der wir übrigens ohne weiteres auch die Medizin zählen können –, gewissermaßen die Krone der Anwendungsorientierung. Da wird ausprobiert, was funktioniert. Und wenn etwas funktioniert, dann nennen wir es ›wahr‹ im Sinne unseres Bildchens oben. Das ist dann einfach so. Und vielleicht liegen wir damit gar nicht mal so falsch – jedenfalls so lange nicht, wie wir nicht wirklich wissen, was Wahrheit an sich denn überhaupt sein soll.

Kant spricht hier gern vom ›Ding an sich‹ – dem jeglicher Beobachtung per se Unzugänglichen. Manche halten das gar für seinen wichtigsten Beitrag zur Philosophie. Im Kern kann Kant dabei nichts anderes meinen als das, was Bolle Welt I nennt.

Das Drei-Welten-Modell (3W)

In puncto Wahrheit jedenfalls scheint Bolle mit dem trichotomen WiWa-Modell (›Wirklich wahr?‹ // vgl. dazu zuletzt So 06-07-25 Kranksein – unser Preis fürs Dasein?) alles Wesentliche gesagt. Kieken wa ma. Vielleicht kommt ja noch mehr …

Wirklich wahr (WiWa) trichotom.

›Wissen‹ – also die Einsicht in Gegebenheit beziehungsweise Zusammenhänge – läßt sich nur einigermaßen gesichert erwerben, wenn man die Möglichkeit hat, etwas wieder und wieder und wieder zu überprüfen. Vornehm nennt man das übrigens ›verifizieren›‹ beziehungsweise, seit Popper (1902–1994) noch sehr viel vornehmer, das Gegenteil von etwas zu falsifizieren. Aber derlei hat mit Wissenschaft wenig zu tun und lenkt nur ab vom Wesentlichen.

Die Überprüfung vermuteten Wissens aber funktioniert nur ausnahmsweise und bei weitem nicht in allen Disziplinen, die sich „Wissenschaft“ nennen. Bolles Lieblingsbeispiel hier ist die „Entdeckung“ des Higgs-Bosons. Das Higgs-Boson ist ein schon 1964 von Peter Higgs und anderen theoretischen Physikern postuliertes Teilchen, das dafür verantwortlich sein soll, daß es so etwas wie Schwerkraft gibt.

Um zu vermeiden, daß man etwas glaubt (true), was dann möglicherweise doch nicht so ist (neg), mußte man erst einmal leistungsfähige Teilchenbeschleuniger entwickeln – und dann testen, testen, testen … Das ganze hat sich bis 2012 hingezogen – also fast 50 Jahre. Dann erst nämlich sollte der experimentelle Nachweis eines Higgs-Bosons gelingen. Wobei ›Nachweis‹ durchaus als Euphemismus durchgehen kann. Tatsächlich ist es nämlich so, daß besagtes Teilchen (nur) mit einem Signifikanzniveau von 5 σ nachgewiesen werden konnte. In der Graphik wäre das die Fläche unter der Kurve bei x =  5. Wir haben darauf verzichtet, das einzuzeichnen, weil ja bereits bei x = 4 nicht mehr viel los ist. Damit man sich das besser vorstellen kann: Die Wahrscheinlichkeit, daß man irrtümlich ein Higgs-Boson „entdeckt“ hat, entspricht der Wahrscheinlichkeit, mit einer Münze 22 (!) mal in Folge Kopf zu werfen (oder Zahl – ist egal). Viel Spaß beim experimentellen Überprüfen!

Ei, der Gauß …

Zum Vergleich: In den meisten sozial orientierten Wissenschaften begnügt man sich dagegen mit einem Signifikanzniveau von gerade einmal 5 Prozent. Das entspricht der Wahrscheinlichkeit, bescheidene 5 (!) mal hintereinander Kopf (oder Zahl) zu werfen. Das hat Bolle tatsächlich ausprobiert – und gerade einmal 17 Würfe gebraucht, um 5 mal hintereinander ›Zahl‹ zu erzielen.

Kurzum: die meisten Wissenschaften wissen nichts. Was sie allerdings nicht davon abhält, so zu tun, als wüßten sie was. Bolle meint: ›Wissenschaft, die Wissen schafft‹ geht anders. Um das breite Publikum zu bluffen, reicht es indessen allemal.

Um hier etwas Klarheit reinzubringen, unterscheidet Bolle zwischen Repro-Disziplinen und Non-Repro-Disziplinen. Dabei sind erstere Wissenschaften, in denen es möglich ist, ein und denselben Zusammenhang wieder und wieder zu überprüfen – solange, bis man nach menschlichem Ermessen einigermaßen sicher sein kann, daß es „wirklich“ so ist. Das übliche Unwort „exakte Wissenschaften“ – also Wissenschaften, wo man etwas rechnen kann – mag Bolle dagegen gar nicht in den Mund nehmen. Aus der Möglichkeit, etwas in Zahlen oder Formeln zu verpacken, folgt nämlich keineswegs, daß das ganze damit auch nur einen Deut wahrer würde. Bestenfalls wird es beeindruckender für das breite Publikum. Bolle sieht hier den – durchaus verständlichen – Wunsch der Paragonisten der Non-Repro-Disziplinen, doch bitteschön auch als „echte“ Wissenschaft anerkannt zu werden. Viel mehr als einen eingefleischten Minderwertigkeitskomplex (Alfred Adler 1912) vermag Bolle hier aber nicht zu erkennen.

Alles andere ist natürlich auch ehrenwert – aber eben nicht repro. „Wissen schaffen“ läßt sich so nicht. Philosophieren allerdings läßt sich sehr wohl. Folglich haben wir es hier mit Sozialphilosophie zu tun: Die jeweiligen Wissenschaftler meinen, etwas sei so (oder so) – entziehen sich dabei aber jeglicher Nachprüfbarkeit. Kann sein, kann nicht sein. Wer weiß …?

