So 07-03-21 Gut zerknüllt, Löbel

Auri sacra fames — verfluchter Hunger nach Gold.

Für alle, die es nicht mitgekriegt haben: Da macht sich ein demokratisch und überdies auch noch direkt gewählter Abgeordneter um die Volksgesundheit verdient und bestellt in China einen ganzen Haufen Masken. Da alle davon ihren Nutzen haben, sowohl der Lieferant als auch die deutschen Maskenträger, hat sich der Herr Abgeordnete seine Vermittlungsbemühungen mit einem, wie er selber sagt, „marktgerechten“ Corönchen-Provisiönchen von, wie er wiederum selber sagt, 250.000 Euro entlohnen lassen. Kann man so was bringen? Aber Ja doch. Zwar erhalten Abgeordnete in Deutschland nicht nur eine „Aufwandsentschädigung“, sondern eine sogenannte „Vollalimentation“ (Art. 48 III GG), die ihnen ihre Unabhängigkeit sichern soll und überdies eine Lebensführung ermöglichen, „die der Bedeutung des Abgeordnetenhauses entspricht“ (Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichtes). Etwaige sonstige Berufseinkommen sind dabei ausdrücklich nicht mitgemeint. Im Gegensatz zu Regierungsmitgliedern soll und darf ein Abgeordneter seine großen und kleinen Geschäfte also uneingeschränkt weiterlaufen lassen. Kurzum: Ein Abgeordneter soll ein Bürger sein wie Du und ich – aus der Mitte der Gesellschaft für die Mitte der Gesellschaft.

Auch sind 250.000 Euro gemessen an den geschätzten jährlichen Corönchen-Kosten von vielleicht 80 Milliarden Euro ausgesprochene „Peanuts“ und vermutlich in der Tat „marktgerecht“ – schließlich sind Hersteller bzw. Händler ja freiwillig darauf eingegangen. Eine Hand wäscht die andere. Kennen wa ja.

Warum dann die Uffregung? Was Bolle einleuchten würde: Zum einen gilt in Corönchen-Zeiten: über Geld redet man nicht. Wat mutt, dat mutt. Voll bazooka-mäßig, whatever it takes. Zum anderen und vor allem aber könnte an einem so klar abgesteckten Einzelfall so manchem braven Erwerbstätigen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)  unangenehm auffallen, wie sehr sich seine Volksvertreter mittlerweile doch von ihm entfernt und sich in ihrem Raumschiff eingerichtet haben. „Gehobene Mittelschicht“, halt, wie Friedrich Merz das zu nennen beliebt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 06-03-21 Unfehlbar ist das Volk nicht. Aber es hat immer Recht …

Oh Zeiten, oh Sitten.

Gestern wollte Bolle die Nachrichten mal wieder zeit- und nervenschonend im Fast-Forward-Modus goutieren (vgl. dazu Sa 20-02-21 Fast forward …). Und dann so was. Bevor er zu den eigentlichen Nachrichten vorstoßen konnte, flashte ihm magenta-grell eine dieser „Eilmeldungen“ um die Ohren – die namentlich in jüngerer Zeit geradezu epidemisch werden. Allein seit Weihnachten haben wir das nicht weniger als vier mal angesprochen. Wer nachlesen möchte: vgl. ›Breaking News‹ (via Suchfunktion). Und wieder hat er sich gefragt: Wozu die Eile? Was, bitteschön, hat das mit mir und mit hier und heute zu tun? So was kann ich auch gelegentlich gemütlich zur Kenntnis nehmen. Und so scheint ihm das eher der Überraschung der Medienschaffenden 2.0 geschuldet als dem eigentlichen Nachrichtenwert.

Inhaltlich scheint das ganze unerwartet schnell zu einem regelrechten definitorischen Grabenkampf auszuarten: Wollen wir unter »Demokratie« die ›Herrschaft der Mehrheit‹ verstehen oder nicht doch lieber die ›Herrschaft der Guten‹? Auch dazu finden sich via Suchfunktion ›Herrschaft der Guten‹ seit Nikolausi 2020 mittlerweile nicht weniger als sechs Beiträge.

