Mo 13-12-21 Das dreizehnte Türchen …

Vox populi.

Das „Trotz- und Klagelied“ ist ein Epigramm von Oscar Blumenthal und stammt aus dem Jahre 1880. Bolle findet es immer wieder faszinierend, wie sich die Bilder gleichen – auch über längere Zeiträume hinweg. Wir reden hier von immerhin 140 Jahren. Allerdings heißt es bei Blumenthal nicht „Trotz- und Klagelied eines Impfskeptikers“, sondern »Vox populi«, also „Stimme des Volkes“. Wenn da nur die Volksvertreter nicht wären …  Ganz kürzlich erst hat ein Exemplar dieser Spezies zur besten bildungsbürgerlichen Sendezeit im Rahmen der corönchen-induzierten „Meine Freiheit, Deine Freiheit“-Debatte zum wiederholten male ernstlich argumentiert, man dürfe ja schließlich auch nicht Auto fahren ohne Führerschein. Der Führerschein als legitime staatliche Freiheitseinschränkung für Autofahrer und solche, die es werden wollen. Daß das so sein muß bzw. zumindest nicht ganz unvernünftig ist, versteht schließlich jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course). Aber was soll uns das sagen? Der Impfnachweis als „Bürgerschein“, ohne den man nicht mehr auf die Straße gehen darf? Mehr noch. Man dürfte sich ja – so man dem Argument folgen will – nicht mal mehr in der eigenen Wohnung aufhalten ohne Bürgerschein. Damit erhält  der Bürgerschein den Rang einer Allgemeinen Existenzberechtigungsplakette. Schließlich kann es ja wohl wirklich nicht angehen, daß Leute in dieser verhagelten Schönwetter-Demokratie einfach wild existieren. So ist ja auch etwa wild campen nicht erlaubt. Wir dürfen gespannt sein, was da noch so alles kommen mag an kreativem Überschwange. Wie meint Bolle immer? Wo ein Wille ist, da ist auch ein Argument. Oder zumindest etwas, das so tut als ob. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel …

Mo 06-12-21 Das sechste Türchen — Nikolausi …

Bolles Verfassungsreform.

Nach seinem Ausflug in die formale Logik war Bolle zur Feier des 2. Adventssonntages der Christenmenschen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) dann doch wieder nach etwas lebenspraktischerem zumute. Was liegt da näher als eine höchst überfällige Verfassungsreform zu skizzieren? Genau genommen handelt es sich dabei nicht einmal um eine Reform. Eher könnten und sollten wir von einer Reformulierung sprechen. Das klingt zwar ähnlich, ist aber durchaus nicht das gleiche.

Angesichts der doch sehr grundsätzlichen Bedeutung der neu aufzunehmenden Artikel ist Bolle dafür, sie mit „Art. 1 prä“ und so weiter zu beziffern und der Verfassung voranzustellen – also direkt nach der Präambel und noch vor den eigentlichen Artikel 1. Das ist schnell getan und hat den zumindest ästhetischen Vorteil, daß Artikel 1 alter Fassung nicht zu Artikel 1 d neuer Fassung werden müßte – was die dort formulierte Menschenwürde doch etwas in ihrer gewollten Erhabenheit schmälern könnte.

Hier zur Einführung eine ultra-kurze Kurzkommentierung.

Art. 1 prä: Ein würdiger Einstieg in jede Verfassung und seit spätestens 1789 („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) bewährt.

Art . 2 prä: Eine höchst überfällige Einbeziehung der realen Gegebenheiten. Schließlich ist unter Juristen weitestgehend anerkannt, daß sich die Verfassungswirklichkeit nicht allzuweit von der Lebenswirklichkeit entfernen sollte.

Art. 3 prä schließlich regelt dann nur noch das praktische Procedere. Gegen „in Absprache mit“ könnte man das ein oder andere Bedenken hervorbringen – Stichwort: Gewaltenteilung. Letztlich aber vermag Bolle auch an dieser Stelle keine allzu hohen Hürden zu erkennen – zumal derlei ansatzweise ohnehin bereits der Fall ist.