Das alles wäre gar nicht weiter schlimm – würden solche Wissenschaftler nur nicht wie gekränkte Kinder darauf bestehen wollen, daß sie Wissen schaffen. Sie tun es nicht.

Ganz schlimm ist es übrigens bei den Juristen. Die Rechtswissenschaft hat mit ›Wissenschaft, die Wissen schafft‹ rein gar nichts zu tun. Das ergibt sich bereits aus ihrer Zugehörigkeit zu der Daseins-Domäne Schwester Ethik. Wir haben es hier mit einem Set von Sollens-Aussagen zu tun – und keinesfalls mit Ist-Aussagen (Schwester Logik). Allerdings muß man den Juristen zugute halten, daß sie sich (seinerzeit jedenfalls) sehr ernsthaft mit der Frage beschäftigt haben, ob es sich bei ihrer Disziplin denn überhaupt um eine Wissenschaft handele. Die naheliegende Antwort – Nein – ist dann allerdings irgendwie auf dem Schutthaufen der Geschichte untergegangen.

So richtig peinlich wird es allerdings, wenn Vertreter (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ausgerechnet dieser Zunft meinen, ihre „Wissenschaftlichkeit“ hervorheben zu müssen (vgl. dazu So 03-08-25 Eritis sicut Deus, scientes veritatem et falsitatem). Auf wirkliche Wissenschaftler kann derlei natürlich nur nachgerade lächerlich wirken, of course.

Kurzum: was solchen Disziplinen fehlt, ist eine solide schnelle Feedback-Schleife.

Der Problemlösungszirkel (PLZ).

Es hapert hier also am Soll/Ist-Abgleich. Wenn ich – dies als ebenso naheliegendes wie hoffentlich anschauliches Beispiel – ein Programm programmiere und der Interpreter (also das Programm, das meine Programmierung maschinenlesbar machen soll) spuckt immer wieder „Error“ aus, dann weiß ich, daß ich sprichwörtlich Scheiße programmiert habe und werde es umgehend ändern – und zwar so lange, bis es funktioniert. Oder aber, ich lasse davon ab (Pfeil b) und behellige die Menschheit nicht weiter damit.

In der Sozialphilosophie fehlt ein solcher präziser Feedback-Mechanismus. So könnten wir uns bis heute (und in alle Zukunft) trefflich streiten, ob das, was (nur zum Beispiel) Karl Marx meinte, in irgendeiner Weise wahr gewesen sein mag – oder eben nicht. Dem Philosoph ist nun mal nichts zu doof. Er (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) mag dazu beitragen, sich ein Bild von der Welt zu machen (siehe oben Welt III). Das ist durchaus ehrenwert – und vermutlich auch unverzichtbar. Schließlich zählt das Orientierungsbedürfnis zu den vier kognitiven Grundbedürfnissen (SOSS). Mit ›Wissen schaffen‹ aber hat es nichts zu tun.

So – damit hätten wir immerhin fünf von derzeit sechs Modellen in unser heutiges agnostisch-kontemplatives Sonntagsfrühstückchen eingebaut. Falls einem das alles nicht auf Anhieb restlos klar sein sollte. Don’t worry – be happy. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Darauf vielleicht erstmal einen Schnaps zum Frühstück. Bolle jedenfalls macht das so. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 03-08-25 Eritis sicut Deus, scientes veritatem et falsitatem

Erst kommt das Weltbild — der Rest ist egal.

Man möcht‘ es nicht für möglich halten. Als Bolle unser heutiges Schildchen in die Redaktionsablage für spätere Verwendung geworfen hatte – anderthalb Jahre ist das jetzt her –, geschah das anläßlich eines gewissen Unmutes ob der doch oft recht hochnäsigen Haltung manch Schnatterrunden-Gastes, ganz nach dem Tenor: ›Ich bin Team Wissenschaft! Also hab ich recht mit allem, was ich sage.‹ Bolle meinte damals nur: Man beachte das ›also‹.

Auch hatten wir genügend Zeit, im Rahmen beiläufiger Feldforschung festzustellen, daß der Schiller bei weitem nicht mehr jedem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf Anhieb geläufig ist. Daher wollen wir hier die ersten Zeilen der ›Bürgschaft‹ nicht unerwähnt lassen. Die nämlich gehen so:

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Möros, den Dolch im Gewande;
Ihn schlugen die Häscher in Bande.
Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!
Entgegnet ihm finster der Wütherich.

Es folgt ein Hohelied auf Freundschaft und Vertrauen, und endet nach 140 Verszeilen – ganz anders als so manch griechische Tragödie – nicht etwa mit dem Tode sämtlicher Paragonisten, sondern ganz im Gegenteil mit einem geläuterten Tyrannen. Allein das alles tut hier nichts zur Sache.

Die Überschrift – Bolle hat auf einer bildungsbürgerlichen Fassung bestanden – ist der Schwere der Situation geschuldet. Geschmeidig übersetzt heißt das einfach nur: ›Ihr werdet sein wie Gott, und wahr und falsch zu unterscheiden wissen‹ und ist angelehnt an ›Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum − Ihr werdet sein wie Gott und gut und böse unterscheiden können‹. So hat es Mephistopheles dem jugendlichen Schüler in sein „Stammbuch“ geschrieben – nicht ohne hinzuzufügen: Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange! Die Stelle findet sich übrigens, doch dies nur am Rande, bereits bei Adam und Eva im Paradiese (Genesis 3, 5) – ist also gewissermaßen Conditio humana von Anfang an.

So gesehen handelt es sich hierbei im Kern also um einen Transfer von Schwester Ethik zu Schwester Logik. Gut und böse meinen unterscheiden zu können ist das eine. Wahr und falsch indessen ist noch einmal ganz was anderes (vgl. dazu etwa So 06-10-24 Propaganda).

Die drei Töchter der Philosophie.

Der Untertitel unseres Schildchens schließlich lehnt sich an Brechts Dreigroschenoper (1928) an, of course. Dort heißt es unter anderem: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Wie wir unschwer sehen können: Die Welt steckt voller Weiterungen. Doch nun zum Anlaß unseres heutigen Sonntagsfrühstückchens.