Bolles naives Demokratieverständnis sieht dabei folgendes vor: Das Volk wählt (Art 20 II GG) – viel mehr Möglichkeiten hat es ja nicht – und verleiht damit seiner Volkssouveränität Ausdruck, also seinem „Letztbestimmungsrecht über den Staatswillen“, wie das in Juristenkreisen heißt. Die vornehmste Aufgabe der Gewählten besteht dabei darin, eben diesen Staatswillen als solchen in praktische Politik zu verwandeln. Parlamentarier aller Länder – kommt damit klar. Wie Ihr das macht, bleibt Euch überlassen. Wenn dagegen, um ein Beispiel aus jüngerer Zeit herauszugreifen, eine Parlamentarierin eine Rede mit „liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien dieses Hauses“ eröffnet, dann zeugt das doch von einem recht bemerkenswerten Demokratieverständnis. Da zählt sich jemand offen und mit frecher Stirn zu den Guten – Exlusionsrecht inklusive.

Aber sind die Guten wirklich so schlecht? Natürlich nicht. Bolle hat eher den Eindruck, daß sie in gewisser Weise hypnotisiert sind – und dabei fleißig sekundiert von einer nicht minder hypnotisierten Presse (vgl. dazu etwa Mi 03-02-21 Von Quatsch und Quark …) – und sich ihrer eigenen Job Description nicht wirklich voll bewußt. Wie meinte Bolle vorgestern erst: Wenn das mal gutgeht … Ein gelegentlicher Tritt in den Hintern, gegebenenfalls von Seiten der dritten Gewalt, der Judikative, kann da jedenfalls gar nicht schaden. Kieken wa ma …

Warum aber hat das Volk immer Recht, obwohl es nicht unfehlbar ist? Die Antwort: Weil wir uns darauf geeinigt haben, die Resultate der institutionellen Prozesse als verpflichtend zu akzeptieren. Das Argument findet sich wörtlich in der Neuen Zürcher Zeitung vom 18-03-17. Komplizierter ist es im Grunde nicht. Und was besseres ist uns bislang auch noch nicht eingefallen. Chaupeau, M. Rousseau. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 05-03-21 Und ewig schläft das Murmeltier

Und ewig schläft das Murmeltier.

Gelegentlich sagt ein Bild ja mehr als tausend Worte.  Bolle hat es in der Schaufensterauslage eines kleinen, überhaupt nicht „systemrelevanten“ Ladens gefunden. „Wir sehen uns wieder in 2021“. Bolle findet das nachgerade rührend – und mußte daran denken, daß bald schon wieder ein Viertel des Jahres rum sein wird. Dann eben später einkoofen gehen. Kieken wa ma …

Umgekehrt gilt: Corönchen never sleeps – und hat die nächste Stufe womöglich schon gezündet. Viren können nun mal schneller mutieren als Virologen. Eine neue (dieses mal brasilianische) Variante hat, wie man hört, die unangenehme Eigenschaft, auch solchen Leuten zuzusetzen, die „eigentlich“ schon längst immun sein sollten. Und so zieht Jair Bolsonaro, der brasilianische Oberhäuptling, vorsorglich schon mal die kommunikative Notbremse, indem er seinen Landsleuten erklärt, es müsse nun endlich mal genug sein mit dem Gejammer und den Tränen. Das sei ja nicht mehr auszuhalten. Augen zu und durch, also.

So weit sind wir hier noch lange nicht. Im Gegenteil: Hier hat das Parlament eben erst ein Gesetz beschlossen, demzufolge es der Regierung alle drei Monate erneut sein Go geben muß – sonst war’s das dann mit „weiter so“. Dumm nur, daß es sich – anders als etwa in den USA – bei der Parlamentsmehrheit und bei der Regierung regelmäßig um die gleichen Leute handelt. Entsprechend fallen die Abstimmungen dann ja auch aus. „Funktionenteilung“ statt „Gewaltenteilung“ heißt das in den inneren Zirkeln höchst euphemistisch hinter vorgehaltener Hand. Aber wenn’s doch dem parlamentarischen Wohlbefinden dient? Immerhin: Das Volk fängt an zu grummeln.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Schreibt die einzige auf exekutiver Ebene tatsächlich vorhandene Gewaltenteilung als „Flickenteppich“ oder auch „Bund/Länder-Hickhack“ nach Kräften in Grund und Boden. Nun ja: Jeder, wie er kann. Ist ja auch am einfachsten. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 04-03-21 Direkte Demokratie

Direkte Demokratie.