Für Bolle steht ganz lebenspraktisch das Ausmaß höchst sinnloser Verrenkungen, Umdeutungen, Re-Definitionen und sonstiger Kapriolen in Talkshows, Ansprachen und parlamentarischen Debatten im Vordergrund – die mit Verweis auf die reformulierte Verfassung auf einen Schlag überflüssig würden. Das aber führt für heute zu weit und wäre auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel …

Do 29-04-21 Patsch! Peng!

Hier spricht der Dichter.

Manchmal muß man bis zum Nachmittage zuwarten, bis das Leben einem was wirklich feines und erfrischendes zuspielt. So geschehen heute, als wir erfahren durften, daß, einmal mehr, das Bundesverfassungsgericht in geradezu klassischer Prägnanz klargestellt hat, was es mit Bolles Managementzirkel auf sich hat – und vor allem auch, was nicht. Wir hatten den Zirkel des öfteren schon angesprochen. Um dem geneigten Leser das Blättern zu ersparen, sei er hier noch einmal abgebildet.

Der Managementzirkel.

Wenn man, wie es beim Thema »Klima« in der Natur der Sache liegt, ein Ziel verfolgt, bei dem man erst in einigen Jahrzehnten wird beurteilen können, ob und inwiefern man was erreicht hat, dann macht es schlechterdings keinen Sinn, erst mal nur auf 2030 zu zielen beziehungsweise auch nur zu schielen und das ganze mit einer ebenso jovialen wie unausgesprochenen Fußnote zu garnieren: „Na, und denn? Denn kieken wa ma.“ Bolle sagt, aus strikt professioneller Perspektive, ausdrücklich „zielen“. Von »Planung« im Sinne des Zirkels einschließlich obligatorischem »Check der Mittel« kann bislang ja ohnehin noch keine Rede sein. Doch das nur am Rande.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Ausnahmsweise und wenigstens ausschnittsweise mal eine gute Figur. Zwar ist den Premium-Nachrichtensendungen mal wieder nicht mehr eingefallen als die übliche „Ohrfeige“ beziehungsweise, in der furiosen Fassung, die „schallende Ohrfeige“. Auf Phoenix allerdings wurde das Thema mit „Patsch! Peng!“ eröffnet. Total so! Bolle war entzückt.

Was aber hat das ganze mit Nash-Gleichgewichten zu tun? Wir erinnern uns: von Nash-Gleichgewichten spricht man, wenn – obwohl jeder das macht, was für ihn das beste ist – unterm Strich nur dummes Zeug bei rauskommt – was dann natürlich so niemand gewollt hat (vgl. Fr 23-04-21 Vive la France!). Auflösen lassen sich Nash-Gleichgewichte – auch dieser Hinweis findet sich an besagter Stelle – allein durch eine regelsetzende und durchsetzende Instanz. Wobei diese Rolle, zumindest was das Regelsetzen angeht, im vorliegenden Falle beim Bundesverfassungsgericht hängengeblieben ist. Und? Was macht die Politprominenz? Ergießt sich in Zustimmung. „Gebremst?  I wo. Wir doch nicht! Im Gegenteil – wir waren schon immer dafür, mehr fürs Klima zu tun. Der politische Gegner hat’s versemmelt, of course.“ Aber so ist das nun mal bei Nash-Gleichgewichten unter Rudeltieren.

Übrigens: Bolle hat den Eindruck, daß Oscar Blumenthal, der Schöpfer einer ganzen Reihe von Kurzgedichten sowie mancher Schach-Miniatur, einer von den Guten ist. Oder was sonst soll man von einem sagen, der seinen eigenen Grabstein mit einem eigenen Gedicht aus seinem selbstverfaßten »Buch der Sprüche« ziert?