Neulich begab es sich, daß ein Schnatterrunden-Gast in einer Stellungnahme von zufälligerweise genau 140 Sekunden – Bolle hat auf die Uhr geguckt – nicht weniger als 30 mal das Wort ›Wissenschaft‹ nebst seiner diversen Derivate (also Wissenschaftler, wissenschaftlich, etc. pp.) in den Mund genommen hat – wohl in der Hoffnung und Erwartung, damit überzeugend rüberzukommen. 30 mal in 140 Sekunden – das bedeutet alle knapp 5 Sekunden einmal und entspricht mithin einer Frequenz von 0,21 Hertz – mithin also einer veritablen Infraschallfrequenz. So etwas aber kann – da ist die Wissenschaft sich einig – durchaus Benommenheit, Ohrendruck und Übelkeit auslösen. Bei Bolle jedenfalls war das so.

Wahrlich, ich sage Euch: Ich bin Wissenschaftler und als solcher Eins mit der Wahrheit – und im übrigen so unfehlbar wie ansonsten nur der Papst (so das Dogma des Ersten Vatikanischen Konzils 1869–1870). Persönliches Befinden ist mir völlig ferne – da sei Gott vor! Private Meinung sowieso. Kurzum: Da fordert einer – ausgerechnet im Namen der Wissenschaft! – den rechten, orthodoxen Glauben ein. Bolle meint nur: Kaum zu glauben. In Hülsenfrüchtchen-Sprech könnte man hier glatt von einer Verhöhnung der Wissenschaft reden.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Glaubt dergleichen glatt. Zumindest hat der Schnatterrunden-Moderator eine professionell-interessierte Miene aufgesetzt und jedenfalls nicht in aller Klarheit eine wohl mehr als angemessene sprichwörtliche klare Kante gezeigt. Wäre Bolle der Moderator gewesen: Eine solche „Wissenschaftlerin“ wäre mit hochrotem Kopp heulend aus dem Studio gerannt. In der Tat ist Bolle der Ansicht, daß so etwas 200 Jahre nach der Aufklärung (man rechnet hier ganz grob von etwa 1650–1800 n. Chr.) mit ihrem Schlachtruf ›Sapere aude – Wage zu denken‹ wirklich nicht mehr „zeitgemäß“ sein sollte. Dabei ist Bolle natürlich klar, das Denken durchaus an rein faktische Grenzen stoßen könnte: Können vor Lachen, sozusagen.

Wenn also Wissenschaftler im 21. Jahrhundert sich anschicken, aus der Wissenschaft eine Religion zu machen, an die man bitteschön zu glauben habe, einschließlich ihrer Paragonisten, ihrer Vertreter auf Erden also – dann scheint hier wohl ganz offensichtlich etwas ganz grundsätzlich schiefzulaufen.

Bolle ist nach allem in der Tat drauf und dran, das Menetekel „Spaltung der Gesellschaft“ doch als realistische Möglichkeit in Betracht zu ziehen: Allerdings schwebt ihm da eher eine Spaltung in ›mächtig dumm‹ und (lediglich) ›mäßig dumm‹ vor. Ein klitzekleines bißchen dumm sind wir ja wohl alle. Allein man sollte auch hier nichts übertreiben. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 20-07-25 Friß wie früher

Regional, saisonal, natural, minimal — recht genial, im Grunde.

Die Überschrift unseres heutigen Sonntagsfrühstückchens ist natürlich durchaus ein wenig lutherisch-derb geraten. Aber liegt die Wahrheit nicht häufig in der Klarheit? Immerhin ist sie – aller Derbheit zum Trotze – in eine recht memorable Alliteration gefaßt. Wir erwähnen das nur, weil Bolle selbst in Anbetracht eines beachtlichen bürgerlichen Buffets ob der Verwendung des Begriffes ›Futter‹ einmal aufs Heftigste gerügt worden ist. ›Futter‹ sei angesichts solch köstlicher Speise durchaus unangemessen – und angesichts menschlicher Nahrung erst recht. Bolle indes hält derlei für reine Anthropozentrik, of course. Auch will ihm der materielle Kern des ganzen sehr viel wichtiger erscheinen als so manch semantische Spielerei.

Dabei läßt sich der materielle Kern schlagwortartig recht genial zusammenfassen: friß regional, saisonal, natural, und minimal. Wie früher eben. Ob Du dabei speisest oder futtern tust, ist demnach durchaus sekundär. Von all dem sind wir hier und heute natürlich himmelweit entfernt, of course.

Beginnen wir mit regional: Angeblich soll es so gewesen sein, daß noch im Mittelalter 98 Prozent aller verbrauchten Güter eines Dorfes in einem Umkreis erzeugt wurden, den man von der Kirchturmspitze aus überblicken konnte. Das wäre wohl im wahrsten Sinne regional. Allerdings sollten die Dinge bald in Bewegung geraten. So soll etwa Friedrich II um 1750 herum schon gepoltert haben: Da geben sie sich die größte Mühe, mit viel Kosten Ananas und Bananen und dieses ganze exotische Zeug einzuführen. Man kann mir sagen, was man will, der Mensch ist wertvoller als alle Ananasse der Welt. Auf den Menschen soll man aufwenden!

Wie steht’s mit saisonal? Ist es nicht herrlich, praktisch das ganze Jahr hindurch Erdbeeren essen zu können? Bolle findet: ist es nicht. Erdbeeren schmecken nur deshalb so süß, weil es sie eben nicht jederzeit gibt. Auf den Punkt: Ein japanisches Sprichwort weiß, daß die Kirschblüte nur deshalb als so schön empfunden wird, weil sie nur drei Tage währt. Und wer‘s gar nicht lassen kann, mag sich halt mit Erdbeermarmelade trösten.