Viel los ist zur Zeit ja nicht – jedenfalls nüscht, was mehr wäre als ein tagesaktueller Uffreger. Mit derlei aber wollen wir uns im Rahmen unserer agnostisch-kontemplativen Bestrebungen nicht weiter beschweren. Wenden wir uns also Dingen zu, die auf mittlere Sicht echtes Knaller-Potential haben – auch wenn wir sie hier und heute nur anreißen können.

»Demokratie« bedeutet wörtlich ›Herrschaft des Volkes‹. Das indes ist schon deshalb wenig trefflich, weil es „das Volk“ nun mal nicht gibt – und, zumindest in größeren Staatsgebilden, wohl auch gar nicht geben kann (vgl. dazu etwa Fr 08-01-21 Corönchen-Sendepause oder auch Do 14-01-21 Derangierte Demokraten). Bleibt die ›Herrschaft der Mehrheit‹ oder, wenn man es lieber etwas sonniger mag, die ›Herrschaft der Guten‹. Wenn in Bolles lästerlichem Lexikon von der ›Unterwerfung der Minderheit durch die Mehrheit‹ die Rede ist, dann ist das natürlich technisch gemeint und bezieht sich auf die Schwarz’schen Konfliktlösungsstufen, denen zufolge sich rein ethologisch außer Flucht, Vernichtung, Vertreibung, Unterwerfung, Delegation, Kompromiß und schließlich Konsens wenig Möglichkeiten bieten, Konflikte zu bereinigen bzw. zu entscheiden – also nichts, was man Bolle vorwerfen könnte. Wir werden darauf zu gegebener Zeit zurückkommen.

Dabei sind sich entwickeltere Länder spätestens seit Thomas Hobbes (1588–1679) überwiegend darin einig, daß das Volk sich einen Anführer bzw. seine Anführer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) wählen soll. Etwa 100 Jahre später kam die Einsicht dazu, daß es nicht schaden kann, dem Volk zu erlauben, seine Anführer regelmäßig wiederzuwählen oder aber abzuwählen, um übertriebene Abgehobenheit der herrschenden Schichten im Keime zu ersticken. Das hat sich im großen und ganzen auch recht gut bewährt. Keinesfalls aber soll das Volk sich erfrechen, sich direkt in politische Entscheidungen einmischen zu wollen. Das traut man ihm dann doch eher nicht zu – und vielleicht ist das auch gut so. Zwar heißt es in der Verfassung: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […] ausgeübt. (Art 20 II GG). Die Abstimmungen – also das Direkte an der Demokratie – wurde von der Zunft der Rechtsgelehrten allerdings rucki-zucki gleich wieder wegdiskutiert.

Kurzum: Die Demokratie braucht einen gewissen Schutz vor unqualifiziertem Volk. Bei inhaltlichen Entscheidungen ist das weithin anerkannt. Wie aber sieht es an der Quelle, also an der Wahlurne aus? Kann man hier nicht – muß man hier nicht – im Vorfeld versuchen zu verhindern, daß das Volk die Falschen wählt? Man kann – und man versucht es auch immer wieder, mit mehr oder weniger subtilen Mitteln. Ein unrühmliches Beispiel aus jüngerer Zeit wäre etwa der Versuch der amerikanischen „Demokraten“ (hört! hört!), einen längst ausgeschiedenen Präsidenten per Impeachement aus dem Amt zu kegeln – mit dem alleinigen erkennbaren Zweck, dem Volk in vier Jahren eine entsprechende unqualifizierte Entscheidung zu ersparen. Das ist nach Bolles liederlichem Lexikon direkte Demokratie: Sicherstellung der ›Herrschaft der Guten‹, indem die weniger Guten gleich im Vorfeld ausgemustert werden – und zwar voll am Volk vorbei. Ähnliches ereignet sich zur Zeit gerade auch hierzulande. Wir können und wollen an dieser Stelle nicht auf Einzelheiten eingehen. Aber die stärkste Oppositionspartei zum Auftakt eines „Superwahljahres“ als potentiellen Hort politisch Krimineller darzustellen, die dringend der Aufsicht durch die Guten bedarf, ist bei Lichte betrachtet schon ein starkes Stück. Bolle meint: Wenn das mal gutgeht …