Oft wehte mirs der Herbstwind her:
„Die Bahn so kurz! Der Weg so schwer!“
Doch eine ferne Stimme rief:
„Das Ziel so nah! Die Rast so tief!“

Ist das nicht ein hochfeiner Kontrapunkt in der gesamten Corönchen-Kakophonie? Letztlich aber ist das dann doch schon wieder wohl ein anderes Kapitel.

Di 27-04-21 Auf den Hund gekommen?

Kieken wa ma.

So ähnlich hatten wir das auch schon mal gefaßt (vgl. Fr 26-02-21 Sprache als Handwerk?). Nur hieß es dort, das Wort ginge zum Teufel. Allein das sind Feinheiten. Sehr viel grundsätzlicher geht da Thomas Hobbes vor, der sich schon 1651, also vor über 350 Jahren, in seinem »Leviathan« veranlaßt gesehen hatte, folgendes anzumerken:

„Die Vorstellung, welche bei Menschen und Tieren durch Sprache oder andere willkürliche Zeichen hervorgebracht wird, heißt Verstand, und diesen hat der Mensch mit den vernunftlosen Tieren gemein; denn z.B. kann der Hund so abgerichtet werden, daß er weiß, ob sein Herr ihn herbeiruft oder ihn von sich weist.“

Hobbes gesteht also Tieren, zumindest einigen, richtigerweise die Fähigkeit zu, die Welt, in der sie leben,  zumindest in einfacher Form sprachlich beziehungsweise semantisch zu repräsentieren, und nennt diese Fähigkeit bei Mensch und Tier gleichermaßen »Verstand«. Dabei grenzt er menschlichen Verstand dann aber doch ab, wenn er schreibt:

„Der dem Menschen eigentümliche Verstand aber ist ein solcher, der nicht allein die Willensmeinung, sondern auch die Begriffe und Gedanken anderer Menschen einsieht.“

Und genau an dieser Stelle scheint es namentlich in jüngerer Zeit dann doch ein wenig hakelig zu werden. So berichtet etwa die Neue Zürcher Zeitung von einem, wie sie es nennt, „gefährlichen Trend“, der sich in westlichen Gesellschaften – also Gesellschaften, die sich Freiheit aufs Panier geschrieben haben – zunehmend breitmache. So soll zum Beispiel ein beachtliches Siebtel aller Mitarbeiter eines großen amerikanischen Verlagshauses nebst tausender Freier Mitarbeiter von ihrem Verlag entschlossenen „Anti-Trumpismus“ eingefordert haben. Demnach sollen dieser Ansicht nach nur noch einschlägig vormagnetisierte Autoren zu Worte kommen dürfen. Der Rest muß weg. Der Neuen Zürcher Zeitung, obwohl durchaus nicht übermäßig trump-affin, wird bei dieser Entwicklung dann doch ein wenig Angst und Bange. Kann man ja auch verstehen.

Was hat das mit Hobbes zu tun? Nun, so wie’s aussieht, scheinen die Verfechter von „cancel culture“ im weitesten Sinne auf das verstandesmäßige Niveau eines Hundchens rekurrieren zu wollen. Hier geht es, falls Bolle nicht ganz falsch liegt, offenbar nur noch um elementare Funktionen wie „herbeirufen“ oder „von sich weisen“. Höhere sprachliche Repräsentationen, namentlich die Fähigkeit, Begriffe und Gedanken anderer Menschen einsehen zu können, müssen dabei notwendigerweise doch ein wenig auf der Strecke bleiben. Wie auch – wenn anderer Leute Begriffe und Gedanken möglichst gar nicht erst gedruckt werden sollen? Propagandistisch unterfütterte Bücherbannung als freiheitlich-egalitäre Alternative zur Bücherverbrennung? So kann’s also gehen, wenn man das Volk, in bester Absicht, of course, von „schlechten“ und natürlich möglichst auch von übermäßig „komplexen“ Gedanken fernhalten will – womit wir stante pede wieder bei Dörner’s ›guten Absichten‹ wären (vgl. dazu Fr 23-04-21 Vive la France!) Aber vielleicht ist das dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 20-04-21 Na, nu wird’s Tach!