Kommen wir zu natural – dem eigentlichen Anlaß für heute. ›Natural‹ meint ›wenig beziehungsweise gar nicht industriell verarbeitet‹ – und ist im deutschen Sprachgebrauch bislang noch nicht geläufig, falls überhaupt bekannt. Es hat entfernt mit ›bio‹ zu tun – aber eben nur entfernt. Unter der aufmerksamkeitserheischenden Überschrift ›Fertiggerichte: Jeder siebte beißt früher ins Gras‹ hat Bolle in einem Medizin-Journal einen Beitrag gefunden, der methodisch sauber und plausibel dargelegt begründet, was genau das eigentliche Problem mit den nicht-naturalen Futterstoffen ist. Kalorien und die Menge der aufgenommenen plumpen Nährstoffe (Fette, Eiweiß und Kohlenhydrate) jedenfalls sind es nicht. Bolle hatte schon immer gemeint, daß, solange ihm kein Ernährungsphysiologe stichhaltig erläutern kann, wieso eine Hafermastgans so gänzlich anders schmeckt als eine mit Fischmehl gefütterte, oder warum man von Sekt anders besoffen wird als von Whisky, man ihm mit derlei Wissenschaft doch bitteschön vom Leibe bleiben möge. Andererseits weiß Bolle lobend wohl zu würdigen, daß man sich seitens der Wissenschaft allmählich dem anzunähern bereit ist, was Yogis vor 3.000 Jahren schon wußten. Stichwort ›Intervallfasten‹ etwa.

Bleibt minimal: Ernährungsphysiologisch scheint es so zu sein, daß ein Organismus im Zweifel mit Mangel weit besser zurechtkommt als mit Überfluß. Ein uraltes ägyptisches Sprichwort will wissen, daß wir ein Fünftel für uns selber essen und vier Fünftel für die Ärzte. Das ist natürlich ein recht tougher Standard. Aber auch hier ist wohl der Scherz das Loch, durch das die Wahrheit pfeift.

Kurzum: Wer durch einen stinknormalen Supermarkt streift – bio oder konventionell spielt hier keine Rolle – und einen flüchtigen Blick auf Herkunftsbezeichnung und Inhaltsstoffe wirft, wird sofort merken, daß 98 Prozent der sogenannten Lebensmittel eher dafür geeignet sind, die jeweilige Industrie am Leben zu erhalten – und weniger den armen Yogi. Mit regional, saisonal, und natural hat das alles wenig zu tun – nicht einmal mit minimal.

Besonders betroffen von all dem sind natürlich unsere Freunde, die Veganer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course). Dort gehört es offenbar zum Lifestyle, sich Plörre oder Pampe  aller möglichen Provenienz reinzupfeifen, daß es nur so rauscht – grad‘ so wie aus der Hexenküche, nur halt ohne echte Hexen. Und dort hält man derlei offenbar auch noch für einen nachahmenswerten Beitrag für eine bessere Welt. Ein Smoothie ist hier wohl noch das harmloseste Beispiel. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 23-03-25 Konfuzius reloaded

Total klar, das.

Manchmal, meint Bolle, kann es wirklich nicht schaden, auf die alten Meister zurückzugreifen. Etwa auf Kong Fu Tse – den ehrwürdigen Meister Kong. Meister Kong hatte seine Zeitgenossen mit seiner Antwort auf die Frage, was denn das Wichtigste sei, um den Staat in Ordnung zu bringen,  seinerzeit schon – gelinde gesagt – irritiert.

Statt also – wie so manche Weltverbesserer der Gegenwart – zu sagen, wir bräuchten mehr Wachstum (oder mehr Klimaschutz oder mehr Kriegstüchtigkeit oder weniger Spaltung der Gesellschaft – oder mehr oder weniger was auch immer), schien ihm etwas so abstraktes wie klare Begriffe das wichtigste. Und davon auch nicht etwa „mehr“ – sondern überhaupt.

Wie? Das soll’s gewesen sein? Klare Begriffe – und alles wird gut? Natürlich nicht. Allein das hat Kong Fu Tse auch gar nicht gesagt. Ganz im Gegenteil. Gesagt hat er, daß ohne klare Begriffe alles immer schlimmer wird. Schaut man sich um auf der Welt, könnte man glatt geneigt sein, dem zuzustimmen.

Aus Bolles Sicht war der Durchmarsch des Gender-Gaga einer der ersten und dabei „nachhaltigsten“ Verstöße wider den Geist. Und – Bolle lieebt Selbstbezüglichkeiten – da geht es auch schon los. Definiere Nachhaltigkeit: ›Nachhaltig‹ ist etwas, das auf Dauer funktioniert. Komplizierter ist es an dieser Stelle eigentlich nicht. Auch dann nicht, wenn der Begriff mittlerweile dermaßen inflationär verwendet wird, daß einem regelrecht schwummrig werden kann. Übergeblieben ist ein leeres Loch, in das ein jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einfüllen kann, was immer ihm beliebt. Mit Klarheit im weitesten Sinne hat das nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Die Sprache – und damit das Denken und damit das Handeln – wird, falls Kong Fu Tse Recht haben sollte, einfach nur komplizierter. Die Klarheit bleibt dabei glatt auf der Strecke.

Bolle kann sich noch gut an den Moment erinnern, als ihm das heute übliche Wort ›Entwicklungszusammenarbeit‹ das erste mal zu Ohren kam. Was das? Es handelt sich hierbei, im besten konfuzianischen Sinne, um Entwicklungs-Hilfe. Zusammenarbeit gibt es nur unter Gleichen. Auch hat das nichts mit „Augenhöhe“ zu tun – noch so ein modischer Dussel-Denk-Begriff.

Und warum das Ganze? Die übliche Begründung lautet meist, man dürfe nicht auf den Gefühlen der Unterprivilegierten beziehungsweise der Schwächeren beziehungsweise der Minderheiten beziehungsweise der was auch immer herumtrampeln. Ein hehres Ziel – das sieht Bolle ein. Aber hat es auch was mit Klarheit zu tun? Natürlich nicht.