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Ganz überwiegend Schweigen im Walde – wenn nicht gar „klammheimliche Freude“. Da muß Bolle erst auf die Neue Zürcher Zeitung zurückgreifen, um zu erfahren, daß Verfassungsschützer keine Meinungsmacher im Wahlkampf sein sollen, bzw. daß der Inlandsgeheimdienst die Verfassung schützen soll – und nicht die etablierten Parteien. Immerhin: Auch Gabor Steingart findet es anscheinend irritierend, auf diese Weise eine Partei anzugehen, die „mancherorts die stärkste parlamentarische Kraft“ ist. Bolle meint: Wenn’s aber doch der Herrschaft der Guten dient? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 03-03-21 Wolle mer se eroilosse?

Wolle mer se eroilosse?

Seinerzeit schon, vor über 50 Jahren, hatte sich Pippi Langstrumpf im Namen der Ideosynkrasie souverän nicht nur über die Mathematik bzw. Arithmetik an sich, sondern sogar über deren Axiomatik hinweggesetzt. Damals war das noch spaßig und erfrischend. Allerdings dürfte kaum ein Schüler (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf die Idee gekommen sein, das bei Pippi Langstrumpf gelernte im Rechenunterricht praktisch anzuwenden. Heute, 50 Jahre später, wird aus Spaß langsam Ernst. Wenn man den aktuellen Meldungen Glauben schenken darf, dann keimt in den USA, dem Land of the Free, allen Ernstes eine Debatte auf, die Pippi Langstrumpf locker in den Schatten stellt. Damit aber hätte der Ideosynkrasie-Virus eine Artengrenze übersprungen – vom Sozialen zum Formalen. Aber der Reihe nach.

Hier zunächst ein Beispiel für das Soziale: Wolfgang Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident und SPD-Urgestein, hat neulich in einem Gastbeitrag in der FAZ beklagt, daß Debatten über Rassismus, Postkolonialismus und auch Gender-Sprech immer aggressiver geführt würden, und sich dabei über Cancel Culture eher kritisch geäußert. Auch sei Blackfacing nicht weiter bedenklich. Prompt zeigte man sich in der SPD-Spitze „beschämt“ über ein solch „rückwärtsgewandtes“ Bild, das so nicht länger zur Partei passen würde. Bolle meint: Woher wissen die eigentlich immer so genau, wo vorwärts und wo rückwärts ist? Und aus welcher Quelle speist sich eigentlich das Schamgefühl?

Hier nun das Formale. Anscheinend wird in den USA neuerdings ernstlich darüber debattiert, ob die Idee, daß  2 + 2 = 4 sei, nicht doch eher kulturelle Gründe habe, und nicht letztlich eine Folge von westlichem Imperialismus sei bzw. der Kolonisierung der Welt.

Dabei scheint sich die Virulenz bereits in einem fortgeschrittenem Stadium zu befinden: So heißt es in einem Rundbrief des Kultusministeriums (!) in Oregon, die Forderung an Mathematik-Schüler, in ihren Klausuren nur ein einziges, überdies auch noch möglichst zutreffendes Ergebnis vorzulegen, sei ein Zeichen „weißer Vorherrschaft“. Recht so, meint Bolle. Nieder mit den alten, weißen Männern und ihrer rassistischen Arithmetik – von Mathematik zu reden wäre hier wohl schwer übertrieben.