Na, nu wird’s Tach!

Mehr als das war Bolle angesichts der gestrigen Ereignisse beim besten Willen nicht zu entlocken. Da hatten wir auf der einen Seite zwei Cowboys, alte weiße Männer gar, die sich vor lauter Beflissenheit, wer von ihnen denn, wie weiland Friedrich Zwo von Preußen, den nächsten ersten Diener ihres Staates geben darf, gar nicht mehr einkriegen konnten. Und dann? Irgendwie war plötzlich die Luft raus. Der eine soll’s halt machen, der andere dann eben nicht. Justamente am gleichen Tage, wenn auch in völlig anderer Färbung, das gleiche Schauspiel bei den Grünen. „Laß die mal machen“, sprach der oberste amtierende Partei-Philosoph. Ich würde’s ja auch selber machen – aber bitteschön. Ladies first. Hier mußte die Luft gar nicht erst raus. Hier war überhaupt nie welche drin. Bolle meint: Mehr „Hinterzimmer“ (Markus Söder) geht nicht. Aber was soll’s. Wenn alle damit zufrieden sind?

Jetzt könnte folgendes passieren: Die Grünen geben sich in den nächsten fünf Monaten zum Entzücken der Wähler weiterhin strikt staatstragend und streng ungefähr – während die CDU nebst Schwesterlein auch weiterhin den Schuß nicht hört. Erstaunlicherweise sind die nächsten Wahlen ja schon bald – da merkt man vor lauter Corönchen gar nichts von. Dann fehlt nur noch, daß die FDP, oder wer auch immer, dann doch lieber irgendwie regieren will als gar nicht, und schon haben wir – das kann bei einer solchen Verkettung der Umstände durchaus passieren – ein Bundes-Baerchen am Start. Kanzlerin kann schließlich jeder. In Bereitschaft sein ist alles. Auch Frau Merkel hat ja mal klein angefangen. Allerdings war sie damals wenigstens schon mal Ministerin gewesen – für was genau, spielt in solch luftigen Höhen ja ohnehin keine Rolle mehr. Auch muß das überhaupt kein Schaden sein – darauf legt Bolle großen Wert. Und überhaupt: War es nicht Willy Brandt, der 1969 schon mal mehr Phantasie wagen wollte?

Wir werden sehen. Auf jeden Fall aber soll keiner behaupten, Zeitgeschichte habe keinen Sinn für Humor. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 19-04-21 Pastorale Eile

Jeder wie er kann.

Gestern morgen ist Bolle eher zufällig und ganz am Rande eine Predigt zu Gehör gekommen. Dazu muß man wissen, daß er nie wirklich hinhört, was das soziale Hintergrundrauschen angeht. Außer, es wird interessant. Und so war es diesmal auch. Bolle kam die Stimme des Pastors irgendwie bekannt vor. Da er sonst nicht viel mit Pastoren zu tun hat, war das dann doch ungewöhnlich. Und siehe da: Der durchaus pastoral vorgetragene Text kam gar nicht aus dem Munde eines berufenen Pastors. Vielmehr war es der Bundespräsident höchstselbst, der da sprach. Kiek ma eener an. Da schlummern doch verborgene Talente, die nur der Erweckung harren.

Was meinte unser Talent, vom pastoralen Duktus einmal abgesehen? Da ging es um Menschen, die aus dem Leben gerissen wurden. Bolle findet das jetzt nicht so ungewöhnlich, daß man eigens darauf hinweisen müßte. Im Grunde geht uns das wohl allen so, früher oder später. Conditio humana, eben. Interessanter war die pastorale Erwähnung des versteckten und einsamen Sterbens. Hat Bolle da einen Seitenhieb auf Corönchen herausgehört? Corönchen soll schuld sein, daß Menschen versteckt und einsam sterben? Eher würden ihm die sozialen Bangbüchs-Standards als eigentlicher Grund einleuchten. Aber so ist das nun mal, wenn eine Gesellschaft nach gehöriger Güterabwägung kollektiv zu dem Ergebnis kommt, daß Leben letztlich Würde sticht. Ob man das mit salbungsvollen Reden wieder raushauen kann? Bolle hat da seine Zweifel.