Wir wollen hier und heute nicht allzuweit ausholen. Nur so viel: Als Bolle noch Tertianer war, gab es direkt neben dem Pausenhof einen Kiosk – und an dem Kiosk gab es Mohrenköpfe. In der großen Pause konnte man sich, ohne zu hetzen, zu dem Kiosk begeben, für 50 Pfennige eine Tüte mit fünf Mohrenköpfen erstehen und selbige bei einem Rundgang um das Schulgebäude genüßlich verzehren. Pausenbrot nach Pennälerart. Daß Bolles Pausenbrot irgend etwas – und sei es auch nur im allerweitesten Sinne – mit der Diskriminierung von Mohren zu tun haben könnte, wäre Bolle nie in den Sinn gekommen. Allen anderen ebensowenig. Die hießen einfach so. Klare Sache, klarer Begriff.

Bolle plädiert an dieser Stelle ja für das gewohnheitsrechtlich gut bewährte Rechtsinstitut ›Alte Rechte‹. Wenn etwas seit Jahrhunderten so oder so genannt wurde, dann ist es durchaus und zumindest eine Frage wert, warum ein und dieselbe Sache plötzlich unter neuem Begriff firmieren soll. Um die Gefühle der Mohren nicht zu verletzen? Bolle findet das alles sehr, sehr windig. Könnte man von den Mohren nicht ein gewisses Maß an Eigenleistung erwarten? Namentlich also deutlich mehr Souveränität im Umgang mit Mohrenköpfen? Schließlich hat Bolle ja auch rein gar nichts dagegen, wenn ihn ein Chinese als Langnase bezeichnet, ein Schwarzer als Weißbrot oder etwa ein Türke als Kartoffel. Na und? Volkswitz, eben. Wenn aber das Volk klarer tickt als seine selbstempfundenen Eliten, dann sind der konfuzianischen Konfusion Tor und Tür geöffnet. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 09-02-25 Krieg und Klima

Zū komplex – oder nur zū doof …?

Neulich hat Bolle endlich mal Tolstois ›Krieg und Frieden‹ (1868/1869) gelesen. Gelesen wäre allerdings übertrieben. Genauer genommen nämlich hat Bolle es gehört – und zwar als Einschlaf-Lektüre. Manch monumentalem Werk – nicht zuletzt übrigens auch der Bibel – nähert man sich wohl am besten so. Zumindest sehr viel besser als derlei – von wegen „keine Zeit“ – gar nicht erst in Angriff zu nehmen. Immerhin haben die Lesefrüchte – oder sollte man besser „Hörfrüchte“ sagen? – zu unserem heutigen Titel geführt.

Das alles ist aber mitnichten unser Thema. Unser Schildchen zeigt die Entwicklung des weltweiten CO2-Ausstoßes in den letzten 60 Jahren. Wie man erkennen kann, hat er sich seit 1960 in etwa vervierfacht. Das ist nicht gut – jedenfalls sehen das viele so.

Was Bolle indessen noch sehr viel weniger gut findet, ist, daß sich im gleichen Zeitraum die Weltbevölkerung ebenfalls vervierfacht hat – vergleiche dazu die von uns eingezeichnete rote Gerade. In erster Näherung könnte man also, ohne allzu falsch zu liegen, davon ausgehen, daß vier mal so viel Leute in etwa auch vier mal so viel CO2 in die Atmosphäre pusten.

So gesehen wäre es vielleicht keine dumme Idee zu überlegen, ob eine ernstliche Begrenzung der überbordenden Weltbevölkerung nicht vielleicht doch ein Schritt in die richtige Richtung wäre? Natürlich wird das „nicht jedem“ – wie es immer so schön heißt – zusagen. Manche werden monieren, das sei zu einfach – und schon von daher (!) populistisch. Andere werden meinen, es sei ja wohl das Recht eines jeden (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), beliebig viele Kinder in die Welt zu werfen. Manche Ökonomen werden pflichtschuldigst daran erinnern, daß, damit die Wirtschaft wachse, selbstredend auch die Bevölkerung wachsen müsse, of course. Wieder andere – gerne ebenfalls Ökonomen – träumen von Entkoppelung. Wer sagt denn, daß vier mal so viel Leute auch vier mal so viel CO2 ausstoßen müssen? Vielleicht kommen sie ja mit, sagen wir, dreieinhalb mal so viel aus …? Ein Punkt, mit dem sich monate- beziehungsweise jahrelang die Schnatterrunden (vulgo: Talkshows) dieser Welt befüllen ließen.

Noch andere meinen, man müsse das pseudo-marktwirtschaftlich angehen und den CO2-Ausstoß politisch einfach nur so teuer machen, daß ihn sich – mal abgesehen von ein paar Hochgespülten, die naturgemäß und schon immer sehr viel gleicher waren als gleich – einfach niemand mehr leisten kann. Das übrigens ist eine Idee, die derzeit die bundesdeutsche Polit-Prominenz beflügelt. Was das für die Leute bedeutet, werden sie dann schon sehen. Nur sollen sie, bitteschön, bloß nicht auf dumme Gedanken kommen und gar noch die Falschen wählen.

Wo das alles hinführen soll, ist Bolle auch nicht klar, of course. Nur so viel: Möglicherweise sind wir als Weltzivilisation noch immer auf einem Niveau, das es zwingend erforderlich macht, daß es in gewissen Abständen immer mal wieder so richtig knallen muß – einfach nur, um die Leute wieder auf den Teppich zu holen. Goethe hat das 1796 in seinen ›Kophtischen Liedern‹ wie folgt gefaßt:

Du mußt steigen oder sinken,
Du mußt herrschen und gewinnen
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.

Bolle meint: Na, denn Prost! – und fühlt sich intensiv an das Bild eines reinigenden Gewitters erinnert: Die Leute genießen die klare Luft – und die nächste Runde des immergleichen Spieles scheint in weiter Ferne, wenn nicht gar undenkbar. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 18-08-24 Was ist da bloß los?