Bolle fragt sich ernstlich, ob er nicht vielleicht übertrieben stumpf ist bzw. zu wenig aufgeschlossen für neue Wege der Mathematik. Auch ist ihm klar, daß man eine Mathematik auch auf anderen Axiomensystemen aufbauen könnte. Weiterhin ist ihm allerdings auch klar, daß kein einziges dieser Axiomensysteme dazu führen würde, daß für ein und dieselbe Aufgabe mehrere „korrekte“ Lösungen möglich sind. Mehrere Lösungswege wohl – das aber ist hier offenkundig nicht gemeint. Und so kommt er nicht umhin, sich in Anspielung an einen running gag bestimmter Karnevalssessionen zu fragen, wer diese Leute reingelassen haben mag in die Uni oder ins Kultusministerium – und überdies ein Hygienekonzept zu fordern. Das aber ist vielleicht dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 02-03-21 Schreibblockade im Wissenschaftsgetriebe?

Schreibblockade im Wissenschaftsgetriebe.

Wir müssen noch mal auf den Wissenschaftsbetrieb zurückkommen. Gestern ging es darum, daß das akademische Jungvolk vom System getrieben wird, viel zu schreiben, wenn es nicht im Gewusel untergehen will. Im Zweifel also Masse statt Klasse. Das war übrigens nicht immer so. So hatte sich Carl Friedrich Gauß, einer der produktivsten Mathematiker aller Zeiten – der übrigens schon zu Lebzeiten Princeps Mathematicorum, also Fürst der Mathematiker, genannt wurde – folgendes zum Wahlspruch gemacht: Pauca, sed matura (Weniges, aber Reifes). Kann man sich einen Gauß mit Schreibblockade vorstellen? Schwerlich. Nun kann natürlich nicht jeder ein Gauß sein. Aber es muß ja auch nicht jeder seinen Senf dazugeben wollen zum Fortschritt der Wissenschaften. Schon Cato der Ältere (234–149 v. Chr.) hat es auf den Punkt gebracht: Rem tene – verba sequentur. Halte Dich an die Sache. Die Worte werden dann schon folgen. Bolle sieht das übrigens ganz ähnlich, wenn er seinen Studenten die Trias »Idee/Plot/Resümee« nebst Gedankenskizze nahelegt. Für Schreibblockaden bleibt da wenig Raum. Wenn man aber keine Idee hat? Dann gibt’s auch nichts zu schreiben. Komplizierter ist es an dieser Stelle wirklich nicht.

Wenn man aber schreiben muß – und zwar möglichst viel –, um im Getriebe weiterzukommen? Dann stimmt was mit dem Getriebe nicht – oder mit den Rädchen, die sich darin befinden. Bolle hat es immer wieder erlebt, daß Studenten (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), die in Klausuren eine durchaus gute Figur gemacht haben, bei Seminar- und Abschlußarbeiten richtig abgekackt haben. Wie kann das sein? Anfangs war Bolle ratlos. Dabei liegt die Antwort nahe: Für eine Klausur zu lernen ist im Grunde konsumtiv – man muß sich den Stoff einfach nur in den Kopp kloppen. Einen sowohl gehaltvollen als auch geschmeidigen Text zu verfassen ist dagegen produktiv – ein schöpferischer Akt –, den man bestenfalls üben, aber niemals auswendig lernen kann.

Dazu kommt allerdings noch ein weiteres, ganz anders gelagertes Problem. Die Rädchen im Wissenschaftsgetriebe kommen oft überhaupt nicht dazu, Ideen zu entwickeln, weil man dafür einen freien Kopp braucht – und vor allem auch Zeit, einiges an Zeit. Und wer hat die schon, wenn pausenlos jemand mit der sprichwörtlichen Stoppuhr neben einem steht und auf die Erledigung des jeweils nächsten aktuellen „Projektes“ drängt? Hier schimmert sie übrigens unangenehm durch, die „Alles ist möglich“-Hybris (vgl. dazu etwa Fr 18-12-20 Das achzehnte Türchen …). Kurzum: „Man kann die Kreativität nicht aufdrehen wie einen Wasserhahn. Man muß in der richtigen Stimmung sein“, wie Calvin einmal deklamiert hat. In welcher Stimmung?, wollte Hobbes wissen.  „Torschlußpanik.“ Das ist natürlich auch eine Möglichkeit – allerdings dann doch schon wieder auch ein anderes Kapitel.