Hinzu kommt das hurtige Timing. Im Grunde sollte man ja meinen, daß eine Gedenkveranstaltung dem Gedenken dient und sich damit rein begrifflich auf Vergangenes bezieht und folglich erst post festum, also nach der Party, wirklich Sinn macht. Mitten in der Schlacht der Schlacht gedenken? Da muß man erst mal drauf kommen – und sich das dann auch noch trauen. So richtig plausibel ist es jedenfalls nicht.

Und? Was meint der Journalismus 2.0? Lobt die Rede als gefühlvoll und zugewandt. Nun, jedem das Seine. Auch habe sie eine Pause zum Nachdenken geboten. Pause für was? Pause von was? Wir kontemplativen Agnostiker pflegen ja tagtäglich Zeit für ein entsprechendes Päuschen zu finden – und nicht erst, wenn das Kind bereits im Brunnen liegt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 17-04-21 Der Bismarck unter den Heringen

Trotz allem.

Da blättert man, eher absichtslos, in einem schmalen Bändchen – in diesem Falle Kästners »Kurz und bündig« – und schon wird man fündig. Das Epigramm paßt aber auch aufs feinste ins aktuelle Hier und Jetzt.

Nun, was ein rechter Elephant ist – Bolle bevorzugt nach wie vor die kanonische Rechtschreibung, doch das nur am Rande –, der kann schon mal ein wenig poltern im Porzellangeschäft. Allerdings macht es wenig Sinn, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Eher ist das Umfeld schuld: zu empfindlich, zu zerbrechlich – viel zu Mimimi. Im Elephantenhaus, oder gar in freier Wildbahn, poltern Elephanten wohl weit weniger.

Wie verhält es sich im umgekehrten Falle – wenn also eine Tasse sich ins Elephantenhaus verirrt? Nun, poltern wird sie sicher nicht. Eher wird sie sich verwundern, wie sie denn dahin geraten konnte. Mimimi oder nicht: auf jeden Fall wird sie absehbar keine allzu gute Figur machen – was bei den gegebenen Größen- und Kräfteverhältnissen wiederum nicht weiter verwundern kann.

Und? Was würden wir vom Journalismus 2.0 erwarten? Er würde sich wohl, wie so oft, mit den Schwachen und Entrechteten solidarisieren und das alles ganz gemein finden: „Was macht der Elephant denn auch im Elephantenhaus? Hatte er nicht neulich noch versprochen, sich fernzuhalten? Die arme Meißner Tasse. So klein noch und schon so gefährdet.“ So viel Solidarität muß sein. Obwohl: Bolle meint ja immer, daß es nur ein schmaler Grat ist zwischen Gefühlsjournalismus und lediglich gefühltem Journalismus. Doch auch das nur am Rande.

Kommen wir zur wesentlichen Frage. Was, wenn Elephantenhäuser Wahllokale wären? Das Volk könnte sich, um im Bild zu bleiben, vermutlich eher vorstellen, von einem Elephanten regiert zu werden als von einem Täßchen Meißner Porzellan. Irgendwie wirkt der souveräner. Ob er dann auch wirklich besser regieren würde, sei ausdrücklich dahingestellt. Erstens weiß man das erst hinterher und zweitens, bedenklicher noch, fehlt es notwendigerweise am Vergleich. Man kann nun mal nur einen wählen – und den hat man dann am Halse.

Ein Schelm, wer jetzt an Kanzlerkandidaten denkt. Auch wäre das schon wieder ein anderes Kapitel.