So dumm kann’s laufen …

Manchmal kann man sich wirklich nur wundern, was den höheren Schichten so alles einfällt beziehungsweise was sie so alles anrichten. Was ist da bloß los?

Eines der jüngsten, eher niedertrabenden Beispiele etwa sind Holzbriketts, denen plötzlich, Knall auf Fall, ein CO2-Wert „zugewiesen“ werden sollte – mit der Konsequenz, daß sie als „klimaschädlich“ deklariert worden wären. Das ist offenbar schon wieder vom Tisch – aber als Beispiel taugt es allemal.

Im Grunde hatte sich Bolle schon im Vorfeld schwer verwundert. Das Anpflanzen von Bäumen, so hieß es und so heißt es, kompensiere den CO2-Ausstoß und sei damit per se klimafreundlich. Ganze Branchen leben von dieser Art von Greenwashing. Ersteres mag ja sein – aber doch wirklich nur vorübergehend. Wenn ein Baum in die ewigen Jagdgründe eingeht – wie Bolles indianische Freunde (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) das nennen würden – Asche zu Asche, Staub zu Staub, dann gibt er exakt die gleiche Menge CO2 wieder frei, die er im Laufe seines Lebens „kompensiert“ hatte. Ja was denn sonst?

Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (1. Mose 8, 22). Kennen wa ja. Und eben auch einatmen und ausatmen – und sei es CO2.

So geht der Kreislauf des Lebens. Ein Baum „entzieht“ der Atmosphäre also kein CO2 – er speichert es nur für eine gewisse, begrenzte Zeit. Eine wirklich „nachhaltige“ Lösung (i.S.v. ›funktioniert auf Dauer‹) ist das sicherlich nicht. Eher Voodoo-Ökologie. Aber macht das mal einem rechten Hülsenfrüchtchen klar. „Da muß sich doch was ‚optimieren‘ lassen“ ist noch mit das Beste, was einem als Antwort zuteilwerden kann.

Andererseits: Wenn man neuerdings Säuglingen bei der Geburt ein Geschlecht „zuweisen“ kann – warum dann nicht auch einem Baum einen CO2-Wert? Ist doch nur fair – und paßt im übrigen herrlich ins Weltbild von manch mehr oder weniger hochgestelltem Hülsenfrüchtchen.

Daß ein Baum auf lange Sicht einfach einen CO2-Wert hat – im Zweifel nämlich exakt Null, da gibt es nichts „zuzuweisen“ – und daß ein Neugeborenes einfach ein Geschlecht hat, nämlich (von seltensten Ausnahmen einmal abgesehen) männlich oder weiblich, ist im allgemeinen Durcheinander offenbar glatt untergegangen. Wenn aber alle – oder hinreichend viele – ganz dolle dran glauben, dann mag das wohl so sein. Überzeugend findet es Bolle trotzdem nicht.

Immerhin handelt es sich hierbei um ein hübsches Beispiel von umsichgreifender Hybris. Dabei ist Hybris Bolles agnostische Variante der guten alten Gotteslästerung. Des Frevels gar, des Nicht-wahrhaben-wollens, daß eben nicht alles möglich ist, was sich einer in den Kopf gesetzt haben mag. Und was wollen die nicht alles retten oder schützen. Klima und Demokratie sind dabei Bolles gegenwärtige „Top-Favoriten“. (Schon wieder so ein Wort wie Donnerhall übrigens – außen laut und innen hohl).

Und so kommt es denn heraus, daß sich Gedankenlos und Planlos einträchtig die Händchen reichen. Das Ergebnis ist fruchtlos, of course, und die übliche Reaktion seitens der Planer meist schamlos: „Das haben wir nicht wissen können“ oder, maximal-ignorant: „Wieso? Ist doch alles prima.“ Ein Eingeständnis der Planlosigkeit wäre aber auch zu peinlich. In Bolles Kreisen spricht man hier gerne von Selbstwertbeschädigung. Das Selbstwertgefühl – Ich bin ein ganz famoses Haus (Wilhelm Busch) – aber ist eines der vier kognitiven Grundbedürfnisse (SOSS) und will seinerseits unbedingt geschützt sein – egal wie albern die Ausflüchte im Einzelfall auch immer sein mögen. Tricky …

Eine schöne alte deutsche Wendung legt einem nahe, zuweilen doch mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Aber bei aller kontemporären, geradezu närrischen Liebe zu den Fakten: In diesem Rahmen werden Tatsachen, wie es scheint, durchaus höchst geringgeschätzt. Was bitteschön sind schon schnöde Tatsachen gegen hochfliegende Ambitionen? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 04-08-24 Fast fashion / Slow fashion

Sherlock Holmes im feinen Frack (Illustration im Strand von Sidney Paget 1901)

In letzter Zeit hat Bolle ja vermehrt auf die Mütze gekriegt: die Texte seien in der Tendenz zu überkandidelt, man müsse sich zu sehr reindenken, überhaupt seien die Modelle und die Graphiken zu schwer verständlich, und dergleichen mehr, of course. Bolle meint: Ihr habt ja Recht, und würde am liebsten mit Lessings ›Abschied an den Leser‹ (1751) parieren:

Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:
So sei mir wenigstens für das verbunden,
Was ich zurück behielt.

Kurzum: es hätte schlimmer kommen können. Es gibt nun mal Zusammenhänge, die sind vergleichsweise einfach, und es gibt Zusammenhänge, die eher schwierig zu verstehen sind. Daneben gibt es Erklärungen, die verständlich sind, und solche, die ziemlich kauderwelschig sind. Damit kommen wir, wie so oft, auf vier Möglichkeiten. Das dumme daran ist, daß es stets der Leser ist, der entscheidet, was verständlich ist und was nicht. Für heute ginge das also zu weit.

Folglich begnügen wir uns mit einer 4-Felder-Tafel am harmlosen Beispiel von Fashion. Wenn man sich traut, klare, harte Schnitte zu machen, dann können Klamotten minderwertig sein oder hochwertig. Andererseits können sie tiefpreisig sein oder hochpreisig. Tertium non datur – eine dritte Möglichkeit gibt es nun mal nicht in einer dichotomen Welt.

