
Wie das Leben so spielt, hatte Bolle dieser Tage rein umständehalber mit Schnullerflaschen zu tun – das erste mal seit einigen Jahrzehnten. Damals war die Welt noch „überschaubar“ – um es einmal in Hülsenfrüchtchens Terminologie zu fassen. Milch (oder was auch immer) in die Flasche, trinken – fertig. An sonderliche Probleme jedenfalls kann Bolle sich beim besten Willen nicht erinnern.
Heute dagegen – eine ellenlange Gebrauchsanleitung in nicht weniger als 30 Sprachen. Damit das alles auf den ohnehin schon mörderisch dimensionierten Beipackzettel paßt, hat der Hersteller eine Schriftgröße gewählt, an der Bolle sich seinerzeit glatt die Augen verdorben hätte. Im Wesentlichen heißt es dort, so eine Nuckelflasche sei ein durchaus gefährliches Ding. Man müsse höllisch aufpassen, daß Baby stets nur unter Aufsicht eines Erwachsenen mit der Flasche in Berührung komme. Das Glas könne splittern, auch könne sich Baby unter Umständen strangulieren oder aufgrund mangelnder Hygiene gar einen unbotmäßig frühen Tod erleiden. Folglich müsse man … et cetera bla, bla.
Nun – es dauerte nicht lange, bis Bolle sich der Terminus ›Schnullologie‹ hatte aufdrängen wollen. Einmal in der Welt, wurden Bolle stante pede die unabweisbaren Weiterungen bewußt. Wenn Baby sich so wild und gefährlich durch die ersten Wochen und Monate seines jungen Lebens kämpfen muß – stets „gefühlt“ bedroht von splitterndem Glas und üblen Keimen –, dann muß man sich nicht wundern, wenn aus Baby später eine rechte Bangbüchs wird – stets gewillt, sich helfen, retten, schützen zu lassen. Baby kann dann alles werden – nur kein Souverän. Unter „demokratietheoretischen“ (so das jüngste Modewort) Gesichtspunkten scheint Bolle das alles mehr als bedenklich.
Aber kann man die Schnullologie dermaßen hochhängen? Bolle meint, man kann. Durchaus. Nicht zuletzt bei Aldous Huxley heißt es ja: „Schöne neue Welt, die solche Bürger trägt!“ Eine solche Welt kann alles sein, nur – mangels souveränen Souveränen –, keine Demokratie.
Im übrigen gilt seit heute mal wieder die Sommerzeit. Was hatte man sich damals (1980) nicht alles davon versprochen? Energieersparnis ohne Ende – im Namen der Wissenschaft, of course. Heute, anderthalb Generationen später, weiß man, daß man eher nichts weiß – beziehungsweise noch immer nichts. Schnullologie, eben. Immerhin ist eines klar: Eine Dose ist eine Dose ist eine Dose (Bolle featuring Gertrude Stein). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.
Eigenverantwortung, Entscheidungsgewalt und Teilhabe – ist das Volk tatsächlich noch so souverän? Schnullologie oder wie aus der Lehre der übermäßigen Überfürsorge die Kunst der vorsorglichen Bevormundung entsteht.
„Vorsorgliche Bevormundung“. Sehr süß 🙂