So 11-04-21 Laschet gegen Goliath

Mancher auf Stelzen …

Während heute um die Mittagszeit in einem Journalisten-Talk noch fleißig spekuliert, gerätselt und gemutmaßt wurde, ob und wann und wie und wer denn nun, war doch im Grunde längst alles klar: Willste gelten, mach Dir selten. Bolle meinte seit Wochen schon: Wenn der Goliath aus Bayern, oder sei es auch nur aus Franken, sein Ja-Wort gibt und sein stand by erklärt, dann ist der Käse gegessen.

Ist das fair? Natürlich nicht. Aber so funktioniert nun mal Demokratie. Das Volk liest mehrheitlich keine Parteiprogramme – das sowieso nicht. Es wartet auch nicht auf die mit den besten Ideen. Was dann? Das Volk schart sich in aller Regel hinter jene, denen es am ehesten Leadership zutraut. Und dabei ist nicht jeder kleine Hobbit gleich der Herr der Dinge.

Warum zum Beispiel regieren die Grünen in Baden-Württemberg? Weil sie so grün sind? Weil sie das beste Parteiprogramm haben? Die besten Ideen gar? Oder weil sie, womöglich eher zufällig und vielleicht auch nur ungern, eine Galionsfigur  hervorgebracht haben, die mit jeder Faser ein souveränes Yes, I can ausstrahlt. Im übrigen scheint es zwischen Landesfürstentum und Bundesliga so eine Art gläserne Decke zu geben. Nicht zuletzt die CDU kann mit ihrer mißglückten Ex-Vorsitzenden da ja wohl ein Lied von singen.

Vorläufig geht es für die Kandidaten nur darum, wem Partei-Prominenz und Parlamentarier zutrauen, im Herbst mehr Volk hinter sich scharen zu können. Denn davon hängt nicht zuletzt das eigene politische Wohlergehen ab – und da ist einem das Hemd dann doch schon mal näher als kleinlicher Streit unter Schwestern. Der Trick mit dem Volk geht übrigens immer ähnlich:

Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Das ist demokratisch. Das ist sogar egalitär. Das ist original der Theaterdirektor in Goethes Faust. Nur können muß man den Trick halt. Die Grünen etwa haben das zur Zeit ja recht gut drauf. Der fränkische Bayer natürlich auch.

Kurzum: Es kann nur einen geben (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course). Namentlich die Grünen haben ihr Skylla und Charybdis ja noch vor sich – falls sie uns nicht eine fröhliche Kanzler-Doppelspitze servieren wollen. Das aber wäre dann doch gegen die Verfassung (Art. 62 GG) und im übrigen auch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 07-04-21 Bridge over troubled water

Laschet, der Landesvater.

Es muß dringend was geschehen, sprach der Kommunikations-Berater. Sonst kacken wir ab und können die Kanzlerschaft knicken. Nur was? Hart muß es sein, um Führungsqualität zu zeigen. Und lichtvoll muß es sein, von wegen Ende des Tunnels. Grübel, grübel, grübel … Stunden später: Wie wär’s mit einer Brücke? Klingt doch ganz nach Kanzlerin.

Bolle kann sich das entsprechende Brain Storming lebhaft vorstellen. Jemandem eine Brücke bauen: Wie entgegenkommend ist das denn? Wir denken an den Überbrückungskredit von der Bank an unserer Seite. Die alteingesessenen Berliner denken bis heute an die Luftbrücke mit ihren Rosinenbombern, damals 1948. Und nicht zuletzt gibt es da auch noch die Bridge over troubled water – die Brücke über wilde Wasser. Kennen wa alle. Wie ging das gleich noch mal?

Du fühlst Dich müde – paßt!
Fühlst Dich klein – aber holla! nach Monaten sozialer Deprivation!
Hast Tränen in den Augen – kein Wunder bei den vielen Masken!
Ich trockne sie und
Werde bei Dir sein – Bingo! klingt doch voll seriös nach Landesvater und Kanzlerkandidat.