Damit sieht das ganze aus wie folgt:

Fashion dichotomisiert.

Fehlt nur noch, ein paar knackige Begriffe in die weiß unterlegten Felder zu füllen. Nennen wir minderwertig/tiefpreisig also ›Fast Fashion‹ und hochwertig/hochpreisig ›Slow Fashion‹. Natürlich können hochwertige Klamotten ggf. auch günstig zu haben sein – Fein! Umgekehrt können minderwertige Klamotten auch zu einem stolzen Preis vermarktet werden. Das wäre dann also Grrr! Obwohl: das ist nicht das Schlechteste für Leute, die das Bedürfnis haben, sich – wenn schon nicht über den Geschmack, so doch zumindest über den Preis – vom Rest des Volkes abzuheben. In der Werbung heißt es dann, unfreiwillig komisch: Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.

Ursprünglich war Slow Fashion einmal „alternativlos“, wie man das heute nennen würde. So hat Bolle, vor vielen Jahren schon, in einem Benimm-Buch einmal gelesen, daß ein englischer Gentleman (ausdrücklich nicht beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einen neuen Anzug zunächst jahrelang nur bei sich zuhause in den eigenen vier Wänden getragen hat. Sich mit einem nigelnagelneuen Anzug in die Öffentlichkeit zu begeben, hätte man als schockierend ungentlemanlike, nachgerade dandyhaft  empfunden.

Und im 5. Kapitel – dies nur als Beispiel – von Sir Arthur Conan Doyles ›Hund von Baskerville‹ (1901/1902) erfahren wir, daß Sir Henry, obwohl 740.000 Pfund schwer – das entspricht heute einem Vermögen im dreistelligen Millionenbereich – gerade mal drei Paar Schuhe sein eigen nannte: alte schwarze, neue braune, sowie ein Paar Lackschuhe – wenn es einmal darum ging, sich stadtfein zu machen (vgl. dazu etwa das Bildchen oben). Das jedenfalls ist gelebte Slow Fashion.

Daß derlei nicht nur in der Literatur vorkommt, können wir sehr schön am Beispiel Bolle beobachten: Seinen letzten Mantel – seinen einzigen, wohlgemerkt – hat er 20 Jahre lang getragen. Allerdings nur im Winter, of course. Und seinen neuen Mantel trägt er seit nunmehr 12 Jahren. Dabei geht es ihm, wie wir erfahren konnten, mitnichten um ethisch hochwertiges Verhalten – als solches nämlich wird Slow Fashion zur Zeit hochgejubelt bzw. (Branchen-Sprech) vermarktet. Bolle hat einfach Null Neigung, pausenlos was anderes anzuziehen. Wenn man aber umgekehrt bedenkt, daß Fast Fashion angeblich für 8–10 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sein soll, kann einem schon etwas schwindelig zumute werden.

Manchmal wird Bolle wirklich ganz mulmig ums Herz, wenn er an die ganzen Hülsenfrüchtchen mit ihren wundgescheuerten Egos denken muß – an Leute also, die sich nur in neuer Klamotte wohlzufühlen meinen, auch wenn sie durchaus minderwertig ist. Dazu gibt es übrigens reichlich „Studien“. Insbesondere die sog. Generation Z steht in dem Ruf, hier eine ziemliche „Absichtslücke“ (intention-action-gap), wie rührige Soziologen das zuweilen nennen, aufzuweisen. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 30-06-24 Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit trägt wirklich ein Forellenkleid

Theorie und Empirie — nicht ohne Interpretation.

Hier zur Abwechslung mal wieder ein Beitrag aus Bolles Bildungsprogramm. Man kann sich ja nicht immer nur um den Unfug kümmern, mit dem die Polit-Apparatschiks dieser Welt meinen, selbige in einen besseren Ort verwandeln zu müssen.

Keine Sorge. Wir müssen das Bildchen nicht völlig verstehen – vor allem nicht die Formel. Sie sagt einfach nur aus, daß die Masse eines Körpers mitnichten konstant ist, sondern daß sie mit der Geschwindigkeit, mit der der Körper sich bewegt, zunimmt. Das allein ist erstaunlich genug. Newton jedenfalls war das noch nicht klar. Demnach wäre jemand (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), wenn er mit einem Affenzahn durch die Gegend düst, schwerer (i.S.v. massereicher) als wenn er nur bräsig im Liegestuhl läge. Allerdings – und da kommen wir schnell wieder auf den Boden der Alltagserfahrung – müßte sich derjenige schon mit 40% der Lichtgeschwindigkeit bewegen, um auch nur 10% schwerer zu werden (siehe das Pünktchen in der Graphik). Die meisten von uns werden ein solches Tempo allerdings kaum jemals erreichen, of course.

Aber von praktischen Erwägungen einmal ganz abgesehen. Hier soll es uns um die drei Hauptzutaten jeglicher Wissenschaft gehen. Da hätten wir als erstes die Empirie. Im Grunde handelt es sich dabei um ein Frage/Antwort-Spiel zwischen Welt I („alles, was der Fall ist“) und Welt II (die Welt der Wahrnehmung und Bewertung) mit der Erkenntnis der „Fakten“. Als nächstes hätten wir in Welt III (dem Weltbild, das einer für zutreffend hält) die Theorie als Destillat aus der Fülle der Fakten: So ist es nun mal! Ob das auch stimmt, wissen wir allerdings nicht. Zum Drei-Welten-Modell vgl. übrigens am besten So 26-05-24 Das bessere Argument.

Nun ist es so, daß der Zusammenhang zwischen Masse und Geschwindigkeit von Einstein schon 1905 in seinem Aufsatz ›Zur Elektrodynamik bewegter Körper‹ im Kern postuliert und seitdem auch tausendmal empirisch bestätigt wurde. Es ist also so!