Mo 01-03-21 Keine Besserung in Sicht?

Keine Besserung in Sicht.

Was meinst Du, Bolle? Wollen wir darauf eingehen? Oder besser jar nich ignorieren? Zwei Gründe sprechen für eine kurze Einlassung. Erstens kam es heute morgen richtig dicke, und zweitens hat sich, wie’s scheint, in den letzten 20 Jahren wenig zum Besseren gewendet – eher im Gegenteil.

Auf ›Wissen Drei‹, der Online-Hochschul-Plattform der ZEIT, findet sich ein Beitrag zum Thema „Besser promovieren“. Da geht’s schon los. Nein: man „promoviert“ nicht – man wird promoviert. Passiv! Vielleicht erhellt sich das besser, wenn wir ›promovieren‹ ausnahmsweise mal eindeutschen, statt umgekehrt. Nun, ›promovieren‹, von lat. promovere ›vorwärts bewegen‹, heißt schlicht und ergreifend ›befördern‹. „Befördert“ aber wird man – und zwar von seiner Fakultät – aufgrund nachgewiesener Leistung in Form einer Dissertation nebst, im Regelfall, Verteidigung derselben im Rahmen eines Fachgespräches (vornehm: Disputation). Das ist das einzige, was ein armer Doktorand aktiv zu seiner Promotion beitragen kann.

Weiter erfahren wir an gleicher Stelle von der „schlechten Betreuung“ der Doktoranden. Bolle meint: Hey Leute, Ihr seid erwachsen! Ihr wurdet ein ganzes Studium lang mehr oder weniger gut „betreut“. Eine Doktorarbeit soll dem Nachweis der Fähigkeit zu eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit dienen. Is nix mit „Betreuung“ – jedenfalls nicht im Regelfall, vom allfälligen wissenschaftlichen Austausch mit dem Doktorvater (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einmal abgesehen.

Schließlich wird „hoher Publikationsdruck“ angemeckert. Bolle meint: Ihr wolltet’s doch nicht anders. Wer sich darauf einläßt, seine wissenschaftliche „Exzellenz“, wie es immer so schön hochtrabend heißt, über die schiere Menge seiner Veröffentlichungen messen zu lassen, der muß sich nicht wundern, daß der Publikationsdruck steigt. Wir haben es hier einmal mehr mit einem Nash-Gleichgewicht zu tun: Jeder muß auf Teufel komm raus publizieren, weil die anderen exaktemente das gleiche tun. Das absehbare Ergebnis? Goethe meinte, im West-östlichen Divan: „Getretner Quark // Wird breit, nicht stark.“ Bolle meint: So isset.

Dazu paßt, daß wir – immer noch an gleicher Stelle – erfahren, daß die Universität in Liverpool vorgesehene Entlassungen von Wissenschaftlern von deren Publikationsstärke (bzw. eher Publikationsschwäche) abhängig machen will – und das vornehm „Bibliometrie“ nennt. Bolle meint: Ja, was denn sonst? Wenn ein entsprechendes, im übrigen voll pseudo-objektives Kriterium für die Qualität der Forschung erst mal eingeführt ist, dann wird es früher oder später auch ge- bzw. mißbraucht.

Hätte man die Entwicklung wenigstens absehen können? Leider Ja. Wer mag, mag dazu den Text »Professorenbesoldung« lesen (Professorenbesoldung / Leistungsbewertung). An der Oberfläche geht es dabei um Besoldungsstrukturen – im Kern aber um Leistungsbewertung. Wohl kein ganz uninteressantes Thema in einer „Leistungsgesellschaft“. Der Text stammt aus der Frühzeit der Fehlentwicklung und ist nunmehr satte 20 Jahre alt. Die Ultra-Kurzfassung von nur 1 Seite findet sich in tabellarischer Form am Ende des Textes. Viel Spaß bei der Lektüre.

Und? Was machen die Betroffenen – also diejenigen, für die es sich demnächst ausgeforscht haben dürfte? Schreiben einen Protestbrief. Bolle meint: Erst denken, dann forschen. Und immer schön den Tellerrand im Blick behalten. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.