Der Senior ist begeistert. Noch Einwände? Ein Junior Manager meldet sich zu Wort: Ist das Bild nicht doch etwas schief? Setzt eine Brücke nicht voraus, daß das andere Ufer wenigstens in Sicht ist? Daß man weiß, wohin man bauen will? Sollten wir nicht besser von einem Schlauchboot-Lockdown sprechen? Von wegen „irgendwie weiterkommen“?

Sachlich und fachlich völlig richtig, junger Freund, entgegnet der Senior wohlwollend. Weckt aber völlig falsche Assoziationen. Die können wir hier nicht gebrauchen. Schlecht für die Kommunikation. Noch weitere Einwände? Keine? Dann nüscht wie raus damit. Deadline in zwei Stunden. Und kümmere sich jemand um die Rechte am Song.

Und so kam es, daß der Brücken-Lockdown das Licht der Welt erblickt hat. Die Staatskanzlei in München ist highly amused – wenn auch nur in aller Stille. Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 06-04-21 Kompaß alle?

Leonardos Bilder.

Ab heute wollen wir ja Ostern hinter uns lassen und uns wieder weltlicheren Themen zuwenden. In allem Ernst. „In allem Ernst“ – diese Wendung hat Bolle allen Ernstes gestern abend in einer Qualitäts-Nachrichtensendung aufschnappen müssen. Machen wir uns nichts vor: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Bastian Sick wußte das schon 2004. Aber was will man machen in einer Welt unterschwelliger Analphabeten, die sich längst angeschickt haben, „barrierefreies“ Lesen und Schreiben zur Kardinaltugend zu erheben?  Und der Genitiv ist nun mal so was von ganz und gar nicht barrierefrei. Doch das nur am Rande.

Wenn Leonardo vom Menschen als Augenwesen spricht, der das Bild brauche, hat er das vermutlich wörtlich gemeint: Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. Daneben gibt es allerdings auch sprachliche Bilder – namentlich Topoi, Metaphern und nicht zuletzt auch Gleichnisse.

In jüngerer Zeit finden sich aber zunehmend auch sprachliche Zerrbilder. Bolle spricht hier gern von »Blubbersprech« und versteht darunter amorphe verbale Gebilde, deren vornehmste Eigenschaft es ist, völlig formbefreit und sinnentleert zu sein. Amorph eben.

Das vielleicht hübscheste Beispiel aus den letzten Tagen ist die Klage, man habe die Chance verpaßt, den Kompaß auf Zukunft zu stellen. Weder ist Bolle klar, was ein Kompaß mit Zeit zu tun haben soll, noch, seit wann Kompasse „gestellt“ werden. Uhren können gestellt werden, gegebenenfalls auch Weichen. Wobei eine Wendung wie „Weichen auf Zukunft stellen“ schon ins Grenzwertige lappen würde. Aber Kompasse? Geht gar nicht.

Allerdings ist nichts so dumm, daß es nicht doch zu etwas gut sein könnte – etwa als Anregung zu Bolles lustigem Blubbersprech-Generator. Eine handvoll Substantive – also etwa Kompaß, Batterie, Uhr, und Weiche –, und eine handvoll Verben – wie zum Beispiel allemachen, stellen, ausrichten – reichen für den Anfang völlig aus. Damit können wir nicht nur Kompasse stellen, sondern auch Uhren ausrichten, oder Weichen, oder all das schlichtweg allemachen – anstatt nur Batterien. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Bei Bedarf müssen wir einfach nur die Listen verlängern – und schon geht’s munter weiter mit dem Blubbersprech. Die Kombinatorik mit ihren schier unerschöpflichen Möglichkeiten ist auf unserer Seite.

Bolle findet übrigens, daß Blubbersprech als verbaler Überbau zu gefühlter Demokratie paßt wie die Faust aufs Auge. Vielleicht ist es daher so erfolgreich und beliebt. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.