Allein, was soll das bedeuten? Hier kommen wir zur dritten im Bunde, der Interpretation. Die Interpretation führt, wie’s scheint, ein geradezu stiefmütterliches Dasein in der Welt der Wissenschaften.

So geht die G’schicht, man könne leider, leider das Universum wegen der Gegebenheit Lichtgeschwindigkeit nicht so recht bereisen. Wenn nämlich ein Raumschiff sich der Lichtgeschwindigkeit nähere, dann – so die G’schicht – steigere sich dessen Masse ins Unendliche, und damit auch die zum Antrieb benötigte Energie. Unendlich viel Energie aufzubringen aber sei rein technisch nun mal unmöglich. Also auch Reisen in ferne Gefilde.

Soweit klingt das plausibel. Aber ist es auch wahr im weiteren Sinne? Ein Blick auf die Graphik zeigt uns – und hier sind wir bei der Interpretation von Empirie und Theorie –, daß wir ja mitnichten mit Lichtgeschwindigkeit fliegen müssen. Bei zum Beispiel „nur“ 87% Lichtgeschwindigkeit kommen wir gerade einmal auf die doppelte Masse (vgl. dazu wieder das Pünktchen in der Graphik). Das aber dürfte technisch ohne weiteres beherrschbar sein. Demnach würde eine Reise zu beispielsweise Proxima Centauri – dem nächsten Stern im Universum – nicht 4 Jahre und 3 Monate dauern, sondern eben 4 Jahre und 11 Monate. Bolle findet: die 8 Monate machen den Kohl dann auch nicht mehr fett.

Das Problem ist also nicht die Unmöglichkeit, unendliche Energie aufzubringen, um ein bei Lichtgeschwindigkeit unendlich schweres Raumschiff anzutreiben. Das Problem ist vielmehr die Gegebenheit der Lichtgeschwindigkeit an sich. Das aber ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Soweit also zur Interpretation gegebener „Fakten“ bei gegebenem theoretischem Schliff. Die Welt ist voll von derlei, übrigens: Corönchen, Ukraine, Klima … – you name it. Überall führen die nackten Fakten zu nichts als Verwirrung.

Bolle hat sich nach einigem Hin und Her übrigens entschlossen, den schlichten Begriff ›G’schicht‹ zu verwenden, wo andere von ›Erzählung‹ oder gar von ›Narrativ‹ fabulieren. Gemeint ist damit stets das gleiche: Ein Deutungsmuster aus der unübersichtlichen Fülle der Erscheinungen. Thomas S. Kuhn hat in seinem Werk ›Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen‹ dafür übrigens 1962 schon den Begriff ›Paradigma‹ verwendet. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 02-06-24 Stramm auf Linie

Wahrlich ich sage Euch …

Heute können wir festhalten, daß der Wonnemonat Mai schon wieder zuende ist. Wir haben Juni. Das scheint – zumindest der üblichen Übereinkunft entsprechend – wahr zu sein. Allerdings handelt es sich hierbei auch um nichts Weltbewegendes. Heute ist halt der 2. Juni. So what?

Die Wahrheit, die ganze Wahrheit, und nichts als die Wahrheit – wie es bei Zeugenvernehmungen mitunter heißt, ist deutlich schwieriger zu fassen. Theoretisch streng genommen gar nicht (vgl. dazu unseren Beitrag von letzter Woche: So 26-05-24 Das bessere Argument). Was natürlich den Journalismus 2.0 – und hier in allererster Linie die sogenannten Faktenchecker – nicht davon abhält, sich selbst für im Inbegriff der reinen Wahrheit zu wähnen. Schließlich, so heißt es dann etwa, habe eine Studie selbiges ergeben. Ohne greifbare Studie tut es durchaus auch ein „Experte“, der im Gewande des Wissenschaftlers seine Meinung – mehr ist es meist nicht – als unumstößliches Faktum zum Besten gibt.

Wie wir ja wissen, gibt es immer vier Möglichkeiten. Man hält etwas für wahr – und die meisten anderen tun das auch (A1). Sozialpsychologisch unproblematisch. Ebenso verhält es sich mit B2. Interessant sind allein die Fälle A2 (Verschwörungsopfer) und B1 (Verblödungsopfer). Woher – das ist hier die Frage – nehmen die Linientreuen, also die A1-ler, ihre Zuversicht, daß sie im Vollbesitz der reinen Wahrheit sind und jeder, der die Dinge anders sieht, folglich (!) ein Verschwörungsopfer sein muß? Soviel Chuzpe muß man erst mal aufbringen. Bolle vermutet, daß das was mit kognitiver Kapazität zu tun hat. Aktuell etwa zeigt sich – langsam, aber immer sicherer –, daß so ziemlich alles, was uns während der Corönchen-Hysterie als reine Wahrheit aufgetischt wurde, sich als alles andere als wahr erwiesen hat. Die angeblichen Verschwörungsopfer hatten – leider kann man das kaum anders sagen – durch die Bank Recht.

Daraus könnte man was lernen. Könnte. Tut man aber nicht. Zur Zeit werden uns stramm linientreu die nächsten ultimativen Wahrheiten aufgetischt. Und jeder, der das nicht glauben mag, ist ein Verschwörungsopfer, of course.

Im Grunde könnten – beziehungsweise sollten sogar – an dieser Stelle irgendwann mal Lernprozesse einsetzen. Tun sie aber nicht. Das übrigens ist ein Punkt, der sehr für Bolles ›Mangelnde kognitive Kapazität‹-Theorem spricht.

Übrigens scheint es so zu sein, daß die Leute, die so verbissen an ihrem Zipfelchen Wahrheit hängen – beziehungsweise dem, was sie dafür halten –, genau die gleichen Leute sind, die völlig humorabstinent durchs Leben laufen. Beides nämlich scheint eine gewisse mentale Offenheit vorauszusetzen, die einem in diesem Universum leicht flötengehen kann. Um das zu erläutern, müßten wir unser Wirklich-Wahr-Schema allerdings auf 9 Felder erweitern (vgl. dazu etwa Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.